Abel Ferrara hatte seine große Zeit in den 90ern, als der italo-amerikanische Regisseur (fast) in einem Atemzug mit anderen zeitgenössischen US-Indie-Filmemachern wie Tarantino oder Lynch genannt wurde. „King of New York“, „Bad Lieutenant“, „Snake Eyes“ waren Hits des Independent-Kinos, „Tha Addcition“ ein philosophischer Kunst-Vampirfilm in Schwarz-Weiß, „Das Begräbnis“ dann schon ein Abgesang auf die klassischen Mafiafilme à la Coppola oder Scorsese, in dem die famiglia nur noch vom Wahnsinn regiert wurde, quasi der mobfilm to end all mobfilms. Danach kam nicht mehr viel, jedenfalls nicht, was künstlerisch wertvolle Beiträge in Ferraras Werk angeht. Zwar haut er weiterhin kontinuierlich Filme raus, viele davon Dokumentationen, die Spielfilme sind aber eher unausgegoren, in deutsche Kinos finden sie ihren Weg schon lange nicht mehr.
Dass Ferrara auch vor seinem „Durchbruch“ schon zahlreiche Spielfilme inszeniert hatte, war mir gar nicht klar, bis ich zufällig diesen Artkel über seine 80er-Jahre-Werke las. Und mir daraufhin mal „Fear City“ auslieh, der tatsächlich der vielleicht beste seiner Filme ist, die ich gesehen habe. Die Stadt in Angst (oder angsteinflößende Stadt) des Titels ist natürlich New York, genauer das Vergnügungsviertel rund um den Times Square, wo sich Nachtclub an Stripbar und Kneipe an Disco reiht. Für den Nachschub in den Table Dance-Clubs sorgen die Inhaber einer „Talent-Agentur“, Matt (Tom Berenger) und Nicky (Jack Scalia), die auch, allerdings etwas im Unklaren gelassene, Verbindungen zur örtlichen Mafia haben. Matt trauert immer noch der gescheiterten Beziehung zu einer seiner Tänzerinnen (Melanie Griffith) nach und hat ansonsten eine schillernde Vergangenheit hinter sich, wie wir in immer wieder auftauchenden Erinnerungsfetzen erfahren. So war er früher erfolgreicher Profiboxer, bis er einmal zu hart zugeschlagen und seinen Gegner dadurch umgebracht hat.
Alte Wunden reißen wieder auf, als nacheinander mehrere von Toms und Nickys Schützlingen Opfer eines nächtlichen Schlitzers werden, eines Psychopathen, der sich vorgenommen hat, die Stadt vom unmoralischen „Schmutz“ zu befreien. Da die Polizei sich mal wieder als unfähig erweist (und natürlich streng nach Gesetz vorgehen will, auch wenn der leitende Detective, gespielt von „Star Wars“-Legende Billy Dee Williams, gerne mal einen Verdächtigen mit den Fäusten bearbeitet), machen sich Matt, Nicky und der Mob selbst auf die Jagd nach dem Serienmörder.
So weit die natürlich reichlich klischeehafte Story, aber worauf es in dieser Art Filmen viel mehr ankommt, ist die Atmosphäre, und die stimmt hier hundertprozentig. Stilistisch brilliant fängt Ferrara den Sündenpfuhl Großstadt ein, in Bildern voller Neonreklamen, ebenso wie in unbeleuchteten Gassen zwischen den Häuserblocks, in denen Dealer ihre Ware verticken. Wenn die Protagonisten in ihrem Wagen über die fast leeren nächtlichen Kreuzungen Manhattans rauschen und die Straßen von den wiederspiegelnden Leuchtreklamen rot und blau schimmern, kann man sich diesem poetischen Anblick kaum entziehen.
„Fear City“ ist auch ein typischer Vertreter seiner Zeit: Nicht nur Stars des 80er-Jahre-Kinos wie Berenger und Griffith, auch die Musik lässt nie vergessen, in welchem Jahrzehnt wir uns hier befinden – Drumcomputer und Saxofon dominieren den Soundtrack. Der Film ist im Grunde ein typischer Genrevertreter seiner Epoche, nur immer eine Spur rauher und dreckiger – was die Gewalt angeht wie auch den Sex. Oder wo sonst sah man schon mal einen Hollywoodstar wie Melanie Griffith so freizügig ihre Brüste präsentieren? (Wenn es dann doch einmal ernst wird für die Sexarbeiterin, also vor dem romantisch motivierten Sex mit ihrem Ex, blendet die Kamera allerdings genauso verschämt ab wie in einem x-beliebigen Mainstreamfilm.)
Es ist auch die Zeit, in der Männer noch besser mit ihren Fäusten als mit Worten umgehen konnten, verstummten, wenn es um ihre Gefühle ging. „I loved you too much“, sagt die von Griffith gespielte Tänzerin einmal zu Matt, „you should have talked to me more.“ – „Sometimes I don’t find the words“, bekennt der. So muss er am Ende dann auch erneut – eher widerwillig – seine Fäuste sprechen lassen, um sein Mädchen vor dem Messer des Killers zu retten, in eben einer dieser dunklen, schmutzigen Gasssen, in der sie eigentlich ihren Dealer aufsuchen wollte. Das finale Duell zwischen dem rauhen, aber gutherzigen „Zuhälter“ und dem gefühllosen Killer inszeniert Ferrara folgerichtig wie den Showdown im Western: eine leergefegte Straße und zwei Männer, die aufeinander zu kommen. „Do you think you’re a hero now?“, fragt danach der Detective, aber Helden gibt es in dieser Welt schon lange nicht mehr, nur Männer, die tun, was eben getan werden muss.