Archiv für Juli, 2009

Sammelsurium kürzerer Texte: New Wave  Abb.: dtv

Sammelsurium kürzerer Texte: "New Wave" Abb.: dtv

Christian Kracht gehört zu den am meisten gefeierten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren. Nachdem ich schon seinem aktuellen Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ nichts abgewinnen konnte, habe ich nun doch noch ein Buch von ihm gekauft: „New Wave“ versammelt, relativ beliebig zusammen gestellt, verschiedene Texte, die von 1999 bis 2006 entstanden sind, für Zeitschriften, für nicht verwirklichte Filmprojekte u.ä. Stilistisch reicht das von Reisereportagen über kurze Erzählungen bis zu Theaterstücken – die allerdings eher eine Parodie auf die Gattung zu sein scheinen, als dass  so etwas ernsthaft für eine Aufführung geschrieben zu sein scheint – und Briefwechseln.

Das Problem, das ich mit diesen Texten fast durchgehend habe, ist, dass ich mich ständig frage: Was soll das eigentlich? Manche sind zwar gut geschrieben, wie die etwas längere Erzählung „Der Gesang des Zauberers“, ergeben aber nicht wirklich Sinn. Andere sind zwar witzig, aber belanglos wie etwa die beiden abgedruckten Briefwechsel mit einer Auftraggeberin und zwischen einem Namensvetter und einem Fan. Wieder andere sind völlig überflüssig wie einige Fragmente für Erzählungen, die schon nach drei, vier Seiten abbrechen oder eben ein „Theaterstück“, das wohl irgendwie ironisch sein soll.

Am besten sind noch die Reisereportagen, und hier vor allem eine über einen Aufenthalt in der Mongolei, wo Kracht unbedingt ein Murmeltierrezept kosten möchte, sowie eine über eine Fahrt nach Tschernobyl, in der er den Super-GAU mit dem Meteoriten-Einschlag aus der Johannes-Offenbarung gleichsetzt. Die Art, in der Kracht erzählt, nennt man wahrscheinlich postmodern: Die Erzählungen und Filmtreatments haben keine wirkliche Handlung mehr, jedenfalls keine, in der es eine logische Entwicklung gäbe; sie führen nirgendwo hin außer ins Leere.

Anderes ist reine Selbstbespiegelung, wobei man nie genau weiß, inwieweit das nun alles authentisch ist, so wenn Kracht detailliert eine Fastenkur am Bodensee beschreibt (in bestem Tagebuchstil à la Hesse, inklusive Darmentleerung und täglicher Gewichtsangabe) oder in einem skurrilen Briefwechsel mit einer PR-Redakteurin, der er gleich lange Schilderungen persönlicher Erlebnisse schickt. Selbstverliebt könnte man diesen Stil auch nennen. Kracht scheint sich weniger für die Gegenstände seiner Texte zu interessieren, als für sich selbst. Über die Menschen in Djibouti und Kairo erfahren wir in seinen Reportagen wenig, über Krachts Ego um so mehr. Darin stellen sie das genaue Gegenteil der Reportagen anderer Autoren dar, die man gerne unter dem Popliteratur-Label zusammenfasst, wie etwa Helge Timmerberg oder Maxim Biller.

Insgesamt wirkt das Buch so, als hätte der Verlag einfach alles zwischen die zwei Buchdeckel gepresst, was von Kracht noch nicht in Buchform veröffentlicht war, um noch ein bisschen Geld mit seinem ja doch relativ populären Namen zu machen. Wenn das schon „Glanzstücke zeitgenössischer Literatur“ sein sollen, wie uns der Klappentext weismachen will. Bestenfalls sind darunter ein paar ganz witzige Texte zwischen vielen überflüssigen Entwürfen, die besser in der Schreibtischschublade geblieben wären, statt ans Licht der Öffentlichkeit gezehrt zu werden.

Christian Kracht: „New Wave“, 304 Seiten, 9,90 €, dtv

Ausgerechnet Ulf Poschardt soll zum Jahreswechsel Herausgeber der Springer-Musikzeitschriften „Rolling Stone“, „Musikexpress“ und „Metal Hammer“ werden, meldet die taz. Poschardt, Godfather der neoliberalen Gehirnverkleisterung, der als Chefredakteur des SZ-Magazins über Tom Kummers gefälschte Promi-Interviews stolperte, als Gründungschefredakteur die Totgeburt der deutschen „Vanity Fair“-Version maßgeblich zu verantworten hatte, wo er in seinen Editorials die „Mover und Shaker“ der Republik ansprechen wollte, die wahrscheinlich in ihrer Gesamtheit ins Berliner „Borchardt“ passen würden, und der seitdem wieder unglaublich reaktionäre Kommentare in der „Welt am Sonntag“ schreiben darf. Nun darf der selbst ernannte Popjournalist (der ja immerhin über „DJ Culture“ promoviert hat) also bald u.a. beim „Rolling Stone“ mitreden, der doch in den USA mal als Zeitschrift der linken Gegenöffentlichkeit gegründet wurde.  Was für ein Abstieg, wenn man betrachtet, welche Tradition der (amerikanische) RS doch hat: von Jann S. Wenner zu Ulf Poschardt – das bringt auch nur der Springer-Verlag fertig.

In den vergangenen Jahren war ich vier Mal traurig, als eine Radiosendung eingestellt wurde. Interessanterweise waren drei davon beim hr. Dieser Sender scheint echt ein Talent dafür zu haben, die wenigen hörenswerten Sendungen, die sich auf seinen Wellen finden, abzusetzen, weil sie ihm anscheinend zu unkonventionell sind. Im Sommer 2007 schickte die Jugendwelle YouFM den Kultmoderator Jürgen Kuttner offiziell in eine einjährige Pause, aus der er, wie schon damals anzunehmen war, nie zurück kam. Kuttner, der vor allem in Berlin und Brandenburg durch seine Hörertalkshows bekannt wurde, hatte bei YouFM jahrelang eine ähnlich angelegte, sehr skurrile Call In-Sendung „moderiert“. Sein Umgang mit schräger Musik und teils fast schon dadaistischen Hörergesprächen machten die Sendung desöfteren zu einer Art experimenteller Klangkunst. Für die Jugendwelle einer ARD-Anstalt wahrscheinlich zu schräg.

Ende vergangenen Jahres schickte der hr seinen letzten ernst zu nehmenden Moderator einer Popsendung in die Verbannung. Kurz vor ihrem 25. Geburtstag wurde Klaus Walters hr3-Show „Der Ball ist rund“ abgesetzt, das einzige, was man sich auf der seichten Dudelwelle überhaupt anhören konnte. Begründung: Walters anspruchsvoller Musikmix störe die Durchhörbarkeit des Programms. Auch massiver Protest und eine Petition treuer Hörer nutzten nichts.

Ende des Jahres will sich nun der hr auch noch von Holger Klein trennen, der seit ungefähr zwei Jahren drei Mal in der Woche die spätabendliche Hörertalkshow „Nightline“ moderiert. Angeblich sei kein Geld mehr da. Das lässt befürchten, dass nicht nur Klein in die Wüste geschickt werden, sondern die ganze Sendung abgesetzt werden soll. Statt anregender und teilweise anspruchsvoller Diskussion wird es dann vermutlich auch nach 23 Uhr bei YouFM aktuelles Hitgedudel geben.

Ich hatte mich schon länger gewundert, dass ein derartig kritischer und gegen den Meinungs-Mainstream argumentierender Moderator beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein so breites Forum bekommt. Klein ist einer der wenigen Radiomoderatoren, die sich eine eigene Meinung nicht nur erlauben, sondern auch den Mut haben, diese in aller Deutlichkeit auf dem Sender auszusprechen. Ob Bildungssystem, Hartz IV oder übertriebene Sicherheitspolitik – Kleins Meinung liegt bei so ziemlich allen aktuellen politischen Themen diametral konträr zur vorherrschenden Mehrheitsmeinung. Er scheut sich auch nicht, vom Untergang der Demokratie zu reden, wenn Schäuble & Co. mal wieder absurde Überwachungsgesetze entwerfen. Bei Hartz IV stellte er mal die Frage, ob die Regierung nicht mitbekomme, welche Folgen ihre unsoziale Politik für viele Menschen eigentlich hätte oder ob sie diese beabsichtige – und welche Möglichkeit eigentlich schlimmer sei. Und das alles bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, der indirekt unter der Kontrolle von Roland Koch und seiner CDU steht! Und bei einer Jugendwelle, die hauptsächlich von Leuten unter 20 gehört werden dürfte. Jetzt scheint es mit der Meinungsfreiheit bei YouFM wohl Ende des Jahres vorbei zu sein.

Klein ist übrigens kein Moderator, der es seinen Hörern leicht macht. Ich muss gestehen, dass ich anfangs seinen Moderationsstil überhaupt nicht mochte. Er ist sehr persönlich und vertritt seine Meinungen sehr konsequent. Am Anfang wirkte das sehr arrogant auf mich. Mit der Zeit lernte ich seine Art aber immer mehr zu schätzen, als ich verstanden hatte, wie er denn so tickt. Inzwischen ist das allabendliche „Nightline“-Hören für mich zu einer Art Zubettgeh-Ritual geworden. Vor dem Schlafen noch ein, zwei Stunden meist intelligente Gespräche hören, bevor (oder wobei) ich dann einschlafe. Bald werde ich mir wohl ein neues Ritual suchen müssen. Und der hr einen neuen Hörer.

Die „Nightline“ mit Holger Klein gibt’s noch bis Jahresende dienstags bis donnerstags von 23 bis 1 Uhr bei YouFM.

Ich hatte ja neulich schon mal etwas über das neue Berliner Kulturmagazin „Aufstieg und Fall“ geschrieben. Jetzt habe ich es auch gelesen. Und muss leider sagen, dass der Inhalt nicht mit der Aufmachung mithalten kann. Das Heft sieht wirklich gut aus und liegt gut in der Hand – die Macher weisen extra darauf hin, dass sie „gefühlte 999 Papiermuster“ in der Hand hatten. Leider findet sich nicht ein einziger wirklich lesenswerter Artikel. Einiges ist ganz nett geschrieben, so der (englischsprachige) Artikel über einen betrügerischen Aktienhändler, der in den USA zu 150 Jahren Haft verurteilt wurde, bei vielem ist man hinterher genauso schlau wie vorher – etwa bei einer launischen Geschichte über sexuelle Anziehung -, und einiges ist schlicht unleserlich, so das Interview mit einem Trendscout, der eine Plattitüde an die nächste reiht. Wirklich hervorragend geschrieben ist leider nichts.

Einige Artikel kommen gleich ganz ohne Fakten aus, sondern sind reine Dichtung (die sieben Leben einer Katze und ein selbst ernannter Messias schreibt über sich selbst). Das finde ich vom Ansatz her erst mal nicht schlecht, nur sollten solche Texte dann auch wirklich witzig sein, was die beiden leider nur bedingt sind. Ein roter Faden ist auch nicht wirklich zu erkennen. Angeblich soll das verbindende Thema der Debütausgabe ja Aufstieg und Fall sein. Und was hat der Messias jetzt damit zu tun? Himmelfahrt oder wie? Und die geistig Behinderten in Dänemark? Bei DUMMY ist das Oberthema ja oft auch sehr schwammig gewählt, so dass fast alles dazu passt (Thema des aktuellen Hefts: Männer). Zumindest kann man aber immer noch erkennen, was jeder einzelne Artikel denn nun mit dem Oberthema zu tun hat.

Am besten sind in „Aufstieg und Fall“ noch die Fotostrecken, eine zu einem wilden rituellen Fest in Indien, eine zu einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen in Dänemark. Aber wegen denen allein gibt man ungern knapp sechs Euro aus. Insgesamt wirkt das Heft wie ein DUMMY ohne echten Inhalt. Special Interest-Magazine, also Film-, Musik- oder Comicfachzeitschriften lese ich vor allem wegen der Informationen; wenn die Texte darüber hinaus noch gut geschrieben sind, umso besser. Bei Zeitschriften wie DUMMY oder LIEBLING erwarte ich gar keinen Informationsgehalt, sondern besonders gut geschriebene Texte, die ich einfach gerne zur Unterhaltung lese. In „Aufstieg und Fall“ findet sich leider beides nicht. Schade! Es ist halt doch nicht alles Gold, was aus Berlin kommt und auf glanzlosem schwerem Papier gedruckt wird.

Lesetipp: Schlingensief als Fitzcarraldo

Veröffentlicht: 10. Juli 2009 in Lesetipp
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Was hat man plötzlich für Wünsche, wenn der Arzt einem sagt, man hätte vielleicht nur noch fünf Jahre zu leben? Einen Baum pflanzen, ein Kind zeugen, ein (Opern-)Haus bauen. Schon etwas älter, aber diese Woche erst entdeckt: ein lesenswertes „Zeit“-Dossier über die Reise des krebskranken Christoph Schlingensief, der mitten in Afrika ein Opernhaus bauen will wie weiland Klaus Kinski in Werner Herzogs Film.