Archiv für Juli, 2011

Titelschlagzeilen heute:

BILD: „Die Schreckens-SMS von der Todesinsel“

Express: „Mordversuch mit Frikadelle“

Wenn der Versuch erfolgreich gewesen wäre, wäre „Dat is ja mal ’ne rischtig jute Frikadelle“ ein schöner Kandidat für die Sammlung „Beste letzte Sätze“ gewesen.

Ich glaube, Truffaut hat mal geschrieben, beim Filmemachen gehe es im Grunde nur darum, schöne Frauen so zu inszenieren, dass sie besonders gut aussehen. Der junge Leos Carax hat das in seinem zweiten Film von 1986 (Originaltitel: „Mauvais sang“, „Schlechtes Blut“) ganz und gar verinnerlicht. Es sind gleich zwei Frauen, zwischen denen sein Held Alex (Denis Lavant) hin und her gerissen ist, seine Freundin Lise, die ihn mehr liebt als er sie, und die geheimnisvolle Anna, Freundin des gealterten Gangsters Marc (Michele Piccoli). Gespielt werden sie von den beiden wohl schönsten Schauspielerinnen des französischen Kinos der 80er und 90er Jahre: Julie Delpy und Juliette Binoche. Der Userkommentator robert-temple-1 drückt es in der imdb so aus:

We have the impossibly beautiful Julie Delpy aged only 19, and already in her sixth film, with the unformed face of an infant, and yet her eyes deep pools of passion already, the eyes of a passionate child in that perfect Madonna face. Juliette Binoche is 22 but looks twelve, and her beauty is greater even than that of Delpy’s, we cannot take our eyes off her, her calm is the calm of a lake when there is no wind, her face is the face of a lake with no clouds, her beauty is the beauty of a lake in the sunset, the sleekness of her movements is that of a fish glimpsed for a moment as it leaps above the surface of that lake.

Alles in diesem Film ist künstlich: die Bilder wirken wie gemalt, die Farben sind oft auf ein, zwei Primärfarben reduziert (Binoche in einem knallroten Kleid oder einem tiefblauen Bademantel), die Straßen des nächtlichen Paris sind völlig leer, wenn die Figuren rauchen (und das tun sie ständig), dann rauchen sie wie in einem 50er-Jahre-Gangsterfilm. Die bösartige Syndikatschefin heißt einfach nur „die Amerikanerin“, Alex wird von allen nur „Plappermaul“ genannt. Die harten Gangster wissen alle, wer Jean Cocteau war. Auslöser der Handlung ist ein Virus, der sich überträgt, wenn Menschen „sich lieben ohne sich zu lieben“ (1986 war AIDS noch eine neue Bedrohung) und den Alex aus einem Forschungslabor stehlen soll. Aber das ist natürlich nur der Aufhänger für eine Liebesgeschichte, die größer ist als das Leben.

In diesem Film ist alles große Geste: Wenn Anna ihren ersten Fallschirmsprung machen will, wird sie dabei prompt ohnmächtig, und Alex muss sie retten. Das erste lange Gespräch zwischen den Beiden nimmt im Film eine knappe halbe Stunde ein. Wenn Alex auf der Straße zu David Bowie tanzt, dann so unglaublich affektiert, dass man es nicht fassen kann. Jeder Satz in diesem Film ist wahr, voller Weisheit und Poesie. „Wenn du endlich weißt, wie man leben soll, ist es zu spät.“ Vor allem aber sind die Frauen unfassbar schön, grazil und geheimnisvoll, auch leicht verrückt, ihre Männer alt oder hässlich (oder beides), immer bereit für die nächste Wahnsinnstat. Und Liebe reimt sich immer auf Tod.

Die Binoche erinnert hier mit ihrer schwarzen Pagenfrisur an Anna Karina in frühen Godard-Filmen, und man fragt sich, wie wohl der Film ausgesehen hätte, wenn Truffaut vor seinem Tod noch einen mit ihr gemacht hätte. „Die Nacht ist jung“ ist der perfekte Beweis, dass man einen Genrefilm machen kann, der zugleich ganz poetisch und künstlerisch ist. Danach hat Carax nur noch zwei Langfilme inszeniert: seinen größten Erfolg „Die Liebenden von Pont-Neuf“ (wieder mit Binoche und Lavant in den Hauptrollen, und Lavant scheint darin tatsächlich derselbe Alex zu sein, obwohl er im Vorgängerfilm so endet, wie kleine sympathische Gangster in einem Genrefilm nun mal enden müssen) und „Pola X“. Letzterer liegt jetzt schon zwölf Jahre zurück. Wo ist Leos Carax? Und natürlich gibt es seine frühen Filme mal wieder nicht als deutsche DVDs. Es ist ein Jammer.

Filme kurz bewertet

Veröffentlicht: 24. Juli 2011 in Film
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Ein paar kürzlich gesehene Filme, bei denen es sich nicht wirklich lohnt, eine längere Kritik zu schreiben:

Ashes of Time (Redux) – Ein vor kurzem erstmals auf DVD erschienenes Frühwerk von Wong Kar-Wei in einer neuen Schnittfassung. Ich mag den Mann wirklich, aber seine Filme könnten oft viel besser sein, wenn er sich endlich mal einen guten Drehbuchautor suchen würde. Dieses Schwertkämpferepos von 1994 ist sein bisher schlechtester Film. Was für ein prätentiöser, sich selbst furchtbar wichtig nehmender Quatsch! Natürlich gibt es massig schöne Bilder, schöne Frauen und Männer, die entweder stilvoll schweigen oder viele kluge Sätze sagen (gerne auch aus dem Off). Was es hingegen gar nicht gibt, ist so etwas wie Handlung, jedenfalls keine wirklich nachvollziehbare. Figuren verschmelzen miteinander, eine Frau ist ihr eigener Bruder, Menschen vergessen ihre Vergangenheit, nachdem sie einen bestimmten Schnaps getrunken haben. Wong hat unbestreitbar ein großes Gespür für Bilder und philosophische Erkenntnisse, nur leider hat ihm nie jemand gesagt, dass Spielfilme ein erzählerisches Medium sind, d.h. ein Medium, das in Bildern erzählt. Stattdessen reiht er Szenen wahllos aneinander und lässt Stimmen aus dem Off sagen, was eigentlich die Bilder und die Geschichte vermitteln sollten. Die letzten 20 Minuten retten den Film vor dem Totalflopp, weil darin die wunderschöne Maggie Cheung minutenlang melancholisch in die Kamera blicken und dazu noch klügere Sätze als die anderen Figuren in den ersten 70 Minuten sagen darf.

2,5 von 6 Sternen (wegen der letzten 20 Minuten)

Hab ich mal erwähnt, dass ich Roger Ebert mag? So wie der seine Kritik zu diesem Film geschrieben hat, dürfte man ja auf keiner Journalistenschule der Welt eine Kritik schreiben. Aber gerade deshalb ist sie so herrlich passend. Zitat:

He adds section headings like Spring, Summer, Autumn, Winter (a direct quote from e. e. cummings), but that only helps you to think, „Oh, now I see! I don’t understand it, but it’s happening in Winter!“

Bridesmaids – Wird diese Woche von sämtlichen ernst zu nehmenden deutschen Medien, vom „Freitag“ bis zur taz bis CARGO abgefeiert. Ich versteh immer noch nicht so ganz, warum Filmkritiker, die sonst 95 Prozent des Hollywood-Ausstoßes kategorisch ablehnen, ausgerechnet Komödien aus dem Judd Apatow-Umfeld immer in den Himmel loben. Vielleicht sind sie einfach so in ihrem Welt-, Independent- und sonstigen Minderheitenkino gefangen, dass sie 90 Prozent des aktuellen Mainstreamkinos gar nicht wahr nehmen. Aber warum dann ausgerechnet eine Komödie, die von der Verleihmafia den Titel „Brautalarm“ verpasst bekommen hat und mit Plakaten beworben wird, die eher an einen neuen „Sex and the City“-Teil erinnern?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist eine wirklich nette, warmherzige Komödie für einen netten DVD-Abend, mit einer wirklich starken Hauptdarstellerin und vom Humor her näher an Fäkalhumor-Filmen als an RomComs. Aber zweitbester Film des Jahres? Ich bitte euch. Schön ist, dass der Film trotz des Themas Hochzeitsvorbereitungen nie kitschig oder sentimental wird, dass die unperfektesten Frauen die sympathischsten sind und dass die Hauptfigur keine wandelnde Klischeedame ist, sondern eben ein Mensch aus Fleisch und Blut. Die Erkenntnis, dass Frauen auch (nur) Menschen sind, hatte ich allerdings spätestens mit 15, die finde ich jetzt nicht so wahnsinnig originell und innovativ. Verglichen mit dem Charme und subtilen (!) Humor der von ihm erfundenen Serie „Freaks and Geeks“ (die noch dazu gänzlich ohne furzende und kotzende Figuren auskam) ist Paul Feigs Regiedebüt dann aber doch einige Nummern schlechter.

4 von 6 Sternen

Náufragos (Gestrandet) – Ein spanischer Science Fiction-Film (!) von Anfang der 00er, irgendwo zwischen Mainstream-Spektakeln wie „Mission to Mars“ und anspruchsvolleren europäischen Genrefilmen à la „Sunshine“, mit deutlich weniger Spezialeffekten und ohne Actionszenen. Die Handlung hat man so ähnlich schon Dutzende Male gesehen, trotzdem ganz unterhaltsam. Vincent Gallo versucht sich als rational-egoistischer Ingenieur ausnahmsweise mal in underacting, hat aber trotzdem den besten Dialog (mit Maria de Madeiros): „Wir könnten uns Trost spenden und es uns behaglich machen statt unsere Energie zu verschwenden.“ – „Wir sollen tatenlos unserem Ende entgegensehen und fickend sterben???“ Die Glaubwürdigkeit leidet etwas darunter, dass einige Teilnehmer der internationalen Marsmission nur rudimetär des Englischen mächtig sind (vor allem de Madeiros).

4 von 6 Sternen

Niveauvolle Unterhaltung statt trockener Nachrichtenlektüre: "Moxxito"; Abb.: Carlsen Verlag

Comic-Magazine für Erwachsene haben in Deutschland keine richtige Tradition. Ganz anders als in Frankreich oder Belgien, wo es seit den späten 60er Jahren immer eine Vielzahl solcher Zeitschriften gegeben hat, die in einem Heft verschiedene Fortsetzungs- und Kurzcomics unterschiedlicher Zeichner präsentieren, darunter so langlebige und heute legendäre wie „Pilote“, „Metal Hurlant“ oder „A Suivre“. Die einzigen derartigen Magazine, die im deutschen Sprachraum über einen längeren Zeitraum erschienen sind, waren „Schwermetall“ und „U-Comix“ sowie bis heute das sehr avandgardistische Schweizer „Strapazin“. Seit einigen Jahren muss man sicher auch die Neuauflage von „ZACK“ dazu zählen, obwohl das ja lange Zeit hauptsächlich Serien abdruckte, die  ursprünglich mal für Jugendliche gedacht waren. Versuche, Magazine mit reinen Erwachsenenstoffen zu etablieren hingegen, hat es  auch hierzulande immer wieder gegeben, wurden aber meist nach wenigen Ausgaben wieder eingestellt. Das wohl beste dieser Projekte war „Moxxito“.

Es war 1988, als der Carlsen Verlag, damals noch unangefochtener Marktführer bei Buchhandels-Comicalben, den ambitionierten Versuch startete, ein ebenso niveauvolles wie unterhaltsames Comic-Magazin für ältere Leser zu lancieren. Mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren wurde es nicht nur über die üblichen Vertriebswege für seine Alben angeboten, also über den Comicfach- und (Bahnhofs-)Buchhandel, sondern auch über normale Zeitschriftenläden. Wobei viele Händler wohl nicht wussten, ob sie das Heft neben dem „Playboy“ oder neben der „Micky Maus“ einsortieren sollten. Auf überformatigem Hochglanzpapier präsentierte Chefredakteur Andreas C. Knigge (damals auch Leiter des Carlsen-Comicprogramms) Fortsetzungs- und Kurzgeschichten europäischer Zeichner, darunter viele Newcomer. Das Themenspektrum reichte von Thrillern mit Insektenfiguren („Inspektor Gomina“) über Fantasy bis Erotik (allerdings viel dezenter als die berüchtigten Sexcomics in „Schwermetall“). Neben französischen, belgischen und spanischen Autoren kamen auch deutschsprachige zum Abdruck. Chris Scheuer, damals einer der aufstrebenden Stars der hiesigen Szene (obwohl Österreicher) lieferte mit „Sir Ballantime“ sicher eines der grafischen Highlights des Magazins.

„Moxxito“ bot aber noch mehr als bloß eine bunte Mischung meist guter bis sehr guter Comics. Auch der redaktionelle Teil konnte sich, im Gegensatz zu dem der meisten anderen deutschen Comic-Magazine, sehen lassen. Neben den üblichen Rezensionen aktueller Comics widmete man sich in regelmäßigen Kolumnen auch angrenzenden Medien wie (Unterhaltungs-)Literatur oder Spielfilmen (allerdings nur in Form von TV-Tipps). In der Rubrik „Creativ“ wurden nicht nur Comiczeichner vorgestellt, sondern auch mal ein Filmplakatmaler oder einer, der die Eingänge von Nachtclubs auf der Reeperbahn mit Ölgemälden verschönerte.  Und neben Berichten über einen Streik in den Disney-Studios oder die Rückkehr des Marsupilamis fanden sich auch welche über Profikiller, US-Geisterstädte und die moderne Piraterie. Teilweise waren diese Artikel ziemlich gut geschrieben, man merkte, dass Carlsen für das Heft richtig Geld in die Hand genommen hatte. Statt am Fanniveau etwa der gelegentlichen Artikel in „Schwermetall“ orientierte man sich journalistisch eher am „Stern“.  Knigge konnte sich hier als Blattmacher richtig austoben.

Seine Verdienste für die Etablierung des Comics als ernstzunehmende Kunstform in Deutschland kann man meiner Meinung nach ohnehin gar nicht hoch genug einschätzen: Er brachte mit der „Comixene“ in den 70ern die erste Fachzeitschrift heraus, die sich ernsthaft mit Comics auseinander setzte. Er baute in den 80ern maßgeblich das Erwachsenencomic-Programm des Carlsen Verlags auf. Und er scheiterte leider mit dem Versuch, ein intelligentes Magazin für erwachsene Comic-Freunde am Kiosk zu etablieren. Denn schon nach einem halben Jahr und sechs Ausgaben war schon wieder Schluss mit „Moxxito“.

Wahrscheinlich war es dann doch zu anspruchsvoll, zu elitär, um eine breite Masse anzusprechen. Zudem hatte sich Carlsen mit der viel zu hohen Auflage wohl kräftig verkalkuliert. Auch hatte man den Fehler gemacht, mit lauter ersten Alben neuer, unbekannter Serien in Fortsetzung zu starten, statt auf bekannte Namen zu setzen. Bezeichnend ist nämlich, dass auch die späteren Albenausgaben der „Moxxito“-Fortsetzungsserien im Carlsen Verlag fast alle nach ein oder zwei Alben wieder eingestellt wurden. Erst im letzten Heft hatte man mit Moebius, Bilal und Hermann eine ganze Reihe großer Namen ins Heft geholt. Aber da war es wohl ökonomisch schon zu spät. Da half es auch nicht mehr, dass „Der Spiegel“ laut einem „Moxxito“-Editorial das Magazin als  „savoir vivre für den intelligenten Comic-Freund“ geadelt hatte.

Carlsen versuchte es 13 Jahre später mit dem populäreren, eher auf eine jugendliche bis studentische Zielgruppe ausgerichteten Fantasy-Magazin „Magic Attack“ noch einmal auf dem Magazinmarkt, das sie nach 13 Ausgaben wieder einstellten. Immerhin muss man ihnen zu Gute halten, dass sie es zwei Mal versucht haben, und beide Male mit einem gut gemachten Produkt, während zum Beispiel Erzkonkurrent Ehapa nie den Mut aufbrachte, ein Erwachsenen-Magazin zu starten. Ambitioniert zu scheitern ist mir immer lieber als auf Nummer sicher zu gehen. Und „Moxxito“ sieht noch heute genauso aus, wie ich mir im Grunde ein solches Magazin wünsche. Selbst das Layout wirkt nach knapp 15 Jahren noch frisch und modern. Es war wohl einfach eine jener Zeitschriften, für die der Markt (noch?) nicht bereit war.

Videotipp: Fauser beim Bachmann-Preis

Veröffentlicht: 19. Juli 2011 in Bücher
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Wer mal sehen will, wie Marcel Reich-Ranicki und noch ein paar andere Literaturpäpste sich um Kopf und Kragen reden, sollte sich ihre Jurybegründungen zu Fausers Auftritt 1984 nicht entgehen lassen. Abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, warum Fauser da angetreten ist, da dieser Wettbewerb ja alles verkörperte, was er am Literaturbetrieb verachtete, ist das ein schönes Beispiel für die geistige Selbstbefriedigung solcher Veranstaltungen. Genau, Herr MRR, wir sortieren erst mal alles schön in E und U, und für U erklären wir uns dann nicht zuständig. Aber er meinte ja auch mal, er interessiere sich nicht für Romane über südamerikanische Landarbeiterinnen. Wahrscheinlich nur für welche über alte europäische Männer in Lungensanatorien.

Eine Nacht mit Vincent Gallo zum Spottpreis

Veröffentlicht: 18. Juli 2011 in Film
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Dass Vincent Gallo reichlich verrückt ist, lässt sich schon an der Auswahl seiner Rollen in den letzten zehn Jahren erkennen, noch mehr an den beiden Filmen, die er nach seinem Regie-Debüt „Buffalo 66“ selbst inszeniert hat (den dritten hat bis jetzt allerdings noch kaum jemand zu Gesicht bekommen, weil er sich wohl weigert, ihn nach zwei Festivalaufführungen für weitere Kinos frei zu geben). Man kann aber auch mal auf seiner Homepage (das Design dürfte seit gefühlt 1995 nicht mehr verändert worden sein) vorbei schauen, wo sich dieser Eindruck noch verstärkt. Vor Jahren hat er da seine Fans schon mal als Arschlöcher beschimpft, weil sie sein Gästebuch verschandelten.

In der Shop-Kategorie bietet er nicht etwa das an, was man so erwarten würde: Unter „Film“ gibt es nur wenige DVDs seiner Filme (und dann meist teure Japanfassungen), dafür aber jede Menge Promomaterial, Requisiten, Garderobe („aus dem Besitz und getragen von Vincent Gallo persönlich“) u.ä. zu heftigen Preisen. Unter „Posters“ bietet er nicht etwa Filmplakate zu seinen Werken an, sondern Stücke aus seiner privaten Filmpostersammlung von skurrilen Horror- und anderen Trashfilmen für jeweils 120 Dollar. Am besten sind aber die Angebote in der Rubrik „Personal Services“: ein Tag mit ihm kostet nur sagenhaft günstige 50.000 $, zugelassen sind zwar nur Frauen, von denen lehnt er aber wohl keine wegen Gewicht, Hässlichkeit oder anderer Kriterien ab. Nur mit der enormen Größe seines Geschlechtsteils sollten die Kundinnen kein Problem haben. Wer ein dauerhafteres Andenken an Herrn Gallo haben will, kann für eine Million Dollar sein Sperma erwerben. Ich würde mich allerdings schon mit einem seiner H&M-Werbeplakate zufrieden geben. Die bietet er aber leider nicht an.

Fragebogen zu Film und Kino

Veröffentlicht: 17. Juli 2011 in Film

01) ein film, den du schon mehr als zehnmal gesehen hast:
Ich glaub tatsächlich, noch keinen. Die am meisten gesehenen dürften aber Star Wars 1 (Ep. IV), Himmel über Berlin, Vom Winde verweht und noch’n paar andere sein.

02) ein film, den du mehrfach im kino gesehen hast:
Der Himmel über der Wüste war glaube ich der einzige, wo ich ohne gesellschaftlichen Anlass zwei Mal kurz hintereinander rein gelaufen bin.

03) ein schauspieler, wegen dem du eher geneigt wärst, einen film zu sehen:
Vincent Gallo. Nicolette Krebitz. Chloe Sevigny.

04) ein schauspieler, wegen dem du weniger geneigt wärst, einen film zu sehen:
Ben Affleck. Kevin Costner. (Und ich würde trotzdem ganz gerne den neuen „Company Men sehen, in dem beide mitspielen!) Till Schweiger (ok, nicht weniger geneigt, sondern der ist definitiv ein Ausschlussgrund!).

05) filmmusical, dessen songtexte du komplett auswendig kannst:
Zählt die „Dreigroschenoper“? Hab allerdings die Verfilmung nie gesehen.

06) ein film, bei dem du mitgesungen hast:
Im Kino? Never.

07) ein film, den jeder gesehen haben sollte:
Aus filmischen Gründen: Casablanca. Aus pädagogischen Gründen: Requiem for a Dream, The Day After.

08) ein film, den du besitzt:
Versteh die Frage nicht ganz. Irgendeiner? Zumindest war König der Fischer der erste, den ich auf Video gekauft habe, und lange Zeit auch der einzige (ist aber leider abhanden gekommen).

09) ein schauspieler, der seine karriere nicht beim film startete und der dich mit seinen schauspielerischen leistungen positiv überrascht hat:
Schließe mich an: ‚björk in ihrer einzigen rolle in „dancer in the dark“ ‚

10) schon mal einen film in einem drive-in gesehen?
Isch ‚abe gar kein Auto.
11) schon mal im kino geknutscht?
Will ja nie einer.

12) ein film, den du immer schon sehen wolltest, bisher aber nicht dazu gekommen bist?
Hm, von den „schon immer“-Filmen hab ich in den letzten Jahren tatsächlich das meiste endlich nachgeholt. Vielleicht Time of the Gypsies.

13) hast du jemals das kino verlassen, weil der film so schlecht war?
Nein, aber ich war ein paar Mal kurz davor, u.a. bei Face/Off (sinnlose stylishe Gewalt) und Chihihiros Reise (so was von penetrant nervend, dass man wohl ein japanisches Kind sein muss, um den nachvollziehen zu können).

14) ein film, der dich zum weinen gebracht hat?
Schon auch Dancer in the Dark. Irgendwie auch der Schlussdialog zwischen Max und Noodles in Es war einmal in Amerika („Ich hatte einmal einen Freund. Vielleicht den besten…“).

15) popcorn?
No drugs.

16) wie oft gehst du ins kino?
Hm, lange Zeit mindestens 3-4 Mal im Monat, seit zwei, drei Jahren eher ein Mal im Monat.

17) welchen film hast du zuletzt im kino gesehen?
Falls die Filmwerkstatt als Kino zählt: Solo Sunny, sonst Truffauts Taschengeld (nein, nicht in den 80ern). Letzter aktueller Film war Winter’s Bone. Und für Auf brennender Erde hatte ich schon eine Karte gelöst, aber die haben dann einfach was Anderes gezeigt.

18) dein lieblingsgenre?
Tragikomödie. Anspruchsvolle Science Fiction (gibt’s aber leider nur alle Jubeljahre mal).

19) dein erster film, den du im kino gesehen hast?
Wahrscheinlich irgendwas von Disney.

20) welchen film hättest du lieber niemals gesehen?
Matrix.

21) der merkwürdigste film, den du mochtest?
The Brown Bunny. Irgendwie auch Trouble Every Day. Also, eigentlich alles, was Vincent Gallo in den letzten zehn Jahren gedreht hat.

22) der beängstigendste film, den du je gesehen hast?
The Day After. Weggucken musste ich bei Antichrist.

23) der lustigste film, den du je gesehen hast?
The Big Lebowski war schon sehr lustig. Aber am heftigsten gelacht habe ich bei der Zeitungszustellungssequenz in Helge Schneiders Jazzclub.

24) ein deutscher film, den jeder gesehen haben sollte?
Stimme erneut zu: „Der Himmel über Berlin“.

25) ein kurzfilm, der dich begeistert hat?

Zuletzt The Mad Doctor (ein früher Micky Maus-Cartoon in schwarz-weiß, der ein richtiges Grusel-Meisterwerk ist) und, ebenfalls von Disney, Skeleton Dance.

(via)

Heinz Harder war bis vor ein paar Jahren ganz oben: ein Starjournalist, der für die größten Illustrierten mehrteilige Reportagen schrieb. Bis er wegen zweifelhafter Methoden (Einbrüchen, um an Informationen zu kommen, erfundene Geschichten etc.) in seiner Branche in Ungnade fiel und seitdem als Gebrandmarkter keine Aufträge mehr bekommt. Um über die Runden zu kommen, betätigt er sich als „Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle“. Als die ebenso laszive wie undurchsichtige Ex-Frau eines ehemals einflussreichen Politikers ihn beauftragt, ihre vermisste jugendliche Tochter zu suchen, wird er in einen Fall hineingezogen, in den neben der Berliner Landespolitik auch noch zwielichtige Geschäftsleute, skrupellose Menschenhändler, und verblendete Anhänger eines Schlangenkultes verwickelt sind.

„Das Schlangenmaul“ von 1985 war Fausers einziger lupenreiner Kriminalroman, nicht im Sinne von „Who dunnit?“, sondern im Stil der Hardboiled-Romane von Chandler & Co. Sein Harder ist ein deutscher Phillip Marlowe: ein gesellschaftlicher Außenseiter und Beobachter, mit trockenem Humor, der als Einziger moralisch sauber bleibt, egal, welchen Morast der Korruption er durchwaten muss. Sein Einsatzort ist nicht L.A., sondern das West-Berlin der mittleren 80er Jahre, eine merkwürdig hermetische Welt, ein Niemandsland, das nicht zur DDR, aber auch nicht richtig zur BRD gehört. Zufluchtsort für jede Art dubioser Gestalten, die alle das Gleiche suchen: das große Geld. Manche nutzen dazu die Politik, manche die (Zwangs-)Prostitution, wieder andere die Naivität verblendeter Esoteriker. Und manche schrecken zur Erreichung ihrer Ziele auch nicht vor Mord zurück.

Fausers Roman ist nicht nur die faszinierende Beschreibung einer verloren gegangenen Welt, die die Nachgeborenen nur noch aus Erzählungen und Filmen kennen, einer Welt, in der alle Straßen an der Mauer enden, eines Hortes für Glücksritter aus ganz Westdeutschland. Er ist auch ein herrlich ironischer Journalismusroman. Harder, der ganz in Chandlers Tradition seine Geschichte in der Ich-Form erzählt, spart nicht mit bissigen Seitenhieben auf seine Branche, die er in ihrem Kern genauso leidenschaftlich liebt wie er ihre modernen Auswüchse verabscheut. Deshalb hat er trotz des Siegeszugs des Boulevards den Traum von der nächsten großen Artikelserie und von der einen wahren Zeitschrift immer noch nicht ausgeträumt. Wie bei Chandler hat aber auch bei Fauser die Welt eigentlich keinen Platz mehr für diesen kleinen Träumer. Was den nicht daran hindert, weiter seinen Weg zu gehen.

Stilistisch ist Fauser hier brilliant: ebenso dichte wie metaphorische Beschreibungen des grell-grauen Großstadtalltags wechseln sich mit herrlich lakonischen Dialogen ab. Wen interessiert da noch, dass das Komplott, das Harder aufdecken will, zunehmend ausufernder erscheint, bis man den Überblick teilweise verloren hat? Auch das ist ja im Grunde fast ein Markenzeichen der Schwarzen Serie. Selbst Bogart soll ja die Story von „Tote schlafen fest“ nie verstanden haben. Für die Bavaria, die wohl mal die Filmrechte an dem Stoff gekauft hatte, war die fehlende Stringenz des Plots laut Nachwort der Grund, warum sie ihn dann doch nie verfilmt haben. Völlig unverständlich, drängen sich bei vielen Dialogen die Bilder dazu doch förmlich auf. Als Harder sah ich beim zweiten Lesen (bei dem ich den Roman übrigens noch viel besser fand, als ich ihn in Erinnerung hatte) ständig Rainer Werner Fassbinder vor mir, in seinem weißen Anzug mit schwarzem Hemd. Maja Maranow hätte eine gute Aufraggeberin abgegeben, so ambivalent-undurchschaubar wie in der „Fahnder“-Folge „Nachtwache“. Was wäre wohl dabei heraus gekommen, wenn Hans C. Blumenberg das Buch verfilmt hätte? Es sagt schon viel über eine Filmindustrie aus, wenn sie auf so einem Stoff sitzt, ohne ihn zu ergreifen.

Bisher meinte ich ja, dass Fauser in der kleinen Form immer am besten war, bei Reportagen oder Kurzgeschichten. Aber dieser Thriller ist vielleicht doch sein opus magnum. Lange Zeit vergriffen, erschienen vor einigen Jahren gleich zwei neue Ausgaben: ein Hardcover und ein Taschenbuch. Das Diogenes-TB ist vorbildlich editiert, neben einem informativen Nachwort von einem Fauser-Freund und Verleger enthält es auch zwei Zeitschriftentexte Fausers, darunter seine „Tip“-Reportage über vermisste Jugendliche in Berlin, die ihn auf die Idee zu dem Roman brachte. Da merkt man dann wieder: Er konnte beides, Wirklichkeit lebendig vermitteln und reale Phänomene weiterspinnen und daraus ein schillerndes fiktionales Werk machen.

Ein Muss für alle heutigen, ehemaligen und zukünftigen Genrefreunde, Detektive, Journalisten und West-Berliner.

Diogenes Taschenbuch 2009. 316 Seiten, 9,90 € (oder in der Werkausgabe-Kassette mit neun Taschenbüchern)

10 Gründe, Facebook zu hassen

Veröffentlicht: 16. Juli 2011 in Online
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(via)

Lesetipp: Das Leben in den Zeiten der Kohl-Ära

Veröffentlicht: 14. Juli 2011 in Lesetipp, Politik
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Vor der Schaffung des neuen, größeren Deutschland und dem Erwachen in Sozialabbau, Krieg und Krisen war die Bundesrepublik in einen langen Schlaf mit schweren Träumen gefallen. Man nannte diese Phase die „Ära Kohl“.

Georg Seeßlen im „Freitag“ mit einer brillianten Analyse des Phänomens Helmut Kohl, wie er unsere Gesellschaft geprägt hat, und der bangen Frage, ob Merkel nicht die Fortsetzung des Systems Kohl mit anderen Mitteln ist. Ich denk ja mittlerweile, dass die Regierung Kohl politisch fast noch harmlos war im Vergleich zu dem, was danach kam. Moralisch und habituell ging der Mann natürlich überhaupt nicht. Oder wie es neulich ein Anrufer bei WDR 5 ausdrückte: „Politisch mag er seine Verdienste haben, aber menschlich halte ich ihn für verabscheuungswürdig.“