Wer gestern die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel und das „sozialdemokratische Urgestein“ Klaus von Dohnanyi bei Maybrit Illner diskutieren gehört hat, muss zu dem einfachen Schluss kommen: Die SPD gibt es nicht mehr. Jedenfalls nicht als eine Partei. Was es wohl noch gibt, sind zwei Restparteien mit gemeinsamer Organisationsstruktur. Gemeinsame Ziele – außer dem, irgendwie an die Macht zu kommen bzw. dort zu bleiben -, gemeinsame Grundwerte, eine gemeinsame Auffassung darüber, was gute und richtige Politik ist und was nicht, gibt es in diesen Restparteien aber nicht mehr.
Leute wie Dohnanyi, Bahr oder auch Steinmeier wären in der CDU oder der FDP besser aufgehoben – wie Richard David Precht mit Blick auf ersteren gestern sehr richtig feststellte, habe man mit so einer wirtschafts- und sozialpolitischen Einstellung in der SPD nichts zu suchen -, während die Jusos noch die Politik vertreten, die früher einmal das Markenzeichen der gesamten SPD war. Wer heute immer noch ernsthaft findet, die Agenda 2010 wäre eine notwendige Reform gewesen, die viele tolle Arbeitsplätze geschaffen und so den Zusammenbruch der Sozialsysteme verhindert habe, scheint entweder in einer Parallelwelt zu leben oder sehr merkwürdige Vorstellungen darüber zu haben, was eigentlich die Ziele sozialdemokratischer Politik sein sollten.
Die tatsächlichen Folgen der Hartz-„Reformen“ sind überwiegend: die Stigmatisierung von Arbeitslosen als Drückeberger und Sozialschmarotzer, aber auch als unterstes Prekariat, die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung sowie das Drücken des Lohnniveaus. Die Angst, selbst Hartz IV-Empfänger zu werden, hat nämlich bei vielen, die noch nicht dazu geworden sind, dazu geführt, dass sie bereit sind, auch unterbezahlte Jobs anzunehmen. Tarifverträge werden damit systematisch ausgehöhlt, natürlich auch dadurch, dass mit Hartz IV systematisch Tarifbruch öffentlich gefördert wird, denn eine untertarifliche Bezahlung ist ja für einen ALg II-Bezieher kein anerkannter Grund, einen Job anzunehmen. Im Gegenteil: Es gibt ja sogar staatlich geschaffene Ein-Euro-Jobs, da kann ja jeder noch froh sein, der für 5 Euro die Stunde als Friseur arbeiten darf (zu den Folgen der teils absurden Hartz IV-Praxis siehe auch dieses sehr interessante Interview).
Wer das nun als sozialdemokratische Politik verkaufen will, muss allerdings in Kauf nehmen, dass der gerne beschworene Willy Brandt in seinem Grab rotiert. Die Rente mit 67 wäre dann auch noch so eine Absurdität, wenn man bedenkt, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter schon heute eher bei 58 liegt als bei 65. In jedem Unternehmen würde man, wenn die Ist-Werte von den Soll-Werten abweichen, ja erst einmal dafür sorgen, dass die Soll-Werte erreicht werden, statt zunächst diese weiter nach oben zu setzen, in der Hoffnung, die Ist-Werte würden sich dann schon von alleine annähern.
Das Schlimmste an dem Verhältnis dieser beiden Restparteien unter dem gemeinsamen Namen SPD zueinander ist dann aber, dass die Schröder-Münte-Steini-Partei zumindest auf den Führungsebenen immer noch die beherrschende ist. Das kann man sehen, wenn Steinmeier sich am Abend seiner grandiosen Wahlniederlage selbst zum Oppositionsführer krönen darf und er dann zwei Tage später auch mit 88 Prozent der Stimmen gewählt wird. Und fast noch deutlicher daran, dass ein Gauner wie Matschie vier Tage, nachdem die SPD auf Bundesebene u.a. für ihre Beteiligung an einer großen Koalition abgestraft wird, verkündet, er wolle jetzt in Thüringen eine ebensolche große Koalition eingehen, obwohl es mit der Linken 80 Prozent gemeinsame Ziele gebe. Als Argument wird dann angegeben, die Linke sei nicht bereit gewesen, Matschie, den Vertreter der drittstärksten Partei bei den Wahlen, zum Ministerpräsidenten zu wählen. Da ist der eigene Stolz natürlich so stark verletzt, dass man lieber den Steigbügelhalter für die CDU spielt, in einer Koalition, in der selbstverständlich Matschie auch nicht Ministerpräsident wird, und auch kein anderer Sozialdemokrat, was in der anderen Koalition ja zumindest möglich gewesen wäre. Von der Umsetzung irgendwelcher politischer Ziele ist dann schon gar nicht mehr die Rede. Was für ein unwürdiges absurdes Theater!
Immerhin war es schön, mal zu sehen, wie während der Bekanntgabe des Vorstandsbeschlusses zur Koalitionsbildung im Hintergrund Jusos lautstark protestieren und ihren SPD-Landeschef mit Buh- und Pfui-Rufen begleiten. Wenn es an der SPD-Basis tatsächlich noch mehrheitlich echte Sozialdemokraten gibt, wie ja immer behauptet wird, sollten diese beim nächsten Parteitag Matschie & Co. einfach mal in die Wüste schicken und eine Koalition mit Linken und Grünen beschließen. Wenn dies allerdings nicht geschieht, hat die SPD nach 150 Jahren endgültig ihre Existenzberechtigung verloren und könnte genauso gut die Selbstauflösung beschließen. Dass Parteien nicht unersetzlich sind, kann man immer wieder bei einem Blick auf den Wahlzettel sehen, wo irgendwo unter ferner liefen das „Zentrum – Älteste Partei Deutschlands“ aufgelistet steht. Die waren auch mal richtig groß, in der Weimarer Republik stärkste Partei. Bald könnte sich die SPD ähnlich weit unten auf den Wahlzetteln wiederfinden.