Das Jahr, in dem wir alle in Quarantäne gingen

Veröffentlicht: 20. Dezember 2020 in Uncategorized
Schlagwörter:

Das wohl seltsamste und leider auch schlechteste Jahr, das ich bisher erlebt habe, neigt sich dem Ende zu. Was soll in den verbleibenden Tagen im Quasi-Totallockdown noch groß kommen? Also kann ich auch jetzt schon ein Fazit ziehen. Ganz ehrlich, hätte ich mich Mitte März in einjährigen Winterschlaf begeben, ich hätte nichts verpasst.

Es war das Jahr, in dem alles, was mir Spaß macht, die meiste Zeit über nicht möglich war oder jedenfalls nicht unter Bedingungen, unter denen es auch wirklich Spaß gemacht hätte (wenn man jetzt mal von so Sachen absieht, die man alleine zuhause machen kann, wie Comics lesen und Musik hören). Dabei habe ich, als die Maßnahmen zwischenzeitlich gelockert wurden, fast alles wieder gemacht, was ich sonst auch unternehme: Ich war dreimal im Kino, davon zwei Mal mit Mundschutz während des Films, auf einigen Trödelmärkten, natürlich mit Mundschutz, einmal am Badesee, dort sogar weitgehend ohne Mundschutz, außerdem regelmäßig in Buch- und Plattenläden und im Sommer fast jeden Tag im Straßencafé. Alles fast immer alleine. Das Meiste davon mache ich auch sonst überwiegend alleine, aber es war trotzdem nicht dasselbe. Ich fühlte mich meist so wie die Protagonistin des Christiane-Rösler-Lieds, die versucht, ihr Leben trotz schmerzhafter Trennung weiterzuleben: „Ich war im ‚Wrestler‘ und im ‚Knochenmann‘, ich war mit Benno Führmann in Afghanistan. Ich war mit Mausi Lugner auf dem Opernball…“ Ich war überall, aber es fühlte sich an, als würde man durch ein Surrogat der echten Welt laufen, einer fast perfekten Illusion wie in „Welt am Draht“. Aber eben einer, in der dann doch etwas nicht stimmte, eben nicht normal war. Man konnte die Gesichter der Menschen oft nur noch halb sehen, blickte über seine eigene Maske wie durch einen Schleier. Bei jeder Bahnfahrt und im Supermarkt wurde man über Lautsprecher ermahnt, sich an Regeln zu halten, als habe nach Monaten immer noch nicht jeder mitbekommen, was los war. Das Lachen der Kinder wirkte naiv, das Geschwätz der Erwachsenen, die zu Zweit oder in Gruppen unterwegs waren, aufgesetzt. So, als wisse jeder, dass das AKW in der Nähe schon längst explodiert war, sich aber niemand traue, das auszusprechen.

Ich hatte noch nie das Problem, zu viele soziale Kontakte zu haben, und in den vergangenen Jahren wurden es ohnehin immer weniger. Aber auch noch staatlich verordnet zu bekommen, möglichst keine Freunde zu treffen, war dann doch noch mal ein paar Stufen heftiger. Die privaten Treffen in diesem Jahr kann ich an weniger als zehn Fingern abzählen. Was auch damit zu tun hat, dass einige Leute, mit denen ich mich normalerweise verabrede, ihre Wohnung am liebsten gar nicht mehr verlassen wollten. Um mich herum ging hingegen das Leben zumindest für einige Monate im Sommer wieder seinen scheinbar normalen Gang. An den Tischen neben mir saßen die Menschen meistens zu Zweit, auch beim Shoppen sah man mehr Paare und Gruppen als Einzelne. Freundinnen fielen sich zur Begrüßung in die Arme, auch erwachsene Kinder und ihre Elternteile, wo man doch quasi jeden Tag im Radio eindringliche Appelle hörte, Körperkontakte zu vermeiden. Mit der Schwarzen Pädagogik der 50er Jahre meinte die Kanzlerin ja noch erst vor ein paar Tagen, wer jetzt viele Leute treffe und danach zu Weihnachten die Großeltern besuche, sei selbst Schuld daran, wenn die Oma das nächste Fest nicht mehr erlebe.

Arbeiten konnte ich den ganzen Frühling und Sommer über auch nicht, da Arbeit mit Menschen erst verboten war und dann an fehlenden Räumen scheiterte. An den paar Tagen, wo ich doch unterrichtete, war ich so nervös, dass ich mehr damit beschäftigt war, meine Nerven in den Griff zu bekommen. Ausgerechnet, als die Infektionszahlen wieder anstiegen, wurden die Kurse, mit denen ich meinen Lebensunterhalt bestreite, endlich fortgesetzt. Und meine Tage gleich wieder gecancelt, da nun nach der neuesten Verordnung in zwei Räumen parallel unterrichtet werden musste, diese aber gar nicht zur Verfügung standen. Ein anderes neues Engagement mit einem Online-Kurs ging komplett in die Hose. Auch eine – im Grunde einleuchtende – Erkenntnis: Wenn man mit Menschen arbeitet, sollten diese auch körperlich anwesend sein. Der andere Kurs, erst vor ein paar Wochen wieder aufgenommen, machte wesentlich mehr Spaß, obwohl es für niemanden befriedigend sein kann, wenn der Lehrer zwischen zwei Räumen hin und her wechseln muss. Aber zumindest ist ein menschlicher Austausch möglich, ein halbwegs „normales“ Miteinander trotz Maske und Abstandsregeln. Doch auch der ist jetzt auf unbestimmte Zeit wieder verboten, denn über Nacht war schon der nächste Lockdown da.

Anders als im Frühling, wo man noch die Hoffnung hatte, es gehe schnell vorbei, außerdem die Natur erblühte und man bei jeden Tag schönem Wetter seine Zeit auch alleine gut im Freien verbringen konnte, kommt jetzt noch das schlechte Wetter, die ständige Dunkelheit und der übliche Winterblues hinzu. Das Jahr ohne Konzerte, ohne Reisen, ohne Comicbörsen, ohne Straßenfeste, ohne Körperkontakte endet nun auch noch ohne Cafébesuche, ohne Kino, ohne Shoppen. Und mit zweifelhafter beruflicher Zukunftsperspektive. 2020, du kannst mich mal, aber sowas von.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..