Archiv für August, 2012

Meine heimlichen Helden: Dirk Thiele und Sigi Heinrich

Veröffentlicht: 14. August 2012 in Journalismus, TV
Schlagwörter:, , ,

In den letzten 2 1/2 Wochen habe ich fast keinen anderen TV-Sender geguckt als Eurosport, obwohl der so weit hinten auf meiner Fernbedienung liegt, dass ich ihn im Grunde nur alle vier Jahre wahrnehme. Nämlich immer dann, wenn das Olympia-Fieber meine Sportallergie besiegt. Da ich mich nur für zwei Sportarten interessiere, nämlich Schwimmen und vor allem Leichtathletik, kommt mir die Live-Berichtertattung der Briten wesentlich mehr entgegen als die von ARD und ZDF. Letztere übertragen ja überwiegend nur die Wettkämpfe, bei denen Deutsche Medaillenchancen haben. Das führt dann zu so absurden Entscheidungen wie zur besten Sendezeit ein Beach-Volleyballspiel zu übertragen, während alle Welt fiebert, wer beim 100-Meter-Lauf schnellster Mann der Erde wird.

Na, die Einschaltquote scheint ihnen ja Recht zu geben, sollen sich doch acht Millionen Deutsche angeguckt haben, wie vier Sportler auf Sand rumspringen und einen Ball übers Netz spielen – für mich allenthalben an langweiligen Sommerurlaubstagen als Betätigung vorstellbar (also, jetzt nicht für mich selbst, ich würd eh keinen Ball übers Netz bekommen). Ein paar Tage später dann: Hockey. Geht’s noch uninteressanter? Kennt da überhaupt jemand die Spielregeln? 800 m-Lauf der Damen und Staffel fanden nur als Aufzeichnungen in der Halbzeitpause Platz, immerhin wurde wohl mal kurz zum 200 m-Lauf mit Usain Bolt geschaltet. Dass es viel mehr Spaß macht, Wettkämpfe in voller Länge zu verfolgen (selbst Stabhochsprung), statt von Häppchen zu Häppchen zu springen, haben die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin nicht verstanden.

Bei Eurosport, wo man dank der europaweiten Verbreitung keine Rücksicht auf nationale Befindlichkeiten nehmen kann und muss, werden hingegen zur Primetime nur die populärsten Sportarten übertragen. Und das heißt eben: Abends drei bis vier Stunden Leichtathletik. Herrlich, ich sehe lieber die dritte Siegerehrung im Stadion als drei Minuten Ballsport. Wegkommentiert wird stundenlang alles von den immer gleichen beiden Reportern: Dirk Thiele und Sigi Heinrich. Die sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber mir immer noch lieber als die Schnarchnasen bei ZDF oder ARD, die sich meist so anhören, als warteten sie nur darauf, dass sie bald ausstempeln könnten (und deren Allgemeinbildung gegen Null zu gehen scheint, können sie doch weder Liam Gallagher richtig aussprechen noch Westminster Abbey von St. Paul’s Cathedral unterscheiden). Die beiden Eurosportler sind hingegen wie ein altes Ehepaar, das sich hin und wieder mal chauvinistische Bemerkungen zuwirft („Du schickst doch immer deine Frau zum Einkaufen“) oder auch mal tierisch aufregt, wenn die eigene Bildregie die Langstreckenläufer statt der Hochspringer zeigt.

Höhepunkt ihres Auftretens war aber der letzte Wettkampfnachmittag, als Heinrich plötzlich Hockey kommentieren musste, während Thiele beim Marathon war. Letzterer sprach von sich selbst verwirrenderweise immer in der dritten Person: „Gleich kommentieren Dirk Thiele und [Expertin einsetzen] für Sie den Marathon, aber erst einmal zu Siegfried Heinrich beim Hockey.“ – „Ja, hier ist Sigi. Schön, dass du auch dich selbst nennst. Aber dich kennt man doch, da wissen die Leute doch, wer du bist.“ Tags zuvor beim 50 km-Gehen der Männer – ein absolut faszinierendes Ereignis, nicht weil so spannend gewesen wäre, wer gewinnt, sondern, weil ich ständig befürchtete, es würde noch ein Teilnehmer kurz vorm Ziel entweder zusammenbrechen oder disqualifiziert werden -, schaffte Thiele es, in einer halben Minute drei ausgelutschte Metaphern einzubauen (Bild von Uhrenturm: „Seine Stunde schlägt jetzt auch“, Bild einer grünen Ampel: „Für ihn steht die Ampel jetzt auf Grün“, das dritte war wahrscheinlich ein Stoppschild oder so was). Auch das ist ein bemerkenswerter Rekord. Was mache ich jetzt bloß abends ohne Olympia? Wann ist noch mal die nächste Leichtathletik-WM?

Schon interessant, wie sich auch bei einem Regisseur wie Olivier Assayas, der auf den ersten Blick erst einmal keine stilistischen Eigenheiten zu haben scheint, mit der Zeit Gemeinsamkeiten zwischen seinen Filmen offenbaren. Obwohl er von Genre zu Genre wechselt, mal eine Coming-of-Age-Liebesgeschichte dreht wie den frühen TV-Film „Kaltes Wasser“, ein anderes Mal eine Satire übers Filmemachen („Irma Vep“), dann einen Globalisierungsthriller wie „Demonlover“ oder ein Drogen-/Familiendrama wie „Clean“. Und doch fallen einem nach einigen Filmen wiederkehrende Themen auf.

Da ist zum einen die Faszination für die asiatische Kultur, die wahrscheinlich nicht zuletzt seiner Ehe mit Maggie Cheung zu verdanken ist, die auch in zweien seiner Filme die Hauptrolle spielt. Einer davon ist „Irma Vep“, in dem sie als sie selbst, als Star des Hongkong-Kinos nach Frankreich kommt, um ein Remake des Stummfilm-Serials „Les Vampires“ zu drehen. In „Demonlover“ ist es ein japanisches Trickfilmstudio, das mit Hardcore-Animes viel Geld verdient, in „Boarding Gate“ muss die von Asia Argento gespielte Sandra nach einem Auftragsmord gleich selbst nach Hongkong (und dann weiter nach Shanghai) flüchten und droht in dem Gewusel der fremdartigen Metropole, deren Sprache sie nicht versteht, ihre Identität zu verlieren. Wobei die eh schon ziemlich brüchig ist, war sie doch früher ein Call-Girl, dann scheinbar eine solide Lagerarbeiterin, nebenbei eine Drogenschmugglerin und muss nun eine neue Identität annehmen. Unklare Identitäten gibt es auch in „Demonlover“ zuhauf, wo niemand der ist, der er vorgibt zu sein und nie ganz klar ist, wer wirklich für welche Seite arbeitet. Und wo die von Connie Nielsen dargestellte Wirtschaftsspionin schließlich sogar von ihren Gegnern gefangengehalten wird, um als Sklavin für eine S/M-Webseite zu fungieren.

Sadomasochismus ist ein weiteres Thema, das Assayas zu faszinieren scheint, ob in „Demonlover“ oder in „Boarding Gate“, wo die Beziehung von Sandra und Miles (Michael Madsen) ganz von ihren Abhängigkeitsspielen mit Gürtel und Handschellen zu leben scheint, oder subtiler in „Irma Vep“, wenn Maggie Cheung sich nachts das hautenge Latexkostüm ihrer Filmrolle überzieht, um im Hotel auf Raubzug zu gehen – und daraus einen rauschhaften Lustgewinn zieht. Auch S/M ist letztlich ein Spiel mit Identitäten.

Und dann ist da natürlich das große übergreifende Thema Globalisierung: ob Schauspielerinnen aus Hongkong nach Paris eingeflogen werden, Drogen in Containern ins Ausland geschmuggelt oder Porno-Anime-DVDs weltweit vermarktet. Immer wieder spielt hier auch das Internet eine Rolle, sei es mit Snuff-Porno-Webseiten oder harmloser mit einer Science-Fiction-Seite, die Sandra früher mal – erfolglos – betrieben hat. Und auch Maggie Cheungs drogensüchtige Rocksängerin in „Clean“ lebt ein grenzüberschreitendes Leben als Asiatin aus Paris, die in London mit einem Kanadier verheiratet ist. Diese generelle Grenzenlosigkeit unserer mdernen Welt ist bei Assayas eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits bietet sie neue Chancen, von denen frühere Generationen nicht einmal träumen konnten: etwa als Pariserin einen Club in Peking zu eröffnen oder eben umgekehrt als Hongkong-Chinesin ein interessantes Filmprojekt in Paris anzunehmen. Andererseits verursacht sie eine Entwurzelung, sorgt dafür, dass Menschen sich nirgendwo mehr zu Hause fühlen, verloren gehen wie Asia Argento im kantonesischen Sprachgewirr von Hongkong. Und schließlich überwinden alle möglichen und unmöglichen Waren mühelos alle Grenzen, von denen man sich das besser nicht wünschen würde: Drogen, Pornos, Raub-DVDs und Snuff-Videos. Von der globalisierten Wirtschaft jedenfalls zeichnet Assayas ein höchst negatives Bild, denn sowohl in „Demonlover“ als auch in „Boarding Gate“ zeigt er sie uns lediglich als grenzüberschreitende (und grenzenlose) Wirtschaftskriminalität.