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Olympia-Berichterstattung bei ARD und ZDF: eine Farce

Veröffentlicht: 17. August 2016 in Journalismus, TV
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Da ein vier Jahre alter Artikel zu den Eurosport-Leichtathletik-Kommentatoren hier immer noch Resonanz findet, schreibe ich mal wieder was zu Olympia. Seit eineinhalb Wochen ärgere ich mich über die Berichterstattung von ARD und ZDF, die ja spätestens alle 20 Minuten zu einer anderen Sportart schalten (Hauptsache, ein Deutscher hat Medaillenchancen), und trauere vergangenen Olympischen Spielen nach, für die auch Eurosport die Rechte hatte. Da konnte man sicher sein: Wenn Leichtathletik stattfindet, wird auch stundenlang Leichtathletik übertragen, und wenn man wegen Zeitverschiebung oder weil man keine Zeit hatte, was verpasst hat, kann man sich vormittags noch mal stundenlang die Wiederholung anschauen.

Bei ARD und ZDF ist es hingegen ein Glücksspiel, überhaupt mal Leichtathletik zu sehen, da die tagsüber lieber so was Spannendes wie Springreiten zeigen. Selbst wenn es nachmittags mal ein Lauffinale gibt wie gerade die 3000m Hindernis, hat man die Wahl, sich entweder im Fernsehen Tischtennis (!) anzusehen oder im Internet einen unkommentierten (!!) Livestream des Rennens (was machen eigentlich die Kommentatoren des jeweils anderen Senders, der im TV gerade nicht dran ist; könnte man die nicht dafür einsetzen, die Livestreams zu kommentieren, die auf beiden Webseiten übertragen werden?). Wahrscheinlich will das ZDF dem Ärger abhelfen, indem es einen zur Meditation zwingt, denn etwas Meditativeres als eine unkommentierte Sportübertragung lässt sich wohl nur schwerlich finden.

Für alle, die sich nicht die Nacht um die Ohren hauen wollen oder können, gibt’s dann noch die morgendlichen Highlights-Sendungen. Die dauern drei Stunden, wobei Leichtathletik (oder in der ersten Woche Schwimmen) mal am Anfang, mal am Ende, mal mittendrin und manchmal auch zweigeteilt mit eineinhalb Stunden Unterbrechung zusammengefasst wird. Großartig! Wir haben alle nichts anderes zu tun als vormittags stundenlang vor dem Fernseher zu warten, wann die interessanteste Sportart drankommt. Ich will auch keine Trainer im Studio sehen und schon gar keine schon nachts in Rio gut gelaunten Moderatorenduos, die zwischendurch mal mit der Kokosnuss anstoßen. Wenn ich schon alle vier Jahre mal Sport gucke, will ich die Wettkämpfe sehen und sonst nichts!

Was bin ich froh, dass für die nächsten Olympischen Spiele Eurosport die Erstübertragungsrechte hat, und ich würde es denen auch gönnen, dass ARD und ZDF sich bei ihren Verhandlungen verspekulieren und gar keine Übertragungsrechte abbekommen (wonach es zurzeit ja aussieht). Dann freue ich mich, Sigi Heinrich und Dirk Thiele wieder hören zu können (falls die es dann noch mal machen) und von den öffentlich-rechtlichen Knallchargen verschont zu bleiben.

Jahresbestenliste 2015

Veröffentlicht: 19. Dezember 2015 in Film, TV
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Das Kinojahr fing für mich ganz gut an, ließ dann stark nach und endete nach fünfmonatiger Kinopause doch noch versöhnlich. Meine Top 5:

1.Birdman (Alejandro González Inárritu, USA)

Das grandiose Comeback des Michael Keaton (als Batman-Darsteller eh völlig unterschätzt) in einem sehr dynamischen Film von Alejandro Inárritu, der ja sowieso nie schlecht ist.

2. Love (Gaspar Noé, F)

Noé geht es immer um das große Ganze, um den Widerstreit zwischen inneren Dämonen und dem Reinen, Wahren, Schönen im Menschen. Mit der Vision eines wahren Künstlers setzt er das in Bilder um, die es sonst nicht (mehr) auf der Kinoleinwand zu sehen gibt. Alleine das ist schon ein Grund, sich seine Filme dort anzusehen. Er versteht es in den Zeiten des formelhaften Arthousekinos, wirklich noch zu überraschen und innovativ zu sein.

3. Star Wars VII – Das Erwachen der Macht (J.J. Abrams, USA)

Nach dem ersten Trailer war ich verhalten optimistisch und der Film hat alle Erwartungen erfüllt. Abrams hat fast alles richtig gemacht und böse sein kann man diesem Film schon deshalb nicht, weil hier erstmals die weibliche Hauptfigur die (im doppelten Sinn) stärkste ist. Das alte Star-Wars-Gefühl war von Anfang an wieder da und im Vergleich sehe ich jetzt erst, wie misslungen die Prequel-Trilogie (vielleicht mit Ausnahme der zweiten Hälfte von Ep. III) wirklich war.

4. Das ewige Leben (Wolfgang Murnberger, A)

Nicht ganz so genial wie „Der Knochenmann“, aber ich habe (vor allem am Anfang) sehr gelacht. Sehenswert auch die langsamste Verfolgungsjagd der Filmgeschichte, den Grazer Schlossberg hoch (den ich nur halb geschafft habe). Unter aller Absurdität ist die Story in all ihrer ödipalen Tragik übrigens purer Chandler.

5. Die Lügen der Sieger (Christoph Hochhäusler, D)

Christoph Hochhäuslers endgültige Emanzipation von der Berliner Schule ist ein Beleg dafür, dass es möglich ist, auch im deutschen Kino mit den Mitteln des Thrillers spannende Geschichten zu erzählen, ohne dafür intellektuellen Anspruch und Gestaltungswillen aufgeben zu müssen. Die Stilsicherheit, die er dabei inzwischen an den Tag legt, ist beeindruckend.

 

Beste Regie: Gaspar Noé für „Love“

Bestes Drehbuch: Alejandro González Inárritu & Co. für „Birdman“

Bester Darsteller: Michael Keaton

Beste Darstellerin: Nora von Waldstätten als durchgeknallte Psychologin in „Das ewige Leben“

Beste TV-Darstellerin: Vorjahressiegerin Ruth Wilson teilt sich die Ehre diesmal mit „The Affair“-Kollegin Maura Tierney

Bester TV-Darsteller: Dominic West war in „The Affair“ auch sehr gut, ebenso Jon Hamm in seinen letzten „Mad Men“-Folgen

Meine Lieblingsserien des Jahres gibt es dann zwischen den Jahren auf Fortsetzung.tv.

 

Jahresbestenliste 2014

Veröffentlicht: 28. Dezember 2014 in Film, TV
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Das Kinojahr 2014 fing für mich ziemlich toll an und ließ in der zweiten Hälfte ziemlich stark nach. Im letzten Quartal bin ich häufiger ins Filmmuseum zu irgendwelchen Retrospektiven oder in Festivalvorstellungen gegangen als in reguläre Neustarts. Insgesamt hat es aber doch wieder für eine Top Five der Neustarts gereicht:

1. Boyhood

Mit dreieinhalb Stunden keine Minute zu lang, ich hätte diesem Erwachsenwerden in Schnelldurchlauf noch stundenlang weiter zuschauen können. Richard Linklater hat mit diesem ebenso unaufgeregten wie berührenden Werk sein Meisterstück abgeliefert, unterstützt von einem durchweg hervorragenden Ensemble. Patricia Arquette und Ethan Hawke gehen völlig verdient ins Rennen um die wichtigen Filmpreise, die beiden Darsteller der Kinder/Jugendlichen hätten eine Nominierung aber mindestens genauso verdient.

2. Nebraska

Alexander Payne drehte den Jim-Jarmusch-Film, den Jarmusch selbst seit Jahren nicht mehr auf die Reihe bekommt. Fängt witzig-absurd an und wird dann immer trauriger, gefilmt in wunderschönem Schwarz-Weiß und mit mehr Wahrheit über den Zustand der heutigen USA als so manches aktuelle Politdrama.

3. Jersey Boys

Auch so ein Film, der trotz Überlänge nie langweilig wird. Clint Eastwood erweist sich einmal mehr als der Mann, der wirklich alles inszenieren kann, hier einen Musikfilm in ganz musical-atypischer Weise, aber mit den großartigen Songs der Four Seasons. Eine Hommage an eine längst vergangene Zeit und eine fast vergessene Art des Filmemachens, wie sie außer Eastwood höchstens noch Redford pflegt.

4. Das finstere Tal

Andreas Prochaska inszeniert diesen österreichischen Alpen-Western, als wäre er bei Tarantino in die Lehre gegangen. Eine im Grunde banale Geschichte wird durch perfekte Anwendung filmischer Mittel (Kamera, Musik, Schnitt, Zeitlupen etc.) zu einem packenden, düsteren leinwandsprengenden Erlebnis, wie ich es in diesem Genre vorher nur bei Leone-Filmen hatte.

5. In the Cut

Mit seinem großen politischen Abenteuerfilm hat Fatih Akin vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber dennoch nicht nur den Mut gehabt, ein wichtiges Tabuthema wie den Völkermord an den Armeniern aufzugreifen, sondern auch das Einfühlungsvermögen, nicht einseitig zu verdammen. Menschen, die moralisch Gutes tun und solche, die Verwerfliches tun, gibt es in diesem Film auf allen Seiten, in allen Religionsgruppen und Ethnien. Und wer am Ende nicht gerührt ist, hat wohl kein Herz.

 

Beste Regie:

Richard Linklater für „Boyhood“: Ich mochte ihn schon immer gerne, aber diesmal hat er sich – seinen Themen und Charakteren treu bleibend – selbst übertroffen. Seine Inszenierung ist so wie das Leben selbst: banal einfach und doch großartig. Eine Kindheit und Jugend so selbstverständlich und alltäglich einzufangen, dass sie sich so echt anfühlen, das ist ganz große Kunst.

Bestes Drehbuch:

Bob Nelson für „Nebraska“: Auch so eine Geschichte über die Banalität und Größe des Lebens, mit der richtigen ausgewogenen Mischung aus Komik und Tragik erzählt, mit einem Gespür für skurrile Figuren und Nostalgie.

Bester Darsteller (Kino): Bruce Dern in „Nebraska“

Beste Darstellerin (Kino): Patricia Arquette in „Boyhood“

 

Beste neue TV-Serien:

„Fargo“, „The Affair“, „Gomorrha“, „Glue“, „The Leftovers“

Mehr dazu dann nächste Woche in unserem Jahresrückblicks-Podcast auf torrent.

Beste alte TV-Serien:

„Orange is the New Black“, „Mad Men“

Beste TV-Darstellerin:

Ruth Wilson in „The Affair“: die Frau mit den vielen Gesichtern, immer schwankend zwischen skrupelloser Verführung und tiefer Verzweiflung

Bester TV-Darsteller:

Billy Bob Thornton in „Fargo“: Das Böse hatte in diesem TV-Jahr nur ein überzeugendes Gesicht und darüber thronte eine aus dem Werk der Coen-Brüder bereits bewährte geschmacklose Frisur.

 

Jahresbestenlisten 2013

Veröffentlicht: 16. Dezember 2013 in Film, TV
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Vielleicht überrascht mich ja in den nächsten zwei Wochen noch irgendwas, es ist aber doch eher unwahrscheinlich, dass sich an meinen Favoriten des Jahres noch etwas ändern wird. Vom Kinoangebot her war 2013 für mich auf jeden Fall wesentlich stärker als 2012, wo ich hier gar nicht erst eine Liste erstellt habe. Meine Top 5-Filme:

1. Take this Waltz: ein auf den ersten Blick etwas unscheinbarer kanadischer Indiefilm, der die großen Fragen des Lebens ebenso unspektakulär wie einfühlsam behandelt, mit einer großartigen Michelle Williams, ungewöhnlicher Kameraarbeit und einer Regisseurin, die genau weiß, was sie tut

2. Die Jagd: ein grandioses Comeback von Thomas Vinterberg, der die menschliche Natur in all ihrer Widersprüchlichkeit auf beklemmende Art offenlegt, mit einem kontroversen Thema, einem ungewöhnlichen erzählerischen Ansatz und hervorragenden Darstellern, allen voran natürlich Mads Mikkelsen

3. Vous n’avez encore rien vu: ein unglaublich frisch wirkender Fast-Experimentalfilm vom 90-jährigen Alain Resnais, der noch mal zeigt, welche Magie das Kino auch in Zeiten von Digitalisierung und einfallslosen Blockbustern noch entfalten kann, mit einem Who-is-who der gegenwärtigen französischen Schauspieler, inklusive Michel Piccoli in einer anrührenden Altersrolle

4. The Grandmaster: Keiner bringt solche Bilder auf die Leinwand wie Wong Kar-Wei und ausgerechnet in seinem Film über Kung-Fu hat er auch mal eine bewegende Geschichte zu erzählen: über den Krieg, unerfüllte Liebe und darüber, dass man für Freiheit immer einen Preis zahlen muss. Die Musik ist so bombastisch wie bei Leone und einmal zitiert er sogar Morricone, indem er einfach dessen Leitthema aus „Once Upon a Time in America“ verwendet – viele Dialogsätze möchte man sowieso in Stein meißeln.

5. Die andere Heimat: Edgar Reitz, noch so ein alter Mann des europäischen Kinos, der innerlich jung geblieben ist, kehrt nach zehn Jahren noch einmal zu seinem Lebensthema zurück, mit einem Vier-Stunden-Film in wunderschönem Schwarz-Weiß, mit tollen unbekannten Darstellern und einem Thema, das im Grunde „Die Zweite Heimat“ variiert: Sehnsucht und Freiheitsdrang.

Beste Regie: Sarah Polley für „Take this Waltz“

Bestes Drehbuch: Sarah Polley für „Take this Waltz“

Bester Filmschauspieler: Mads Mikkelsen zeigt innerhalb von zwei Stunden die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle von Hoffnung über Trotz bis Verzweiflung.

Beste Filmschauspielerin: Es tut mir Leid, aber in diesem Jahr kann es für mich einfach wieder keine andere geben als Michelle Williams.

Beste Serien: Rectify, Masters of Sex und Bates Motel waren für mich die überzeugendsten Neustarts, und da die laufenden Serien ziemlich schwächelten (whatever happened to Homeland?), für mich auch insgesamt die Favoriten, für detailliertere Begründungen empfehle ich die November- und Dezember-Ausgaben des torrent-Magazin-Podcasts.

Bester Serienschauspieler: Aden Young schafft es als nach 19 Jahren aus der Todeszelle Entlassener, mit wenigen Gesichtsausdrücken mehr zu sagen als die meisten Schauspieler mit einem ganzen mimischen Arsenal.

Beste Serienschauspielerin: Sidse Babett Knudsen als Birgitte Nyborg in der dritten und letzten Borgen-Staffel, spielt so unglaublich sympathisch, dass man sie entweder heiraten oder zumindest an die Regierung wählen will.

Meine heimlichen Helden: Dirk Thiele und Sigi Heinrich

Veröffentlicht: 14. August 2012 in Journalismus, TV
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In den letzten 2 1/2 Wochen habe ich fast keinen anderen TV-Sender geguckt als Eurosport, obwohl der so weit hinten auf meiner Fernbedienung liegt, dass ich ihn im Grunde nur alle vier Jahre wahrnehme. Nämlich immer dann, wenn das Olympia-Fieber meine Sportallergie besiegt. Da ich mich nur für zwei Sportarten interessiere, nämlich Schwimmen und vor allem Leichtathletik, kommt mir die Live-Berichtertattung der Briten wesentlich mehr entgegen als die von ARD und ZDF. Letztere übertragen ja überwiegend nur die Wettkämpfe, bei denen Deutsche Medaillenchancen haben. Das führt dann zu so absurden Entscheidungen wie zur besten Sendezeit ein Beach-Volleyballspiel zu übertragen, während alle Welt fiebert, wer beim 100-Meter-Lauf schnellster Mann der Erde wird.

Na, die Einschaltquote scheint ihnen ja Recht zu geben, sollen sich doch acht Millionen Deutsche angeguckt haben, wie vier Sportler auf Sand rumspringen und einen Ball übers Netz spielen – für mich allenthalben an langweiligen Sommerurlaubstagen als Betätigung vorstellbar (also, jetzt nicht für mich selbst, ich würd eh keinen Ball übers Netz bekommen). Ein paar Tage später dann: Hockey. Geht’s noch uninteressanter? Kennt da überhaupt jemand die Spielregeln? 800 m-Lauf der Damen und Staffel fanden nur als Aufzeichnungen in der Halbzeitpause Platz, immerhin wurde wohl mal kurz zum 200 m-Lauf mit Usain Bolt geschaltet. Dass es viel mehr Spaß macht, Wettkämpfe in voller Länge zu verfolgen (selbst Stabhochsprung), statt von Häppchen zu Häppchen zu springen, haben die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin nicht verstanden.

Bei Eurosport, wo man dank der europaweiten Verbreitung keine Rücksicht auf nationale Befindlichkeiten nehmen kann und muss, werden hingegen zur Primetime nur die populärsten Sportarten übertragen. Und das heißt eben: Abends drei bis vier Stunden Leichtathletik. Herrlich, ich sehe lieber die dritte Siegerehrung im Stadion als drei Minuten Ballsport. Wegkommentiert wird stundenlang alles von den immer gleichen beiden Reportern: Dirk Thiele und Sigi Heinrich. Die sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber mir immer noch lieber als die Schnarchnasen bei ZDF oder ARD, die sich meist so anhören, als warteten sie nur darauf, dass sie bald ausstempeln könnten (und deren Allgemeinbildung gegen Null zu gehen scheint, können sie doch weder Liam Gallagher richtig aussprechen noch Westminster Abbey von St. Paul’s Cathedral unterscheiden). Die beiden Eurosportler sind hingegen wie ein altes Ehepaar, das sich hin und wieder mal chauvinistische Bemerkungen zuwirft („Du schickst doch immer deine Frau zum Einkaufen“) oder auch mal tierisch aufregt, wenn die eigene Bildregie die Langstreckenläufer statt der Hochspringer zeigt.

Höhepunkt ihres Auftretens war aber der letzte Wettkampfnachmittag, als Heinrich plötzlich Hockey kommentieren musste, während Thiele beim Marathon war. Letzterer sprach von sich selbst verwirrenderweise immer in der dritten Person: „Gleich kommentieren Dirk Thiele und [Expertin einsetzen] für Sie den Marathon, aber erst einmal zu Siegfried Heinrich beim Hockey.“ – „Ja, hier ist Sigi. Schön, dass du auch dich selbst nennst. Aber dich kennt man doch, da wissen die Leute doch, wer du bist.“ Tags zuvor beim 50 km-Gehen der Männer – ein absolut faszinierendes Ereignis, nicht weil so spannend gewesen wäre, wer gewinnt, sondern, weil ich ständig befürchtete, es würde noch ein Teilnehmer kurz vorm Ziel entweder zusammenbrechen oder disqualifiziert werden -, schaffte Thiele es, in einer halben Minute drei ausgelutschte Metaphern einzubauen (Bild von Uhrenturm: „Seine Stunde schlägt jetzt auch“, Bild einer grünen Ampel: „Für ihn steht die Ampel jetzt auf Grün“, das dritte war wahrscheinlich ein Stoppschild oder so was). Auch das ist ein bemerkenswerter Rekord. Was mache ich jetzt bloß abends ohne Olympia? Wann ist noch mal die nächste Leichtathletik-WM?

Ich stelle mir immer vor, ein Reisender von irgendeiner abgelegenen Inselgruppe trifft am Düsseldorfer Flughafen ein, begibt sich zu seinem Hotel und vor dem Eingang stehen dann Menschen in Militäruniformen mit überdimensionalen Wummen, Sturmtrooper und irgendwelche Aliens. Denkt sich dieser Reisende dann, dass in Deutschland immer alle so rumlaufen? Dabei ist er doch nur zufällig in das Hotel geraten, an dem sich an diesem Wochenende etwa 5000 Science-Fiction-Fans zur Fedcon treffen, der größten Veranstaltung dieser Art in Europa.

Interessant fand ich als blutiger Newbie, dass das Geschlechterverhältnis der Besucher ziemlich ausgeglichen war. Ich hatte ja eher mit einer Mehrzahl von männlichen, Bauch, Bart und Brille tragenden Nerds gerechnet. Die gab es zwar auch, aber ebenso ziemlich viele, ziemlich gutaussehende junge Frauen. Und ja, ich musste mir eingestehen, ich stehe auf Frauen in (Fantasie-)Uniformen.

Ein Monster stellt sich beim Costume-Contest dem Urteil der Jury, darunter einem Typen, der mal den klingonischen Kanzler gespielt hat (l.)

Worauf ich definitiv nicht stehe, ist Stargate, und nach dem Auftritt von Richard Dean Anderson weiß ich auch wieder, warum. So einen unsympathischen Schauspieler habe ich echt noch nicht erlebt: gelangweilt und überheblich, wobei man sich echt fragt, warum sich ein Typ, dessen Karierre sich auf zwei reichlich blöde Serien beschränkt, selbst so toll findet. Meine Lieblingsfrage war dann auch die einer 1985 noch gar nicht geborenen Frau, warum er als McGyver diese furchtbare Frisur getragen habe.

Schön auch eine Frage an Jonathan „Commander Riker“ Frakes: „I know that you have done the TV-show X-Factor, but I wonder why did you do this TV-show?“ Oder die Frage eines 13-jährigen Jungen: „Mit wie vielen verschiedenen Spezies hatten Sie in der Serie [TNG] eine Beziehung?“ Ansonsten kam in jedem Panel, in dem ich saß, irgendwann die naive Frage, ob der jeweilige Star denn Fan-Fiction seiner Serie kenne und schon mal gelesen habe. Die Antworten reichten von völligem Unverständnis („What? Fic? Fan-Fic? What the hell is that?“) bis zu der Auskunft, Kollegen hätten davor gewarnt, sich das anzugucken, weil die Figuren darin merkwürdige sexuelle Vorlieben und Beziehungen hätten.

Ein etwas schräges Franchise für ein Fankostüm: Thundercats. Wenigstens habe ich niemanden als Pony verkleidet gesehen.

Für reichlich Unverständnis sorgte die Politik, dass Gäste mit Tageskarte beim Auftritt von William Shatner nicht in den Hauptsaal durften. Nach lautstarken Buhrufen kam Shatner zumindest kurz in den Nebensaal, wohin sein Panel parallel übertragen wurde, um die Fans persönlich zu begrüßen. Ein netter Zug von Shatner, der überhaupt sehr natürlich und gänzlich unabgehoben rüberkam. Außerdem muss man anerkennen, dass der Mann ja wirklich eine Legende ist – im Gegensatz zu vielen anderen der „Stargäste“, die einem fast ein bisschen Leid tun konnten, zehren sie doch teilweise heute noch davon, dass sie vor zwanzig oder vierzig Jahren mal in einer erfolgreichen TV-Sendung dabei waren. Heute leben sie dann mangels Rollenangeboten wohl davon, „persönliche“ Meet and Greets für 400 Euro anzubieten wie Herr Anderson.

Die Security konnte einem manchmal ziemlich Angst einjagen; Fotos: kir

Was mir gefallen hat, war die tolerante Atmosphäre unter den Fans, wo Cardassianer und Bajoraner, Sturmtrooper und Zylonen einträchtig ihrem Hobby frönen, Eltern ihre kleinen Kinder schon in eine Star Trek-Uniform oder ein Jedi-Kostüm stecken. Wo Menschen im Rollstuhl alleine schon dafür vom Publikum gefeiert werden, dass sie sich in einem Fantasiekostüm auf die Bühne trauen. Trotzdem könnte ich persönlich wohl mit einer ER-Fanconvention mehr anfangen – oder mit dem Moosefest in Alaska.

Dass ich doch kein so großer Star Wars-Fan bin, wie mir manche Bekannte immer unterstellen, zeigt sich wohl daran, dass ich bis vor einigen Monaten noch nie was vom Holiday Special gehört hatte. Und das soll ja schon seit den 90ern unter echten Jüngern auf abgenudelten VHS-Bändern kursieren. Dank YouTube & Co. kann man es sich aber inzwischen natürlich auch wesentlich einfacher ansehen – was allerdings nur Hardcorefans zu empfehlen ist, und denen auch nur, wenn sie bereit sind, das Franchise nicht immer ganz ernst zu nehmen.

Was sich George Lucas und seine Autoren 1978 dabei gedacht haben, bleibt unverständlich: ein Weihnachts-TV-Special im Star Wars-Universum? Das soll ernsthaft eine gute Idee sein? Knapp 120 Minuten mit der Familie von Chewbacca in den Hauptrollen? Echt vielversprechend. Die Sequenzen mit den Wookies wirken dann überwiegend tatsächlich wie eine Mischung aus den Ewoks-Filmen mit weniger Budget und, sagen wir mal, „Planet der Affen 5“. Immerhin liefern sie schockierende Einblicke in diese Kultur, etwa dass Wookies auch nur Spießbürger sind, die ihre Wohnungen mit hässlichen Schrankwänden eingerichtet haben. Oder dass Wookiekinder mit Stoffbanthas spielen.

Das Problem an dieser TV-Show ist einfach, dass fast nichts daran die beabsichtigte Wirkung hat: Alles, was lustig sein soll, ist es nicht, und alles, was ernstgemeint war, ist unfreiwillig komisch. Andererseits weiß man nicht so recht, ob das wirklich ernstgemeint sein kann. Man müsste halt die gleichen Drogen nehmen, die die Macher bei der Produktion genommen haben, um das beurteilen zu können. Insgesamt gibt es zwei bis drei Gründe, sich das Ganze doch anzusehen: 1. werden hier bereits einige Figuren und Schauplätze etabliert, die dann Jahre später in die „normalen“ Filme übernommen wurden. So die Heimatwelt der Wookies inklusive ihrer in den Bäumen gebauten Rundbauten, von denen ich dachte, sie wären erst rund 15 Jahre später in Timothy Zahns „Erben des Imperiums“-Romantrilogie eingeführt worden und in deren Comicadaption zum ersten Mal zu sehen gewesen. Und in einem Cartoonsegment taucht zum ersten Mal der spätere Fanliebling Boba Fett auf, übrigens in einer wesentlich größeren Rolle, als er sie in der kompletten Original-Filmtrilogie hat.

2. ist dieser Zeichentrickfilm tatsächlich sowohl vom Zeichenstil als auch von der Handlung recht gelungen. Sagen wir mal so: Wenn es in diesem Stil und mit diesen Hauptfiguren (nämlich Luke, Han, Leia & Co.) eine ganze Serie gäbe, würde ich mir die sicher angucken, im Gegensatz zu den unsäglichen „Clone Wars“.

und 3. kann man am Ende der Show Carrie Fisher singen hören – zwar einen ziemlich schaurigen Song, aber hey, es ist die junge Carrie Fisher, und die konnte eigentlich machen, was sie wollte.

Der Rest ist Schweigen (eine Taktik, die auch Lucas verfolgt, wenn er auf diese „Jugendsünde“ angesprochen wird). Und ein gutes Argument, die These zu widerlegen, Lucas hätte sein Universum früher nicht so ausgeschlachtet, wie es etwa Roddenberry und Co. mit Star Trek getan hätten (spätestens seit den ganzen „Clone Wars“-Ablegern ist die These natürlich eh nicht mehr haltbar, aber es gab ja auch schon in den 80ern die Ewoks- und Droids-Zeichentrickserien).

Falls jemand sich das Ganze komplett ansehen möchte: Unbedingt die Werbeunterbrechungen mitschauen, die sind größtenteils lustiger, als das, was zwischen den Unterbrechungen gesendet wurde. Omas, die für Herrenunterhosen werben, Frauen, die Strumphosen dehnen und klobige Telefone unterm Weihnachtsbaum. Der Höhepunkt ist aber der Typ, der für seine „Ladies‘ Garment Workers Union“ wirbt, so nach dem Motto „Wir Frauen müssen zusammenhalten“. Schön auch die Kurznachrichten, die aus jeweils einem Satz bestehen – amerikanisches Fernsehen scheint in den 70ern echt anspruchsvoll gewesen zu sein.

Es hat etwas länger gedauert, aber nächste Woche ist es soweit: Die erste Print-Ausgabe meiner Zeitschrift für anspruchsvolle TV-Serien-Freunde erscheint. Ab 24. Februar wird das Heft für sechs Euro bundesweit im Bahnhofsbuchhandel und an den Flughäfen zu kaufen sein, in einigen Großstädten auch in ausgewählten anderen Buchhandlungen. Ein Einzelheft kann außerdem hier bestellt werden (innerhalb Deutschlands versandkostenfrei), ein Abo ist hier möglich.

In der Nr. 1 gibt es u.a. folgende Themen (neben dem Titelthema “Mad Men”):

Serienschöpfer Paul Abbott erzählt von der Arbeit an der US-Version seiner Serie „Shameless“. Wir widmen uns dem neuen britischen Serienboom und der Frage, was “Doctor Who” damit zu tun hat. Im Porträt stellen wir die Arbeit von Drehbuchautor Aaron Sorkin von Fernsehserien wie “The West Wing” bis zum oscarprämierten Kinofilm “The Social Network” vor. Mit “Homeland” und “Hell on Wheels” behandeln wir einige der interessantesten Neustarts der US-Saison. Und außerdem geht es noch um “Game of Thrones”, “Space: 2063”, “Homicide”, “Misfits”, Dominik Grafs “Der Fahnder” u.v.m.

Das Faszinierende an dem Konzept der arte-Reihe „Durch die Nacht mit…“ ist ja, dass es, wenn die Chemie zwischen den beiden Akteuren stimmt, großartig sein kann, und wenn nicht, es aber auch furchtbar in die Hose gehen kann. Beides war jetzt in zwei kurz aufeinanderfolgenden Ausgaben zu sehen, die noch bei arte +7 zu sehen sein dürften: Die Folge am Dienstag mit Cosma Shiva Hagen und Mimi Müller-Westernhagen war eine der bisher besten, die Chemie stimmte, in Cosma Hagen hab ich mich ein bisschen verliebt, so sympathisch kam sie rüber und beide hatten interessante Lebensanschauungen. Außerdem wollte man nach dem Ansehen am liebsten sofort nach Hamburg ziehen. Vier Tage später scheiterte die Begegnung zwischen Lena Meyer-Landrut und Casper völlig: Die beiden hatten sich von Anfang an nichts zu sagen und Lena zickte die ganze Zeit nur rum. Die wirkte doch früher in Talkshows so natürlich, da scheint ihr wohl der Starruhm etwas zu Kopf gestiegen zu sein? Aber gerade dieses Scheitern hat ja auch wieder was, zwei Menschen bei gemeinsamen Unternehmungen zuzusehen, die sich besser nie begegnet wären.

Jahresbestenlisten 2011

Veröffentlicht: 23. Dezember 2011 in Film, TV
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Bevor ich zu lange drüber nachdenke:

Film-Top 5:

1. Black Swan – bin schon lange nicht mehr so aufgewühlt aus dem Kino gekommen, hier stimmte einfach alles: Inszenierung, Schauspieler, Musik, Bilder, Emotionen, Wahnsinnn und Horror

2. Blue Valentine – der zweit berührendste Film des Jahres war diese glaubwürdige und einfühlsame Liebesgeschichte über Kennenlernen und Auseinanderleben eines Paares

3. Winter’s Bone – ein Film über den amerikanischen Traum und Alptraum und Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt

4. Melancholia – Lars von Trier schafft es immer wieder, mich in seine abstrusen Gefühlswelten mitzunehmen und selbst dann an- und aufzuregen, wenn er mich nicht hundertprozentig überzeugt.

5. True Grit – ein netter Western mit typischem Coen-Brothers-Humor und einem von Jeff Bridges herrlich überzeichneten Antihelden

Bester Filmregisseur: Spätestens nach Black Swan ist klar: Aronovsky is God

Bester Drehbuchautor: Alles, was ich in diesem Jahr von Günter Schütter gesehen habe, war sehr gut bis brilliant (die beiden Polizeirufe Cassandras Warnung und Der scharlachrote Engel und der Tatort Frau Bu lacht, die beiden letzteren schon älter und alle drei von Dominik Graf verfilmt)

Bester Filmschauspieler: Jeff Bridges war schon immer sehr gut, aber im Alter wird er immer besser.

Beste Filmschauspielerin: zum zweiten Mal in Folge Michelle Williams (für Blue Valentine), die sich den ersten Platz diesmal aber mit Natalie Portman (für Black Swan) und Newcomerin Jennifer Lawrence (für Winter’s Bone) teilen muss

Beste aktuelle Serien: Homeland als mit Abstand bester Neustart des Jahres (würdiger Nachfolger von Rubicon, und wer hätte gedacht, dass die 24-Produzenten eine subtile und US-kritische Serie über Terrorismus und Sicherheit machen können?) sowie Mad Men (da ich die 2.-4. Staffel erst dieses Jahr gesehen habe)

Beste ältere Serie, die ich erst dieses Jahr entdeckt habe: die ersten beiden Staffeln von Skins; völlig unerwartet, aber vor allem die zweite Staffel dieser britischen Teenager-Serie ist mit das beste, was ich von der Serienproduktion der letzten fünf Jahre gesehen habe (forget HBO 😉 )

Bester Serienschauspieler: Idris Elba als sein Temperament meist nicht im Griff habender Detective Luther und Ted Danson für seine unglaublich komische Rolle als alternder Ex-Herausgeber – egomanisch, aber gegenüber seinen Freunden selbstlos, und „sexually out of control“ – in Bored to Death

Beste Serienschauspielerin: Claire Danes als durchgeknallte und einsame CIA-Agentin in Homeland