Archiv für Februar, 2011

Die Bezüge zu Sydney Pollacks 70er Jahre-Klassiker „Die drei Tage des Condor“ zur im letzten Jahr in den USA ausgestrahlten Serie „Rubicon“ sind offensichtlich. So offensichtlich, dass die Autoren es sich nehmen lassen, sie einmal direkt von einer Serienfigur ansprechen zu lassen. Die Hauptfigur Will Travis erklärt einer Frau, er sei Analyst. „So wie Robert Redford?“, fragt die ihn daraufhin. „Nein, nur Analyst.“

Das American Policy Institute (API), in dem Travis arbeitet, ähnelt aber tatsächlich sehr jenem Institut, in dem Redford in dem Film tätig war: Es ist eine kaum getarnte Geheimdiensteinrichtung, die allerdings nicht selbst Spionage betreibt. Vielmehr wertet sie die Ergebnisse der Spionagetätigkeit anderer US-Geheimdienste so wie andere Quellen (manchmal verstecken sich sogar in Zeitungskreuzworträtseln „Go“-Befehle an Terroristen oder staatliche Killer) aus, um so zu Empfehlungen für politische Handlungen zu kommen. Diese empfohlenen Handlungen können dann allerdings durchaus einmal darin bestehen, einen Terrorverdächtigen durch Abwurf einer Präzisionsbombe zu töten. Es ist also ein Grauzone zwischen demokratischem Rechtsstaat und von keinem Völkerrecht gedeckten Maßnahmen zur „Inneren Sicherheit“ – oder, wie man das seit 9/11 in den USA nennt, „Homeland Security“ -, in der die Hauptfiguren sich bewegen.

Travis selbst ist durch die Ereignisse vom 11. September traumatisiert, hat er bei dem Anschlag aufs World Trade Center doch Frau und Kind verloren. Seitdem (?) ist er ein verschrobener Einzelgänger, brilliant in seiner intellektuellen Arbeit, aber sozial eher unbeholfen und emotional verschlossen. Als sein Chef und Ex-Schwiegervater bei einem Zugunglück ums Leben kommt, wird er dessen Nachfolger als Teamleiter. Aber schon bald findet er erste Hinweise, dass das Unglück vielleicht gar nicht so zufällig war. Etwa zur gleichen Zeit wie sein Chef starb auch ein reicher Unternehmer, durch einen überraschenden Selbstmord, den seine Witwe sich nicht erklären kann. Während sie sich auf eigene Faust auf Spurensuche begibt, zeichnet sich für Will eine immer größer erscheinende Verschwörung ab, in die auch Führungskräfte des API selbst verwickelt zu sein scheinen…

Die Pilotfolge von „Rubicon“ ist viel versprechend. Leider können die nächsten Folgen dieses Versprechen zunächst nicht einlösen. Zum einen passiert sehr wenig. AMC scheint es sich vorgenommen zu haben, HBO als Sender der Langsamkeit abzulösen. Passiert schon in „Mad Men“ meistens nicht gerade viel (und auch ihr „Breaking Bad“ ist ja nicht gerade ein Beispiel für temporeiches Erzählen), wird das Prinzip in „Rubicon“ noch etwas weiter auf die Spitze getrieben. Meist werden pro Folge nur ein, zwei kryptische Hinweise auf die Hintergründe der Verschwörung gestreut. Das Hauptproblem ist aber, dass es der Serie nicht gelingt, wirklichen Suspense zu erzeugen. Dazu wirken die Hinweise einfach nicht geheimnisvoll genug, ziehen einen die aufgeworfenen Fragen zu wenig in ihren Bann. Auch wirkt die Art, wie die allgegenwärtige Bedrohung und Bespitzelung durch die Verschwörer dargestellt wird, manchmal wie eine unfreiwillige Parodie auf gängige Mysteryserien-Klischees. Ein Unbekannter im langen Mantel oder ein Geräusch im Treppenhaus sorgen dann schon mal dafür, dass Will Travis aufgeschreckt über die Straße oder durch seine Wohnung läuft.

Erst ab der achten Folge zieht das Tempo etwas an, gibt es sogar zunehmend die ein oder andere Actionszene. Ab da wird die Serie tatsächlich zimelich fesselnd, nur um aber mit einer etwas enttäuschenden halben Auflösung zu enden, die mehr Fragen offen lässt als sie beantwortet – vor allem die nach der Motivation der Verschwörer. Zwar kann man sich als Zuschauer eine denken, die erscheint aber wenig plausibel. Nach den Kritikererfolgen und Kultserien „Mad Men“ und „Breaking Bad“ und noch vor dem Quotenhit „Walking Dead“ war „Rubicon“ der erste kommerzielle Misserfolg von AMC, weswegen es auch keine weitere Staffel geben wird. Es obliegt also dem Zuschauer, über das Ende hinaus zu denken.

Und (gesellschafts-)politische Fragen zum Nachdenken werfen die Autoren zur Genüge auf, Fragen, die in Zeiten von Guantanamo und Überwachungswahn so aktuell sind wie noch nie. Leider ist die Story der wichtigen politischen Aussage der Serie nicht ganz ebenbürtig.

Was sie trotzdem sehenswert macht, ist die handwerkliche Perfektion, mit der sie produziert wurde. Die SchauspielerInnen sind durchweg sehr gut, die Musik perfekt minimalistisch und die Bildgestaltung hervorragend. Selten haben Stadtansichten von New York so schön ausgesehen. Umso beeindruckender wirken sie im Kontext der Story, denn hinter der pulsierenden Normalität des Großstadtlebens lauert in jedem Moment die im Alltag meistens aus dem Bewusstsein verdrängte Gefahr, jederzeit einem Anschlag zum Opfer fallen zu können. Und hinter der perfekten Oberfläche gehen Politiker und Geheimdienstbeamte Geschäften nach, die man sich als Normalbürger nicht einmal auszumalen wagt.

Gelungen sind außerdem fast alle Charakterzeichnungen. Will Travers und seine KollegInnen sind eben keine Abziehbilder wie etwa in 24, sondern lebensnahe Figuren, die gerade ihre Verschrobenheit sympathisch und authentisch macht: ob der comicsammelnde Nerd, der, introvertiert und sozial unbeholfen, versucht, einer Kollegin näher zu kommen, oder die mit Selbstzweifeln kämpfende und ihre Skrupel mit Tabletten unterdrückende Neue im Team.  Dass wir von diesen Figuren nun nicht mehr zu sehen bekommen werden, ist wohl das wirklich Bedauerliche an der Einstellung der Serie.

Dieser (Pseudo-)Skandal regt mich schon seit einer Woche gehörig auf. Ich wusste bis letzten Mittwoch nicht mal, dass Guttenberg überhaupt einen Doktortitel hatte. Ausnahmsweise muss ich da der Kanzlerin mal (teilweise) Recht geben: Der Mann wurde nicht als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt, auch nicht als Wissenschaftsminister, sondern für ein Amt, für das ein akademischer Titel eben kein Einstellungskriterium ist.

Dieselben Medien, die Guttenberg im vergangenen Jahr hoch geschrieben haben, wollen jetzt um jeden Preis seinen Rücktritt herbeiführen (Spiegel, Stern etc.). Ein altes Muster im Mediengeschäft: Erst jubelt man einen Politiker hoch („Lichtgestalt“, „nächster Kanzler“, „Seehofer muss sich warm anziehen“ usw.), und wenn seine Beliebtheitswerte in der Bevölkerung erschreckende Höhen erreichen, sägt man ihn wieder ab. Ich frage mich auch, ob die Süddeutsche nichts Anderes zu tun hat, als in alten Doktorarbeiten von irgendwelchen Spitzenpolitikern rumzustöbern. Hat sie dafür das neue Ressort „Investigative Recherche“ gegründet? Damit sie ihren hoch bezahlten Spitzenjournalisten Hans Leyendecker auf sowas ansetzen kann? Das riecht doch förmlich nach: „Irgendwelche Flecken muss es auf Guttenbergs weißer Weste doch geben, lass doch mal auf gut Glück in seiner Doktorarbeit nachgucken.“

Der eigentliche Skandal an der ganzen Chose ist aber, dass Guttenberg natürlich genügend gute Gründe hätte, zurück zu treten. Und zwar politische Gründe, keine persönlichen. Nämlich, dass er ganz offensichtlich seinen eigenen Laden nicht im Griff hat: die Bundeswehr und sein eigenes Ministerium. Da werden die wahren Umstände von Todesfällen monatelang vertuscht und der zuständige Minister hat davon angeblich nichts gewusst. Entweder das stimmt, dann hat er keine Kontrolle über die ihm unterstellten Institutionen, oder er hat doch von Anfang an die wahren Umstände gekannt, dann hat er die Öffentlichkeit belogen. Beides würde ihn als Minister untragbar machen.

Über diese wirklich skandalösen Umstände wird aber gar nicht mehr öffentlich diskutiert. Stattdessen beschäftigen sich jetzt wochenlang alle wichtigen Medien mit der Dissertation des Ministers. Reine Symbolpolitik. Ob Guttenberg nun deswegen zurücktreten muss oder nicht, ist im Grunde irrelevant. Denn an den tatsächlichen politischen Problemen hat sich so oder so nichts geändert. Ein Hörer fasste es beim Deutschlandradio letzten Samstag treffend zusammen: Die ganze Debatte lenkt nur von den wahren politischen Problemen ab. Aber wenn man schon kein Königshaus mehr hat, muss man sich die persönlichen Verfehlungen halt bei irgendwelchen Baronen im Ministeramt suchen.

Qualitätsjournalismus (I)

Veröffentlicht: 24. Februar 2011 in Journalismus

Brutal! Taube von Greifvogel ermordet!

Sergio Leone war eh einer der ganz großen Regisseure der Filmgeschichte. Seine Tragik liegt darin, dass er abgesehen von „Spiel mir das Lied vom Tod“ nicht gerade für seine besten Filme berühmt geworden ist. Die Dollar-Trilogie mag ja ganz nett sein, aber sein wahres größtes Meisterwerk ist natürlich sein letzter (und seinerzeit an den Kassen gefloppter) Film „Es war einmal in Amerika“, einer meiner zwei, drei absoluten Lieblingsfilme. Von „Todesmelodie“ hatte ich nun noch nie etwas gehört, bis mich vor Kurzem ein Freund darauf brachte. Dabei braucht er sich vor den beiden „Once upon a Time…“-Filmen (mit denen er eine lockere Trilogie bildet) keineswegs verstecken, wenn er auch nicht an diese heranreicht.

Eigentlich sollte der 1972 gedrehte Film auf Englisch „Once upon a Time: The Revolution“ heißen. Die Verleihfirma entschied sich aber für das reißerischere „Duck you, Sucker!“. Da gefällt mir tatsächlich der deutsche Titel, der nichts mit dem Inhalt zu tun hat, noch besser. Nachdem er kommerziell gefloppt war, brachte man ihn später unter dem neuen Titel „Fistful of Dynamite“ neu heraus – in Anlehnung an „A Fistful of Dollars“, einen von Leones erfolgreichsten Filmen.

Obwohl formal eigentlich kein Western, da er dafür zu spät spielt, nämlich 1919, und auch nicht im Westen der USA, sondern in Mexiko, ist der Film stilistisch ein typischer Italo-Western: schmutzig, episch, mit wenig Dialog und teils skurrilem Humor. Am Anfang werden wir Zeugen, wie eine Postkutschen-Reisegesellschaft von einem mexikanischen Gangster und seiner Horde unehelicher Kinder (jedes von einer anderen Mutter) überfallen wird. Dieser großmäulige, nur auf seinen finanziellen Vorteil bedachte Juan (Rod Steiger) trifft kurz darauf auf den aus Irland geflüchteten Ex-IRA-Kämpfer Sean alias John (James Coburn), der mit massenhaft Dynamit am Körper beladen ist. Über einige Umwege gelingt es Juan scheinbar, John zu einem gemeinsamen Überfall einer großen Bank zu überreden, von deren Goldeinlagen ersterer schon sein Leben lang träumt. Tatsächlich befreit Juan bei dem Überfall eher versehentlich Hunderte von mexikanischen Revolutionären und wird dadurch unfreiwillig selbst zum Helden der Revolution.

Aber in jeder Revolution gibt es auch Verräter und schon bald muss Juan den bitteren Folgen seiner Taten ins Gesicht sehen. Nach einer etwas langatmigen und eher slapstickhaft-humorigen ersten Stunde ändert sich die Stimmung des Films nun völlig. In den Mittelpunkt rückt jetzt die zunehmend tiefer werdende Männerfreundschaft zwischen Juan und John und ihr Leben zwischen Kampf gegen die Unterdrücker und Flucht vor deren Soldaten. Dabei erinnert sich John in Rückblenden immer wieder an sein vorheriges Leben in Irland, in dem es auch einen Verräter gab – Geschichte wiederholt sich immer wieder und die Regeln des bewaffneten Kampfes sind die gleichen, egal, auf welchem Kontinent er stattfindet.

In den letzten eineinhalb Stunden schöpft Leone seine gesamte Stilistik aus. Es gibt schwelgerische Kamerafahrten zu der grandiosen Musik von Ennio Morricone, Hinrichtungen im Regen, gewaltige Schlachten und vor allem natürlich Männer, die nicht reden müssen, um sich auszudrücken. Ähnlich wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“ wird teilweise 20 Minuten lang so gut wie gar nicht gesprochen. Kein Regisseur nach Leone hat es geschafft, allein über seine Bildsprache so intensiv Gefühle zu vermitteln. Morricone schafft es wieder einmal, einen ganzen Soundtrack mit nur zwei Themen zu bestreiten, hat sich aber hier dennoch selbst übertroffen und einen seiner besten Scores abgeliefert.

Von der Thematik her ist der Film ernsthafter als „Spiel mir…“. Politik ist ein schmutziges Geschäft und die Opfer aller Revolutionen sind immer die armen Leute, die zwischen die Fronten geraten, wie Juan es einmal zusammenfasst. Trotzdem sind sie manchmal notwendig, daran lässt die Darstellung des irischen Idealisten John keinerlei Zweifel. Am interessantesten ist vielleicht die langsame, aber fast völlige Wandlung des Juan, der von der Witzfigur zum tragischen Helden wird – und am Ende ganz allein dasteht.

Nach „Todesmelodie“ sollte es 12 Jahre dauern, bis Leones nächster Film in die Kinos kam. Mit „Es war einmal in Amerika“ kam er dann endgültig in der Jetztzeit an. Einige Jahre später starb er, ohne dass das breite Publikum seine beiden letzten Filme gewürdigt hätte. Es war schon immer das Schicksal der ganz Großen, unverstanden zu bleiben.

„Mad Men“ oder Die zwei Leben des Don Draper

Veröffentlicht: 8. Februar 2011 in TV
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„Nobody knows what’s wrong with themselves but everybody else can see it at once.“ Diesen klugen Satz sagt eine von Don Drapers zahllosen love interests in der dritten Staffel von „Mad Men“ zu ihm. Es könnte auch das Motto der gesamten Serie sein. Denn genau darum geht es in ihr, wenn man erst einmal hinter ihre Oberfläche gesehen hat: Um Menschen, die nicht die sind, die sie vorgeben zu sein, deren äußere, meist makellose  Erscheinung etwas verbirgt: ein Geheimnis, eine Sehnsucht, manchmal ein komplett anderes Leben. Und die Charaktere selbst könnten meist am wenigsten sagen, was es genau ist, was sie da verbergen, wonach sie im tiefsten Inneren suchen, während sie nach außen hin nach Erfolg, Sicherheit oder der nächsten Affäre streben.

Vordergründig ist „Mad Men“ eine Serie über einen Haufen Leute, die in einer New Yorker Werbeagentur in den 60er Jahren arbeiten. Wie in ähnlich angelegten Serien, etwa „Six Feet Under“, sind die Kunden, die mit ihren Aufträgen in die Agentur kommen, aber nur Katalysatoren für die eigentlichen Geschichten und treten noch dazu im Laufe der Staffeln zunehmend in den Hintergrund. Auf den zweiten Blick ist „Mad Men“ eine Serie über die (langsamen) gesellschaftlichen Veränderungen, die die USA in den 60er Jahren durchgemacht haben. Erst auf den dritten Blick ist es eine Serie über einen Haufen im Grunde mehr oder weniger unglücklicher Menschen, die nicht die sind, die sie zu sein scheinen.

Allen voran natürlich Don Draper, der Star der Serie, Creative Director der Agentur, kreatives Genie, Womanizer und Egomane. Doch schon in den ersten Folgen gibt es Hinweise, dass dieser Mann, der ein scheinbar perfektes Leben führt, gar nicht Don Draper ist – oder es jedenfalls nicht immer war. Im Laufe der Serie wird diese Figur völlig dekonstruiert, während sie einem gleichzeitig zunehmend sympathischer wird. Der Selfmademan mit dem erfolgreichen Job, der perfekten Familie und dem Häuschen in einer wohlhabenden Gegend wurde in ärmlichsten und unglücklichen Verhältnissen geboren, hat eine ungewöhnliche, nicht gerade legale Chance ergriffen, sich im Folgenden neu erfunden und als neue Persona erschaffen, um den Preis, mit seiner Vergangenheit und seiner Herkunftsfamilie endgültig und unwiederbringlich zu brechen. Doch wirklich zu sich selbst kommt dieser Draper nur, wenn er nach Kalifornien zurück kehrt und wieder in sein altes Leben schlüpft wie in seine wahre Haut.

So offensichtlich wie bei Draper ist es bei den anderen Hauptfiguren der Serie nicht, aber auch die aufstrebende junge Sekretärin und spätere Junior-Texterin Peggy Olsen, der Kundenberater Pete Campell und die atombusige Chefsekretärin Joan Halloway haben ihre kleinen und größeren Geheimnisse, ihre versteckten Ambitionen, und manche zwar keine Leiche im Keller, aber etwas fast vergleichbares. Im Wesentlichen spielt hier jeder ein Spiel, das alltägliche Spiel, das jeder kennt, der sich schon mal in einem Bürojob versucht hat: bloß niemandem sein wahres Ich zeigen, immer gut drauf sein und allzeit bereit.

Selbst verglichen mit den gr0ßen HBO-Serien ist „Mad Men“ noch extrem langsam erzählt. Deshalb dauert es eine Weile bis man in die Serie hineingezogen wird. Aber die Geduld zahlt sich aus: Spätestens ab der zweiten Staffel gibt es immer wieder Folgen mit geradezu perfekten Drehbüchern, voller dichter Emotionen und teilweise skurrilstem Humor. Nicht nur, dass man die Charaktere erst im Laufe der Zeit wirklich kennen und schätzen lernt, sie entwickeln sich auch konsequent weiter. Niemand ist hier nur gut oder nur böse, jeder hat seine positiven genau wie seine negativen Seiten. Was sich in den ersten Folgen teils noch sehr klischeehaft darstellt, erweist sich als vielschichtige, glaubwürdige Figuren. Wen man gerade noch bemitleidet hat, kann man im nächsten Moment schon wieder verachten und umgekehrt.

Schauspielerisch wird die Serie ganz von ihren beiden HauptdarstellerInnen getragen: Jon Hamm IST dieser Don Draper, ein eleganter, gut aussehender Mann wie aus einem Alfred Hitchcock-Film. Aber er kann auch die ganze Zerrissenheit und Zerbrechlichkeit darstellen, in der sich dieser scheinbar so erfogreiche Mann desöfteren wiederfindet. Elisabeth Moss spielt Peggy Olsen, die junge Frau, die sich in der harten Geschäftswelt der Männer behauptet. Sie entspricht wohl am wenigsten von allen wieder kehrenden Figuren den gängigen Schönheitsvorstellungen. Aber gerade das ist es, was sie aus der Masse all der kühlen Blondchen und heißen Brünetten heraushebt. Die Beziehung zwischen Peggy und ihrem Chef und Mentor Draper ist zugleich auch die Schlüsselbeziehung der gesamten Serie. Während er mit seinen anderen Sekretärinnen entweder ins Bett geht oder auf sie herabsieht (meistens gleich beides), entwickelt er für Peggy wahren Respekt, erkennt in ihr eine Seelenverwandte. Es ist eine ungewöhnliche Freundschaft against all odds.

Die vierte Staffel, die Ende letzten Jahres in den USA lief, endet im Jahr 1965. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die in der ersten Staffel noch eher zu erahnen waren, sind längst unübersehbar. Bürgerrechtsbewegung, Drogen, Feminismus, Homosexualität, das Kennedy-Attentat: all das wird in der Serie auch verhandelt, aber eher nebenbei, nie aufdringlich oder belehrend. Eben so wie im wahren Leben. Und selbst Don Draper wohnt 1965 längst nicht mehr im spießigen Vorort, sondern im quirligen Greenwich Village. Es bleibt nur zu hoffen, dass dem kleinen Pay-TV-Sender AMC nicht vorzeitig das Geld ausgeht, damit man Don Draper & Co. noch ihren Weg durch die turbulenten Jahre 1968/69 finden sehen kann.