Nach mehreren Erzählbänden und zwei Romanen, von denen einer wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts verboten wurde, legte Maxim Biller zuletzt eine Art Autobiografie vor, auch wenn sein Buch den Untertitel „Selbstporträt“ trägt. Ohne erkennbare Chronologie erzählt Biller aus verschiedenen Phasen seines bis dahin knapp 50-jährigen Lebens: von den Anstrengugen, ein Schriftsteller zu werden, von seiner Zeit an der Journalistenschule in München, von Praktika bei der FAZ und der Zeit, von Besuchen in Israel, seiner exzentrischen Familie, den 80er Jahren in Münchener Szenekneipen und Frankfurter Discos.
Wir werden Zeuge von einschneidenden gesellschaftlichen Ereignissen wie der Uraufführung von Fassbinders provokantem Theaterstück über jüdische Immobilienspekulanten sowie von Billers Begegnungen mit prominenten Zeitgenossen wie Henryk Broder und Marcel Reich-Ranicki. Vor allem aber haben wir Teil an den hochtrabenden Ambitionen, an den Selbstzweifeln und den Hindernissen des jüdischen Emigranten mit mehrfach emigrierten Eltern, der sich nirgendwo richtig zuhause fühlt. Schon gar nicht in Deutschland, in das er als Zehnjähriger gekommen ist und in dem er, egal was er tut und wie er sich verhält, immer als Jude definiert wird.
Ob ein Mitschüler ihm zuflüstert, man hätte ihn auch in einen Ofen stecken sollen, oder der Tempo-Chefredakteuer ihn mit der legendären „1oo Zeilen Hass“-Kolumne in eine Biller unliebsame Tradition jüdischer literarisch-journalistischer Stänkerer zwängt: Immer gibt man ihm zu verstehen, dass er ein Sonderling ist, einer der eigentlich gar nicht hier sein sollte, besser in Israel.
Zugleich sind seine Träume wie auch seine Ängste universell, es sind die Träume und Ängste jedes jungen Menschen, der sich künstlerisch ausdrücken will und auf dem Weg zur Anerkennung mit den Vorbehalten anderer ebenso kämpfen muss wie mit seinen eigenen Selbstzweifeln. Es ist erstaunlich, wie universell übertragbar Erfahrungen manchmal sind. Ich habe mich in einigen Stellen sehr wiedergefunden. Etwa, wenn Biller über seine Journalistenschule schreibt:
„Ich saß von neun bis fünf, von Montag bis Freitag hinten rechts in einem langen, engen, niedrigen Raum, in dem auch tagsüber Neonröhren brannten, und ich hatte mit fast jedem in diesem Raum ein Problem. Das war im Herbst 1983 so, und im Frühjahr 1984 war es immer noch so… “
Über seine Mitschüler: „So jung und schon so viel Angst vor Schwierigkeiten! Nach dem Unterricht liefen sie nach vorn, wo der Chefredakteur des Stern oder des FAZ-Magazins saß, und fragten nach der Telefonnummer. Aber als es darum ging, bei welcher Zeitung sie später das Praktikum machen würden, entschieden sie sich für Kiel oder Nördlingen.“
Neben der Genauigkeit solcher Beobachtungen ist es vor allem die knappe, pointierte Sprache Billers, die fasziniert. Er bringt die Dinge schnörkellos auf den Punkt, egal ob es sich um das Szeneleben im München und Frankfurt der 80er Jahre handelt oder um die verschiedenartigen Wege von Holocaust-Überlebenden, mit dem Unfassbaren umzugehen. Mit bissiger Ironie spart er dabei nicht. Als die Mutter einer Freundin während der Fassbinder-Aufführung aus Protest die Bühne stürmt und sich dabei den Rock aufreißt, läßt Biller ihre Tochter sagen:
„Jemand fragte sie, ob ihr das nicht unangenehm sei, und sie sagte, nein, nein, unangenehm war, als ich meinen Jaczek mit meiner Schwester erwischt habe, und Dora-Mittelbau war auch nicht schön.“
Man hat Biller oft Arroganz und Zynismus vorgeworfen und tatsächlich kommt er in Talkshows und Interviews manchmal so rüber. Wer seine Bücher kennt, weiß aber, dass das zu kurz gegriffen ist. Hinter der oft herablassenden Fassade verbirgt sich ein großer Melancholiker. Das Selbstporträt gipfelt in einigen Sätzen, die ich auch über mich selbst hätte schreiben können:
„Ich bin kein Pessimist. Aber als Realist lebe ich mit dem Gedanken, dass alles egal ist, weil wir sowieso sterben werden. Trotzdem sollten wir gut sein, denke ich, damit jeder, der nach uns kommt, in einer Welt zu Hause sein kann, in der er so lange glücklich ist, bis auch er versteht, dass er sterben wird. Darum sage ich viel zu oft, dass mir etwas nicht gefällt. Wenn ich aber etwas mag – ein Lied, einen Menschen, eine politische Idee -, schreie ich vor Freude.“
Sagen wir es so, an einigen Stellen dieses Buches hätte ich fast vor Freude geschrien.
Maxim Biller: „Der gebrauchte Jude. Selbstporträt.“ Fischer Taschenbuch Verlag 2011. 176 Seiten, 9,95€.