Archiv für die Kategorie ‘Musik’

In Anlehnung an Wolfgang Doebelings Aktion (der sicherlich mindestens 100 Mal so viele Platten kennt wie ich) habe ich mir mal Gedanken über meine Lieblings-LPs pro Jahrgang gemacht. Da ich vor 1963 kaum Platten kenne und in den 80ern sicher auch nicht eine pro Jahrgang (oder zumindest nicht eine gute 😉 ), beschränke ich mich zunächst einmal auf die goldenen Jahre der Rock- und Popmusik.

1963 The Freewheelin‘ Bob Dylan

1964 The Times they are a-changin‘ – Bob Dylan

1965 Rubber Soul – The Beatles

1966 The Velvet Underground & Nico

1967 Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band – The Beatles (Follow-Up: The Songs of Leonard Cohen)

1968 Beggars Banquet – The Rolling Stones

1969 Abbey Road – The Beatles

1970 John Lennon/Plastic Ono Band

1971 Who’s Next – The Who

1972 Neu!

1973 Selling England by the Pound – Genesis

1974 The Lamb Lies Down on Broadway – Genesis

1975 Blood on the Tracks – Bob Dylan

1976 Desire – Bob Dylan

1977 Little Criminals – Randy Newman

1978 Die Mensch-Maschine – Kraftwerk

1979 Breakfast in America – Supertramp

1955 wurde der Musikexpress als „Muziek Expres“ in Den Haag gegründet, um Konzertveranstaltungen des holländischen Veranstalters Paul Acket zu bewerben… 1969 bezog eine deutsche Redaktion Büros in Köln und veröffentlichte seit August 1969 eine eigenständige deutschsprachige Version, die sich aus einem der holländischen Druckversion zuvor beigelegten deutschen Textblatt entwickelt hatte. (aus der Wikipedia)

Da habe ich vor 21 Jahren meinen ersten „Musikexpress“ gekauft und nie gewusst, dass er aus einer niederländischen Zeitschrift hervorgegangen ist – die es 1969 wohl einige Monate lang hierzulande mit deutschem Textblatt in der Mitte zu kaufen gab (das kann man sich heute im Zeitalter der Informationsflut auch nicht mehr vorstellen). Mehr zur wechselhaften Geschichte des „Musikexpress“ bzw. „Musikexpress/Sounds“ bzw. des „Muziek Expres“ gibt es im Forum.

Das neue DUMMY zum Thema Freiheit ist seit vorletzter Woche draußen. Es ist wie fast immer wieder toll geworden, wenn auch diesmal etwas morbide. Neben einer laaangen Geschichte über einen abenteuerbesessenen Wildwasserfahrer, der auf seiner letzten Fahrt von einem Krokodil gefressen wurde, geht es gleich zwei Mal um Menschen, die ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben. Zu Zeiten von Heinrich von Kleist und seiner Geliebten, die zusammen gestorben sind, hat man noch herrlich leidenschaftliche Abschiedsbriefe geschrieben, aber auch in der Stunde seines Todes noch die Regeln des Anstands gewahrt. So schreibt Henriette Vogel in ihrem Abschiedsbrief an ihre Freundin: „Herr von Kleist, der mit mir stirbt, küßt dir zärtlichst die Hände und empfiehlt sich mit mir aufs angelegentlichste Deinem teuren Mann.“ Ihr Geliebter, der ihre Freudin wohl gar nicht kannte, fügt am Ende noch hinzu: „Adieu, adieu! v. Kleist.“ Nicht etwa „Dein Heinrich“ oder einfach „Kleist“, nein „v. Kleist“. So viel Zeit musste damals sein, auch wenn man sich danach das Gehirn wegschießen wollte.

Der französische Anarchist Jacob schrieb hingegen 1954 einen ganz prosaischen, aber umso sympathischeren Abschiedsbrief: „Die Wäsche ist gewaschen, ausgespült und getrocknet, aber noch nicht gebügelt. Ich bin so faul. Entschuldigt. Neben dem Brotkorb findet ihr zwei Liter Rosé. Auf euer Wohl!“

Die neue „Spex“ habe ich hauptsächlich wegen einem Vergleich Vincent Gallo vs. Marlon Brando gekauft (der allerdings etwas enttäuschend war) und einem Bericht über experimentelles Fernsehen der 60er und 70er (Beckett, Zadek & Co.). Am Tollsten war aber letztlich eine Originalreportage aus den 40ern von New Journalism-Vertreter Joseph Mitchell über die New Yorker Calypso-Szene. Insgesamt fasziniert mich das Themenspektrum der „Spex“ immer noch. Von den vorsgestellten Musikern kante ich mal wieder niemanden, wollte auch eigentlich gar nichts davon lesen, bis ich die CD-Beilage gehört habe. Da sind einige echt gute Stücke drauf, und teilweise werden die Interpreten dann auch ausführlicher im Heft vorgestellt. So muss eine Musikzeitschrift sein: Lust machen auf neue Bands, von denen man noch nie was gehört hat. Ich weiß nicht, wann mir das das letzte Mal mit einer Band von einer „New Noises“-CD im „Rolling Stone“ passiert ist. Muss aber schon sehr lange her sein.

Wo sind all die Trägermedien hin?

Veröffentlicht: 6. Juni 2011 in Film, Musik
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Aus einer Film-Kolumne in der (letzten Ausgabe der) Fachzeitschrift „Comixene“ von 1981: „… findet die Funkausstellung in Berlin statt, d.h. u.a.: Videoschlacht. Während sich die einen noch um die Marktanteile ihrer Systeme und Bänder schlagen, wird auf der anderen Seite offiziell die Bildplatte eingeführt.“

Abgesehen davon, dass ich deren Einführung auf etwa zehn Jahre später geschätzt hätte: Heute weiß ja kaum noch jemand, was eine Bildplatte überhaupt ist. Ich hatte genau einmal solche Dinger in der Hand bzw. in einen Player geschoben, damals während meiner Berufsausbildung. Im BIZ gab es nämlich solche Player, auf denen Schülern kurze Infofilme über Ausbildungsberufe gezeigt wurden. Und ich musste da mal einen Vormittag lang mit einem Kollegen den DJ spielen. Oder VJ? Da kamen dann auch mehrere 14-jährige Jungs, die unbedingt den Infofilm „Hebamme“ sehen wollten. Die schickten wir dann mit freundlichen, aber bestimmten Worten und kritischem Blick wieder weg. Wir waren ja schließlich das BIZ, nicht die Pornovideothek.

Ansonsten kannte ich genau einen Menschen, der (noch vor ein paar Jahren) Bildplatten aka Laserdiscs oder Videodisks sammelte. Einen schönen Gag zum Thema gibt es in Michel Gondrys „Be kind rewind„: Der Videotheksangestellte versucht telefonisch, eine VHS-Kopie von „Ghostbusters“ aufzutreiben. Aber alle haben nur noch DVDs. Man hört ihn dann ins Telefon sagen: „Das Gleiche haben sie damals über die Laserdisc auch gesagt.“

Gondrys Film ist eine herrlich nostalgische Hommage an die VHS-Kassette und das Videozeitalter. Ich bekam zeitweise richtig Lust, eine VHS-Videothek zu eröffnen. Das wäre auf jeden Fall eine Marktlücke, aber wahrscheinlich keine, die groß genug wäre, um als Geschäftsmodell zu taugen. Ich kam mir schon sehr nostalgisch vor, als ich neulich die Videos zurückspulte, die ich mir aus dem Archiv meiner Lieblings-Arthousevideothek bestellt hatte. Davor war es zumindest fünf Jahre her, seit ich das bei einem Leihvideo das letzte Mal gemacht hatte. Vorbei auch die Zeiten, wo die Angestellten nach der Rückgabe die Hülle öffneten, um zu kontrollieren, ob man den Film auch zurückgespult hatte. Heute gucken sie in den Kommerzvideotheken immer, ob die DVD zerkratzt ist. Dabei sagt das meistens gar nichts über deren Zustand aus.

Mit den sich immer schneller ablösenden Trägermedien gehen ja nicht nur deren spezifische Eigenheiten verloren, sondern auch ganze Kulturtechniken. In den 70ern wussten die meisten Familienväter noch, wie man eine Filmspule in einen Projektor einlegt. Einfach, weil jeder, der etwas auf sich hielt, einen Super 8-Projektor im Schrank stehen hatte. Ich hingegen bin da vor ein paar Jahren gnadenlos dran gescheitert. Wenn ich heute einem 14-Jährigen erklären würde, wie ich mal eine VHS-Kassette mit Bandsalat aufgeschraubt und repariert habe, würde der mich wahrscheinlich auch für verrückt erklären.

Super 8, Video 2000, Beta Max, VHS, Laserdisc, DVD, HD-DVD, BluRay: Das sind allein die Formate, die ich in meinen 36 Lebensjahren so mitbekommen habe. (Selbst besessen habe ich allerdings nur zwei davon, ich gehöre nicht zu den Leuten, die jeden neuen Hype mitmachen müssen. Oder anders gesagt: Ich bin ein very late adopter. Ich habe auch seit meinem 16. Geburtstag immer einen Plattenspieler besessen.)

Die Vinyl-Schallplatte ist ja irgendwie nicht tot zu kriegen und hat in den letzten Jahren eine richtige Renaissance erlebt. Andere veraltete Medienträger werden hingegen nur noch von einigen Hardcore-Nerds hochgehalten. Dabei war der Walkman damals eine Revolution! Und neben selbst erstellten Mixtapes gab es ja auch (semi-)professionelle Kassettensampler. Schon mal von C 86 gehört? Der ist ja heute noch legendär. Oder die deutschsprachigen Kassettensampler, auf denen Distelmeyer, la Hengst  & Co. ihre ersten Songs veröffentlicht haben.

Gondry hat wohl über seinen Film gesagt, er habe nichts gegen neue Systeme, er habe nur etwas gegen den Druck, man müsse sie unbedingt haben. Ist es wirklich ein Zufall, dass kurz nach Einführung der digitalen Filmmedien die ganze Videothekenkultur weitgehend den Bach runter ging? VHS-Tapes konnte man nicht rippen und ins Internet stellen. Raubkopieren war damals noch echt gefährlich und kein wirklich erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Statt größerer Vielfalt gibt es heute zumindest im Leihgeschäft immer mehr vom Immergleichen. Auch darauf geht Gondrys Film sehr schön ein, etwa wenn Mr. Fletcher, der altmodische Videothekar, Feldstudien in einer Filiale einer Kommerz-Videothekenkette betreibt: „Statt großem Titelangebot mehr Kopien von einem Film.“; „Nur noch zwei Abteilungen: Action-Adventure und Komödie.“ Alles, was nicht in diese Kategorien oder unter Horror fällt, steht hier bei WoV unter Unterhaltung.

Ich würd jetzt aber doch mal gerne die „unverhüllten Parodien“ sehen, die in der „Comixene“-Kolumne  angekündigt werden, vor allem „Boschwanza“ und „Prinz Eisenschwanz“. Aber die entsprechenden Bänder dürften sich inzwischen weitgehend aufgelöst haben.

Satz des Tages

Veröffentlicht: 5. Juni 2011 in Musik, Print
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Eine körperlose Bräsigkeit eignet dem Deutschen, wenn er sich singend zusammenrottet; eine Vorliebe für die einfachen Freuden der Funktionsharmonik, ein nicht zu hohes Tempo.

Diedrich Diederichsen in einem „Freitag“-Artikel über deutsche Arbeiterlieder.

Nicht der RS, trotz Dylan auf dem Cover: Spex Mai/Juni 2011; Abb.: piranha media GmbH

Viele sagen ja, seit ihrem Umzug nach Berlin und dem Quasi-Rauswurf der alten Redaktion könne man die „Spex“ nicht mehr lesen. Ich sehe das eher umgekehrt: Wann immer ich früher in einem Café oder bei einem Freund in dem Heft geblättert oder mal einen Artikel gelesen habe, kannte ich keine der gefeatureten Bands, fand die Themen uninteressant und die Texte unleserlich. In letzter Zeit ist mit am Zeitschriftenregal schon mehrmals aufgefallen, dass mich die Themen mehr ansprechen. Nachdem ich mir neulich nun zum ersten Mal eine Ausgabe gekauft habe, muss ich sagen: Ich bin begeistert.

Von den vorgestellten Bands kenne ich zwar immer noch die meisten nicht (außer Duran Duran natürlich), aber die sonstige Themenmischung ist hoch interessant und die Texte größtenteils hervorragend geschrieben und angenehm tiefgründig: Klaus Theweleit über 60 Jahre Cahiers du Cinéma und die Nouvelle Vague, ein amerikanischer Filmkritiker über die Berliner Schule, das neue Dreiherfilmprojekt von Graf, Petzold und Hochhäusler, israelische Nazi-Porno-Romane, Mode & Politikerinnen, deutsche Musiker auf Truppenbesuch in Afghanistan, warum es keine Protestsongs mehr gibt, die Auswirkungen von AIDS auf Pornos usw. Die nehmen Popkultur wirklich in ihrer ganzen Bandbreite wahr und ernst. Der Schreibstil ist meistens  trotz aller theoretischen Tiefe angenehm lesbar. Was für ein Unterschied zu dem pseudosoziologischen Geschwurbel in der „Intro“! Selbst die Kritiken sind abwechslungsreich und teils witzig. Klaus Walter, einer meiner Lieblings-Musikjournalisten, darf auch schreiben (ist wohl von der „Intro“ rüber gewechselt?). Das Layout ist originell, aber nicht aufdringlich.

Das Schönste ist, dass man nebenbei noch Nachhilfe in Musikgeschichte bekommt und dazu ermuntert wird, mal im Netz nach vergessenen Perlen der Popmusik zu suchen. Selbst die CD ist das beste, was ich seit langem als Beilage in einer Musikzeitschrift gehört habe. Ist die „Spex“  jetzt immer so gut oder liegt’s diesmal an den Themen? Wenn’s so weiter geht, werd ich dem „Rolling Stone“ endgültig untreu.

Ich hab zurzeit irgendwie so eine Westernphase, weiß auch nicht genau, warum. Teilweise ist es Zufall, dass im Fernsehen und Kino einige interessante liefen, teilweise stolperte ich über billige DVDs von älteren Filmen. Außerdem fand ich Morricones Musik in „Fistful of Dynamite“ so toll, dass ich mir den Soundtrack runterladen musste. Gestern erstand ich auf dem Trödelmarkt dann noch eine holländische Vinylpressung von „Spiel mir das Lied…“, verzeihung, ich meinte natürlich: von „Het gebeurde in het westen“. Auf beiden Soundtracks schafft es Morricone im Wesentlichen, mit drei Melodien auszukommen (na gut, es sind schon vier bis fünf, aber jeweils nur zwei, die wirklich prägend sind und immer wieder variiert werden). Trotzdem großartig, wobei mir „Fistful of Dynamite“ tatsächlich noch besser gefällt. Meiner Meinung nach ist Morricone ja ein größerer Komponist als Mozart, ich muss aber auch gestehen, dass ich von E-Musik nicht viel Ahnung habe.

Ein weiterer Trödelmarktfund aus dem Westerngenre: „Westwärts zieht der Wind“ aka „Paint your Wagon“, ein weiterer Schritt bei meiner Erschließung des Gesamtwerks von Clint Eastwood. Die Meinungen über diese (Western-)Musical-Adaption von 1969 gehen auseinander. Entweder man liebt sie oder man hasst sie. Ich tendiere eher zu ersterem, auch wenn der Film mit seinen mehr als 2 1/2 Stunden (allerdings inklusive einer ca. dreiminütigen Pause, die durch eine Einblendung mit Musikuntermalung überbrückt wird) deutliche Längen hat. Hier wäre eine Straffung um eine halbe Stunde deutlich mehr gewesen.

Überrascht war ich von der Qualität der Songs: die sind durchgehend klasse, richtige Gassenhauer mit Ohrwurmpotential. Die schnelleren Stücke sind zudem so kraftvoll und voller Spielfreude der Sänger/Schauspieler inszeniert, dass man am liebsten aufspringen und mitsingen möchte. Eastwood macht seine Sache als Sänger erstaunlich gut. Er hat zwar keine besonders große stimmliche Breite, aber im Grunde eine recht schöne Singstimme und verfehlt auch nie den Ton. Allein dafür, Eastwood mit einer Gitarre in der Hand traurige Liebesballaden singen zu hören, lohnt sich im Grunde der Film. Stimmlich noch interessanter ist aber der eigentliche Hauptdarsteller, Lee Marvin. Sein „Wandr’in Star“ ist ja dann auch der einzige Song des Films, den man noch heute kennt.

Nicht besonders viel Sinn macht die Story, die auch keinen rechten roten Faden hat, sondern eher eine episodenhafte Struktur. Erzählt wird von einer Gruppe von Goldsuchern, die irgendwo in Kalifornien eine Ader entdecken. Daraufhin wächst rund um den Fluss eine Stadt immer weiter. Das wird sehr schön veranschaulicht: Erst sind es nur Zelte, dann ein paar provisorische Hütten, schließlich wird es eine richtige lebendige Stadt mit Saloons, Bordellen, Geschäften usw., bis am Schluss alles wieder genauso schnell im Erdboden versinkt oder zusammen bricht, wie es entstanden ist. Die Bewohner ziehen weiter, auf zu neuen Goldadern und neuen Abenteuern; der Pioniergeist des jungen Amerika ist hier noch ganz ungebrochen.

Die Handlung selbst ist bewusst slapstickhaft und oft ziemlich abstrus: Wenn ein Mormone vorbei kommt, der gleich zwei Ehefrauen hat, wird selbstverständlich die jüngere gleich meistbietend unter den Goldsuchern versteigert – gefragt wird sie nicht und jeder, einschließlich des ursprünglichen Ehemanns findet das ganz normal. Wenn es zuwenige Frauen in der Stadt gibt, überfällt man halt eine Kutsche, die sechs Huren in eine Nachbarstadt bringen soll – und baut ihnen gleich selbst ein Bordell. Vor allem wird hier ein völlig freies, selbstbestimmtes Leben propagiert, frei auch von gesellschaftlichen Zwängen, von in der Zivilisation herrschenden moralischen und religiösen Werten. Wenn eine Frau zwei Männer gleichzeitig liebt, spricht hier an der frontier nichts dagegen, dass sie mit beiden das gleiche Haus teilt. Pietistische Farmer von außerhalb werden mit ihren Einwänden ebenso wenig ernst genommen wie ein Pastor, der natürlich auch nicht lange auf sich warten lässt.

Aber am Ende war alles eben doch nur eine kurze Zeit der Unbeschwertheit, auf Dauer ist dieses Leben nicht ausgelegt. Wie der Wanderstern, unter dem Lee Marvins Figur angeblich geboren wurde, müssen auch die Pioniere weiterziehen, wenn der Winter einbricht.

„Paint your Wagon“ nach dem Musical von Lerner und Loewe, einem Texter/Komponisten-Gespann, das u.a. auch „My Fair Lady“ geschrieben hat, ist eine große Hollywood-Produktion, was man auch ständig merkt. Bei den Musiknummern wird nicht gekleckert, sondern geklotzt, da tanzen auch gerne mal Dutzende von Statisten im Hintergrund rum. Und am Ende wird die gesamte Stadt in einer gigantischen Materialschlacht dem Erdboden gleichgemacht. Damals wollte das alles wohl kaum jemand sehen und hören (und einen sanft singenden Eastwood schon gar nicht), heute macht es einfach nur Spaß. Wo sonst bekommt man schon mal einen Bullen zu sehen, der in einer Goldmine durchdreht?

Von Kraftwerk und anderen Krauts

Veröffentlicht: 3. Oktober 2010 in Musik, Print
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Ich muss zugeben, dass ich ein Fan von Bestenlisten bin. Der „Rolling Stone“ hat diesen Monat die 50 besten deutschen Alben gekürt. Und meinen Geschmack dabei ziemlich gut getroffen: Ich kenne zumindest 11 der 50 Platten, davon 4 aus den Top Ten. Auf Platz 2 hat es Kraftwerks „Mensch-Maschine“ geschafft (hinter „Monarchie und Alltag“ von den Fehlfarben), in den Top Ten gibt es dann noch zwei weitere Alben von ihnen. Auch Element of Crime haben es in die Top Ten geschafft, mit ihrem zweifellos besten Album „Weißes Papier“. Soweit alles richtig gemacht, „Rolling Stone“. Nur Blumfelds „L’etat et moi“ hätte natürlich nicht auf Platz 11 gehört, sondern auf jeden Fall in die Top Ten, wenn nicht auf Platz 1!

Dass zumindest die elektronische Musik aus Deutschland immer schlechter geworden ist, belegt dann die beigelegte CD. Die Tracks aus den 70ern sind alle interessant (Neu!, Der Plan etc.), die mehr oder weniger zeitgenössischen alle langweilig: Melodie nicht zu erkennen, stattdessen wummern die Basstöne vor sich hin. Liebe deusche Electro-Musiker, vergesst Techno und macht endlich wieder Tracks, die „Neuschnee“ oder „Hallogallo“ heißen!

Im Garten eines Kraken

Veröffentlicht: 30. August 2010 in Musik
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Hier mal wieder etwas Muppet-Content. Dank Jakob Augsteins Kolumne habe ich erfahren, dass die Mupperts Ringo Starrs Beatles-Song „Octopus’s Garden“ gecovert haben.

Und das ist die deutsche Version aus der „Sesamstraße“, allerdings wesentlich unlustiger inszeniert:

Ich kann mit rein elektronischer Musik wenig anfangen. Es gibt genau zwei Ausnahmen: Björk und Kraftwerk. Über letztere hab ich neulich gelesen, sie wären so etwas wie die Beatles der elektronischen Musik. Das stimmt sicherlich, was ihren Einfluss auf nachfolgende Bands und ganze Musikrichtungen betrifft, auch was ihre Beliebtheit im Ausland angeht.

„Die Mensch-Maschine“ von 1978 ist für mich ihr bestes Album (wenn ich auch nicht alle kenne), im Grunde nicht nur Höhepunkt, sondern auch Quintessenz ihres musikalischen Schaffens und ihrer Philosophie: die Bandmitglieder, die völlig hinter ihrer Musik zurück treten und selbst zu Maschinen werden. Bei Konzerten gingen die Musiker teilweise gar nicht mehr auf die Bühne, sondern ließen sich von Robotern mit ihren Gesichtszügen „vertreten“, während die Musik aus dem Computer kam. In zwei Stücken wird die Verschmelzung von Mensch und Maschine gefeiert, vielleicht auch parodiert, so genau weiß man das bei Kraftwerk nicht: im Titelstück natürlich und im programmatischen „Die Roboter“:

Wir laden unsere Batterie / Dann sind wir voller Energie

Die besten Stücke auf der LP/CD sind aber nicht diese beiden und auch nicht ihr wohl größter Hit „Das Modell“, der vielleicht untypischste Kraftwerk-Song, der irgendwie gar nicht in das Albumkonzept zu passen scheint. Es sind „Metropolis“, „Spacelab“ und „Neonlicht“. Die beiden ersteren überwiegend instrumentale Space Operas, in denen jeweils nur der Titel wiederholt gesungen wird. Insbesondere „Metropolis“ fährt in den ersten Minuten Soundeffekte auf, bei denen einem unter dem Kopfhörer schier die Ohren wegfliegen. „Neonlicht“ hat nur einen Satz Text, der gibt allerdings die ganze Ambivalenz des Großstadtlebens perfekt wieder:

Neonlicht, schimmerndes Neonlicht / Und wenn die Nacht anbricht, wird diese Stadt zu Licht

Die musikalischen Themen sind in allen drei Stücken kurz, aber prägnant. Der Minimalismus wird hier auf die Spitze getrieben, aber ohne jemals langweilig zu werden. Das ist auch, was Kraftwerk von 99 Prozent ihrer Epigonen unterscheidet. Schade, dass die Band in den letzten knapp 25 Jahren nichts Wesentliches mehr auf die Reihe gebracht hat. Vielleicht ist der eigene Mythos doch zu groß, als dass da noch mal was Ebenbürtiges nachkommen könnte.