Archiv für die Kategorie ‘Journalismus’

Olympia-Berichterstattung bei ARD und ZDF: eine Farce

Veröffentlicht: 17. August 2016 in Journalismus, TV
Schlagwörter:, , ,

Da ein vier Jahre alter Artikel zu den Eurosport-Leichtathletik-Kommentatoren hier immer noch Resonanz findet, schreibe ich mal wieder was zu Olympia. Seit eineinhalb Wochen ärgere ich mich über die Berichterstattung von ARD und ZDF, die ja spätestens alle 20 Minuten zu einer anderen Sportart schalten (Hauptsache, ein Deutscher hat Medaillenchancen), und trauere vergangenen Olympischen Spielen nach, für die auch Eurosport die Rechte hatte. Da konnte man sicher sein: Wenn Leichtathletik stattfindet, wird auch stundenlang Leichtathletik übertragen, und wenn man wegen Zeitverschiebung oder weil man keine Zeit hatte, was verpasst hat, kann man sich vormittags noch mal stundenlang die Wiederholung anschauen.

Bei ARD und ZDF ist es hingegen ein Glücksspiel, überhaupt mal Leichtathletik zu sehen, da die tagsüber lieber so was Spannendes wie Springreiten zeigen. Selbst wenn es nachmittags mal ein Lauffinale gibt wie gerade die 3000m Hindernis, hat man die Wahl, sich entweder im Fernsehen Tischtennis (!) anzusehen oder im Internet einen unkommentierten (!!) Livestream des Rennens (was machen eigentlich die Kommentatoren des jeweils anderen Senders, der im TV gerade nicht dran ist; könnte man die nicht dafür einsetzen, die Livestreams zu kommentieren, die auf beiden Webseiten übertragen werden?). Wahrscheinlich will das ZDF dem Ärger abhelfen, indem es einen zur Meditation zwingt, denn etwas Meditativeres als eine unkommentierte Sportübertragung lässt sich wohl nur schwerlich finden.

Für alle, die sich nicht die Nacht um die Ohren hauen wollen oder können, gibt’s dann noch die morgendlichen Highlights-Sendungen. Die dauern drei Stunden, wobei Leichtathletik (oder in der ersten Woche Schwimmen) mal am Anfang, mal am Ende, mal mittendrin und manchmal auch zweigeteilt mit eineinhalb Stunden Unterbrechung zusammengefasst wird. Großartig! Wir haben alle nichts anderes zu tun als vormittags stundenlang vor dem Fernseher zu warten, wann die interessanteste Sportart drankommt. Ich will auch keine Trainer im Studio sehen und schon gar keine schon nachts in Rio gut gelaunten Moderatorenduos, die zwischendurch mal mit der Kokosnuss anstoßen. Wenn ich schon alle vier Jahre mal Sport gucke, will ich die Wettkämpfe sehen und sonst nichts!

Was bin ich froh, dass für die nächsten Olympischen Spiele Eurosport die Erstübertragungsrechte hat, und ich würde es denen auch gönnen, dass ARD und ZDF sich bei ihren Verhandlungen verspekulieren und gar keine Übertragungsrechte abbekommen (wonach es zurzeit ja aussieht). Dann freue ich mich, Sigi Heinrich und Dirk Thiele wieder hören zu können (falls die es dann noch mal machen) und von den öffentlich-rechtlichen Knallchargen verschont zu bleiben.

Auf der Spur der Mächtigen und doch immer hinterher: Nadja (Lilith Stangenberg) und Fabian (Florian David Fitz); Foto: NFP / Warner Bros.

Auf der Spur der Mächtigen und doch immer hinterher: Nadja (Lilith Stangenberg) und Fabian (Florian David Fitz); Foto: NFP / Warner Bros.

Christoph Hochhäusler scheint die Berliner Schule endgültig verlassen zu haben. In seinen beiden vorherigen Filmen deutete sich seine Hinwendung zum Genrefilm schon an, insbesondere natürlich in seinem Beitrag zum „Dreileben“-Projekt der ARD. Waren „Eine Minute Dunkel“ und auch „Unter dir die Stadt“ aber noch recht sperrig, ist „Die Lügen der Sieger“ sein bislang zugänglichster Film geworden, praktisch ein Versuch, den Stilwillen des deutschen Festivalkinos ins Unterhaltungskino zu retten.

Die Geschichte, die er gemeinsam mit Ko-Drehbuchautor Ulrich Peltzer erzählt, ist eine klassische: Ein aufrechter, aber auch ziemlich vor die Hunde gegangener Journalist kommt einem Skandal auf die Spur und legt sich, gemeinsam mit einer unerfahrenen Volontärin, mit den Mächtigen an – ohne zu merken, dass die wahren Strippenzieher ihn längst für ihre Zwecke eingespannt haben. Mit Florian David Fitz hat Hochhäusler die Hauptrolle mit einem Schauspieler besetzt, der typische Leading-Man-Qualitäten besitzt (falls es so etwas im deutschen Film überhaupt gibt).

Alles andere als klassisch ist, wie der Regisseur diese Geschichte erzählt: Ständig flackern Lense-Flares auf, durchschneiden teils als blaue Streifen das Bild, Benedikt Schiefers Score erinnert eher an Filme von Edgar Reitz als an die von Sidney Lumet. Bemerkenswert ist das Gespür für Räume und Architektur, das Hochhäusler auch diesmal wieder beweist: Gesichts- und seelenlose Bürobauten wirken wie die Verkörperung des emotionslosen Lobbyismus, der die wahre Macht im Land innehat, ohne dass sich seine Vertreter jemals einer Wahl gestellt hätten. Die typischen Shots Berliner Straßen, Plätze oder Parlamentsgebäude werden durch schnelle Schnitte eher dekonstruiert als wiedererkennbar gemacht. Oft filmt Kameramann Reinhold Vorschneider (großartig schon bei „Unter dir die Stadt“) durch Fenster oder Glasflächen, das Geschehen wird dadurch immer gebrochen statt eins zu eins eine Realität vorzuspiegeln. Durch die Gesamtheit von Bildgestaltung, Schnitt und Musik ergibt sich eine Ästhetik, die meilenweit entfernt ist von jenem Fernsehspiel-Look, der leider immer noch 90 Prozent des deutschen Kinos dominiert.

Die Handlung selbst ist hingegen reines Genre: Fitz‘ Fabian Groys wandelt auf den Spuren großer filmischer Vorbilder wie Robert Redfords und Dustin Hoffmans Woodward und Bernstein in „All the President’s Men“ oder Humphrey Bogarts Figur in „Deadline U.S.A.“, den Hochhäusler sogar gegen Ende mit einer Originalszene zitiert. Anders als zu Bogarts Zeiten, als das „Stoppt die Presse“ noch Zeichen für eine gesellschaftliche Erschütterung war, die die in letzter Minute noch ins Blatt zu hebende Story ohne Zweifel ausüben würde, laufen Groys‘ Anstrengungen aber ins Leere. Die vierte Macht liegt schon längst nicht mehr bei den Medien, sondern bei jenen Herren und Damen in den Hinterzimmern und Bürotürmen, die man als Normalbürger nie zu Gesicht bekommt. Ein investigatives Politmagazin wie „Die Woche“ (= „Der Spiegel“) dient den wirklich Mächtigen nur noch als Feigenblatt, um eine funktionierende Demokratie vorzutäuschen. Diese Aussage kann man platt finden – allzu weit von der Wahrheit dürfte sie nicht entfernt sein.

Hochhäusler und Peltzer lassen sich Zeit, bevor ihre Geschichte richtig in Gang kommt. Anfangs wirkt der Film disparat, weil gekünstelt erscheinende Szenen mit Lobbyisten und Politikern sowie über Groys‘ problematisches Privatleben von der Kerngeschichte der journalistischen Recherche ablenken. Aber nach einer Weile kommt diese doch noch richtig in Gang und damit steigt auch die Spannung. Offenbar haben die beiden Autoren ihr Sujet selbst gut recherchiert, denn selten wurde journalistisches Arbeiten in einem fiktionalen Film so realistisch dargestellt: von der Recherche selbst über das Niederschreiben und Feilen an den wirkunsgsvollsten Formulierungen (Groys zu Volontärin Nadja: „Das müssen wir noch mehr auf ‚Die Woche‘ bürsten.“) bis zum Faktencheck und den Diskussionen mit Justitiar und Dokumentarist. Etwas aufgesetzt wirkt hingegen die Liebesgeschichte zwischen Groys und Nadja (Lilith Stangenberg als spröde, aber ehrgeizige Jungjournalistin).

Im Vergleich zu Hochhäuslers frühem Film „Falscher Bekenner“, aber auch zu „Unter dir die Stadt“ ist sein neues Werk ein Quantensprung, ein Beleg dafür, dass es möglich ist, auch im deutschen Kino mit den Mitteln des Thrillers spannende Geschichten zu erzählen, ohne dafür intellektuellen Anspruch und Gestaltungswillen aufgeben zu müssen. Die Stilsicherheit, die er dabei inzwischen an den Tag legt, ist beeindruckend.

Alter Wein in neuen Schläuchen: die neue Samstagsausgabe; Foto: taz

Alter Wein in neuen Schläuchen: die neue Samstagsausgabe; Foto: taz

Das denke ich in letzter Zeit immer öfter, wenn ich auf taz.de unterwegs bin, was seit langer Zeit fast meine einzige Nachrichtenquelle im Internet ist, wenn es um allgemeine, mehr oder weniger aktuelle Themen geht (generell informiere ich mich über Politik, Wirtschaft etc. lieber durch Radiosendungen wie das „Mittagsecho“ als durch Webseiten wie SpOn oder die Tageszeitungsportale). Der gedruckten taz habe ich ja viele Jahre lang die Treue gehalten, erst als unregelmäßiger Käufer, dann mal ganz kurz als Abonnent – wobei ich das Abo nicht gekümdigt habe, weil mir die Zeitung nicht gefiel, sondern weil die Post es damals mindestens einmal pro Woche nicht schaffte, mir die Zeitung auch am Erscheinungstag in den Briefkasten zuzustellen und eine Tageszeitung vom Samstag am Montag doch eher sinnlos ist -, dann fast acht Jahre lang so gut wie jeden Samstag als Käufer und zeitweise auch noch donnerstags, als es da die taz.ruhr bzw. später taz.nrw gab.

Aufgehört, die taz zu lesen, habe ich erst, als ich merkte, dass mir die Süddeutsche viel besser gefiel, insbesondere die Wochenendausgabe (seit zwei, drei Jahren kaufe ich gar keine Tageszeitungen mehr, eine Wochenzeitung reicht mir). Seitdem und seit dem vorletzten Relaunch der Samstagsausgabe, als diese dann plötzlich in Farbe war und die Beilage Sonntaz hieß, habe ich nur gelegentlich noch mal eine gedruckte Ausgabe in der Hand gehabt, meistens in Cafés. Was ich dann feststellte, war, dass die Zeitung irgendwie immer mainstreamiger und dadurch belangloser geworden war. Vergangene Woche gab es nun mal wieder einen Relaunch der Samstagsausgabe, der als ganz großer Wurf verkauft und von einer aufwendigen Werbekampagne begleitet wurde. Geändert hat sich sogar erstmals der Titel: Nicht mehr „die tageszeitung“ prangt nun über dem Titelfoto, sondern „taz. am wochenende“. Keine Tageszeitung soll die sechste Ausgabe mehr sein, sondern eine Wochenzeitung, ein Magazin, soll schon der Titel suggerieren.

Der Ansatz ist sicher nicht verkehrt, gehen doch auch Tageszeitungen in den USA – notgedrungen – vermehrt den Weg, statt einer täglichen Zeitung nur noch ein oder zwei Mal in der Woche eine drucken zu lassen, die dann auch „magaziniger“ ist, also mehr Hintergründe und Lesestoff bietet als Nachrichten, die bei Druck sowieso schon veraltet sind. Was die taz da allerdings als ganz neu, innovativ und fortschrittlich verkauft, ist eigentlich ein alter Hut und noch dazu eine Mogelpackung: Beim Durchblättern unterscheidet sich die neue „taz.am wochenende“ nämlich in fast nichts von der alten Samstagsausgabe – mit dem Unterschied, dass sie nun statt 2, 30 Euro 3,20 Euro kostet. Weder hat sie mehr Seiten, noch ist der Inhalt wirklich ein anderer. Die Änderungen sind rein kosmetischer Natur. Nach wie vor gibt es 16 Seiten mit den üblichen Inhalten, die sich – teils unter anderen Rubrikentiteln – auch in der Werktagsausgabe finden, mit dem einzigen auffälligen Unterschied, dass die reinen Nachrichten auf eine Seite gekürzt wurden. Aber Reportagen und Hintergründe finden sich ja auch montags bis freitags.

Danach folgen wie gehabt 24 Seiten Sonntaz mit teils den alten und teils auch einigen neuen Rubriken und Themen aus Gesellschaft, Kultur, Reise etc. Dabei wirkte die Themenmischung heute so beliebig und an manchen Stellen in ihrer Klischeehaftigkeit schon unfreiwillig komisch, dass ich mich echt fragte, wer dafür mehr als 3 Euro bezahlen soll – von den üblichen Altabonnenten aus der Kommune 1 und den Macchiato-Müttern vom Prenzlberg mal abgesehen. Homestories über „normale“ Leser – Tenor der Unterzeile: „Sie lernten sich kennen, heirateten und hatten auch ihre Probleme“ -, eine Rezeptseite – Mozzarella-Paprika richtig zubereiten – und eine ganzseitige Anleitung, wie man richtig Holz hackt – sind das eurer Meinung nach wirklich die Themen, die alternativ oder „irgendwie links“ denkenden Menschen auf den Nägeln brennen, liebe taz? Da kann ich mir ja gleich die Rheinische Post kaufen, deren Wochenendbeilage eine ähnliche Mischung haben dürfte. Interessiert haben mich auf den ganzen 40 Seiten zwei kurze Artikel, einen über einen neuen Kinofilm und die „Tatort“-Vorkritik – na gut, letzterer eigentlich auch nicht so richtig.

Dass der groß angekündigte Relaunch im Grunde nur eine kaschierte drastische Preiserhöhung ist, bemerken dann auch gleich mehrere LeserInnen auf der Leserbriefseite. Warum sagt ihr dann nicht einfach: „Die Zeiten für Print sind hart, die Einnahmen sinken, wir brauchen mehr Geld von euch, liebe LeserInnen“? Stattdessen tut ihr so, als hättet ihr das Rezept für die Zukunft gefunden und verpackt doch nur alten Wein in neue Schläuche, etikettiert ihn aber mit um 40 Prozent erhöhten Preisen. Fast noch trauriger finde ich, dass ihr mittlerweile in meinenn Augen fast überhaupt keine politisch-gesellschaftliche Relevanz mehr habt. Früher stimmte der Slogan „Gegen uns sind alle anderen gleich“. Mittlerweile muss man die Unterschiede in der Themensetzung zwischen euch und anderen (Mainstream-)Medien meist schon mit der Lupe suchen. Auf taz.de lese ich selten etwas, dass ich nicht auch auf süddeutsche.de oder faz.net lesen könnte. Was Gegenpositionen zum gesellschaftlich-politischen Konsens angeht, lese ich die inzwischen im „Freitag“ oder in Blogs, aber kaum noch auf eurer Webseite. Es sei denn, man hält „Fahrradfahrer haben es in deutschen Städten schwer“ schon für eine gesellschaftpolitische Gegenposition. Wenn man es ganz gemein formulieren wollte, könnte man auch sagen, die taz ist auf bestem Wege, die „Gartenlaube“ der Bio-Markt-Einkäufer zu werden. Aber auch Ex-Revoluzzer werden halt älter und pflegen dann irgendwann lieber ihren Garten als ihre Streitkultur.

Meine heimlichen Helden: Dirk Thiele und Sigi Heinrich

Veröffentlicht: 14. August 2012 in Journalismus, TV
Schlagwörter:, , ,

In den letzten 2 1/2 Wochen habe ich fast keinen anderen TV-Sender geguckt als Eurosport, obwohl der so weit hinten auf meiner Fernbedienung liegt, dass ich ihn im Grunde nur alle vier Jahre wahrnehme. Nämlich immer dann, wenn das Olympia-Fieber meine Sportallergie besiegt. Da ich mich nur für zwei Sportarten interessiere, nämlich Schwimmen und vor allem Leichtathletik, kommt mir die Live-Berichtertattung der Briten wesentlich mehr entgegen als die von ARD und ZDF. Letztere übertragen ja überwiegend nur die Wettkämpfe, bei denen Deutsche Medaillenchancen haben. Das führt dann zu so absurden Entscheidungen wie zur besten Sendezeit ein Beach-Volleyballspiel zu übertragen, während alle Welt fiebert, wer beim 100-Meter-Lauf schnellster Mann der Erde wird.

Na, die Einschaltquote scheint ihnen ja Recht zu geben, sollen sich doch acht Millionen Deutsche angeguckt haben, wie vier Sportler auf Sand rumspringen und einen Ball übers Netz spielen – für mich allenthalben an langweiligen Sommerurlaubstagen als Betätigung vorstellbar (also, jetzt nicht für mich selbst, ich würd eh keinen Ball übers Netz bekommen). Ein paar Tage später dann: Hockey. Geht’s noch uninteressanter? Kennt da überhaupt jemand die Spielregeln? 800 m-Lauf der Damen und Staffel fanden nur als Aufzeichnungen in der Halbzeitpause Platz, immerhin wurde wohl mal kurz zum 200 m-Lauf mit Usain Bolt geschaltet. Dass es viel mehr Spaß macht, Wettkämpfe in voller Länge zu verfolgen (selbst Stabhochsprung), statt von Häppchen zu Häppchen zu springen, haben die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin nicht verstanden.

Bei Eurosport, wo man dank der europaweiten Verbreitung keine Rücksicht auf nationale Befindlichkeiten nehmen kann und muss, werden hingegen zur Primetime nur die populärsten Sportarten übertragen. Und das heißt eben: Abends drei bis vier Stunden Leichtathletik. Herrlich, ich sehe lieber die dritte Siegerehrung im Stadion als drei Minuten Ballsport. Wegkommentiert wird stundenlang alles von den immer gleichen beiden Reportern: Dirk Thiele und Sigi Heinrich. Die sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber mir immer noch lieber als die Schnarchnasen bei ZDF oder ARD, die sich meist so anhören, als warteten sie nur darauf, dass sie bald ausstempeln könnten (und deren Allgemeinbildung gegen Null zu gehen scheint, können sie doch weder Liam Gallagher richtig aussprechen noch Westminster Abbey von St. Paul’s Cathedral unterscheiden). Die beiden Eurosportler sind hingegen wie ein altes Ehepaar, das sich hin und wieder mal chauvinistische Bemerkungen zuwirft („Du schickst doch immer deine Frau zum Einkaufen“) oder auch mal tierisch aufregt, wenn die eigene Bildregie die Langstreckenläufer statt der Hochspringer zeigt.

Höhepunkt ihres Auftretens war aber der letzte Wettkampfnachmittag, als Heinrich plötzlich Hockey kommentieren musste, während Thiele beim Marathon war. Letzterer sprach von sich selbst verwirrenderweise immer in der dritten Person: „Gleich kommentieren Dirk Thiele und [Expertin einsetzen] für Sie den Marathon, aber erst einmal zu Siegfried Heinrich beim Hockey.“ – „Ja, hier ist Sigi. Schön, dass du auch dich selbst nennst. Aber dich kennt man doch, da wissen die Leute doch, wer du bist.“ Tags zuvor beim 50 km-Gehen der Männer – ein absolut faszinierendes Ereignis, nicht weil so spannend gewesen wäre, wer gewinnt, sondern, weil ich ständig befürchtete, es würde noch ein Teilnehmer kurz vorm Ziel entweder zusammenbrechen oder disqualifiziert werden -, schaffte Thiele es, in einer halben Minute drei ausgelutschte Metaphern einzubauen (Bild von Uhrenturm: „Seine Stunde schlägt jetzt auch“, Bild einer grünen Ampel: „Für ihn steht die Ampel jetzt auf Grün“, das dritte war wahrscheinlich ein Stoppschild oder so was). Auch das ist ein bemerkenswerter Rekord. Was mache ich jetzt bloß abends ohne Olympia? Wann ist noch mal die nächste Leichtathletik-WM?

Heute mal ganz old school zwei Print-Lesetipps: In der aktuellen „brand eins“ findet sich zum einen eine sehr gute Reportage über die Frage, warum der erfolgreiche Popjournalist Marc Fischer Suizid beging. Darin geht es u.a. um die TEMPO-Jahre, erfundene Figuren in Artikeln und die Einsamkeit des „Kriegsberichterstatters“  inmitten der hippen Berliner Kulturszene. Schönes Zitat (sinngemäß): „Wer sich um Frau und Kinder kümmert, bleibt in Nürnberg wohnen, die anderen gehen nach Berlin.“

Zum anderen gibt es noch einen recht aufschlussreichen Artikel über IKEA, sein Erfolgsrezept und die Schattenseiten seines Geschäftsmodells. Hat mir sehr aus der Seele gesprochen, nachdem ich neulich beim Versuch, ein Regal auszusuchen, sehr genervt war. Ich glaube auch immer mehr, dass das Geschäftsmodell im Grunde auf Blendung des Kunden basiert – Marketing 1, Service 5. Oder wie es der Artikel in Anspielung auf die Hotline formuliert: „Fluchst du noch oder telefonierst du schon?“. Außerdem möchte ich nicht während meines Einkaufs von Lautsprecherdurchsagen und Hinweisschildern permanent in vertraulichem Ton dazu aufgefordert werden, doch bitteschön mitzuarbeiten („Mach dir Notizen!“, „Miss deinen Stoff selbst ab!“ etc.). Aber die Köttbullar sind lecker, das muss ich zugeben…

P.S.: Wem 7,60 Euro für die Zeitschrift wie mir auch zu teuer sind und wer dann kein hippes Szenecafé in der Nähe hat, das sie ausliegen hat, kann die Texte ab Erscheinen der nächsten Ausgabe dann auch online lesen.

Tom Kummer als Wertanlage

Veröffentlicht: 3. Dezember 2011 in Bücher, Journalismus
Schlagwörter:,

Das ist ein Scherz, oder? Könnte ja noch verstehen, wenn Maxim Billers „Esra“ zu solchen Preisen angeboten würde, denn das wurde ja gerichtlich verboten, bevor es überhaupt erschien. Aber dieser (Fake-)Interviewband war doch regulär im Handel. Da müssten doch noch einige Tausend Exemplare von rumschwirren.

Videotipp: „Bad Boy Kummer“

Veröffentlicht: 28. Oktober 2011 in Film, Journalismus, Lesetipp, Print
Schlagwörter:

Zurzeit in der arte-Mediathek: der Dokumentarfilm über Tom Kummer. Irgendwie finde ich immer noch, dass Kummer mit fast allen seinen Aussagen Recht hat. Und die Ausschnitte aus seinen gefakten Interviews in dem Film sind alle großartig (Tyson über Nietzsche und Tolstoi, Bronson über Orchideenzucht und Pamela Anderson über Abnehmen und Schönheitswahn). Muss mal gucken, ob man die Interviewsammlung noch billig im Netz bestellen kann.

Hassu ma ’n paar Euro für meine Zeitschrift?

Veröffentlicht: 17. August 2011 in Journalismus, Online
Schlagwörter:, ,

Große Pläne erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Deshalb suche ich ab heute auf der Crowdfunding-Plattform pling Unterstützer für mein Print-Magazin-Projekt „torrent“. Bereits ab einem Euro seid ihr dabei, über mehr freue ich mich natürlich auch mehr. Sollten bis Mitte Oktober die 3000 Euro zusammen kommen, die in der Kalkulation noch fehlen, können wir nicht nur das Magazin für serielles Erzählen (im Fernsehen) an den Bahnhofskiosk bringen, sondern auch alle Spender mit netten Prämien belohnen, z.B. Freiabos oder der Möglichkeit, seine eigenen Lieblingsserien im Heft vorzustellen. Und wer kein Geld übrig hat, hilft mir auch sehr, wenn er den Link an serienbegeisterte Freunde weiterschickt.

Und wer sich gerade fragt, WTF is Crowdfunding: Zufällig habe ich darüber vor einem Jahr mal einen Artikel geschrieben.

Heinz Harder war bis vor ein paar Jahren ganz oben: ein Starjournalist, der für die größten Illustrierten mehrteilige Reportagen schrieb. Bis er wegen zweifelhafter Methoden (Einbrüchen, um an Informationen zu kommen, erfundene Geschichten etc.) in seiner Branche in Ungnade fiel und seitdem als Gebrandmarkter keine Aufträge mehr bekommt. Um über die Runden zu kommen, betätigt er sich als „Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle“. Als die ebenso laszive wie undurchsichtige Ex-Frau eines ehemals einflussreichen Politikers ihn beauftragt, ihre vermisste jugendliche Tochter zu suchen, wird er in einen Fall hineingezogen, in den neben der Berliner Landespolitik auch noch zwielichtige Geschäftsleute, skrupellose Menschenhändler, und verblendete Anhänger eines Schlangenkultes verwickelt sind.

„Das Schlangenmaul“ von 1985 war Fausers einziger lupenreiner Kriminalroman, nicht im Sinne von „Who dunnit?“, sondern im Stil der Hardboiled-Romane von Chandler & Co. Sein Harder ist ein deutscher Phillip Marlowe: ein gesellschaftlicher Außenseiter und Beobachter, mit trockenem Humor, der als Einziger moralisch sauber bleibt, egal, welchen Morast der Korruption er durchwaten muss. Sein Einsatzort ist nicht L.A., sondern das West-Berlin der mittleren 80er Jahre, eine merkwürdig hermetische Welt, ein Niemandsland, das nicht zur DDR, aber auch nicht richtig zur BRD gehört. Zufluchtsort für jede Art dubioser Gestalten, die alle das Gleiche suchen: das große Geld. Manche nutzen dazu die Politik, manche die (Zwangs-)Prostitution, wieder andere die Naivität verblendeter Esoteriker. Und manche schrecken zur Erreichung ihrer Ziele auch nicht vor Mord zurück.

Fausers Roman ist nicht nur die faszinierende Beschreibung einer verloren gegangenen Welt, die die Nachgeborenen nur noch aus Erzählungen und Filmen kennen, einer Welt, in der alle Straßen an der Mauer enden, eines Hortes für Glücksritter aus ganz Westdeutschland. Er ist auch ein herrlich ironischer Journalismusroman. Harder, der ganz in Chandlers Tradition seine Geschichte in der Ich-Form erzählt, spart nicht mit bissigen Seitenhieben auf seine Branche, die er in ihrem Kern genauso leidenschaftlich liebt wie er ihre modernen Auswüchse verabscheut. Deshalb hat er trotz des Siegeszugs des Boulevards den Traum von der nächsten großen Artikelserie und von der einen wahren Zeitschrift immer noch nicht ausgeträumt. Wie bei Chandler hat aber auch bei Fauser die Welt eigentlich keinen Platz mehr für diesen kleinen Träumer. Was den nicht daran hindert, weiter seinen Weg zu gehen.

Stilistisch ist Fauser hier brilliant: ebenso dichte wie metaphorische Beschreibungen des grell-grauen Großstadtalltags wechseln sich mit herrlich lakonischen Dialogen ab. Wen interessiert da noch, dass das Komplott, das Harder aufdecken will, zunehmend ausufernder erscheint, bis man den Überblick teilweise verloren hat? Auch das ist ja im Grunde fast ein Markenzeichen der Schwarzen Serie. Selbst Bogart soll ja die Story von „Tote schlafen fest“ nie verstanden haben. Für die Bavaria, die wohl mal die Filmrechte an dem Stoff gekauft hatte, war die fehlende Stringenz des Plots laut Nachwort der Grund, warum sie ihn dann doch nie verfilmt haben. Völlig unverständlich, drängen sich bei vielen Dialogen die Bilder dazu doch förmlich auf. Als Harder sah ich beim zweiten Lesen (bei dem ich den Roman übrigens noch viel besser fand, als ich ihn in Erinnerung hatte) ständig Rainer Werner Fassbinder vor mir, in seinem weißen Anzug mit schwarzem Hemd. Maja Maranow hätte eine gute Aufraggeberin abgegeben, so ambivalent-undurchschaubar wie in der „Fahnder“-Folge „Nachtwache“. Was wäre wohl dabei heraus gekommen, wenn Hans C. Blumenberg das Buch verfilmt hätte? Es sagt schon viel über eine Filmindustrie aus, wenn sie auf so einem Stoff sitzt, ohne ihn zu ergreifen.

Bisher meinte ich ja, dass Fauser in der kleinen Form immer am besten war, bei Reportagen oder Kurzgeschichten. Aber dieser Thriller ist vielleicht doch sein opus magnum. Lange Zeit vergriffen, erschienen vor einigen Jahren gleich zwei neue Ausgaben: ein Hardcover und ein Taschenbuch. Das Diogenes-TB ist vorbildlich editiert, neben einem informativen Nachwort von einem Fauser-Freund und Verleger enthält es auch zwei Zeitschriftentexte Fausers, darunter seine „Tip“-Reportage über vermisste Jugendliche in Berlin, die ihn auf die Idee zu dem Roman brachte. Da merkt man dann wieder: Er konnte beides, Wirklichkeit lebendig vermitteln und reale Phänomene weiterspinnen und daraus ein schillerndes fiktionales Werk machen.

Ein Muss für alle heutigen, ehemaligen und zukünftigen Genrefreunde, Detektive, Journalisten und West-Berliner.

Diogenes Taschenbuch 2009. 316 Seiten, 9,90 € (oder in der Werkausgabe-Kassette mit neun Taschenbüchern)

Prophetischer Dialog aus Jörg Fausers  1985er Journalismus-West-Berlin-Privatdetektiv-Krimi „Das Schlangenmaul“:

„…Ich geb dir die Zeitschrift, mach etwas draus, die einzig wahre Zeitschrift, und dann gehen wir in die Neuen Medien.“

„Berlin wird die ganz große Schaltzentrale für diese Medien werden. Und wir werden mitschalten. Radio, TV, Kabel, Bildschirmtext, Video – es gibt Möglichkeiten, von denen wir heute noch fast nichts ahnen.“

„Möglich. Ich komme aus den Printmedien, weißt du, Druck und Papier, alter Praktiker – von der Pike auf…“

„Und jetzt lernst du noch mal von der Pike auf, Harder.“