Archiv für Mai, 2010

Was man aus Comics lernen kann (I)

Veröffentlicht: 29. Mai 2010 in Bücher
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Die erste demokratische Republik der Neuzeit wurde von Piraten auf Madagaskar gegründet.

gelernt durch: Lewis Trondheim / Appollo: „Insel Bourbon 1730

Zitat des Tages: John Lennon über Brot backen

Veröffentlicht: 29. Mai 2010 in Musik
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Da hatte ich grad der „Missy“-Redakteurin vorgeschlagen, doch mal was über die feministische Haltung von John Lennon zu machen, da stolpere ich auf einem Grabbeltisch auf ein Taschenbuch mit Lennons und Yoko Onos letztem Interview vor seiner Ermordung. Darin einige interessante Betrachtungen über seine Zeit als Hausmann und wie sich seine Einstellung zu Frauen dadurch geändert hat. Mein Lieblingszitat in diesem Zusammenhang behandelt aber die Frage, wie sein selbstgebackenes Brot bei Familie und Angestellten ankam:

„Das Brot aßen sie sehr gerne. Ich habe an einem Freitag zwei gebacken, die für ’ne Woche reichen sollten und Samstag Nachmittag war nichts mehr übrig. Wie Schweine, weißt du, wumph war es weg. […]

Yoko: „Wenn wir es nicht essen, bist du beleidigt, wenn wir es aufessen, denkst du: jetzt muss ich schon wieder backen.“

Das Internet – unendliche Weiten… Es ist schon faszinierend, dass es im Netz praktisch nichts gibt, was es nicht gibt. Hier zum Beispiel zwei alte Sendeschemen des 1Live-Vorgängers WDR 1: von 1988-1991 und von 1991 bis zur Ein- bzw. Umstellung im März 1995. Als besonderes Schmankerl kann man sich auf ersterer Seite sogar Eingangsjingles bzw. Titelmelodien legendärer Sendungen wie „Flipp-Zeit“ oder „Schlagerrallye“ (damals noch mit -ye) anhören.

Nicht nur, dass das alles vor den Zeiten der durchformatierten Begleitwellen war, in denen auch noch völlig abseitige Sendungen wie „Schwingungen“ einen Platz hatten: Es gab auch noch keine einheitlichen Senderjingles, die vor jeder Sendung praktisch gleich klingen. Jede Show hatte ihr eigenes, unverwechselbares Intro (manche hatten auch einfach gar keins, sondern begannen schlicht mit der ersten Platte), das reichte von 12 Sekunden beim Jugendmagazin „Riff“ bis zu unglaublichen 1:44 bei „Sport und Musik“.  Ah, those were the days, my friends, they’ll never come back…

Wen interessiert, was aus Wolfgang Roth geworden ist: Das Schicksal hat er echt nicht verdient. Erst Radio Berg, dann Rollstuhl…

„Der ganze Kunstbetrieb ist so.

Dass man nicht über Geld spricht?

Man spricht nicht darüber, wieviel man verdient. Man spricht auch nicht darüber, wenn man kein Geld hat. Es ist immer alles okay.“

Die Künstlerin Lisa Jugert, die sich ihren Lebensunterhalt teilweise als Assistentin berühmterer Künstler finanziert, in einem Interview zur Selbst- und Fremdausbeutung, ohne die der Großteil der freien Kunstszene wohl nicht existieren würde.

„Der Freitag“ bringt heute zwei sehr lesenswerte Auszüge aus einem Sammelband mit Texten des 1993 gestorbenen Musikkritikers Jonas Überohr, der in den 70ern u.a. für die „Sounds“ geschrieben hat. In einem geht es um die Rolle des Kritikers im kapitalistischen System:

„Die Firmen, in Form ihrer bezahlten Beauftragten, scheinen sich einzubilden, Kritiker hätten die Funktion, ihnen die Werbesprüche für ihre Produkte zu liefern, da ihren eigenen Sprüchen sowieso keiner mehr glaubt. Die Unabhängigkeit des Kritikers kommt ihnen da gerade recht, hebt sie doch die Glaubwürdigkeit des Gesagten. Und so zeigt sich, daß genau dies im System der kapitalistischen Produktionsweise die Funktion des Kritikers ist: Reklame zu machen für die Produkte, die er kritisiert, indem er sie kritisiert. Und seine Unabhängigkeit, mit der er sein feuchtes Gewissen abtrocknet, geht in diesen Deal mit ein.“

Der andere Auszug schildert die Auswüchse des „Love ans Peace-Festivals“ auf Fehmarn 1970 und kommt zu einem ernüchternden Schluss über die 68er-Generation:

„Was bis heute als Underground, Gegenkultur oder Pop-Generation den Schein des Besseren an sich trug, entpuppt sich als Versagergeneration. Diese jungen Leute werden nichts verändern oder gar verbessern. Sie lassen alles mit sich machen und fühlen sich auch noch high dabei. Sie sind bravere Konsumenten als ihre sauberen gutgekämmten Altersgenossen, die gehorsam die vorgeschriebenen Laufbahnen der bürgerlichen Gesellschaft einschlagen.“

Muss mal das Buch auf meine Wunsch- bzw. Einkaufsliste setzen. (Liebe aber auch den „Freitag“ u.a. dafür, immer wieder solche interessanten Bücher auf zwei ganzen Seiten auszugsweise vorzustellen.)

In meinem alten Blog hatte ich vor eineinhalb Jahren schon mal über die Debütausgabe des feministischen Popkulturmagazins „Missy“ geschrieben. Seitdem scheint sich das Magazin mit einer Druckauflage von 20.000 Exemplaren, von denen laut Mediadaten mehr als die Hälfte verkauft werden sollen, mehr oder weniger etabliert zu haben. Aber was hat sich inhaltlich getan, hat sich die Zeitschrift inzwischen weiter entwickelt, haben die Macherinnen aus den Fehlern der ersten Ausgabe gelernt? Zeit, die neueste, gerade erschienene Ausgabe mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Kate Nash als Covergirl: die besprochene "Missy"-Ausgabe

Seite 8/9: Den Sinn dieser Umfragen mit Fotos der Befragten und jeweils ein, zwei Sätzen Zitat zu einer vorgegebenen Frage (hier: „Wann hast du das letzte Mal öffentlich geweint?“) habe ich schon in „Neon“ & Co. nie verstanden.

S. 12/13: Ein Bericht über eine französiche Philosophin, die die These aufstellt: „Nicht mehr der Mann ist der schlimmste Unterdrücker der Frau, sondern das Kind.“ Interessant, und eine angenehme Gegenposition zum allgemeinen Stillterror anderer Medien und den Gesprächen, die man manchmal so auf dem Spielplatz mitbekommt.

S. 16/17: Rubrik „Das andere Geschlecht“, die einzige, in der regelmäßig Männer vorgestellt werden. Warum das immer übliche Verdächtige sein müssen, wie diesmal der Musiker Patrick Wolf, der sich gerne schminkt und einen „queeren Lebenstil“ pflegt, ist mir nicht einsichtig. Muss mann sich schminken, um Feminist sein zu können?

S. 18-24: der erste Höhepunkt des Heftes: ein Foto-Dossier über Alltagsleben in Palästina plus Interview mit der jungen deutschen Fotografin. Ausdrucksstarke, klischeefreie Fotos und ein interessantes ergänzendes Interview.

S. 33-42: Eine lange Thememstrecke zum Revival der Handarbeit und des DIY (auch) unter Feministinnen. Hab zum ersten Mal das Wort „Crafting“ gelesen. Grundsätzlich sehr interessantes Thema, weil neu und ungewöhnlich und mit reichlich diskursivem Potential (Selbstermächtigung vs. Selbstausbeutung, Wohlstandshobby vs. ausgebeutete Sweat Shop-ArbeiterInnen in China und Bangladesch etc.). Der einführende Text ist leide etwas zu trocken geraten, sehr gut hingegen das Interview mit der Historikerin und Ökonomin, die vier Seiten Bastelanleitungen (u.a. eine Lego-Brosche) sind zwar stellenweise ganz witzig, aber auch ein wenig überflüssig. Auf S. 41 wird ernsthaft dazu geraten, ein Fanzine mit Hilfe von Schere und Klebstoff zu erstellen. Haben die Betreiberinnen von „Grassrootsfeminism.net“ noch nichts von Computern und DTP-Programmen gehört? Selbst der Pfarrer bastelt seinen Gemeindebrief doch heutzutage nicht mehr per Hand!

S. 42/43: ein Advertorial, also eine als red. Beitrag aufgemachte Anzeige zur „bebe Generation Fashion WG“, einer fragwürdigen PR-Aktion, bei der minderjährige Mädels zwei Wochen in einer hippen Wohnung in Berlin einquatiert werden und z.B. eine „Limited Edition Handtasche“ für adidas designen dürfen. Dabei werden sie glaube ich noch von Webcams beobachtet, was aber nicht in dem Text drin steht.

Also, das geht in einem ernstzunehmenden feministischen Magazin irgendwie gar nicht, da die Zielrichtung der PR-Aktion und des -Artikels so ziemlich allem zuwider läuft, was die Haltung der Zeitschrift ausmacht. Ich verstehe ja, dass Werbung wichtig fürs Überleben ist, aber doch bitte nicht um jeden Preis. Also: Meinetwegen Advertorials, meinetwegen normale Anzeigen über Bebe, aber nicht so ein Thema in dieser Form.

S. 44: die 18-jährige Jugendmeisterin im Turmspringen erklärt, wie man ohne Angst und Verletzungen vom 10er springt. Lebenshilfe nicht nur für Frauen (ich trau’s mich trotzdem weiterhin nicht) – sympathisch.

S. 46/47: eine von zwei regelmäßigen Rubriken für TV-Serien-Nerds: Das Rezept zur Serie. Sympathisch.

S.48-52: Interview mit Kate Nash. Jo, kann man machen, muss man aber nicht.

S. 55-63: der unvermeidliche Modeteil – kann ich in keiner Popkultur- oder Lifestylezeitschrift was mit anfangen.

S. 66/67: „Drei neue Bücher zeigen, wie die Rede von der vermeintlichen Selbstermächtigung uns in Wahrheit nicht stärkt, sondern schwächt.“ Sehr interessanter Beitrag zur Diskussion, ob sich Feminismus nicht eh erledigt hat.

S.74/75: Einer der besten Beiträge kommt ganz unspektakulär daher: die Geschichte einer Frauen-Beat-Band aus Liverpool aus den 60ern: die „Liverbirds“. Solche Geschichten möchte ich in so einer Zeitschrift viel mehr lesen!

S.76-81: das Sex-Ressort, teilweise ganz lustig (S. 76), die beiden ganzseitigen Anzeigen könnten auch in der „alley Cat“ oder im „Playboy“ stehen.

S. 82-97: der „Edutainment“-Teil, auf deutsch: Rezensionen. Mein altes Problem: Ich lese ungerne mehr als ein, zwei Plattenkritiken am Stück. Die Filmauswahl ist ganz interessant: „Das Fischkind“ hätte ich gerne im Kino gesehen, lief aber nirgends, „Mammut“ würde ich mir gerne ansehen. Schön, dass auch Comics und Fanzines besprochen werden.

S. 98: Zum Ausklang ein recht unlustiger Comic von der gerade auch in der Comicszene und im Feuilleton sehr gehypten Ulli Lust.

Gesamteindruck: insgesamt auch für einen Mann recht interessante Lektüre, gutes, klares Layout, abereine etwas merkwürdige Ressorteinteilung und etwas wenig Popkultur. Von den sechs Ressorts haben im Grunde vier nichts mit Pop zu tun. Von einer „feministischen Spex oder Intro“ erwarte ich eigentlich viel mehr Texte über MusikerInnen, Filmschaffende, Computerspielentwicklerinnen und Comiczeichnerinnen.

Das zweite Problem: Die meisten Texte sind viel zu kurz, gehen nicht wirklich in die Tiefe. Richtig gut wird „Missy“ immer dann, wenn die Artikel mal länger als zwei Seiten sind, und die Themen (gesellschafts-)politisch: Mädchenbeschneidung, Frauen im Gefängnis, der „Crafting“-Text. Das sind dann Artikel, die mir als Mann eine neue Sichtweise auf bestimmte gesellschaftliche Probleme oder Phänomene eröffnen, und die ich mit Gewinn gelesen habe. Ansonsten gibt es mir in „Missy“ aber leider zu viel Häppchenjournalismus. Weniger (Themen/Rubriken) und dafür längere Texte wäre da mehr.

Mein dritter Kritikpunkt ist ein grundsätzlicher, der an die Frage anknüpft, die mein Freund Olsen hier neulich in den Kommentaren zum „Trip“-Artikel aufgeworfen hat: Ist die Idee, eine Frauenzeitschrift zu machen, nicht generell schon sexistisch? So weit wie Olsen würde ich jetzt nicht gehen, aber ist sie nicht zumindest kontraproduktiv? Warum macht ihr statt „Popkultur für Frauen“ nicht einfach „Das feministische Magazin für Popkultur-Fans“? Da würden die Männer sich auch nicht so komisch vorkommen, wenn sie euer Heft kaufen wollten.

Damit ihr mich nicht falsch versteht: Ich finde es gut, dass „Missy“ von Herausgeberinnen gemacht wird, dass die Perspektive überwiegend weiblich ist und dass starke Frauen im Mittelpunkt der Berichte stehen. Trotzdem frage ich mich nach wie vor, warum nicht auch mal der ein oder andere Artikel über interessante Männer vorkommt. Ich glaube einfach nicht, dass es keine männlichen Kulturschaffenden gibt, die nicht für feministische Frauen interessant wären. Macht doch mal was über die Entwicklung von John Lennon vom Macho zum Feministen dank Yoko Ono (oder hinterfragt, ob er denn wirklich so feministisch geworden ist, wie er behauptet hat) oder, wie schon eine Leserin vorgeschlagen hat, über Joss Whedon, der ja angeblich immer so emanzipierte Frauenfiguren für seine TV-Serien schreibt. Nur so als Beispiele.

Grundsätzlich ist eine Zeitschrift wie „Missy“ natürlich sehr wichtig, und im Gegensatz zu den ganzen marktforschungserprobten Ungeheuern der Großverlage wie „Beef“, „Business Punk“ und „Gala Men“ ist dem Heft anzumerken, dass es einem inneren Bedürfnis der Macherinnen entspringt, dass hier wirklich Herzblut drin steckt. Die ganze Attitüde und die Grundhaltung, eine Art unverkrampfter Feminismus, gepaart mit selbstironischem Nerdtum, ist mir sehr sympathisch. Dass das eine Zielgruppe moderner junger Frauen anspricht, wundert mich nicht. Wenn’s jetzt noch etwas tiefgründiger und der Schwerpunkt mehr auf Pop und Politik und weniger auf Style und Bastelanleitungen wäre, würd ich mir das Magazin auch mal öfter kaufen.

Für alle, die noch keine Mail von mir bekommen haben: Vor einigen Tagen ist SPEKTAKEL, mein neues Online-Stadtmagazin für Düsseldorf und Wuppertal online gegangen. Die Idee dahinter ist, ein lokales bzw. regionales Magazin zu machen, das sich von dem Einheitsbrei des Lokaljournalismus in den Tageszeitungen und deren Online-Portalen abhebt. Es sollen Themen angesprochen werden, die dort eher wenig bis gar keinen Platz bekommen, aus einer sozialen und jungen Perspektive. Das Magazin soll mal nicht die Generation 50+ ansprechen, wie das im Lokaljournalismus ja leider üblich ist, sondern in erster Linie die Jüngeren und Mittelalten. Ein bisschen ist das Ganze auch daraus geboren, dass ich ein klassisches „alternatives“ Print-Stadtmagazin wie den früheren Düsseldorfer „Überblick“ oder die Kölner „Stadt-Revue“ heute in D’dorf und W’tal schmerzlich vermiss(t)e.

Im Moment ist die Seite noch sehr Düsseldorf-lastig, ich hoffe und denke aber, dass in den nächsten Wochen auch der eine oder andere interessante Artikel mit Wuppertaler Thematik hinzu kommt.  Themenvorschläge sind ebenso wie Feedback natürlich immer willkommen.

Hannelore, geh doch nach drüben!

Veröffentlicht: 22. Mai 2010 in Politik, Uncategorized
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Die taz bringt es mit ihrer heutigen Titelüberschrift  mal wieder auf den Punkt: „DDR rettet Rüttgers“. Dazu liefert sie interessante Einblicke in die gescheiterten Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grünen und Linken:

„Sowohl die Thematisierung des FDJ- und KPD-Verbots in den fünfziger Jahren als auch des „Radikalenerlasses“ in den Siebzigerjahren in der BRD stieß bei SPD und Grünen auf blankes Unverständnis. Sie konnten oder wollten nicht nachvollziehen, dass es sich hierbei um weit mehr als eine vermeintlich relativierende „Retourkutsche“ handelte. Nicht nur dass etliche heutige Linkspartei-Mitglieder selbst einst von der skandalösen Berufsverbotepraxis betroffen waren: Es ging für die Linkspartei um ihre Verpflichtung denjenigen gegenüber, in deren politischer Tradition sie sich im Westen versteht. Für ein Delegationsmitglied ist das auch eine ganz persönliche Frage: Zu den tausenden Kommunisten, die während der Adenauer-Ära wegen ihrer Überzeugung in den Knast gesteckt wurden, gehörte auch der Vater…“

Frank Walter Steinmeier zeigt sich unterdessen in Interviews „erleichtert“, dass es nicht zu rot-rot-grün in NRW kommt. Welchen Grad an Realitätsverlust diese Partei inzwischen erreicht hat, ist wirkllich bemerkenswert: erleichtert, dass seine eigene Parteifreundin nicht Ministerpräsidentin wird und statt in einer Koalition  mit einer 12- und einer 5-Prozent-Partei einen Großteil ihrer Ziele durchsetzen zu können, nun als Juniorpartner einer 35-Prozent-Partei so gut wie keine.

Spätestens jetzt müsste jedem Wähler klar sein, dass jede Stimme für die SPD eine verlorene Stimme ist. Die Partei merkt nicht einmal, dass sie überhaupt nicht mehr politikfähig ist. Die CDU schafft es hingegen zum dritten Mal in Folge, dass ein eigentlich abgewählter Ministerpräsident im Amt bleiben kann: Koch, Müller, Rüttgers – es finden sich immer genug Vernagelte bei SPD und Grünen, um den eigenen Mann über die nächste Legislaturperiode zu retten.

Der Trend zum Retrotrend

Veröffentlicht: 21. Mai 2010 in Print, Uncategorized
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In letzter Zeit schießen die Magazine aus dem Boden, die sich den kultuellen Erscheinungen der Vergangenheit verschrieben haben: „Retro“, eine Art Computermagazin für Intellektuelle, gibt es ja schon länger, vom „Good Times“-Ableger „Kult“ ist vor Kurzem die zweite Ausgabe erschienen, ebenso von „Retrotrend“.

Zeitschrift für intellektuelle Computerspielfreunde: "Retro"

Während „Retro“ im Segment der Computerzeitschriften das gleiche ist wie „brand eins“ bei den Wirtschaftsmagazinen oder „11 Freunde“ bei den Sportzeitschriften, also ein Magazin, das das jeweilige Themengebiet von seiner soziokulturellen Seite betrachtet und damit Intellektuellen eine Alternative zu den Bleiwüsten der anderen Zeitschriften des jeweilgen Segments bietet, kommen die beiden Neuerscheinungen profaner daher.

Debütausgabe mit Winnetou und Asterix: "Kult"

„Kult“ präsentiert so eine Art „das Beste aus den 60er, 70er und 80er Jahren“, wie es bei den ganzen Dudelradiostationen immer heißt: von deutschen Softpornos der 70er über Comics der 50er bis zu Bands der 60er Jahre, wobei das Magazin vom Layout und den Texten teilweise eher wie ein Fanzine wirkt. Der Autor, der im ersten Heft über Comics schrieb etwa, schien nicht wirklich tiefergehende Kenntnisse von seinem Themengebiet zu haben, waren da doch einige vermeidbare Fehler in seinen Artikeln.

Debütausgabe mit alten Tapes: "Retrotrend"

Wesentlich professioneller kommt „Retrotrend“ daher: Hochglanzpapier, modernes Layout, gute Fotos usw. Die Themen sind interessanterweise teils sehr ähnlich, wenn auch origineller aufbereitet: ein Holländer, der ein Pornokino mit alten Super 8-Filmen in Amsterdam betreibt, eine ellenlange Geschichte über Vinylsammler, -händler, -produzenten usw. Daneben gibt es auch eher „unkulturelle“ Themen wie Tipp-Kick und Fahrräder aus Stahl. Im nächsten Heft soll dann das unvermeidliche Thema „Der C64 – ein Kultcomputer“ kommen (immerhin erst im dritten Heft), aber auch ein Artikel über den Trans-Europa-Express. Gekauft hab ich das Heft nicht, deswegen kann ich nichts über die Qualität der Texte sagen. Auf den ersten Blick sieht „Retrotrend“ von den drei Magazinen aber am ansprechendsten aus, wie eine Zeitschrift, die eine breitere Leserschaft ansprechen könnte, während die beiden anderen doch eher Nischenmagazine sind.

Das Presseecho über „Retrotrend“ war hingegen überwiegend negativ, jedenfalls, was ich so mitbekommen habe. Im Gewerkschaftsmagazin „journalist“ war ein Fragebogen an den Chefredakteur, aus dessen Fragen doch überwiegend Herablassung über die Themenmischung und -aufbereitung von dessen Zeitschrift sprach („Gibt es in Ihrem Heft auch eine andere Darstellungsform als das Feature?“). Dem „Freitag“ hat das Ganze gar nicht gefallen, ist ihm wohl zu unpolitisch:

„In einer Gesellschaft, die den Kult der blanken Repräsentationen bestens beherrscht, will schon die Gegenwart historisiert werden, damit sie überhaupt begehbar bleibt. Retrotrend ist mithin weder retro noch Trend, sondern schlichtweg aus der Zeit und damit allen Zusammenhängen gefallen.“

Und wo retro anscheinend auf dem Print-Markt gerade so angesagt ist, könnte jetzt aber wirklich bald mal endlich ein Verlag die „64er“ neu beleben.

Un-Zitat des Tages

Veröffentlicht: 20. Mai 2010 in Musik, Uncategorized
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Adorno über Jazz, zitiert von Peter V. Brinkemper:

Mit der Selbstauflösung des Jazz werde „nicht der musikalische Einfluss der Negerrasse auf die nördliche ausgemerzt, auch kein Kulturbolschewismus, sondern ein Stück schlechtes Kunstgewerbe.“ Die Aversion gegen den Jazz findet 1936 in einem Artikel der „Zeitschrift für Sozialforschung“ mit dem Pseudonym Hektor Rottweiler einen weiteren Niederschlag. Neben Benjamins berühmten Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ ist da von der deutschtümelnden Wortverwandtschaft von Jazz und Hatz, der vulgärpsychoanalytischen „Coitiermaschine“, der Kastrationsangst und der Missdeutung der Synkopen und Off-Beats als chronometrischer Zuspätkommer für Möchte-Gern-Pöbler die Rede.

Unfassbar.