Archiv für April, 2010

Als ich davon gehört habe, dass der deutsche Journalistenverband (DJV) und die Verdi-Sektion für Journalisten dju mit den Verlegerverbänden neue Honorarsätze für freie Tageszeitungsjournalisten ausgehandelt haben, fand ich das zunächst mal sehr positiv. Zumal diese Zeilenhonorare überwiegend wesentlich höher sind als das, was die meisten Zeitungen bisher ihren meisten Mitarbeitern zahlen (wenn es sich nicht gerade um irgendwelche prominenten Edelfedern handelt, die für die üblichen Sätze wahrscheinlich nicht mal den Füller in die Hand nehmen, geschweige denn irgendwas recherchieren würden). Was ich allerdings von Anfang an anzweifelte, war, inwieweit sich diese verhandelten Honorare auch tatsächlich bei den Zeitungen selbst durchsetzen lassen.

Am 1. Februar sind die „Gemeinsamen Vergütungsregeln“ offiziell in Kraft getreten, anwenden tut sie bisher so gut wie keine Zeitung in Deutschland. Von einer einzigen habe ich bisher gehört, dass sie es tut, zwei weitere haben das wohl zumindest für die Zukunft versprochen. Neben allem anderen, was man an dem Verhandlungsergebnis noch kritisieren könnte  – der Verband freier Journalisten „Freischreiber“ macht das recht detailliert – ist der große Knackpunkt, dass es praktisch keine Möglichkeit für den einzelnen freien Mitarbeiter gibt, die ausgehandelten Honorare auch tatsächlich durchzusetzen, wenn der Auftraggeber sie nicht zahlen will.

Das Problem ist nämlich, dass es immer genügend andere Schreiber gibt, die bereit sind, auch weiterhin für die niedrigeren Sätze der Redaktionen zu arbeiten. Überwiegend sind das eh Studenten, Schüler und Hobbyschreiber wie pensionierte Deutschlehrer und andere mitteilungsbedürftige Renter, die nicht wissen, wie ein Blog funktioniert. Hier zeigt sich der nächste große Konstruktionsfehler: Die Vergütungsregeln gelten nämlich nur für hauptberufliche Journalisten. Allen anderen darf die Zeitung sogar mit Billigung der Gewerkschaften weiterhin Zeilenhonorare ab 12 Cent zahlen. Da sagt natürlich jeder profitorientierte Verleger: Wieso soll ich einem hauptberuflichen Journalisten mindestens 52 Cent zahlen, wenn doch genügend Hobyschreiber und Nachwuchsjournalisten es auch für die Häfte oder ein Viertel machen?

DJV-Vertreter Michael Hirschler argumentiert dann im „Freischreiber“-Blog, für andere als Hauptberufler hätten die Gewerkschaften nun mal gar kein Handlungsmandat. Seltsamerweise sollen die Vergütungsregeln aber nicht nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten, sondern für sämtliche Zeitungsmitarbeiter, sofern sie denn hauptberufliche Freie sind. Und für die haben DJV und Verdi dann ein Verhandlungsmandat, auch wenn sie gar nicht Mitglied sind? Aber rechtsverbindlich ist das ganze Regelwerk ja sowieso nicht, jedenfalls ist man sich da bei Verdi nicht sicher, inwiefern die Honorare denn auch einklagbar wären. Da es sich kein freier Mitarbeiter leisten können wird, dies auszuprobieren, da er ja als Freier auch keinerlei Kündigungschutz bzw. Anrecht hat, weiterhin Aufträge von seiner Zeitung zu bekommen, werden wir es so schnell wohl auch nicht erfahren.

Man muss es ganz klar sagen: Diese Vergütungsregeln sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden. Sie dienen allenfalls als Feigenblatt für die Zeitungsverlegerverbände, die jetzt sagen können: „Wieso, wir haben doch faire Honorare mit den Gewerkschaften vereinbart? Wenn sich einzelne Verlage nicht daran halten, können wier doch nichts dafür.“ Statt dass die Gewerkschaften auf juristischer Ebene dafür kämpfen, dass die Regeln auch eingehalten werden, überlassen sie das gesamte Verhandlungsrisiko den Freien selbst. Im günstigen Fall bekommen diese von ihren Redaktionen vielleicht die Antwort: „Tut uns Leid, die höheren Sätze können wir nicht zahlen“, oder sie bekommen gar keine Antwort. Im ungünstigsten Fall  geht es ihnen wie zwei Kollegen von der „Frankenpost“, die auf ihre Honorarforderungen einen Brief des Chefredaktuers bekommen haben, in dem stand: „… haben Sie Dank für Ihr großzügiges Angebot, auf das wir leider nicht zurückgreifen können. Ich wünsche Ihnen für Ihre berufliche Zukunft alles Gute.“ Aber vielleicht haben die Beiden ja auch reiche Ehefrauen, so dass sie das Ganze jetzt vor Gericht ausfechten können, wie es eine hauptamtliche Verdi-Mitarbeiterin bei einer Mitgliederversammlung als idealen Weg zur Durchsetzung ersann. Die Gewerkschaft selbst überlegte unterdessen lieber, ein Transparent zum Thema für ihre 1. Mai-Demo zu malen. Die Regeln selbst seien ja gut, nur im wirklichen  Leben laufe es halt anders.

Das ist ja das Problem mit dem wirklichen Leben! Wenn es so abliefe wie im Lehrbuch, gäbe es auch keine Verlage, die ihre Redakteure in hauseigenen Zeitarbeitfirmen beschäftigen und ihnen dort wesentlich weniger zahlen als vorher. Und auf zahnlose Gewerkschaften, die völlig an der Arbeitsrealität von freien Journalisten vorbei argumentieren und verhandeln, wäre man dann gar nicht erst angewiesen.

Ego-Bloggen Nostalgie-Edition

Veröffentlicht: 27. April 2010 in Allgemeines

Wenn ich zurzeit kaum zum Bloggen komme, liegt das hauptsächlich daran, dass meine Mutter im Krankenhaus liegt. Zufälligerweise in genau demjenigen, in dem ich vor knapp 15 Jahren meinen Zivildienst geleistet habe. Das sorgt für einige sehr merkwürdige Emotionen. Einerseits hat sich dort nämlich organisatorisch in dieser Zeit fast alles verändert (Umbennenung und teilweise Funktionsänderung der Stationen, Umbauten usw.), andererseits kenne ich die Räumlichkeiten überwiegend natürlich trotzdem noch. Meine ehemalige Station gibt es aber in der Form gar nicht mehr, das ist jetzt eine Palliativstation statt einer „normalen“ internistischen.

Ab und zu läuft einem dann auf den Gängen doch noch mal ein bekanntes Gesicht über den Weg, von den wenigen damaligen Stationskollegen, die noch im Haus arbeiten, habe ich aber bisher erst einen getroffen bzw. gefunden. Stattdessen kam ich gestern im Park mit einer älteren Patientin ins Gespräch, die auf der Bank neben uns saß. Nach einer Weile kam mir diese recht bekannt vor. Irgendwann stellte sich dann heraus, dass das die Lebensgefährtin eines unserer Patienten von vor 15 Jahren war, der damals wohl bei uns auf der Station gestorben ist (woran ich mich aber nicht mehr erinnere). Kurzzeitig dachte ich, die ältere Dame wolle mir nachträglich einen Vorwurf machen, weil sie erzählte, ein Zivi habe ihren schon im Sterben liegenden Mann damals gefragt, ob er morgens einen Kaffee trinken wolle. (Wobei ich mich nicht an diese Situation erinnere, sie wusste auch nicht, ob ich das damals war.) Zum Glück war es aber umgekehrt: Sie hatte damals eher ein schlechtes Gewissen, weil sie den Zivi angefaucht hatte. Das Ganze war auf jeden Fall sehr surreal, wie man da nach 15 Jahren mit Schicksalen ehemaliger Patienten konfrontiert wird.

Ansonsten kribbelt es mir irgendwie doch ein wenig in den Fingern, noch mal im Krankenhaus zu arbeiten, wenn ich da so die PflegerInnen beobachte. Leider gibt es aber zumindest in diesem kein Budget mehr für ungelernte, unqualifizierte (Aushilfs-)Mitarbeiter im Pflegedienst. Naja, vielleicht mache ich ja im nächsten Leben dann doch noch eine Pflegeausbildung. In diesem möchte ich aber bitte möglichst nicht als Patient in die Mühlen der Institution Krankenhaus geraten (oder erst, wenn ich sowieso nichts mehr mitbekomme).

Zugegeben, diese Woche ist das Blog sehr taz-lastig. Das könnte daran liegen, dass die taz, seit sie von ihren jungen Unterprivilegierten gemacht wird, (wieder) richtig lesenswert ist. Gestern gab es einen interessanten Artikel über den Niedergang der einst linken Stadtmagazine, die heute überwiegend entweder angepasste Mainstreamblätter geworden oder bereits eingestellt sind (wobei oft auch ersteres dem letzteren voran ging, wie etwa bei „Marabo“ im Ruhrgebiet und dem „Überblick“ in Düsseldorf). René Martens schreibt dazu:

„Der Niedergang der Stadtmagazine – zwar nicht nur, aber auch bedingt dadurch, dass man unter finanziellem Druck Kernkompetenzen aufgegeben hat – wirkt aus heutiger Sicht wie ein Vorbote des Qualitätsverlusts bei etablierten Zeitschriften und Zeitungen in den Nullerjahren.“

Einen Großteil der Schuld gibt Martens übrigens dem „Prinz“ (oberflächlich) und dem „Coolibri“ (kostenlos).

Außerdem schrieb Helmut Höge darüber, dass die taz als bundesweites Projekt im Grunde die meisten linken Zeitungen in den Städten und Regionen kaputt gemacht hat. Was doppelt schade sei, da von dem eigenen linken Anspruch auch nicht mehr viel übrig sei.

„Im übrigen war die taz  kurzzeitig auch mal ein “Sprachrohr” der Pädophilen und sammelte “Waffen für El Salvador”-Spenden  – beides gilt heute als schwer verwerflich, auch in der taz.“

Bleibt alles anders bei der taz

Veröffentlicht: 20. April 2010 in Online, Print
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Den Beiträgen im Hausblog nach zu urteilen, laufen die Diskussionsprozesse bei der taz (zurzeit) auch nicht anders als bei jeder Schülerzeitung. Lustig wird es nur dadurch, dass einige der Schüler schon seit 20 Jahren bei der Zeitung arbeiten. Deren Urteil über die „jungen Wilden“, die ihnen für eine Woche die Führungspositionen abgenommen haben, fallen recht unterschiedlich, aber erstaunlich offen aus (wenn man bedenkt, dass das ja ein öffentliches Blog auf der offiziellen Webseite der Zeitung ist):

„Julia Herrnböck, 28, aus Österreich, leitet diese Woche das Auslandsressort. Sie habe ich hier zuvor im Ressort noch nie gesehen (sie macht ein Praktikum im Ressort taz.zwei), aber sie macht ihre Sache resolut…“ (Sven Hansen, 48)

„schon erstaunlich, was so ein Machtwechsel Richtung Jugend bedeutet: Auf der aktuellen Auslandsseite der morgigen Printausgabe prangt plötzlich ein langweiliges Politikerfoto vierspaltig. Auf der Afrika-Seite von taz.de stehen plötzlich lauter dpa-Meldungen. Die Themenauswahl, sofern sie nicht schon längst feststeht, ist Mainstream pur…“ (Dominc Johnson, Auslandsredakteur seit 20 Jahren)

Was an der ersten U31-taz von gestern vor allem auffällt, ist: Sie hat ein deutlich besseres Layout als sonst, wirkt fast modern, soweit das im Jahre 2010 mit schwarz-weißem Zeitungsdruck überhaupt möglich ist. Mal sehen, wie das dann am Wochenende in der vierfarbigen Ausgabe aussieht. Als Zweites fiel mir auf, dass überall Hinweise auf vertiefende oder ergänzende Online-Artikel auftauchen. Gibt es sonst auf taz.de überhaupt Artikel, die nicht aus der Zeitung übernommen sind? Sogar eine Videoreportage ist jetzt auf der Seite.

Dritter Blickfang: Ganzseitige Aufmacherfotos in zwei Ressorts. Grundsätzlich eine tolle Idee, nur etwas problematisch bei einer Zeitung, die eh nur 20 Seiten hat. Sollte man vielleicht eher am Samstag machen, wenn man mehr Platz (und Farbe) zur Verfügung hat. Und der größte Aufreger unter den kommentierenden LeserInnen im Hausblog: das Fehlen der vertrauten Rubriken wie der „verboten“-Kolumne, dem tom-Comic und der „Wahrheit“. Statt letzteren prangt auf der kompletten letzten Seite ein allerdings nicht wirklich lustiger Comic.  Dann doch lieber tom. Ansonsten finde ich das Abschneiden alter Zöpfe ja gut. Die Kolumne auf der Seite 1 finde ich z.B. meistens eh unlustig. Aber taz-Leser sind halt größtenteils genauso strukturkonservativ wie FAZ-(oder andere Zeitungs-)Leser: Bitte immer die gleichen Elemente am gleichen Platz, bloß nichts verändern, was man schon seit zehn Jahren kennt.

Fazit: Man sollte öfter mal Ideen seiner Jungredakteure, Volontärinnen und PraktikantInnen umsetzen, denn dem Erscheinungsbild der taz tut das sehr gut.

Aufmüpfige Jungredakteure in der taz gestern und heute

Veröffentlicht: 19. April 2010 in Print
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Zum 31. Geburtstag besetzt die taz für eine Woche ihre Redaktion um: Alle Führungsposten wurden von Unter 31-Jährigen übernommen, die Interims-Chefredakteurin ist eine 24-jährige Volontärin. Klingt zunächst wie ein netter Marketinggag, mal sehen, ob man’s der Zeitung wirklich auch anmerkt. Sehr witzig ein Kommentar dazu von Gerade nicht-Ressortleiter Thilo Knott im Hausblog der taz. Der macht auch mal wieder klar, dass die taz solche Aktionen früher gar nicht nötig hatte, weil die Anarchie da noch Alltag war:

„Das Photo – aus den frühen Achtzigerjahren der taz – zeigt Thomas Hartmann, den ersten Chefredakteur (Freigestellter damals noch genannt), wie er gerade mit belehrendem Zeigefinger drei U31er (Broeckers, Höge, Zucker) zur Rede stellt, weil sie wieder mal aller Nachrichtensicherheit zum Trotz einige Fake-Interviews ins Blatt gestellt und dazu wieder mal sämtliche Formate ignoriert hatten.“

Was ich immer sach: Es lebe das Fake-Interview!

„Facebook und Co. böten zwar «einsehbare Informationen», seien aber ihrem Wesen nach wie «holländische Wohnzimmer», deren Fenstern die Gardinen fehlten, ohne damit aber eine Einladung an jedermann zu verbinden, sich an den Scheiben die Nasen platt zu drücken.“

Ein interessanter Essay über Soziale Netzwerke von Joachim Güntner aus der NZZ. Über meine persönlichen Eindrücke als Fatzebuch-Neuling schreib ich bestimmt demnächst hier auch noch mal was.

15 Jahre „Domian“

Veröffentlicht: 11. April 2010 in Radio
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Seit 15 Jahren talkt Jürgen Domian nachts im WDR-Radio und -Fernsehen mit Hörern, die meist über persönliche Probleme und Schicksalsschläge berichten und um Rat suchen. Stefan Kuzmany hat für die taz die Arbeit der Redaktion beobachtet. Dabei erfährt man auch interessantes über die Anrufer, die es nicht schaffen, auf den Sender zu gelangen:

„Die meisten werden sofort aussortiert: Die Anrufer sind emotional labil oder stehen unter Drogen. Sie sprechen undeutlich. Die Geschichte scheint erfunden zu sein. Die Geschichte ist schlecht. Die Leitung ist schlecht. Die Rechercheure machen sich eine Notiz für die Datenbank: Vorname, Alter, Telefonnummer, Grund des Anrufs, Schulnoten für Person und Schicksal. Viele haben schon oft angerufen. Für die Sendung braucht man mindestens einen Dreier-Notendurchschnitt.“

Und zieht ein ernüchterndes Fazit, warum sich die Sendung so großer Beliebtheit erfreut:

„Domian zu hören ist, wie einen Autounfall zu beobachten: Man kann nicht wegsehen. Und man ist froh, dass es einem selbst besser geht als den Anrufern.“

Voyeurismus pur, das scheint mir auch das Hauptmotiv zu sein, sich das anzuhören. Ich hab das vor über zehn Jahren auch mal eine Zeitlang getan, aber irgendwann fühlt man sich nur noch schlecht, und will diese ganzen Schicksalsorgien nicht mehr hören. Ich denk mal, viele Leute sitzen da auch nachts vor dem Fernseher und lachen sich über manche Geschichten von Schicksalsgebeutelten oder vermeintlich „Perversen“ kaputt. Einen quasi entgegen gesetzten Ansatz hat eine Hörertalksendung wie die „Nightline“ (ab Morgen „LateLine“), wo es eher um gesellschaftliche Probleme geht, wo die Gespräche oft dazu anregen, über strukturelle Missstände nachzudenken. Oder anders gesagt: „Nightline verursacht Denken, Domian verursacht Voyeurismus.“

Urbane Kommunikation

Veröffentlicht: 10. April 2010 in Allgemeines, Online
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Mit wem sprechen diese Leute ständig, frage ich mich, wenn ich aus dem Fenster schaue, und mindestens jeder Zweite mit einem Handy am Ohr über den Bürgersteig geht. Manchmal hat man auch das Pech, dass man sich das ja gar nicht zu fragen braucht, weil im Zug oder auf der Parkbank jemand neben einem sitzt, der oder die meint, lautstarke Telefonate führen zu müssen, die man auch noch Wort für Wort mitbekommt, wenn die Person drei Meter weg sitzt. Das sind dann oft Kommunikationsopfer, die es gar nicht mehr ertragen können, mal dreißig oder auch nur fünf Minuten auf sich allein zurück geworfen zu sein, mal mit niemandem zu sprechen.

Da gibt’s dann Leute wie jene Frau von vor ein paar Tagen, die auf einer Bank saß und eine Freundin nach dem anderen Freund anrief. Und mit denen in einer Lautstärke telefonierte, dass man gar nicht anders konnte als mitzuhören. Die Themen waren dann auch schön privat wie etwa: „Wenn die Aids hätte, wüsste es doch eh jeder…Nee, nee, die hat kein Aids, das war jetzt nur so ein Beispiel.“

Ein ähnliches Phänomen kann man als Zugfahrer regelmäßig beobachten: Menschen, die, kaum dass sie eingestiegen sind, ihr Handy aus der Tasche ziehen, um apathisch darauf zu starren, und ab und zu irgendwas einzutippen, wobei man dann bei diesen neumodischen iPhones und Surrogaten nicht weiß, ob sie gerade eine SMS abschicken wollen oder nur ihre Halluzinationen als Gedächtnisstütze verewigen. Und kurz bevor der Zug in den Hauptbahnhof einfährt, rufen sie dann noch schnell ihre Verabredung oder ihr Schatzi an: „Du, ich bin gleich da.“ Faszinierend. Wer hätte das erwartet?

Ältere Menschen wie ich erinnern sich ja noch an eine Zeit, in der es als unhöflich galt, wenn man einen Begleiter zwecks Kommunikation mit anderen, nicht anwesenden Menschen, kurz sich selbst überlassen wollte. In der man sich entschuldigte, bevor man ein Telefonat führen wollte. Heute weiß man manchmal gar nicht mehr, ob der Mensch, der einem am Tisch gegenüber sitzt oder neben einem hergeht, gerade noch mit dir spricht oder mit irgendwem telefoniert, der sich gerade per Vibrationsalarm als wichtiger positioniert hat. Wobei eine eingehende SMS oder ein Handygespräch eh grundsätzlich wichtiger zu sein scheinen als das persönliche Gespräch, das man gerade führt. Aber manchmal führen zwei sich bekannte Menschen auch gar kein Gespräch mehr, wenn sie sich treffen, sondern gehen nur nebeneinander her, während jeder mit einem jeweils anderen Menschen am Handy spricht.

Die Macht der Maschinen, der Zwang, jederzeit für jeden erreichbar zu sein, und das möglichst über alle verfügbaren Kanäle, Handy, Chat, Facebook, StudiVZ, Skype und Twitter, führt dann irgendwann dazu, dass man für persönliche Verabredungen gar nicht mehr verfügbar ist, vielleicht noch körperlich, aber schon längst nicht mehr mit vollem Bewusstsein. Wirklich erreichbar ist eigentlich auch schon fast niemand mehr, jedenfalls nicht kurzfristig und persönlich oder wenigstens telefonisch. Wenn man sich vor zehn Jahren mit jemandem verabreden wollte, rief man ihn in der Regel auf der einzigen Telefonnummer an, die derjenige hatte: dem Festnetz. Dann gab es zwei Möglichkeiten: Der Mensch war zuhause und ging ran, dann konnte man mit ihm sprechen. Oder der Mensch war nicht da und man versuchte es später noch mal. Wenn man jemandem auf einen Anrufbeantworter sprach, soweit er oder sie denn schon einen hatte, rief der Mensch meistens auch zurück – spätestens am nächsten Tag. Heute ruft fast niemand mehr zurück, weil alle denken: Wenn’s was Wichtiges ist, kann er mich ja auf dem Handy anrufen oder ’ne SMS schicken. Ein Kommunikationsversuch, der nicht unmittelbar zum Erfolg führt, hat praktisch nicht stattgefunden und endet als Phantomstimme auf irgendeinem Chip – so lange bis der Speicher gelöscht wird.

Komischerweise glaube ich nicht, dass irgendjemand sich jetzt öfter mit seinen Freunden trifft als früher. Man braucht nur mehr vorbereitende Kommunikationsakte, um überhaupt zu derselben Anzahl von Treffen zu gelangen. Erste SMS: Was machst du heute? Antwort: Weiß nicht, und du? Zweite SMS: Sollen wir uns treffen? Antwort: Wo? Dritte SMS: daundda. Antwort: Wann denn? Vierte SMS: Um acht? Antwort: Lieber um neun. Fünfte SMS: Ok. Antwort: Ach scheiße, ich kann heute gar nicht. Lass morgen mal simsen. Alles Liebe! Sechste SMS: Ok, bis dann. Erinnert sich noch irgendwer an die Zeiten, in denen man einfach unangemeldet bei Freunden an der Tür klingelte, wenn man in der Nähe war? Heute fällt sowas wohl unter die Kategorie unhöflich bis unverschämt.

Im Augenblick leben kann auch fast niemand mehr. Das sieht man an den Konzertbesuchern, die ihre Lieblingsbands lieber abfilmen oder fotografieren statt sich ihren Songs, dem Liveerlebnis und dem Gefühlseindruck des Augenblicks hinzugeben. Da ist die Konserve wichtiger, die man sich dann zuhause eh nie wieder anguckt (von der technischen Qualität mal ganz zu schweigen). Aber man kann den Schrott ja noch bei YouTube hochladen und aller Welt so beweisen: Hey, ich war da!

Die andere Seite der Medaille ist dann, dass man sich mies fühlt, wenn man nicht ständig unterwegs angerufen oder angesimst wird. „Kein Schwein ruft mich an“ hoch drei sozusagen. Nicht nur das Telefon zuhause schweigt, sondern auch Handy, Skype und die Kommentarleiste im Blog. Dann ist man auch ein Kommunikationsopfer geworden, aber eines von mangelnder Kommunikation. Weil es in einer Welt, in der alle global vernetzt sind, eher schwieriger als einfacher geworden ist, Freunde um die nächste Ecke zu finden.

Wenn „urban“ den Widerspruch bezeichnet, dass man in der Stadt von unendlich vielen potentiellen Kommunikationspartnern umgeben ist, tatsächlich aber leichter als anderswo in totale Isolation geraten kann, weil niemand erwartet, dass man ihn oder sie tatsächlich anspricht oder kontaktiert („Aus der Nachbarswohnung riecht’s so komisch, wo der wohl seit Monaten ist?“), dann möchte ich die Auswüchse von Handy, Internet & Co. als urbane Kommunikation bezeichnen oder als kommunikative Urbanität. Irgendwann ist dann jedes dieser Kommunikationsopfer vielleicht wirklich ein geschlossenes System, das nur noch über digitale Datenverbindungen Kontakt zur Außenwelt aufnimmt, wie in Houellebecqs „Die Möglichkeit einer Insel“. Hoffentlich haben sie dann wenigstens auch einen Hund als treuen Freund bei sich.

Wer ist Deutschland?

Veröffentlicht: 9. April 2010 in Politik, TV
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Manchmal frage ich mich schon, ob diese ganzen Nachrichtensendungen im TV wirklich Informationssendungen sind oder nicht im Grunde Informationsverhinderungssendungen. Was erfährt man z.B., wenn man jeden Abend 15 Minuten „Tagesschau“ guckt, und das für einen die einzige Informationsquelle ist, was das politische und allgemeine Weltgeschehen angeht?

Schönes Beispiel: die Berichterstattung über die Trauerfeier für die in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten heute im „heute-journal“. Angela Merkel sagt in ihrer Trauerrede: „Deutschland verneigt sich vor ihnen.“ Da frage ich mich: Wer bitte ist „Deutschland“? Also ich verneige mich bestimmt nicht vor Soldaten, die sich in einem fragwürdigen Auslandseinsatz, den die Mehrheit der deutschen Bevölkerung aus guten Gründen ablehnt, verheizen lassen. Der Beruf des Soldaten ist eben nicht nur zu töten, sondern, wenn’s schlecht läuft, auch, sich töten zu lassen. Kritsch hinterfragt wird aber im Bericht des ZDF natürlich gar nichts. Die Trauergäste, die der Reporter nach dem Gottesdienst befragt, loben einhellig die „treffenden Worte der Kanzlerin“, einer sagt, er findet es richtig, dass der Einsatz entschlossen „zu Ende geführt wird“. Wobei ja niemand so genau weiß, was das Kriegsziel eigentlich sein soll.

Danach ein Wischiwaschi-Kommentar des neuen ZDF-Chefredaktuers Peter Frey. Nachdem man sich beim ARD-Pendant „Tagesthemen“ schon seit Jahrzehnten fragt, welchen Sinn diese nichtssagenden Kommentare eigentlich haben sollen, zieht das ZDF also endlich nach. Aber wahrscheinlich gilt das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schon als kritisch, was der Mann da absonderte. Der „Krieg gegen den Terror“ müsse ehrlicher geführt werden. Dass schon die Formulierung völliger Blödsinn ist und an Gehirnwäsche grenzt, thematisiert der Kommentator natürlich nicht. Hat Deutschland eigentlich in den 70ern und 80ern auch Krieg gegen die RAF geführt? Die RAF hätte das sicher gern so gehabt. „Krieg gegen Terror“ ist aber semantisch genauso ein Unsinn wie „Krieg gegen Mord“ oder „Krieg gegen Kindesmissbrauch“. Aber so weit denkt wahrschienlich im Meinungsmainstream der deutschen Medien niemand.

Da imponieren mir Publizisten wie „Freitag“-Verleger Jakob Augstein, der sich diesem ganzen Politberichterstattungs-Theater verweigert. Als er neulich im ARD-„Presseclub“ eingeladen war, wo wieder mal mehr über irgendwelche Koalitionsoptionsspielereien nach der NRW-Wahl geredet wurde als über die Probleme des Landes, fiel er zum Schluss aus der Rolle und meinte sinngemäß, das sei eine Diskussion, die nur die Journalisten selbst interessiere, aber nichts mit den berechtigten Anliegen der Bürger zu tun hätte. Leider war da die Sendung schon zuende. Ich bin gespannt, ob Augstein noch mal eingeladen wird.

Nachdem mich sein dünnster Roman angefixt hat, wollte ich mir heute Thomas Pynchons „Vineland“ besorgen, der mich thematisch von seinen anderen Romanen am meisten anspricht. Nun sollte man denken, dass es in einer Großstadt wie Düsseldorf kein Problem sein sollte, ein noch lieferbares Buch eines recht bekannten Schriftstellers zu bekommen. Die Stadtbücherei hat ihn nur auf Englisch, was ich schon einigermaßen skurril finde. Mein Weg führte mich also durch mehrere große und kleine Buchhandlungen.

Während die großen gar keinen Pynchon haben (außer der Stern-Verlag, aber da brauchte ich nicht zu suchen, denn die hatten „Vineland“ vor ein paar Tagen nicht, als ich „Die Versteigerung…“ dort kaufte), findet sich in den kleineren, eher auf Literatur spezialisierten Läden zwar einiges von ihm, aber ausgerechnet der eine Roman, den ich suche, natürlich nirgends. Seinen letzten, auf Deutsch noch nicht erschienenen, hab ich hingegen gleich zwei Mal im US-Original-Hardcover gesehen. Am Skandalösten find ich aber echt, dass ein riesiger Laden wie die Mayer’sche gar nichts von ihm da hat. Der Thalia hier ist eh so unglaublich schlecht sortiert, dass ich mich wundere, wie die Marktführer in Deutschland werden konnten. Da gibt’s mehr Krimis als andere Belletristik, und anscheinend auch mehr Geschenkartikel und Schreibwaren als Bücher, wie heute der Mitarbeiter bei BiBaBuZe treffend meinte, bei dem ich „Vineland“ dann schließlich bestellt habe.

Toll ist bei Thalia auch die Comic“abteilung“. Die besteht aus einem Regalfach unter „Humor“. Frei nach dem Motto: Comic kommt von Komik, muss also lustig sein. Entsprechend finden sich dort nur die üblichen Verdächtigen wie Asterix, Disney und Garfield, und eine Riesenauswahl von „Tim und Struppi“ (2 Stück) und „Lucky Luke“ (3 Stück). Das genaue Gegenteil zu diesem Comicangebot (und den Bestseller- und Klassiker-Gesamtausgaben, die sich im Stern-Verlag reihen), habe ich heute in der Literatur-Buchhandlung im Heine-Haus auf der Bolker Straße entdeckt: Die haben fast nur Sachen von den progressiven Verlagen wie Reprodukt, Avant & Co., dazu noch Graphic Novels von größeren Verlagen, aber kein Asterix, kein Donald Duck, überhaupt keine Bestseller, eher alles, was mir weitgehend unverkäuflich erscheint (was durchaus als Qualitätskriterium zu verstehen ist). Eine leicht skurrile Warenpräsentationspolitik, aber eine recht sympathische (Am liebsten wäre mir natürlich, man würde sowohl gute mainstreamige als auch progressive Comics im gleichen Laden finden.). Also, falls ihr mal in Düsseldorf einen Kunschtcomic sucht, schaut in der Altstadt vorbei.