Archiv für Februar, 2012

Wer sagt eigentlich immer, im deutschen Kino seien gute Genrefilme nicht möglich? Nach dem gelungenen Mysterythriller „Die Tür“ mit Mads Mikkelsen und Jessica Schwarz habe ich nun schon zum zweiten Mal in wenigen Monaten einen relativ aktuellen überzeugenden Film aus unseren Landen ausgeliehen, der klar Genreregeln gehorcht: „Das letzte Schweigen“. Beide Filme sind im Kino irgendwie an mir vorbei gegangen. Und in beiden spielt witzigerweise ein dänischer Star eine Hauptrolle, hier ist es der neben Mikkelsen wahrscheinlich zweitbekannteste, Ulrich Thomsen (auch wenn es eigentlich eher eine größere Nebenrolle ist, aber er steht in den Credits an erster Stelle). Im Vergleich zu Mikkelsen spricht Thomsen etwas besser Deutsch und wurde deshalb nicht synchronisiert, wobei sein doch recht starker Akzent ganz einfach erklärt wird, indem seine Figur eben vor einigen Jahren aus Dänemark eingewandert ist.

Zu Beginn des Films werden wir Zeugen, wie sein Peer Sommer, ein unauffälliger Hausmeister, auf einem einsamen Feldweg ein 13-jähriges Mädchen überfällt, vergewaltigt und ungeplant erschlägt – unter den Augen seines einzigen Freundes Timo (Wotan Wilke Möhring), der seine pädophile Neigung teilt, sie aber besser im Griff hat. Timo verlässt daraufhin die Stadt, beginnt ein neues Leben mit Ehefrau und Kindern und hört 23 Jahre nichts mehr von Peer. Bis er eines Tages erfährt, dass nahe des alten Tatorts wieder ein Mädchen verschwunden ist. Die Nachricht reißt ihn aus seinem geordneten Alltag und lässt alte Dämonen wieder ausbrechen. Auch bei der Mutter der damals Getöteten (Katrin Saß) sowie dem gerade pensionierten Kommissar (Burghart Klaußner), der damals den Fall ungelöst zu den Akten legen musste, ist die Vergangenheit plötzlich wieder ganz nah.

Was wie ein konventioneller Krimi beginnt, entwickelt sich schon bald in die verschiedensten Richtungen auseinander. Der Schweizer Regisseur und Drehbuchautor Baran bo Odar interessiert sich nur am Rande für die Frage, wer den neuen Mord begangen hat, aber stark für die psychologischen Folgen, die die Tat auf eine ganze Gruppe unterschiedlicher Menschen hat: Hinterbliebene von damals und heute, ermittelnde Beamte und den Mittäter von früher. So wie Elena Lange im Grunde seit 23 Jahren in der Vergangenheit lebt, im Zimmer ihrer ermordeten Tochter seitdem nichts verändert hat, so wollen die Eltern der jetzt Verschwundenen (Karoline Eichhorn und Roland Wiesnekker) lange nicht wahrhaben, was doch offensichtlich ist. Während der alte Kommissar nie verwunden hat, dass er den Fall damals nicht aufklären konnte, trauert sein junger Kollege (Sebastian Blohmberg) selbst, um seine kürzlich verstorbene Frau. Er steigert sich fast krankhaft in den neuen Fall hinein. Und dann ist da noch Timo, der sein dunkles Geheimnis Jahrzehnte lang unter einer makellosen Oberfläche versteckt hat und nun in einen Sog innerer wie äußerer Bedrängnis gerät, dem er kaum mehr entkommen kann. Das Buch gibt jeder dieser Figuren seinen Raum, stellt ihre Nöte gleichberechtigt nebeneinander.

Dabei steht Odar ein hervorragendes Schauspielensemble zur Verfügung: Katrin Saß, die mit einem Blick, einem Blinzeln mehr ausdrücken kann als die meisten Hollywood-SchauspielerInnen, Klaußner, Eichhorn, Thomsen und vor allem Wotan Wilke Möhring, der sich hier als echter Charakterdarsteller beweist. Einen Pädophilen und Beinahe-Kinderschänder so menschlich-ambivalent zu verkörpern, wie es ihm gelingt, ist schon eine Glanzleistung. Dabei hilft natürlich ein schlaues Drehbuch, dass eben nicht mit Schwarzweißmalerei arbeitet, sondern auch einem Sexualtäter seine Menschlichkeit zugesteht. Das wird vielen Zuschauern nicht unbedingt gefallen, aber sein innerer Kampf bildet einen faszinierenden Kontrast zur Figur des eigentlichen Täters, der ganz mit sich im Reinen zu sein scheint. Wie lebt man mit einem Geheimnis, das man niemandem anvertrauen kann? Ist man ein schlechter Mensch, weil man eine Neigung hat, auch wenn man ihr nicht nachgeht? Auch das Ende hinterlässt bei Vielen sicher mehr als nur ein Unbehagen.

Obwohl der Film fast ausschließlich negative Gefühle thematisiert – Angst, Trauer, Verzweiflung -, wird er nie deprimierend. Denn zugleich steigert er die Spannung kontinuierlich, wenn sich die Schlinge um die beiden Täter von damals immer enger zusammenzuziehen scheint. Damit gelingt dem Film der hierzulande tatsächlich seltene Spagat, gleichermaßen als Thriller wie auch als subtiles psychologisches Drama zu funktionieren. Auch auf der Bildebene hebt er sich stark von üblicher Stangenware ab, wie man sie von deutschen Fernsehkrimis gewöhnt ist. Wogende Getreidefelder, bedrückende Panoramen, erschlagend-deprimierende Mietskasernen: Die Kamera arbeitet immer für die Leinwand, nicht für den Fernsehschirm. Am Ende bietet die Story zwar keine Hoffnung für ihre Figuren, aber der Film die Hoffnung, dass intelligentes Genrekino auch in Deutschland möglich ist – wenn auch ein Däne und ein Schweizer kräftig daran beteiligt waren.

Skandal! Kultkneipe hängt Plakate ab

Veröffentlicht: 19. Februar 2012 in Allgemeines
Schlagwörter:

Die Überschrift stellt eine Übung dar für den Fall, dass ich doch noch mal notgedrungen im Düsseldorfer Boulevardjournalismus aktiv werden muss. Bei der Kultkneipe handelt es sich um das alteingesessene Tigges in Bilk, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sich dort seit 20 Jahren nichts ändert (außer dass die Stammgäste älter werden). Eben fiel mir aber schon beim Reinkommen auf, dass irgendwas nicht stimmt. Als ich hinten im Gastraum ankam, merkte ich auch sofort, was das war: die altvertrauten Poster an den Wänden waren teilweise verschwunden, die Kreidetafeln leer gewischt. Keine anklagend guckenden Kinder (wobei ich nie verstanden habe, wo das Foto eigentlich aufgenommen wurde), kein von der türkischen Heimat träumender Gastarbeiter (als das Plakat entstand, nannte man die glaube ich wirklich noch so) mehr. Alle der Renovierung zum Opfer gefallen! Zumindest hängen in einer Ecke noch die halb zerrissene Marlene Dietrich (also das Poster ist zerrissen, nicht die Abgebildete), Che und die bunten Fassaden der Kiefernstraße. Trotzdem eine nicht gutzuheißende Maßnahme. Hat doch die Beständigkeit des Etablissements in meinem Bekannten- und Freundeskreis bereits weit über die Grenzen Düsseldorfs hinaus (ok, bis nach Wuppertal und Duisburg) Zuspruch und sogar Eingang ins Olsenblog gefunden. Oder wie ein Kumpel neulich meinte, er wäre seit 15 Jahren nicht mehr da drin gewesen, verändert habe sich aber nix.

Abschließend für alle, die immer noch bedauern, dass ich kaum noch dem Ego-Bloggen fröne, noch ein witziger Dialog zwischen bayerischen Karnevalstouristen und der Bedienung: „Habt ihr auch Alternativen zum Bier?“ – „Alt, Kölsch…“

Es hat etwas länger gedauert, aber nächste Woche ist es soweit: Die erste Print-Ausgabe meiner Zeitschrift für anspruchsvolle TV-Serien-Freunde erscheint. Ab 24. Februar wird das Heft für sechs Euro bundesweit im Bahnhofsbuchhandel und an den Flughäfen zu kaufen sein, in einigen Großstädten auch in ausgewählten anderen Buchhandlungen. Ein Einzelheft kann außerdem hier bestellt werden (innerhalb Deutschlands versandkostenfrei), ein Abo ist hier möglich.

In der Nr. 1 gibt es u.a. folgende Themen (neben dem Titelthema “Mad Men”):

Serienschöpfer Paul Abbott erzählt von der Arbeit an der US-Version seiner Serie „Shameless“. Wir widmen uns dem neuen britischen Serienboom und der Frage, was “Doctor Who” damit zu tun hat. Im Porträt stellen wir die Arbeit von Drehbuchautor Aaron Sorkin von Fernsehserien wie “The West Wing” bis zum oscarprämierten Kinofilm “The Social Network” vor. Mit “Homeland” und “Hell on Wheels” behandeln wir einige der interessantesten Neustarts der US-Saison. Und außerdem geht es noch um “Game of Thrones”, “Space: 2063”, “Homicide”, “Misfits”, Dominik Grafs “Der Fahnder” u.v.m.

Routinierter Verbrechensarbeiter: Misel Maticevic in "Im Schatten"; Foto: 3sat

Ich hab’s ja wirklich versucht. Hab den Filmemachern der so genannten Berliner Schule oft genug eine Chance gegeben. Mich meistens ziemlich gelangweilt, wenn auch teilweise auf hohem Niveau. Ein paar wenige Filme haben mir dann sogar ziemlich gut gefallen: Christian Petzolds „Toter Mann“, Christoph Hochhäuslers „Unter dir die Stadt“ erst letztes Jahr im Kino. Aber auf jeden Film, den ich gut fand, folgten gleich wieder mindestens zwei, die mir nichts sagten. Petzolds „Dreileben“-Beitrag war so ziemlich der langweiligste und uninteressanteste Fernsehfilm, den ich in letzter Zeit gesehen habe, seinen „Jericho“ habe ich nach 20 Minuten abgeschaltet, Maren Ades gefeierter „Alle Anderen“ war fast schon peinlich in seiner Mittelschichts-Selbstbespiegelung (Motto: Wir haben keine Probleme, deshalb machen wir uns welche.).

Auf den 3sat-Abend mit gleich drei Filmen aus diesem Umfeld gestern hatte ich mich echt gefreut. Über Thomas Arslans „Im Schatten“ hatte ich nur Gutes gehört (obwohl der Film außerhalb Berlins vermutlich nirgends regulär im Kino lief) und den Anfang auch schon mal gesehen, Angela Schanelecs „Orly“ wurde ja von Kritikern fast noch höher in den Himmel gelobt. Ich frage mich, warum bzw. was diese Stilübung nun von Hunderten anderer Studenten-, Low Budget- und TV-Filmen unterscheiden soll. Ich habe jedenfalls nach einer halben Stunde aufgegeben, nachdem sich abzeichnete, dass wohl auch in der restlichen Stunde nicht mehr passieren würde, als dass Menschen in einer Flughafenhalle miteinander sprechen, wobei diese Gespräche mal mehr, meist aber eher weniger interessant zu verfolgen sind.

An „Im Schatten“ gefielen mir der Stilwille, teilweise die Bilder und Farben (minutenlange Einstellung auf eine belebte Berliner Straßenkreuzung im Regen während der Anfangscredits, nächtlicher Blick aus der Windschutzscheibe auf die Landstraße, knallrotes Auto in der Waschstraße etc.) und natürlich der Mut zum Genre. Der Vergleich auf tittelbach.tv mit den frühen Wenders- und den Kriminalfilmen von Melville trifft es schon recht gut, wobei ich erstere meist toll, letztere meist langweilig fand (den „Eiskalten Engel“ mal ausgenommen): Auch bei Arslan passiert nicht viel, und wenn, dann völlig unvermittelt und als quasi natürliches Ereignis, ob nun jemand erschossen wird oder sich nur einen Milchkaffee bestellt. Es wird gar nicht erst versucht, (künstlich) Spannung zu erzeugen. Noch weniger wird allerdings versucht, irgendetwas psychologisch zu erklären, die Charaktere werden nicht einmal angedeutet, bleiben im Grunde Chiffren, austauschbar, damit aber leider auch für den Zuschauer unzugänglich, was das Geschehen wiederum belanglos erscheinen lässt. Warum soll mich interessieren, ob der von Misel Maticevic gespielte Gangster seinen Häschern entkommt oder nicht, wenn ich nichts über ihn erfahre, außer dass er eben ein Gangster ist (der seinem Beruf mit der gleichen Routine und Gelassenheit nachgeht wie etwa ein Buchhalter oder Verkäufer)?

Immerhin war „Im Schatten“ noch wesentlich unhaltsamer anzusehen als der danach gelaufene zweite Arslan-Film des Abends „Ferien“, den ich nicht einmal 20 Minuten durchgehalten habe. Den Blick der Protagonistin auf einen Ameisenhaufen zu teilen, dazu ist mir selbst ein Fernsehabend dann doch zu kostbar. Das Problem, dass ich mit der Berliner Schule habe, ist einfach, dass es in den meisten Fällen ungefähr aufs Gleiche hinausläuft, 90 Minuten aus dem Fenster zu gucken, mit dem Unterschied, dass ich dabei wenigstens noch echten Menschen in ihrem Alltag zugucke. Zumindest arbeitet Arslan noch mit nicht nur professionellen, sondern teils auch richtig guten Schauspielern wie Karoline Eichhorn, Angela Winkler oder eben Maticevic. Richtig schlimm wird’s dann bei solchen Filmen seiner „Schulkameraden“ wie „Sehnsucht“, wo Laiendarsteller schlecht improvisierte Dialoge von sich geben, und die Handkamera dazu ziellos hin und her wankt, als hätte Faßbinder in betrunkenem Zustand Regie geführt.

Ich mag ja deutsche Filme wirklich (und kann dieses ständige Bashing, wie schlecht doch der deutsche Film im internationalen Vergleich sei, auch nicht nachvollziehen; der Künstler gilt halt selten was im eigenen Land). Aber diese Stilrichtung ist halt doch so was von „typisch deutsch“, dass es mich meist einfach nur nervt. Die Dänen z.B. schaffen es ja spätestens seit Dogma ’95 kontinuierlich, mit ganz ähnlichen Mitteln Filme abzuliefern, die mindestens genauso realitätsnah sind, aber gleichzeitig eben auch unterhaltsam, und die, obwohl sie meistens ebenfalls auf Überwältigungsstrategien verzichten, trotzdem eine hohe emotionale Involviertheit der Zuschauer erreichen (während die Werke der Berliner Filmemacher wahrscheinlich den meisten Kinogängern einfach am Arsch vorbei gehen, selbst denen, die sie sich angucken).

Ich will ja nicht schon wieder mit Meister Graf ankommen, aber man schaue sich nur mal die drei „Dreileben“-Filme hintereinander an, da sticht sein Erzähl- und Inszenierungsstil ja so was von meilenweit hervor, dass „offensichtlich“ dafür schon eine Untertreibung ist. Wahrscheinlich werden die Filme der Berliner nur deswegen ständig auf Festivals eingeladen, weil sie eben „Friends of Dieter“ sind, wie neulich jemand im Radio meinte. Dieses Jahr läuft auf der Berlinale ja schon wieder ein neuer Petzold. Gute Nacht.

Heute mal ganz old school zwei Print-Lesetipps: In der aktuellen „brand eins“ findet sich zum einen eine sehr gute Reportage über die Frage, warum der erfolgreiche Popjournalist Marc Fischer Suizid beging. Darin geht es u.a. um die TEMPO-Jahre, erfundene Figuren in Artikeln und die Einsamkeit des „Kriegsberichterstatters“  inmitten der hippen Berliner Kulturszene. Schönes Zitat (sinngemäß): „Wer sich um Frau und Kinder kümmert, bleibt in Nürnberg wohnen, die anderen gehen nach Berlin.“

Zum anderen gibt es noch einen recht aufschlussreichen Artikel über IKEA, sein Erfolgsrezept und die Schattenseiten seines Geschäftsmodells. Hat mir sehr aus der Seele gesprochen, nachdem ich neulich beim Versuch, ein Regal auszusuchen, sehr genervt war. Ich glaube auch immer mehr, dass das Geschäftsmodell im Grunde auf Blendung des Kunden basiert – Marketing 1, Service 5. Oder wie es der Artikel in Anspielung auf die Hotline formuliert: „Fluchst du noch oder telefonierst du schon?“. Außerdem möchte ich nicht während meines Einkaufs von Lautsprecherdurchsagen und Hinweisschildern permanent in vertraulichem Ton dazu aufgefordert werden, doch bitteschön mitzuarbeiten („Mach dir Notizen!“, „Miss deinen Stoff selbst ab!“ etc.). Aber die Köttbullar sind lecker, das muss ich zugeben…

P.S.: Wem 7,60 Euro für die Zeitschrift wie mir auch zu teuer sind und wer dann kein hippes Szenecafé in der Nähe hat, das sie ausliegen hat, kann die Texte ab Erscheinen der nächsten Ausgabe dann auch online lesen.

Im aktuellen „Fandom Observer“ (einem traditionsreichen SF-Fanzine) findet sich eine hoch interessante Titelgeschichte über Buchblogger, negative Rezensionen und darüber, wie Autoren und Verleger mit diesen umgehen. Ich muss den Kommentatoren im FO-Blog Recht geben: Der Artikel ist tatsächlich hervorragend recherchiert und könnte im Grunde auch im „Spiegel“ stehen. Anlass waren unfassbare Vorwürfe eines Buchautors und seiner Verlegerin, die einer Bloggerin nach einem Verriss  in den Kommentaren mit rechtlichen Schritten drohten. Was es nicht alles gibt…

In der Familie der beiden erwachsenen Brüder Michael und Jannik sind die Rollen klar verteilt: Michael ist der verantwortungsbewusste Familienvater und vernünftige Soldat, der jüngere Jannik hingegen das schwarze Schaf, das nichts auf die Reihe bekommt, weder einen Job noch eine Beziehung, und auf den nie Verlass ist. Alles ändert sich, als Michael zu einem Einsatz in Afghanistan aufbricht und dort sein Hubschrauber abgeschossen wird. Auch wenn der Vater Jannik nach der Trauerfeier verbittert entgegenschleudert, er habe nun keinen Sohn mehr, wächst dieser schrittweise in die Rolle des Ersatz-Familienoberhauptes hinein, baut plötzlich Einbauküchen zusammen, spielt mit den beiden Nichten – und entwickelt eine gefährliche Nähe zu seiner Schwägerin Sarah. Gefährlich deshalb, weil irgendwann der Anruf kommt, dass Michael gar nicht tot ist, sondern nur in Kriegsgefangenschaft geraten war. Als er schließlich zu seiner Familie zurückkehrt, ist nichts mehr wie vor seiner Abreise – auch, weil sein Gewissen mit einer unfassbaren Tat belastet ist.

Vor „Brodre“ (ich habe leider diesen dänischen Strich durchs o nicht parat, weigere mich aber, bei einem dänischen Film den deutschen Verleihtitel „Brothers“ zu verwenden) drehte Susanne Bier den schon sehr guten „Open Hearts“, danach den noch besseren „Nach der Hochzeit“. Mit diesem Film hat sie sich allerdings selbst übertroffen. Statt einer Kriegsgeschichte erzählt sie ein packendes Familiendrama, das doch weit über das rein Private hinausweist. Vielmehr zeigt sie auf, was Erlebnisse im Krieg aus denen machen (können), die lebend aus ihm zurückkehren, äußerlich unversehrt, aber innerlich zerbrochen, weil sie Schlimmeres erlebt haben, als man selbst dem Menschen erzählen könnte, den man mehr liebt als alle anderen.

In den Hauptrollen hatte sie gleich hervorragende SchauspielerInnen zur Verfügung: Ulrich Thomsen (neben Mads Mikkelsen wohl der größte internationale Star Dänemarks) ist brillant als anfangs berufsoptimistischer Soldat, der in einer existenziellen Situation zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankt und schließlich völlig die Kontrolle über sich selbst verliert. Nikolaj Lie Kaas zeigt hier ebenfalls, dass er weit mehr kann als „nur“ Grimassen schneiden wie in „Idioten“, und zudem unheimlich wandlungsfähig ist, wenn man diese Performance mit seinen Komödien vergleicht. Und Connie Nielsen, die zwar aus Dänemark stammt, vor diesem Film aber zwar amerikanische, französische und italienische Filme drehte, jedoch keinen dänischen, hat eine Präsenz, wie man sie nur ganz selten sieht, eine Ausstrahlung, mit der sie auch locker einen ganzen Film alleine tragen könnte. (In dem etwa zur gleichen Zeit entstandenen „Demonlover“ erinnerte sie mich stark an die Frauen in Truffaut-Filmen: Fanny Ardant, Jeanne Moreau.)

Zudem haben Bier und ihr Stamm-Drehbuchautor Anders Thomas Jensen („Mifune“, „Adams Äpfel“ und auch sonst fast alles, was in den letzten 15 Jahren in Dänemark gut und erfolgreich war) diesmal alles richtig gemacht: Die Geschichte findet genau die richtige Balance zwischen individuellem Geschehen und universeller Gültigkeit, driftet nie ins Kitschige oder Pathetische ab, und Buch und Inszenierung treffen an so gut wie jeder Stelle die richtige Entscheidung. Klar gibt es auch mal etwas nackte Haut zu sehen, aber dem nahe liegenden Impuls, gleich eine wilde Sexszene folgen zu lassen, geben die beiden Filmemacher nicht nach. Ob sich zwischen Schwager und Schwägerin wirklich mehr abspielt als eine emotionale Verbundenheit, bleibt der Phantasie der Zuschauer überlassen, ebenso wie die Antwort auf die Frage, wie die Dreiecksbeziehung nach Ende des Films weitergehen mag.

Umso erstaunlicher, dass Bier mit demselben Autor – und wiederum Thomsen in einer Hauptrolle – auch den unsäglichen letztjährigen „In einer besseren Welt“ zu verantworten hatte, der nicht nur langweilig, sondern in seiner Arthouse-Verlogenheit auch teilweise richtig ärgerlich war. So sicher, wie sie in „Brodre“ immer den richtigen Ton trafen, lagen sie dort immer eine Oktave daneben. Bezeichnend ist natürlich, dass ausgerechnet ihr bisher letzter Film dann den Auslands-Oscar bekommen hat, obwohl mindestens drei ihrer früheren es so unendlich mehr verdient gehabt hätten. Ach ja, und Natalie Portman und Jake Gyllenhall mögen ja gute Schauspieler sein, wieso ich mir allerdings das US-Remake dieses fast perfekten Films angucken sollte, weiß ich allerdings wirklich nicht.