Es gab hier ja schon lange keine Beiträge mehr über meine Probleme mit der ARGE, mittlerweile als Jobcenter reinkarniert. Das lag vor allem daran, dass ich mich Anfang des Jahres mit einem Zeitschriftenprojekt selbständig gemacht und deshalb genug zu tun hatte. Der Brief, der mir diese Woche vom Amt ins Haus flatterte, und die dahinter stehenden Vorschriften sind allerdings so absurd, dass ich mich frage, ob ich den Verstand verloren habe oder wie sonst zu erklären ist, dass diese nicht längst vom Bundesverfassungsgericht für ungültig erklärt worden sind. Knapp acht Monate nach Ende des entsprechenden Bewilligungszeitraums ist dem JC nämlich eingefallen, dass das betriebliche Darlehen, dass ich mir in der Familie geliehen habe, um die Betriebskosten in den ersten Monaten aufzubringen (hauptsächlich die nicht unbeträchtlichen Druck- und Vertriebskosten der ersten Zeitschriftenausgabe) in voller Höhe als Betriebseinnahme gilt – und damit auf das weiter laufende Alg II angerechnet werden soll.
Da denkt man ja mit seinem gesunden Menschenverstand erst mal, kann nicht sein, ein offensichtlicher Fehler des Sachbearbeiters, vielleicht auch Gängelei, nach dem Motto: Wir versuchen mal, ob da was zu holen ist oder ob er’s merkt. Ein bisschen Googeln bringt aber die Erkenntnis, dass die Formulierung des JC zwar falsch ist, sich das rechnerische Ergebnis in Form einer saftigen Rückzahlungsforderung aber mit den Vorschriften konform zu gehen scheint. Im Juli 2011 wurde nämlich die Alg II-VO dahingehend geändert, dass jegliche Ausgaben, die mit einem betrieblich bedingten Darlehen bezahlt werden – vorher galt das anscheinend nur für solche, die man von der ARGE selbst gewährt bekommen hatte – nicht mehr als Betriebsausgaben abgesetzt werden können (das können lediglich noch die Tilgungsraten für das Darlehen). Wenn ich mir also 5000 Euro leihe, um die Startinvestitionen oder die Betriebskosten in der Anlaufphase der Selbständigkeit zu bestreiten, zählen diese Ausgaben nicht mehr als Betriebsausgaben – und erhöhen dementsprechend den (fiktiven) Gewinn um die gleiche Summe. Auch wenn ich in Wirklichkeit null Euro Gewinn erzielt habe, rechnet das JC also so, als hätte ich 5000 Euro erzielt. Und rechnet mir diese Summe auf meine laufenden Alg II-Bezüge an. Ich habe nun also die Wahl, ob ich sechs Monate hungere und meine Miete nicht mehr zahle oder ob ich das betriebliche Darlehen dazu verwende, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, was zur Folge hat, dass ich die Anfangsinvestitionen gar nicht zahlen kann bzw. schon insolvent bin, bevor ich das Unternehmen überhaupt gestartet habe. Denn ich kann ja das gleiche Geld nicht zwei Mal ausgeben. Das alles wohl gemerkt bei einer vom JC geförderten Unternehmensgründung.
Abgesehen davon, dass ein Darlehen schon rein logisch nie eine Betriebseinnahme sein kann, da es ja früher oder später zurückgezahlt werden muss, widerspricht dieses Vorgehen jeder betriebswirtschaftlichen Rechnung. Wieso sollten betriebliche Investitionen plötzlich den Gewinn nicht mehr verringern, nur weil sie mit geliehenem Geld finanziert worden sind? Alle Steuer- und Handelsgesetze der Welt ermitteln den Gewinn wohl nach der Formel „Betriebseinnahmen – Betriebsausgaben = Gewinn“, nur das SGB II nicht. Denn das hat bekanntlich mit Logik nichts zu tun, und wie wir jetzt wissen, auch nichts mit Mathematik.
Bezeichnend ist, dass für diese absurde Regelung wohl nicht einmal der Bundestag zustimmen musste, denn eine Verordnung wird ja vom Ministerium im Alleingang erlassen. Was nutzt es da, wenn das Bundessozialgricht festgestellt hat, dass betriebliche Darlehen nicht als Betriebseinnahmen angerechnet werden dürfen, wenn gleichzeitig die daraus getätigten Betriebsausgaben auch nicht zählen, was rechnerisch ja aufs selbe rauskommt? Vor der Existenzgründung erzählt einem sowas natürlich niemand, da sich sonst wahrscheinlich kein (Langzeit-)Arbeitsloser mehr selbständig machen würde. Und das wäre ja wieder schlecht für die Statistik. Ehrlicher wäre da doch, wenn einem die „Berater“ beim JC von Anfang an sagen würden, dass es nicht möglich ist, sich aus Alg II heraus selbständig zu machen (es sei denn mit einem Geschäftsmodell, bei dem es keinerlei Anfangskosten gibt, oder wo man gleich vom ersten Monat an Gewinne schreibt; solche dürften aber nicht allzu häufig existieren).
Seltsamerweise habe ich über diese offensichtlich skandalöse Vorschrift noch nie etwas in den Medien gehört, selbst im vom mir seit zwei Jahren abonnierten „Freitag“ nicht, der ja meist konträre Ansichten zum politischen Meinungsmainstream vertritt. Jetzt kann man natürlich immer noch argumentieren, dass es den Arbeitslosen in Ländern wie Russland oder Griechenland noch schlechter ginge, weil man da eben gar keinen dauerhaften Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hat und eben nach ein paar Monaten ohne Job wieder zu seinen Eltern ziehen muss, um sich von denen durchfüttern zu lassen. Ein wirtschaftlich reiches Land wie Deutschland muss sich meiner Meinung nach aber schon fragen lassen, ob es sich solche Vorbilder suchen will oder ob es damit nicht seine grundgesetzlich verankerte Definition als Sozialstaat längst aufgegeben hat.