Archiv für Mai, 2011

Nicht der RS, trotz Dylan auf dem Cover: Spex Mai/Juni 2011; Abb.: piranha media GmbH

Viele sagen ja, seit ihrem Umzug nach Berlin und dem Quasi-Rauswurf der alten Redaktion könne man die „Spex“ nicht mehr lesen. Ich sehe das eher umgekehrt: Wann immer ich früher in einem Café oder bei einem Freund in dem Heft geblättert oder mal einen Artikel gelesen habe, kannte ich keine der gefeatureten Bands, fand die Themen uninteressant und die Texte unleserlich. In letzter Zeit ist mit am Zeitschriftenregal schon mehrmals aufgefallen, dass mich die Themen mehr ansprechen. Nachdem ich mir neulich nun zum ersten Mal eine Ausgabe gekauft habe, muss ich sagen: Ich bin begeistert.

Von den vorgestellten Bands kenne ich zwar immer noch die meisten nicht (außer Duran Duran natürlich), aber die sonstige Themenmischung ist hoch interessant und die Texte größtenteils hervorragend geschrieben und angenehm tiefgründig: Klaus Theweleit über 60 Jahre Cahiers du Cinéma und die Nouvelle Vague, ein amerikanischer Filmkritiker über die Berliner Schule, das neue Dreiherfilmprojekt von Graf, Petzold und Hochhäusler, israelische Nazi-Porno-Romane, Mode & Politikerinnen, deutsche Musiker auf Truppenbesuch in Afghanistan, warum es keine Protestsongs mehr gibt, die Auswirkungen von AIDS auf Pornos usw. Die nehmen Popkultur wirklich in ihrer ganzen Bandbreite wahr und ernst. Der Schreibstil ist meistens  trotz aller theoretischen Tiefe angenehm lesbar. Was für ein Unterschied zu dem pseudosoziologischen Geschwurbel in der „Intro“! Selbst die Kritiken sind abwechslungsreich und teils witzig. Klaus Walter, einer meiner Lieblings-Musikjournalisten, darf auch schreiben (ist wohl von der „Intro“ rüber gewechselt?). Das Layout ist originell, aber nicht aufdringlich.

Das Schönste ist, dass man nebenbei noch Nachhilfe in Musikgeschichte bekommt und dazu ermuntert wird, mal im Netz nach vergessenen Perlen der Popmusik zu suchen. Selbst die CD ist das beste, was ich seit langem als Beilage in einer Musikzeitschrift gehört habe. Ist die „Spex“  jetzt immer so gut oder liegt’s diesmal an den Themen? Wenn’s so weiter geht, werd ich dem „Rolling Stone“ endgültig untreu.

Lesetipp: Dominik Graf im Interview

Veröffentlicht: 29. Mai 2011 in Film, Lesetipp, TV
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Today, it seems that as a result of the Wende fear has returned to Germany—the distress, the silence; all of a sudden, people once more refuse to look each other in the eye lest the other might beat you up if you look at him for too long. In other words, there is a desire to be left alone, so the blinds go down again.

Dominik Graf in einem großartigen, sehr ausführlichen Interview mit dem australischen Online-Filmmagazin „Senses of Cinema“.  (via) Es geht u.a. um die (Un-)Möglichkeit, Polizeifilme in Deutschland zu machen, die Konditionierung des Publikums durch das deutsche Fernsehen und Sprachlosigkeit im Neoliberalismus.

Ohne Kommentar.

„Was machen wir auf Twitter?“ – „Wir twittern.“ (Dialog zwischen Moderator und Mitarbeiter beim TV-Festival in Köln.

„Wenn die Parkausflügler dann die Schwäne füttern, und die Allerblödsten es gleich weitertwittern, …“ (Christiane Rösinger, „Berlin“)

Hab gestern in Köln die erste Folge von „Sherlock“ auf der großen Leinwand gesehen. Fing rasant an und ließ dann stark nach. Der Showdown dauerte gefühlte 30 Minuten und ich dachte währenddessen die ganze Zeit, die 90 Minuten Filmdauer müssten doch längst vorbei sein. Hinter uns brachen die Hardcore-Fans der Sherlock Holmes-Gesellschaft, die teilweise schon in passenden T-Shirts ins Kino gekommen waren, bei jedem zweiten Dialog in Gelächter oder Begeisterungsstürme aus.  Und mir wurde mal wieder bewusst, dass ich mit Krimis im Allgemeinen nichts anfangen kann. Dafür den BAFTA als beste Dramaserie? Den hätten „Misfits“ oder „This is England ’86“ aber deutlich eher verdient. Im Juli läuft „Sherlock“ dann übrigens im Ersten. Sonntags nach dem „Tatort“. Verglichen mit dem ist die Serie zumindest stilistisch weit überlegen.

Absurd: Programmplanung à la ZDF

Veröffentlicht: 26. Mai 2011 in TV
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Da zeigt sich aber schon, dass die Publikumsstruktur des ZDF uns nur sehr mainstreamige Produktionen erlaubt. Und eine geeignete Serie zu finden, die ins ZDF-Hauptprogramm passt – am Besten gleich zwei für einen Serien-Abend, das ist schon eine strategische Herausforderung, die nicht kurzfristig lösbar ist.

… sagt ein ZDF-Einkäufer im DWDL-Interview zum Thema US-Serien. Seit den „Sopranos“ vor elf Jahren habe es demnach im ZDF-Hauptprogramm keine solchen mehr gegeben. Die beiden zitierten Sätze zeigen im Grunde schon die ganze Absurdität von dessen Programmpolitik. Das Publikum ist halt alt und konservativ, da kann man denen keine amerikanischen Serien zumuten, weil die sonst abschalten. So kann man vielleicht noch als Privatsender argumentieren, aber ich dachte immer, das ZDF hätte den gesetzlichen Auftrag, Programm für alle Bevölkerungsgruppen zu machen. Gehören da jetzt die jüngeren, USA-affinen Menschen schon nicht mehr dazu? Und wenn das so ist, dürfen die dann ihren GEZ-Anteil, der ans ZDF geht, in Zukunft behalten?

Wenn es schon als schwer zu lösende strategische Herausforderung betrachtet wird, eine oder zwei gute US-Serien zu finden, macht da irgendwer seinen Job nicht richtig. Ich könnte da auf Anhieb mindestens zehn nennen (die ja teilweise auch bei neo laufen, mangels Verbreitung und Bekanntheit allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit). Ich versteh auch die wirtschaftliche Logik dahinter nicht: Es ist doch viel teurer, Serien selbst zu produzieren als Lizenzen einzukaufen? Als nächsten Senderclaim schlage ich fürs ZDF vor: „Mit Ihren Dritten sehen Sie bei uns besser.“

.. der Hedonismus lässt sich in diesem Fall gut mit der Jobsuche vereinbaren. … Ich bin auf Facebook aktiv, ich treffe mich mit Leuten, ich saufe auch mit Leuten. Das ist ja im Kulturbereich viel effektiver als Bewerbungen zu schreiben, das weiß meine Arbeitsvermittlerin auch.

Heiko Gogolin, Ex-Chefredakteur des gerade eingestellten Spielemagazins GEE in einem höchst interessanten Interview (Arbeitssuche und Hedonismus? Irgendwas mache ich wohl falsch.)

Nein, es ist kein Aprilscherz: Der deutsche Disney-Hausverlag Ehapa plant für August ein Männermagazin mit Donald Duck. Motto: Männer, Mode, Motoren, Medien und Möpse… äh, Mäuse meinte ich natürlich. Denn nackte Brüste sind natürlich in einem Disney-lizenzierten Titel tabu. Ansonsten wirkt das Konzept auf den ersten Blick aber tatsächlich wie eine Mischung aus herkömmlichem Lifestyle-Magazin für Männer à la Maxim, FHM etc. und einem Disney-Comic. In den Niederlanden sind bereits vier Ausgaben erschienen, in die man hier mal reinblättern kann. Ach ja, und Kochrezepte soll es auch geben, u.a. zur Zubereitung von … Enten. Für die Herbstausgabe schlage ich schon mal die Überschrift vor: „So lecker schmeckt (Gustav) Gans“.

Immer wenn man denkt, es gäbe schon jedes Konzept im Zeitschriftenregal, wird man von irgendwas überrascht.

Frage der Woche

Veröffentlicht: 19. Mai 2011 in TV
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„Wir haben hier zwei Hauptbücher: ein echtes und ein gefälschtes, und ein wunderbares Käseschwein. Was von den dreien sollen wir nun ins Feuer werfen?“

(Benjamin Hornes verrückter Bruder in „Twin Peaks“, diese Woche auf arte)

„Türkisch für Anfänger“ kommt ins Kino

Veröffentlicht: 19. Mai 2011 in Film, TV
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Anfang April fiel in Thailand die erste Klappe für TÜRKISCH FÜR ANFÄNGER. Mit seinem Regiedebüt erzählt der mehrfach preisgekrönte Drehbuchautor Bora Dagtekin … die Geschichte der deutsch-türkischen Multikulti-Familie „Schneider-Öztürk“ neu fürs Kino. (Pressemitteilung Constantin Film)

Also, ich weiß nicht, ob’s das jetzt unbedingt gebraucht hat. Ich mochte die Serie wirklich, vor allem die ersten beiden Staffeln (die letzte war mir dann schon zu soap-mäßig), aber sie war doch abgeschlossen und in sich rund. Muss man das jetzt unbedingt noch mal ins Kino bringen? Wobei das laut Pressemitteilung wohl tatsächlich keine Fortsetzung, sondern eine Neuerzählung in anderem Setting (Südostasienurlaub) mit den gleichen Schauspielern ist (auf Englisch würde man sagen: ein Reboot). Klingt irgendwie schräg. Mehr dann nächstes Jahr in einem deutschen Lichtspielhaus in Ihrer Nähe. (Worauf ich mich wirklich freue, ist der „Skins“-Kinofilm, aber der läuft wahrscheinlich gar nicht bei uns, und wenn, dann nur synchronisiert.)

Ich weiß echt nicht, was alle immer mit den 70er Jahre-Fernsehkrimis des Exil-Tschechen Brynych haben. Größtenteils finde ich die zwei Folgen, in die ich jetzt mal reingeguckt habe, genauso behäbig und schauspielerisch hölzern, wie ich die ZDF-Freitagskrimiserien insgesamt in Erinnerung hatte. Die große Ausnahme: Klaus Löwitsch, der in Brynychs „Der Alte“-Folge „Sportpalast-Walzer“ einen daueralkoholisierten Kneipenwirt gibt, der vor Jahren seine Ehefrau zum Krüppel gefahren hat, sie jetzt mit einer Kellnerin betrügt und nach einem Streit denkt, sie ermordet zu haben, ohne sich aber daran erinnern zu können, dank eines Filmrisses. Löwitsch spielt alle Anderen in dieser Folge komplett an die Wand. Gesehen hatte ich von ihm wohl schon mindestens fünfzehn Jahre nichts mehr.

Damals, in den späten 80ern und frühen 90ern war er ja einer der großen Stars der deutschen TV-Krimiserien (nachdem er in den 70ern schon zu Fassbinders Stammensemble gehört hatte, u.a. in „Welt am Draht“, einem VR-Thriller, lange bevor es den Begriff Virtuelle Realität überhaupt gab): zuerst immer mal wieder in Gastrollen in „Tatort“, „Der Alte“, „Derrick“ & Co., ab 1985 dann als Hauptfigur in „Detektivbüro Roth“, „Der Hafendetektiv“ und natürlich, in seiner vielleicht bekanntesten Rolle, als „Peter Strohm“. Hin und wieder, eher selten, bekam er auch noch mal eine Rolle in einem Kinofilm, so etwa als Titelfigur in „Kaminsky – Ein Bulle sieht rot„, einem deutschen Film Noir, den ich vor Urzeiten mal im Fernsehen gesehen und als ziemlich beeindruckend in Erinnerung habe (ist natürlich nie auf DVD erschienen). Zunehmend frustriert von den mangelnden und ewig gleichen Rollenangeboten starb er Anfang des neuen Jahrhunderts.

1982 war er für eine Folge Hauptfigur des hr-„Tatorts“. „So ein Tag…“ heißt der Film von Jürgen Roland, in dem Löwitsch nicht etwa den Kommissar spielt, sondern einen Streifenpolizisten, Hauptmeister Rolfs, eine Art Schimanski in Uniform. Die Folge fängt viel versprechend an, mit einer dokumentarischen Szenenfolge aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel. Dazu erzählt eine Stimme von dem gewaltdurchsetzten Milieu dort und dem verlorenen Posten, auf dem die örtlichen Polizisten stehen – typischer Roland-Stil also. Der ganze Film legt dann auch mehr Wert auf eine realistische Schilderung des Arbeitsalltags der Polizisten der Frankfurter Bahnhofswache als auf die Schilderung des Kriminalfalles, der sich vor diesem Hintergrund abspielt: der tägliche Frust, die kleinen Freuden, der ruppige, aber teilweise fast liebevolle Umgang mit ihrer Klientel wie Kleinganoven und Prostituierten. Rolfs ist seit mehr als 25 Jahren auf der Wache, ein Cop alten Schlages, der mitansehen muss, wie um ihn herum alles den Bach runter geht, und der trotzdem keinen anderen Posten haben will. Er liefert sich eine Art Privatkrieg mit einem reichen Bordellbetreiber, der seine Hände in allerlei kriminellen Machenschaften hat, die ihm aber natürlich niemand nachweisen kann. Die kleinen Ganoven sperrt man ein, die großen Fische kommen ungeschoren davon.

Leider kann dieser Film die hohen Erwartungen, die sein Anfang erzeugt, nicht vollends einlösen. So, wie die Geschichte des „Tatort“ ja im Grunde insgesamt eine Geschichte des Scheiterns ist, der uneingelösten Versprechen, der halbherzigen oder nie wiederholten Experimente, der einzelnen Highlights in einem Mainstream der Mittelmäßigkeit. Die immer wieder großartige Figuren hervorbrachte wie Schimanski, die sich dann meistens in unausgegorenen bis langweiligen Drehbüchern wiederfanden. Um ab und zu dann mal ein gutes abzubekommen. Auch ließ man immer mal wieder einen interessanten Regisseur wie Samuel Fuller oder Dominik Graf einen Fall inszenieren oder einen guten Autor wie Bodo Kirchhoff eine Folge schreiben, aber danach folgten dann immer wieder Dutzende von 08/15-Filmen. Und so fragt man sich dann auch am Ende von „So ein Tag…“, warum man Hauptmeister Rolfs, diesen modernen Robin Hood, nicht zur Serienfigur gemacht hat. Vielleicht, weil man kurz vorher schon Schimanski erfunden hatte, der ihm von der Attitüde und seinem Gerechtigkeitssinn her sehr ähnlich ist. Dafür bringt Löwitsch in seine Figur eine lakonische Abgeklärtheit  ein, die Schimi nie gehabt hat.

„He’s a Man“, sang Mandy Winter im Titelsong über den Helden Peter Strohm. Man kann das auch über Löwitsch so stehen lassen und noch hinzufügen „He was an actor!“, und was für einer. Wenn es im deutschen Kino der 80er/90er den Genrefilm gegeben hätte, wäre er einer seiner größten Stars gewesen (warum spielte er nie in Grafs Filmen mit?). Demnächst muss ich mir „Space Pirates“ besorgen, eine italienische Science Fiction-Version der „Schatzinsel“ (!), in der er neben Ernest Borgnine und Anthony Quinn eine Hauptrolle spielt (!!).