Archiv für März, 2013

In Anlehnung an Wolfgang Doebelings Aktion (der sicherlich mindestens 100 Mal so viele Platten kennt wie ich) habe ich mir mal Gedanken über meine Lieblings-LPs pro Jahrgang gemacht. Da ich vor 1963 kaum Platten kenne und in den 80ern sicher auch nicht eine pro Jahrgang (oder zumindest nicht eine gute 😉 ), beschränke ich mich zunächst einmal auf die goldenen Jahre der Rock- und Popmusik.

1963 The Freewheelin‘ Bob Dylan

1964 The Times they are a-changin‘ – Bob Dylan

1965 Rubber Soul – The Beatles

1966 The Velvet Underground & Nico

1967 Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band – The Beatles (Follow-Up: The Songs of Leonard Cohen)

1968 Beggars Banquet – The Rolling Stones

1969 Abbey Road – The Beatles

1970 John Lennon/Plastic Ono Band

1971 Who’s Next – The Who

1972 Neu!

1973 Selling England by the Pound – Genesis

1974 The Lamb Lies Down on Broadway – Genesis

1975 Blood on the Tracks – Bob Dylan

1976 Desire – Bob Dylan

1977 Little Criminals – Randy Newman

1978 Die Mensch-Maschine – Kraftwerk

1979 Breakfast in America – Supertramp

Vertraut und doch so fern: Margot (Michelle Williams) und Daniel (Luke Kirby); Fotos: Kool Film

Vertraut und doch so fern: Margot (Michelle Williams) und Daniel (Luke Kirby); Fotos: Kool Film

Die 28-jährige Margot lebt mit ihrem Ehemann Lou in einem gleichermaßen beschaulichen wie hippen Vorort von Toronto. Ehe, Job, Häuschen, Freundes- und Familienkreis – alles scheint in bester Ordnung, in der sich die junge Frau behaglich eingerichtet hat. Bis sie eines Tages bei einer Recherchereise den als Künstler etwas ambitionslosen, dafür umso charmanteren Daniel kennenlernt, der dann zufällige auch noch auf dem Rückflug neben ihr sitzt. Die gegenseitige Anziehung ist offensichtlich und zu allem Überfluss stellt sich heraus, dass Daniel vor kurzem im Haus gegenüber eingezogen ist. So lässt es sich nicht vermeiden, dass die beiden sich in den nächsten Wochen öfter über den Weg laufen. Aber Margot ist ja verheiratet, liebt ihren Mann und möchte doch mit ihm glücklich bis ans Lebensende zusammensein. Dachte sie jedenfalls bisher…

Die 33-jährige Kanadierin Sarah Polley, die als Schauspielerin scheinbar mühelos den Wechsel zwischen anspruchsvollen Indipendenttfilmen wie Wim Wenders‘ „Don’t Come Knocking“ oder dem wunderbaren „My Life without Me“ und mainstreamigeren Genreproduktionen wie Zak Snyders „Dawn of the Dead“-Reamke oder „Splice“ schafft, legt mit „Take this Waltz“ ihre zweite Kinoregiearbeit vor. Nachdem sie in ihrem Langfilmdebüt „Away From Her“ von Menschen am Lebensende in einem Pflegeheim erzählte, widmet sie sich diesmal ganz den Lebenslagen und Problemen von Angehörigen ihrer eigenen Generation. Und selten hat man das in dieser Eindringlichkeit und emotionalen Tiefe gesehen wie hier. Aber es hat natürlich auch nicht jedeR FilmemacherIn eine Hauptdarstellerin wie Michelle Williams zur Verfügung. Von deren ehemaligem Regisseur Wim Wenders ist auf dem Filmplakat das Zitat zu lesen, er habe noch nie eine Schauspielerin eine Frau so verkörpern sehen wie Williams diese Frau spielt – eine Einschätzung, die man absolut teilen kann. Ich lehne mich einmal ganz weit aus dem Fenster und stelle die These auf, dass Williams wohl die beeindruckendste Schauspielerin der Gegenwart ist. Wie sie es hier, kurz nach dem ebenso großartigen „Blue Valentine“, erneut schafft, eine ganz normale Frau so vielschichtig und faszinierend darzustellen, ist schon ganz große Kunst.

Als Filmemacheirn ebenso überzeugend wie als Schauspielerin: Sarah Polley

Als Filmemacheirn ebenso überzeugend wie als Schauspielerin: Sarah Polley

Und das, obwohl einem diese Margot anfangs durchaus etwas auf die Nerven fällt, wie sie sich so ziellos durch ihren Alltag treiben lässt, sich mit ihrem Mann kindische Wortgefechte im Bett liefert oder ihn beim Hühnchenkochen umwirbt. Und Hühnchen kocht der oft (ein witziger Running Gag des Films), schließlich erfährt man sogar, dass er an einem Kochbuch arbeitet, das ausschließlich Hühnchenrezepte enthalten soll. Ansonsten ist der von Seth Rogen gespielte Lou ein etwas schlichter Charakter, zufrieden in der Bequemlichkeit einer eingefahrenen Beziehung, mit dem Fernseher und dem Kühlschrank immer in Reichweite. Rogen, der zwar ein ganz netter Komödiant sein mag, aber sicher kein guter Schauspieler, ist trotzdem eine passende Besetzung für diese Rolle, auch wenn er in den wenigen Szenen, in denen er ernstere Töne anschlagen muss, doch deutlich überfordert scheint. Man kann dann auch Margots Faszination für den neuen Nachbarn auf Anhieb nachvollziehen, wirkt dieser Daniel doch um so vieles geheimnisvoller, tiefgründiger, charmanter und insgesamt attraktiver (von Luke Kirbys Äußerem mal ganz abgesehen) als der sich seiner Partnerin bedeutend zu sicher fühlende Schluffi zu Hause.

Ist es wert, eine zufriedene Beziehung für ein unsicheres Glück aufzugeben? Margot und Ehemann Lou (Seth Rogen)

Ist es wert, eine zufriedene Beziehung für ein unsicheres Glück aufzugeben? Margot und Ehemann Lou (Seth Rogen)

Margot selbst spielt Williams mal unbeschwert-offenherzig-ausgelassen, im nächsten Moment wieder (ver)zweifelnd-suchend-unsicher, in einer ungewöhnlichen Mischung aus Indiemädchencharme und abgeklärtem Erwachsene-Frau-Verantwortungsgefühl. Sie ist längst nicht so tough wie Williams‘ Figur in „Blue Valentine“, auch nicht so saturiert-selbstsicher wie ihre Ärztin in Lukas Moodyssons „Mammut“, wirkt eher wie eine Studentin, die zu schnell erwachsen geworden ist und mit Ende 30 plötzlich feststellen muss, dass in diesem Alter das restliche Leben eben doch noch nicht planbar geworden ist.

Polley schafft das Kunststück, eine eigentlich bekannte Geschichte auf gänzlich neue Weise zu erzählen – indem sie die gewohnte Reihenfolge der Liebesgeschichte einfach umkehrt. Wo in einem „normalen“ Hollywoodfilm die frisch Verliebten erst einmal miteinander in die Kiste springen und danach die Probleme beginnen würden, bleibt ihre Beziehung hier lange Zeit streng platonisch – obwohl sie alle Schritte der emotionalen Öffnung schon längst gegangen sind. Erst kurz vor Schluss kommt es dann zum Akt selbst. Diese körperliche Vollendung des langen Annäherungsprozesses inszeniert Polley dann so originell und kunstvoll, wie man es selten gesehen hat, in einer mitreißenden Montagesequenz, die ebenso ins Surreale kippt wie Leonard Cohens titelgebende Ballade, die sie musikalisch begleitet.

Diese Montage wäre auch ein perfekter Schluss des Films gewesen, aber er geht dann doch noch ein wenig weiter, um etwas mehr zu verdeutlichen, woran das Glück dieser auf den ersten Blick so unbekümmerten, aber dann eben doch zu Melancholieattacken neigenden Margot, in Wahrheit auf Dauer scheitert: daran, zu lernen, mit sich selbst glücklich zu werden. Eine eigentlich banale Erkenntnis, aber so schwer umzusetzen, wie wohl jeder aus eigener Erfahrung weiß.

Ihr Blick erzählt ganze Geschichten

Ihr Blick erzählt ganze Geschichten

Es gibt eigentlich nur eines, was man diesem wunderbaren Film wirklich vorwerfen könnte: sein Setting. Man sieht Margot und Lou in diesen zwei Stunden kaum jemals arbeiten – sie schreibt anfangs an einem Artikel für eine Pressstelle, er probiert Rezepte für sein Kochbuch -, trotzdem haben beide ein schmuckes Häuschen (natürlich aus rotem Backstein) in einem ganz und gar gentrifizierten Stadtteil, in dem man auch morgens um Sechs ein offenes Straßencafé findet, auf dessen Terasse man dann selbstverständlich auf eine Wandbemalung schaut, mit der das benachbarte Geschäft für seine Vintage-Klamotten wirbt. Die beiden leben im Grunde ein „von Arbeit unbehelligtes Leben“, wie Paul Bowles so schön über das Ehepaar in seinem „Himmel über der Wüste“ schrieb. Freiberufler in kreativen Branchen, die es sich leisten können, tagsüber ins Schwimmbad zu gehen oder morgens an den Strand, dürften aber im wahren Leben nur selten so gut verdienen, dass sie sich ein Haus in einer solch gutbürgerlichen Gegend leisten können, was die ansonsten vollkommen glaubhafte Wirkung der Erzählung manchmal etwas stört.

Abgesehen davon macht die Regisseurin alles richtig und verlangt ihrer Hauptdarstellerin eine gleichermaßen seelische wie körperliche Entblößung  ab, die nur wenige Schauspielerinnen so souverän auf sich nehmen würden. Manchen mag das zu viel sein, aber es sind gerade diese kleinen und größeren Irritationen – etwa eine Szene in der Gemeinschaftsdusche des Schwimmbads mit den Blicken der jüngeren auf die Körper der älteren Frauen -, die Polleys Inszenierung vom Einerlei des zeitgenössischen Arthousekinos meilenweit abheben. Am Ende ist eben doch alles eitel; es gilt, bis dahin das beste aus diesem Leben zu machen. Aber wie? Das ist die große Frage, die dieser Film auf so beeindruckende Weise aufwirft.