Mit ‘New Journalism’ getaggte Beiträge

R.I.P. Marc Fischer

Veröffentlicht: 17. Juni 2011 in Print
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Ok, ist schon über zwei Monate her, aber ich hab’s tatsächlich erst gerade mitgekriegt: Im April starb Marc Fischer, einer der deutschen „New Journalists“ aus der „Generation Tempo“, der in den vergangenen Jahren u.a. für DUMMY schrieb. Aus dem „Spiegel“:

„Inspiriert vom New Journalism eines Gay Talese stieg Fischer sehr jung Mitte der neunziger Jahre beim Monatsmagazin „Tempo“ zum Star auf. Danach hätte er sich bei den etablierten Medien einen Schreibtisch aussuchen können, aber er streifte weiterhin durch die entlegenen Ecken der Welt, immer auf der Jagd nach Geschichten, getrieben von einer Sehnsucht nach einer gebrochenen Schönheit, die ihm wichtiger war als ein regelmäßiges Monatsgehalt.“

Aus dem Nachruf bei Spiegel Online:

Doch nie wieder gingen die Strömungen der Zeit, die Möglichkeiten, die eine Redaktion ihm einräumte, und Fischers unbestreitbares Talent so glücklich zusammen wie bei „Tempo“.

Und hier einer seiner letzten Texte. Schade.

(via)

„Das Wort ICH hat mit eitel und uneitel nichts zu tun. Es gibt gänzlich uneitle Ich-Schreiber, und es gibt Texte, bei denen der Autor nicht ein einziges Mal ich sagt, und trotzdem tropft die Eitelkeit aus den Zeilen wie ranziges Fett.“

Ein Satz, den sich Wolf Schneider mal hinter die Ohren schreiben sollte. Der „Freitag“ bringt diese Woche eine Leseprobe aus dem neuen Buch des wunderbaren Helge Timmerberg: eine Begegnung mit seinem damaligen Vorbild Hunter S. Thompson aus den wilden 80ern, als „Tempo“-Volontärinnen noch Gefahr liefen, von durchgeknallten Gonzo-Journalisten ungewollt unter LSD gesetzt zu werden.

Als Journalisten noch Eier hatten

Veröffentlicht: 6. September 2009 in Bücher, Journalismus
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Mikael Krogerus trauert den Zeiten nach, als Journalisten (und Journalistinnen) noch Eier hatten, und entdeckt ein Buch über den New New Journalism.

Noch mal Gay Talese

Veröffentlicht: 9. April 2009 in Lesetipp
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„Freitag“-Verleger Jakob Augstein hat den Altmeister des New Journalism in Köln getroffen und einen schönen Text darüber geschrieben.

„Ich steh auf Berlin“

Veröffentlicht: 25. März 2009 in Online, Print
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„Die Geschichten, die man sich davon erzählt, … handeln von Menschen, die sich oft tagelang in den Katakomben des Klubs herumgetrieben haben, in allen möglichen Aggregatzuständen. Sie handeln von Zombies, Wirren, Irren. Einige gingen heterosexuell rein und kamen schwul wieder heraus, bei anderen war es umgekehrt. Es sind Fegefeuergeschichten, die das Berghain erzählt.“

Marc Fischer (war der nicht auch mal bei TEMPO?) groß in Form, in einer Geschichte über die Schlange vor Berlins angesagtestem Klub im neuen „DUMMY Berlin“. Eine klassische New Journalism-Geschichte deutscher Prägung, bei der man nicht so recht weiß, wieviel Prozent davon wahr sind und wieviel der dichterischen Freiheit geschuldet. Was aber auch egal ist, weil sie sich wunderbar liest. Und an keiner Stelle behauptet wird, dass das nun Anspruch auf besondere Authetizität erhebt („Geschichten, die man sich erzählt“, „… der es selber erzählt bekommen hat, von einem, der es von einem erzählt bekommen hat, der wirklich dagewesen sein soll und seitdem ein anderer geworden sei, besser, sagen alle.“).

Das neue DUMMY ist mal wieder wunderbar geworden, mit schönen Storys über interessante und alltägliche Themen aus der Hauptstadt, und diesmal komplett ohne Fotos, stattdessen mit stimmungsvollen Ölbildern von Edward B. Gordon, Songtexten und Gedichten über Berlin statt Bildunterschriften und besonders viel Weißflächen dazwischen. Danach möchte man eigentlich sofort nach Berlin ziehen. Wo man dann auch den DUMMY-Machern persönlich zum Heft gratulieren könnte.

Leider ist, so genial das Heft immer wieder ist, der Online-Auftritt umso mißlungener. Ein Blog, das seit vier Monaten nicht mehr befüllt wurde, und statt zweier kompletter Artikel aus dem Heft gibt es jetzt nur noch Ausschnitte. Immerhin hat die Redaktion ein hübsches Werbevideo zum neuen Heft produziert:

Überschrift: Ideal

Raus ins richtige Leben

Veröffentlicht: 23. März 2009 in Print
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Eine Empfehlung von Gay Talese, einem der Altmeister des New Journalism, der zu Gast in der 3sat-Sendung „scobel“ war. Darin ging es um intensiv recherchierte Reportagen, die Abgründe der Wirklichkeit am Beispiel Fritzl und deutsche Antworten auf den US-Reportagejournalismus.

(via)

Eigentlich wollte ich nichts über den Amoklauf von Winnenden schreiben, weil ich dachte, es reicht ja, wenn alle darüber schreiben. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang aber, wie wenig Ahnung vom Internet doch viele Journalisten haben, die meinen, jetzt etwas über die vermeintliche Ankündigung des Täters im Internet schreiben zu müssen oder über die Nutzung von Web 2.0-Diensten von Journalisten, die über den Amoklauf berichteten.

Die dpa etwa scheint überhaupt keine Ahnung zu haben, was ein Chat überhaupt ist oder wie dieser funktioniert. Da schreibt die Agentur von einem “ Schreiben [, dass der Täter] wenige Stunden vor der Tat ins Internet gestellt hatte“. In einen Chat stellt man also ein Schreiben, aha. Wenn die Polizei das so formuliert, weckt das auch nicht unbedingt Vertrauen in deren Ermittlungskompetenz, aber zumindest versteht man, wenn eine Behörde so ein Bürokratenwort wie „Schreiben“ verwendet. Aber der Satz ist ja im dpa-Text nicht als Zitat gekennzeichnet. Also geht wohl auch der Journalist davon aus, dass ein Chat halt aus verschiedenen Schreiben, also Briefen, besteht. Und dass die Teilnahme an einem Chat im Normalfall keine Spuren auf dem eigenen Rechner hinterlässt, ist anscheinend auch eine Neuigkeit, die dem Leser erst einmal umständlich erklärt werden muss.

Bei der SZ ist skurrilerweise ein Redakteur für das Themengebiet Internet zuständig, der das komplette Web 2.0 mehr oder weniger offen ablehnt. Ich habe jedenfalls noch nie einen Artikel von Bernd Graff gelesen, in dem er an Blogs, Sozialen Netzwerken oder Ähnlichem auch nur ein gutes Haar lassen würde. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er die Überreaktion vieler Journalisten nach dem Amoklauf in Bezug auf die Twitter-Nutzung als Anlass nimmt, mal wieder kräftig auf den Microblogging-Dienst einzuschlagen.

Was die Ergebnisse angeht, hat Graff mit seiner Kritik natürlich weitgehend Recht: Dass Journalisten eine Twitterin belästigen, weil die über den Dienst gemeldet hat, sie habe gehört, dass an der Schule ein Amoklauf stattfinde, ist genauso fragwürdig wie die sensationsheischende Live-Berichterstattung z.B. von Focus Online via Twitter. Aber was bitte soll die Behauptung, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass es falsch sei, „die Aufmerksamkeit vom Gegenstand der Berichterstattung auf den Berichterstatter zu lenken“, wie es Stefan Niggemeier formuliert hat? Warum sollen Reporter nicht ihre Eindrücke und Emotionen bei der Berichterstattung schildern dürfen? Und ich rede jetzt von wirklich mitteilenswerten Gefühlen, nicht von solchen effektheischenden Belanglosigkeiten, wie die anscheinend von den Focus Online-Reportern getwittert wurden. Mir scheint es unglaublich, dass es 30 Jahre nach Erfindung des New Journalism immer noch Journalisten gibt, die solche Behauptungen unhinterfragt aufstellen, wie Graff es tut. Einen lesenswerten Artikel zu dieser Frage gibt es hingegen bei medienlese.com.:

„Aber abgesehen davon, dass sich Journalisten niemals wichtiger als die Geschichte nehmen sollten: Nehmen sich Journalisten, wenn sie zum Beispiel Twitter nutzen, “ich” sagen, ihre Arbeit transparent machen, damit automatisch zu wichtig? Schmälern sie das Ereignis? Bedient es nicht die wachsende Medienkompetenz der Leser, dass man ihnen deutlich macht: Ich fahre da hin, ich berichte für dich, mit diesen Problemen werde ich konfrontiert?“

Menschen, die schon mein altes Blog kennen, wissen wahrscheinlich, dass ich ein Anhänger des New Journalism bin. Allerdings eher in seiner deutschsprachigen Ausprägung, denn von den amerikanischen Autoren kenne ich zu wenig, um das wirklich beurteilen zu können. In Deutschland war es vor allem die leider schon lange verblichene Zeitschrift TEMPO, die diesen Schreibstil adaptierte. Mein Gott, was hat dieses Magazin für hervorragende Autoren hervorgebracht: u.a. und vor allem Maxim Biller, Peter Glaser, Tom Kummer…und Helge Timmerberg.

Timmerberg ist ein absoluter Outsider und Einzelgänger des deutschen Journalismus. Damit ist er allerdings ziemlich gut bzw. erfolgreich gefahren, denn er nach seiner Zeit bei TEMPO war er u.a. bei der BUNTEn gut im Geschäft (er schrieb von Marrakesch aus Meldungen für die People-Rubrik; dazu brauchte er nach eigener Aussage einen Tag pro Woche, die Bezahlung reichte aber, um die ganze Woche ein gutes Leben zu führen), schrieb für alle möglichen renommierten Zeitschriften und veröffentlicht regelmäßig Bücher.

2001 erschien ein Taschenbuch namens Tiger fressen keine Yogis. Stories von unterwegs. Es versammelt eine Auswahl seiner besten Reisereportagen und andere Artikel, die er im Laufe der Jahre für TEMPO, WIENER, BUNTE, PRINZ, Die Zeit und andere Titel geschrieben hat. Die Artikel sind immer höchst subjektiv. Egal, ob es um eine Reise durch Indien geht, Besuche in Kriegsgebieten wie dem Irak oder ob er deutsche Städte bereist, egal, ob es um Drogen geht oder um das Entlieben: Immer lässt uns Timmerberg hautnah nicht nur an seinen Erlebnissen, sondern auch an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben. Dabei ist er ein so begnadeter und unterhaltsamer Erzähler, dass das Thema des jeweiligen Artikels eigentlich völlig egal ist.

Wie sein Vorbild Hunter S. Thompson schreckt auch Timmerberg nicht davor zurück, tief in das Milieu seines Themas einzutauchen und vollen körperlichen und psychischen Einsatz zu zeigen. Bermerkenswert ist z.B. eine hier abgedruckte Zusammenstellung von Artikeln, die sich mit verschiedenen Drogen beschäftigen. Ob Kokain, LSD oder Viagra: Timmerberg hat immer interessante Erkenntnisse mitzuteilen, die fast immer auf eigenen Erfahrungen beruhen. Herrlich etwa seine „Recherchetour“ für den WIENER, bei der er die Wirkung von Viagra testen will. Obwohl er auch vor Selbstentblößung in seinen Texten nicht zurück schreckt, werden seine Stücke doch nie peinlich, sondern bleiben immer sehr klug und authentisch. Inwieweit hier die dichterische Freiheit ins Spiel kommt, ist meistens natürlich nicht so ganz klar. Es sei denn, dies ist so offensichtlich wie in der Indien-Reportage, wo Timmerberg angeblich zehn Minuten (oder länger) die Luft anhält, um einen ihn belauernden Tiger wieder loszuwerden. Ob die Reportagen nun zu 100 Prozent der „Realität“ entsprechen oder nicht, ist aber auch – wie im Grunde bei allen Vertretern des New Journalism oder Gonzo-Journalismus –  mehr oder weniger egal. Denn Ziel dieses Konzeptes ist es ja gerade, die subjektive Realität abzubilden. Wenn es dem Autor gelingt, dabei trotzdem etwas Substantielles über das Sujet seines Artikels zu vermitteln, wie es Timmerberg in nahezu jedem der hier abgedruckten Texte schafft, ist das Konzept vollständig aufgegangen.

Die ebenfalls von mir bewunderte Sybille Berg schreibt im Vorwort dieses Bandes, wenn man Timmerberg gelesen habe, sei es schwer, noch selbst etwas auch nur annähernd Gutes zu schreiben (sinngemäß).  Leider ist es auch schwer, überhaupt noch etwas ähnlich Gutes aus dem journalistischen Bereich zu lesen zu finden.

Borderline-Journalist Tom Kummer, der 2000 für einen der größten Medienskandale im deutschsprachigen Raum der letzten Jahre sorgte, durfte nach längerer Zeit mal wieder etwas für die Schweizer „Wochenzeitung“ schreiben: eine Reportage über das Super Bowl-Finale, in der es eigentlich natürlich um etwas völlig Anderes geht, nämlich die wirtschaftliche Lage der USA. Und prompt zählen kleinliche Journalisten wieder irgendwelche zweifelhaften Rechercheergebnisse auf, Zahlen und Zitate Kummers, die angeblich oder tatsächlich nicht stimmen (Ich kann und will das nicht überprüfen, es ist mir auch herzlich egal).

Ob Angelina Jolie und Steven Spielberg nun wirklich diese beiden Sätze gesagt haben, ob das nun das Finale mit den höchsten Erlösen war oder nicht, ist eigentlich völlig irrelevant. Wer Kummer hier Fehler vorwirft, hat seinen ganzen Ansatz nie verstanden: Es geht Kummer nämlich nicht um Fakten, sondern um die Beschreibung gesellschaftlicher Stimmungen anhand höchst subjektiver Eindrücke. Das hat er selbst oft genug dargestellt, zuletzt in seiner lesenswerten Autobiographie „Blow Up“. Und Kummer macht das auf einem stilistischen Niveau, von dem die überwiegende Zahl seiner Kritiker wohl nur träumen kann.  Ich hoffe, die WOZ lässt sich von den zu erwarten gewesenen Kritiken nicht beirren und lässt Kummer weiter schreiben. Für die deutschsprachige Medienszene wäre es nämlich ein herber Verlust, wenn er irgendwann ganz verstummen sollte.