Mit ‘Borderline-Journalismus’ getaggte Beiträge

NEON kummert

Veröffentlicht: 23. März 2010 in Print
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Jetzt hat also auch die ach so tolle NEON ihren Borderline-Journalismus-Skandal: Ein Mitarbeiter namens Ingo Mocek musste zugeben, mehrere Interviews mit Prominenten gefälscht zu haben, nachdem dem Management von Beyoncé einige ihrer angeblichen Statements merkwürdig vorkamen. Die Zusammenarbeit mit dem Journalisten wurde sofort beendet und die neon.de-User kloppen nun überwiegend auf den „Betrüger“ ein.

Das Ganze erinnert natürlich frappierend an den Fall Tom Kummer beim „SZ-Magazin“. Hier wie da waren es Interviews mit Stars und Sternchen aus dem Pop- und/oder Filmbusiness, die gefaket wurden, wobei Mocek wohl etwas subtiler vorging als seinerzeit Kummer: Während der bekannterweise einfach Bücher an die Wand warf, und aus den zufällig aufgeschlagenen Seiten die Interviews komponierte, stellte Mocek sie teilweise aus Statements zusammen, die die „Interviewten“ anderen Medien gegeben hatten.

Warum da nun wieder die Wellen so hoch schlagen, wird mir ewiglich ein Rätsel bleiben. Es handelte sich ja nun nicht gerade um politisch, weltgeschichtlich oder sonst irgendwie wichtige Zeitgenossen, sondern um Unterhaltungs“künstler“, deren Aussagen ja nun eh keinerlei Relevanz haben, außerhalb derjenigen, die man so einem der Unterhaltung dienenden Text in einer Illustrierten selbst zumisst. Ähnlich wie z.B. die Interviews auf der letzten Seite der Wochenend-SZ liest man diese Gespräche doch eh nicht, weil man sich einen tieferen Informationsgehalt davon verspricht, sondern weil sie bestenfalls gut geschrieben und witzig sind. Oder anders gesagt: Gut collagiert ist immer noch besser als Langweiliges abgetippt.

Abgesehen davon glauben wohl eh nur Menschen, die noch nie was mit Journalismus zu tun gehabt haben, dass Wortlaut-Interviews wirklich den Wortlaut eines Interviews wiedergeben. Natürlich wird da gekürzt, gestrichen, umgestellt, zugespitzt und komponiert. Was denn sonst? Sonst würde das ja kein Mensch lesen, was all diese A-, B- und C-Promis so von sich geben.

Fraglich bleibt natürlich, warum Autoren und Redaktionen Textcollagen à la Kummer und Mocek unbedingt als (authentische) Interviews verkaufen müssen. Warum schreibt man statt Interview nicht einfach Collage drüber, wenn es sich um eine solche handelt. Oder, wenn man die Antworten frei erfindet, wie Kummer das überwiegend getan hat, „ein Interview, das nie stattgefunden hat“ oder so was Ähnliches. Das gab’s z.B. in der taz mal (als Beispiel für Borderline-Journalismus), ein Porträt über Zidane, wo dann unten drunter stand: „Der Autor dieses Textes hat Zidane in der Halbzeitpause einmal aus einhundert Meter Entfernung vorbei laufen sehen.“ Das wäre genauso unterhaltsam, ehrlicher, kein Leser würde sich verarscht fühlen und kein Mitarbeiter seinen Job verlieren.

Das Problem ist nur: Redaktionen würden das nicht mitmachen, weil sie nicht mit tollen Exklusiv-Interviews mit großen Namen prahlen könnten, und die meisten Leser wollen wahrscheinlich lieber verarscht werden, als im Vorhinein ehrlich über den Authentizitätsgrad eines Textes aufgeklärt zu werden. Also drücken (Chef-)Redakteure auch bei Verdachtsmomenten lieber beide Augen zu, solange es gut geht. Und wenn’s dann doch mal auffliegt, hat man ja das entsprechende Bauernopfer schnell bei der Hand.

Die WOZ verteidigt Kummer

Veröffentlicht: 12. Februar 2009 in Journalismus, Print
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Und womit? Mit Recht!

„Tom Kummer aber lesen wir nicht wegen der Fakten, sondern wegen des Spasses an temporeicher Schreibe.“

Borderline-Journalist Tom Kummer, der 2000 für einen der größten Medienskandale im deutschsprachigen Raum der letzten Jahre sorgte, durfte nach längerer Zeit mal wieder etwas für die Schweizer „Wochenzeitung“ schreiben: eine Reportage über das Super Bowl-Finale, in der es eigentlich natürlich um etwas völlig Anderes geht, nämlich die wirtschaftliche Lage der USA. Und prompt zählen kleinliche Journalisten wieder irgendwelche zweifelhaften Rechercheergebnisse auf, Zahlen und Zitate Kummers, die angeblich oder tatsächlich nicht stimmen (Ich kann und will das nicht überprüfen, es ist mir auch herzlich egal).

Ob Angelina Jolie und Steven Spielberg nun wirklich diese beiden Sätze gesagt haben, ob das nun das Finale mit den höchsten Erlösen war oder nicht, ist eigentlich völlig irrelevant. Wer Kummer hier Fehler vorwirft, hat seinen ganzen Ansatz nie verstanden: Es geht Kummer nämlich nicht um Fakten, sondern um die Beschreibung gesellschaftlicher Stimmungen anhand höchst subjektiver Eindrücke. Das hat er selbst oft genug dargestellt, zuletzt in seiner lesenswerten Autobiographie „Blow Up“. Und Kummer macht das auf einem stilistischen Niveau, von dem die überwiegende Zahl seiner Kritiker wohl nur träumen kann.  Ich hoffe, die WOZ lässt sich von den zu erwarten gewesenen Kritiken nicht beirren und lässt Kummer weiter schreiben. Für die deutschsprachige Medienszene wäre es nämlich ein herber Verlust, wenn er irgendwann ganz verstummen sollte.