Mit ‘Jörg Fauser’ getaggte Beiträge

Videotipp: Fauser beim Bachmann-Preis

Veröffentlicht: 19. Juli 2011 in Bücher
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Wer mal sehen will, wie Marcel Reich-Ranicki und noch ein paar andere Literaturpäpste sich um Kopf und Kragen reden, sollte sich ihre Jurybegründungen zu Fausers Auftritt 1984 nicht entgehen lassen. Abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, warum Fauser da angetreten ist, da dieser Wettbewerb ja alles verkörperte, was er am Literaturbetrieb verachtete, ist das ein schönes Beispiel für die geistige Selbstbefriedigung solcher Veranstaltungen. Genau, Herr MRR, wir sortieren erst mal alles schön in E und U, und für U erklären wir uns dann nicht zuständig. Aber er meinte ja auch mal, er interessiere sich nicht für Romane über südamerikanische Landarbeiterinnen. Wahrscheinlich nur für welche über alte europäische Männer in Lungensanatorien.

Heinz Harder war bis vor ein paar Jahren ganz oben: ein Starjournalist, der für die größten Illustrierten mehrteilige Reportagen schrieb. Bis er wegen zweifelhafter Methoden (Einbrüchen, um an Informationen zu kommen, erfundene Geschichten etc.) in seiner Branche in Ungnade fiel und seitdem als Gebrandmarkter keine Aufträge mehr bekommt. Um über die Runden zu kommen, betätigt er sich als „Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle“. Als die ebenso laszive wie undurchsichtige Ex-Frau eines ehemals einflussreichen Politikers ihn beauftragt, ihre vermisste jugendliche Tochter zu suchen, wird er in einen Fall hineingezogen, in den neben der Berliner Landespolitik auch noch zwielichtige Geschäftsleute, skrupellose Menschenhändler, und verblendete Anhänger eines Schlangenkultes verwickelt sind.

„Das Schlangenmaul“ von 1985 war Fausers einziger lupenreiner Kriminalroman, nicht im Sinne von „Who dunnit?“, sondern im Stil der Hardboiled-Romane von Chandler & Co. Sein Harder ist ein deutscher Phillip Marlowe: ein gesellschaftlicher Außenseiter und Beobachter, mit trockenem Humor, der als Einziger moralisch sauber bleibt, egal, welchen Morast der Korruption er durchwaten muss. Sein Einsatzort ist nicht L.A., sondern das West-Berlin der mittleren 80er Jahre, eine merkwürdig hermetische Welt, ein Niemandsland, das nicht zur DDR, aber auch nicht richtig zur BRD gehört. Zufluchtsort für jede Art dubioser Gestalten, die alle das Gleiche suchen: das große Geld. Manche nutzen dazu die Politik, manche die (Zwangs-)Prostitution, wieder andere die Naivität verblendeter Esoteriker. Und manche schrecken zur Erreichung ihrer Ziele auch nicht vor Mord zurück.

Fausers Roman ist nicht nur die faszinierende Beschreibung einer verloren gegangenen Welt, die die Nachgeborenen nur noch aus Erzählungen und Filmen kennen, einer Welt, in der alle Straßen an der Mauer enden, eines Hortes für Glücksritter aus ganz Westdeutschland. Er ist auch ein herrlich ironischer Journalismusroman. Harder, der ganz in Chandlers Tradition seine Geschichte in der Ich-Form erzählt, spart nicht mit bissigen Seitenhieben auf seine Branche, die er in ihrem Kern genauso leidenschaftlich liebt wie er ihre modernen Auswüchse verabscheut. Deshalb hat er trotz des Siegeszugs des Boulevards den Traum von der nächsten großen Artikelserie und von der einen wahren Zeitschrift immer noch nicht ausgeträumt. Wie bei Chandler hat aber auch bei Fauser die Welt eigentlich keinen Platz mehr für diesen kleinen Träumer. Was den nicht daran hindert, weiter seinen Weg zu gehen.

Stilistisch ist Fauser hier brilliant: ebenso dichte wie metaphorische Beschreibungen des grell-grauen Großstadtalltags wechseln sich mit herrlich lakonischen Dialogen ab. Wen interessiert da noch, dass das Komplott, das Harder aufdecken will, zunehmend ausufernder erscheint, bis man den Überblick teilweise verloren hat? Auch das ist ja im Grunde fast ein Markenzeichen der Schwarzen Serie. Selbst Bogart soll ja die Story von „Tote schlafen fest“ nie verstanden haben. Für die Bavaria, die wohl mal die Filmrechte an dem Stoff gekauft hatte, war die fehlende Stringenz des Plots laut Nachwort der Grund, warum sie ihn dann doch nie verfilmt haben. Völlig unverständlich, drängen sich bei vielen Dialogen die Bilder dazu doch förmlich auf. Als Harder sah ich beim zweiten Lesen (bei dem ich den Roman übrigens noch viel besser fand, als ich ihn in Erinnerung hatte) ständig Rainer Werner Fassbinder vor mir, in seinem weißen Anzug mit schwarzem Hemd. Maja Maranow hätte eine gute Aufraggeberin abgegeben, so ambivalent-undurchschaubar wie in der „Fahnder“-Folge „Nachtwache“. Was wäre wohl dabei heraus gekommen, wenn Hans C. Blumenberg das Buch verfilmt hätte? Es sagt schon viel über eine Filmindustrie aus, wenn sie auf so einem Stoff sitzt, ohne ihn zu ergreifen.

Bisher meinte ich ja, dass Fauser in der kleinen Form immer am besten war, bei Reportagen oder Kurzgeschichten. Aber dieser Thriller ist vielleicht doch sein opus magnum. Lange Zeit vergriffen, erschienen vor einigen Jahren gleich zwei neue Ausgaben: ein Hardcover und ein Taschenbuch. Das Diogenes-TB ist vorbildlich editiert, neben einem informativen Nachwort von einem Fauser-Freund und Verleger enthält es auch zwei Zeitschriftentexte Fausers, darunter seine „Tip“-Reportage über vermisste Jugendliche in Berlin, die ihn auf die Idee zu dem Roman brachte. Da merkt man dann wieder: Er konnte beides, Wirklichkeit lebendig vermitteln und reale Phänomene weiterspinnen und daraus ein schillerndes fiktionales Werk machen.

Ein Muss für alle heutigen, ehemaligen und zukünftigen Genrefreunde, Detektive, Journalisten und West-Berliner.

Diogenes Taschenbuch 2009. 316 Seiten, 9,90 € (oder in der Werkausgabe-Kassette mit neun Taschenbüchern)

Prophetischer Dialog aus Jörg Fausers  1985er Journalismus-West-Berlin-Privatdetektiv-Krimi „Das Schlangenmaul“:

„…Ich geb dir die Zeitschrift, mach etwas draus, die einzig wahre Zeitschrift, und dann gehen wir in die Neuen Medien.“

„Berlin wird die ganz große Schaltzentrale für diese Medien werden. Und wir werden mitschalten. Radio, TV, Kabel, Bildschirmtext, Video – es gibt Möglichkeiten, von denen wir heute noch fast nichts ahnen.“

„Möglich. Ich komme aus den Printmedien, weißt du, Druck und Papier, alter Praktiker – von der Pike auf…“

„Und jetzt lernst du noch mal von der Pike auf, Harder.“

Jörg Fausers letztes Werk: „Die Tournee“

Veröffentlicht: 8. Januar 2010 in Bücher, Journalismus
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„Wo bleibt die Göttliche?“ Das Warten auf den Star – ob in den MGM-Studios von Hollywood oder im Kurtheater zu Bad Wörishofen, ob auf Greta Garbo oder Doris Kunstmann – ist schon immer nur etwas für Regisseure mit guten Nerven und bühnenfähigem Galgenhumor gewesen.

Solche Sätze müssen einem auch erst einmal einfallen, als Einstieg für eine Reportage über eine Theatertournee durch deutsche Kurorte. Jörg Fauser begann so 1986 seine Reportage „Die Wunde der Komödianten“ für die Zeitschrift „Transatlantik“. Der Artikel war eigentlich ein Nebenprodukt einer Recherche Fausers für einen neuen Roman: „Die Tournee“. Von diesem konnte der Autor dann leider nur noch die ersten 180 Seiten fertig stellen, bevor er 1987 tödlich verunglückte. Im Rahmen der Taschenbuch-Werkausgabe Fausers im Diogenes-Verlag ist vor kurzem nun auch dieses Romanfragment erschienen (und vorher schon als Hardcover in der Gesamtausgabe im Alexander-Verlag).

Der Roman selbst ist etwas durchwachsen. Fauser führt im ersten Teil viele Figuren an unterschiedlichen Schauplätzen ein, die dann wohl in den späteren Teilen zusammen finden sollten: eine mittelalte Schauspielerin in der beruflichen Krise, die keine gescheiten Rollen mehr bekommt und deshalb das Angebot annimmt, auf Theatertournee zu gehen, ein Berliner SPD-Mitglied und ehemaliger Agent im Ruhestand, dessen Lebenswandel zu einem Herzinfarkt führt, ein undurchsichtiger asiatischer Gangster, ein von seiner Frau verlassener Münchener Galerist mit einschlägiger Vergangenheit als Junkie in Istanbul, der sich noch einmal an einem Drogendeal versucht, eine aufstrebende Jungjournalistin, die für ein Lifestyle-Magazin schreibt (es ist 1987, die große Zeit der „Zeitgeist“-Magazine!). Einerseits schreibt Fauser wieder über Szenen, die er selbst gut kennt (Journalismus, Junkies, Säufer und Kneipen), andererseits wird’s immer dann richtig klischeehaft und schlecht, wenn es um Drogengeschäfte, BKA-Spitzel und internationale Verbrecher geht. Gerade, als es anfängt, interessant zu werden (und man erahnen kann, wie die einzelnen Erzählfäden zusammen geführt werden sollen), bricht der Roman ab.

Fast interessanter als der eigentliche Romantext sind die ergänzenden Materialien, die sich in dieser liebevoll aufgemachten Ausgabe finden: Diverse Exposés und Auszüge aus Fausers Notizbüchern geben Aufschluss über seinen Arbeitsprozess, jedem Kapitel ist jeweils die erste Seite aus seinem Original-Typoskript als Faksimile vorangestellt und im Anhang findet sich dann neben zwei informativen Nachwörtern auch noch die oben erwähnte Reportage. Die ist besser geschrieben als der eigentliche Roman, was meinen Eindruck bestätigt, dass Fausers kurze Texte oft besser waren als seine Romane.

Am besten war er eh immer dann, wenn er aus seiner eigenen Erfahrung heraus geschrieben hat, über Dinge, die er selbst erlebt oder zumindest beobachtet hatte, wie bei „Rohstoff“ oder vielen seiner Kurzgeschichten. Das entsprach auch ganz seinem Anspruch an Literatur: über das schreiben, was man selbst kennt. Weswegen er dann eben erst einmal bei einer Theatertournee mitreiste, bevor er einen Roman mit diesem Thema begann. Immer wieder interessant sind dann die Bezüge zwischen Fausers journalistischen oder autobiografischen Texten und seinen fiktionalen. So finden sich auch hier wieder einige Figuren und Motive aus der Reportage fast eins zu eins in der Schilderung der Theatertruppe im Roman wieder.

Jörg Fauser: „Die Tournee“ Roman aus dem Nachlaß. Diogenes Taschenbuch. 272 Seiten, 8 Euro 90.

Yesterday’s Papers (II): Twen

Veröffentlicht: 15. Juni 2009 in Allgemeines
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Eine gute Frage: Twen vom Juli 1970

Eine gute Frage: "Twen" vom Juli 1970

Eine Zeitschrift, für die ich zu jung war, um sie noch mitzubekommen, war die „Twen“. Man stößt allerdings immer wieder mal in Büchern auf diese wohl erste deutsche Lifestyle-Zeitschrift für junge Erwachsene, die von 1959 bis 1971 erschien (Anfang der 80er gab es dann noch mal einen erfolglosen Relaunch). Wim Wenders hat für sie geschrieben, Jörg Fauser hatte einmal eine Titelstory über Drogen, deren Entstehungsheschichte er sehr anschaulich in seinem autobiographischen Roman „Rohstoff“ beschreibt: Abgesehen davon, dass er sowieso eine jahrelange Drogenkarriere hinter sich hatte, fuhr er unter anderem zu William S. Burroughs, um ihn zum Thema zu interviewen.

Am WE habe ich auf dem Düsseldorfer Bücherbummel mal wieder ein paar Hefte gesehen, u.a. das oben abgebildete. Ich kann die Faszination aus heutiger Sicht nicht so ganz nachvollziehen; die Themen erinnern mich teilweise eher an „Coupé“ oder „Bravo“. Wahrscheinlich muss man einfach dabei gewesen sein; mit meiner „TEMPO“-Begeisterung ist es vermutlich ähnlich. Die versteht wohl auch kaum einer, der nicht in den 80ern/frühen 90ern jung war. Vor allem scheint „Twen“ auch auf Designer einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt zu haben. In entsprechenden Blogs findet man dazu heute noch einige Einträge.

Der Poet der Wasserhäuschen

Veröffentlicht: 24. März 2009 in Bücher, Journalismus
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Bald neu im Taschenbuch: Jörg Fausers Debütroman Rohstoff

Bald neu als Taschenbuch: Jörg Fausers Debütroman Abb.: Diogenes

Jörg Fauser war der deutsche Chronist der Säufer und Außenseiter. Sein autobiographischer Roman „Rohstoff“ erfährt im Juli eine Neuausgabe als Taschenbuch

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