Mit ‘Nightline’ getaggte Beiträge

15 Jahre „Domian“

Veröffentlicht: 11. April 2010 in Radio
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Seit 15 Jahren talkt Jürgen Domian nachts im WDR-Radio und -Fernsehen mit Hörern, die meist über persönliche Probleme und Schicksalsschläge berichten und um Rat suchen. Stefan Kuzmany hat für die taz die Arbeit der Redaktion beobachtet. Dabei erfährt man auch interessantes über die Anrufer, die es nicht schaffen, auf den Sender zu gelangen:

„Die meisten werden sofort aussortiert: Die Anrufer sind emotional labil oder stehen unter Drogen. Sie sprechen undeutlich. Die Geschichte scheint erfunden zu sein. Die Geschichte ist schlecht. Die Leitung ist schlecht. Die Rechercheure machen sich eine Notiz für die Datenbank: Vorname, Alter, Telefonnummer, Grund des Anrufs, Schulnoten für Person und Schicksal. Viele haben schon oft angerufen. Für die Sendung braucht man mindestens einen Dreier-Notendurchschnitt.“

Und zieht ein ernüchterndes Fazit, warum sich die Sendung so großer Beliebtheit erfreut:

„Domian zu hören ist, wie einen Autounfall zu beobachten: Man kann nicht wegsehen. Und man ist froh, dass es einem selbst besser geht als den Anrufern.“

Voyeurismus pur, das scheint mir auch das Hauptmotiv zu sein, sich das anzuhören. Ich hab das vor über zehn Jahren auch mal eine Zeitlang getan, aber irgendwann fühlt man sich nur noch schlecht, und will diese ganzen Schicksalsorgien nicht mehr hören. Ich denk mal, viele Leute sitzen da auch nachts vor dem Fernseher und lachen sich über manche Geschichten von Schicksalsgebeutelten oder vermeintlich „Perversen“ kaputt. Einen quasi entgegen gesetzten Ansatz hat eine Hörertalksendung wie die „Nightline“ (ab Morgen „LateLine“), wo es eher um gesellschaftliche Probleme geht, wo die Gespräche oft dazu anregen, über strukturelle Missstände nachzudenken. Oder anders gesagt: „Nightline verursacht Denken, Domian verursacht Voyeurismus.“

ARD-Jugendwellen talken ab April gemeinsam

Veröffentlicht: 1. März 2010 in Radio
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Bevor es in den Kommentaren unter geht: Ab April geht die „Nightline“ bei You-FM in einer neuen Hörertalkshow auf, die sieben Jugendwellen der ARD gemeinsam produzieren. Damit konnte You-FM-Wellenchef Jan Weyrauch seine Pläne wohl verwirklichen, über die er mir im Oktober während meines Interviews für den „journalist“ erzählt hatte, was ich damals allerdings nicht zitieren durfte, weil die Verhandlungen mit den anderen Sendern noch im Gange waren. Schön, dass es auch weiterhin anspruchsvolles Wortprogramm an diesem Sendeplatz geben wird, auch wenn Holger Klein dann wohl leider nur noch einmal pro Woche moderieren wird, wenn ich es richtig verstanden habe.

(Danke an Komet.)

Hoffnung für die „Nightline“

Veröffentlicht: 3. November 2009 in Radio
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Vor einigen Monaten hatte ich schon mal über die geplante Einstellung der Hörertalksendung „Nightline“ mit Holger Klein auf der hr-Jugendwelle YOU FM geschrieben. Für die aktuelle Ausgabe des „journalist“ sollte ich darüber eine Meldung schreiben. Ein Telefonat mit dem Wellenchef Jan Weyrauch ergab dann, dass es doch noch Hoffnung gibt. Er erzählte mir, dass er zzt. an einer Lösung arbeite, dass die Call In-Show auch nächstes Jahr fortgesetzt werden kann (wie diese Lösung aussehen könnte, darf ich leider noch nicht verraten). Bis eine endgültige Entscheidung falle, wolle er die „Nightline“ zunächst einmal im Programm lassen, auch über Ende Dezember hinaus. Es gab wohl ziemlich viele Reaktionen von Hörern, mehr als bei jeder anderen Programmänderung, die es bisher bei YOU FM gegeben hat.

Weyrauch machte einsgesamt einen engagierten Eindruck. Er hat nicht einfach die Sparvorgaben widerstandslos umgesetzt, die er von seinen Vorgesetzten bekommen hat, sondern sucht nach kreativen Lösungen, wie er Geld einsparen und dennoch ein qualitativ gutes Abendprogramm erhalten kann. Nach den ursprünglichen Vorgaben sollte das komplette Abendprogramm gestrichen und durch eine automatisierte Playlist ersetzt werden. Nun wird die Musiksendung „Sounds“ bestehen bleiben, wenn auch in abgespeckter Form. Und für den Hörertalk besteht zumindest noch Hoffnung. Drücken wir die Daumen.

Was ich noch ganz interessant fand: Weyrauch meinte, gerade bei den Jugendwellen sei ein gegenläufiger Trend zum allgemeinen Nutzungsverhalten der Radiohörer zu beobachten. Während normalerweise ab 18 Uhr die Hörerzahlen rapide sinken, weil die meisten dann eher fernsehen, steigen bei den Jugendradios ab 17 Uhr vor allem die Abrufzahlen der Internetstreams. Weil viele Jugendliche sich abends vor den PC setzen und dabei Radio hören. Und da wäre es doch mehr als schade, wenn sie dann nur noch Musikgedudel zu hören bekämen.

In den vergangenen Jahren war ich vier Mal traurig, als eine Radiosendung eingestellt wurde. Interessanterweise waren drei davon beim hr. Dieser Sender scheint echt ein Talent dafür zu haben, die wenigen hörenswerten Sendungen, die sich auf seinen Wellen finden, abzusetzen, weil sie ihm anscheinend zu unkonventionell sind. Im Sommer 2007 schickte die Jugendwelle YouFM den Kultmoderator Jürgen Kuttner offiziell in eine einjährige Pause, aus der er, wie schon damals anzunehmen war, nie zurück kam. Kuttner, der vor allem in Berlin und Brandenburg durch seine Hörertalkshows bekannt wurde, hatte bei YouFM jahrelang eine ähnlich angelegte, sehr skurrile Call In-Sendung „moderiert“. Sein Umgang mit schräger Musik und teils fast schon dadaistischen Hörergesprächen machten die Sendung desöfteren zu einer Art experimenteller Klangkunst. Für die Jugendwelle einer ARD-Anstalt wahrscheinlich zu schräg.

Ende vergangenen Jahres schickte der hr seinen letzten ernst zu nehmenden Moderator einer Popsendung in die Verbannung. Kurz vor ihrem 25. Geburtstag wurde Klaus Walters hr3-Show „Der Ball ist rund“ abgesetzt, das einzige, was man sich auf der seichten Dudelwelle überhaupt anhören konnte. Begründung: Walters anspruchsvoller Musikmix störe die Durchhörbarkeit des Programms. Auch massiver Protest und eine Petition treuer Hörer nutzten nichts.

Ende des Jahres will sich nun der hr auch noch von Holger Klein trennen, der seit ungefähr zwei Jahren drei Mal in der Woche die spätabendliche Hörertalkshow „Nightline“ moderiert. Angeblich sei kein Geld mehr da. Das lässt befürchten, dass nicht nur Klein in die Wüste geschickt werden, sondern die ganze Sendung abgesetzt werden soll. Statt anregender und teilweise anspruchsvoller Diskussion wird es dann vermutlich auch nach 23 Uhr bei YouFM aktuelles Hitgedudel geben.

Ich hatte mich schon länger gewundert, dass ein derartig kritischer und gegen den Meinungs-Mainstream argumentierender Moderator beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein so breites Forum bekommt. Klein ist einer der wenigen Radiomoderatoren, die sich eine eigene Meinung nicht nur erlauben, sondern auch den Mut haben, diese in aller Deutlichkeit auf dem Sender auszusprechen. Ob Bildungssystem, Hartz IV oder übertriebene Sicherheitspolitik – Kleins Meinung liegt bei so ziemlich allen aktuellen politischen Themen diametral konträr zur vorherrschenden Mehrheitsmeinung. Er scheut sich auch nicht, vom Untergang der Demokratie zu reden, wenn Schäuble & Co. mal wieder absurde Überwachungsgesetze entwerfen. Bei Hartz IV stellte er mal die Frage, ob die Regierung nicht mitbekomme, welche Folgen ihre unsoziale Politik für viele Menschen eigentlich hätte oder ob sie diese beabsichtige – und welche Möglichkeit eigentlich schlimmer sei. Und das alles bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, der indirekt unter der Kontrolle von Roland Koch und seiner CDU steht! Und bei einer Jugendwelle, die hauptsächlich von Leuten unter 20 gehört werden dürfte. Jetzt scheint es mit der Meinungsfreiheit bei YouFM wohl Ende des Jahres vorbei zu sein.

Klein ist übrigens kein Moderator, der es seinen Hörern leicht macht. Ich muss gestehen, dass ich anfangs seinen Moderationsstil überhaupt nicht mochte. Er ist sehr persönlich und vertritt seine Meinungen sehr konsequent. Am Anfang wirkte das sehr arrogant auf mich. Mit der Zeit lernte ich seine Art aber immer mehr zu schätzen, als ich verstanden hatte, wie er denn so tickt. Inzwischen ist das allabendliche „Nightline“-Hören für mich zu einer Art Zubettgeh-Ritual geworden. Vor dem Schlafen noch ein, zwei Stunden meist intelligente Gespräche hören, bevor (oder wobei) ich dann einschlafe. Bald werde ich mir wohl ein neues Ritual suchen müssen. Und der hr einen neuen Hörer.

Die „Nightline“ mit Holger Klein gibt’s noch bis Jahresende dienstags bis donnerstags von 23 bis 1 Uhr bei YouFM.