Archiv für Mai, 2009

Der hat’s geschafft

Veröffentlicht: 30. Mai 2009 in Allgemeines, Journalismus

Gestern Nacht sah ich zufällig einen Mainzer Filmwissenschaftler bei arte, mit dem ich mal in einem Seminar gesessen habe. Der erzählte in „Kurzschluss“ über seinen ersten Kurzfilm, der dann anschließend gezeigt wurde. „Der hat’s echt geschafft“, dachte ich, „im Gegensatz zu mir.“ Aber wann hat man es eigentlich in kreativen Berufen geschafft? Wenn man das machen kann, was einem Spaß macht – in diesem Fall Filme drehen – oder erst, wenn man davon auch leben kann?

Und was wäre das Äquivalent zu einem Kurzfilm für einen (ehemaligen) Journalismusstudenten? Eine einzelne große Story reicht vermutlich nicht, obwohl ich echt Herzklopfen bekam, als ich eine Geschichte von mir auf drei Seiten einer Zeitschrift mit ziemlich hoher Auflage abgedruckt sah. Eine Titelstory? Ein Buch? Jörg Fauser beschreibt in seinem autobiographischen Roman „Rohstoff“, wie er die „Twen“-Ausgabe mit seiner Titelgeschichte am Kiosk sieht. Anschließend läuft er durch sämtliche Cafés und guckt, was die Leute da so lesen. Natürlich hat niemand die „Twen“ in der Hand, sondern alle den „Spiegel“ oder irgendein anderes Heft.

Meine erste Lieblingszeitschrift: Die erste Siehste von 1979  Foto: Springer Verlag

Meine erste Lieblingszeitschrift: "Siehste" von 1979 Foto: Springer Verlag

Die erste Zeitschrift, die ich regelmäßig gelesen habe, war, wenn ich mich recht erinnere, die „Siehste„. Das war so eine Fernsehzeitschrift speziell für Kinder von der „Hörzu“. Die erschien 1979 etwa ein Jahr lang; ich war damals vier (fragt nicht, wieso ich da überhaupt schon lesen konnte). Nach einem knappen Jahr wurde sie wieder eingestellt, das Maskottchen Holly Zolly, eine Art Wurm, dessen Kopf aus dem „Hörzu“-Logo entwickelt worden war, tummelte sich danach noch einige Jahre auf der Kinderseite der „Hörzu“, die wir später auch im Haus hatten. Die alten „Siehste“s, inzwischen 30 Jahre alt und völlig zerfleddert, liegen immer noch in meinem ehemaligen Kinderzimmer. Durch meine spätere Kindheit begleiteten mich vor allem „Yps mit Gimmick“ und die „Micky Maus“ regelmäßig, teilweise auch „Fix & Foxi“. Manchmal trauere ich den alten Zeiten nach, wo es jede Woche am Kiosk drei bunte Zeitschriften gab, die mich begeisterten, und das für ein paar Mark. Die wenigen Zeitschriften, die ich mir heute noch regelmäßig kaufe, erscheinen alle drei Monate bis unregelmäßig, sind schweineteuer und meist nur im Bahnhofsbuchladen zu bekommen.

Ja, die „Bravo“ habe ich auch irgendwann mal ’ne Zeit lang gekauft, ist ja quasi unvermeidlich (oder war es zumindest damals, heute brauchen die Kids dank Internet und Viva die wohl nicht mehr so dringend). Mit 14 hörte ich damit aber wieder auf. Ungefähr zur gleichen Zeit las ich auch die „ASM – Aktueller Software Markt“, die erste deutsche Zeitschrift, die ausschließlich über Computerspiele (und selten über andere Software) schrieb. Als nächstes stieß ich auf den „Musikexpress/Sounds“, den ich mit 15/16 wohl so 1 1/2 Jahre jeden Monat kaufte, kurz darauf kamen dann die beiden Lifestyle- (oder Zeitgeist-, wie man damals sagte) Magazine „Tempo“ und „Wiener“ dazu. „Tempo“ würde ich wahrscheinlich heute noch zu meiner All Time-Lieblingszeitschrift erklären. 1993 wurde ich konservativ und stieg auf etabliertere politische Magazine um, hauptsächlich auf den „Spiegel“, den ich allerdings nur sporadisch las. Außerdem hatte ich ein Comicfachmagazin abonniert, „RRAAH“ aus dem comicplus-Verlag, inzwischen auch längst eingestellt, ebenso wie die „Comic Speedline“, die ich später bis zur Einstellung las. Ende 1994 wurde der deutsche „Rolling Stone“ gegründet, der meine neue Lieblings-Musikzeitschrift wurde.

Als großer Fan (vor allem frankobelgischer) Comics stieß ich natürlich 1999 gleich auf das wiedergegründete ZACK, auch wenn ich das alte Magazin gleichen Namens in den 70ern nicht mehr wahrgenommen hatte. Später kaufte ich auch ab und zu mal die „epd Film“, die mir meistens aber doch zu teuer war und ist. Nachdem ich 1998 meinen letzten „Spiegel“ gekauft hatte, sollte es ungefähr zehn Jahre dauern, bis ich überhaupt mal wieder eine Zeitschrift ohne festes Themengebiet für mich entdeckte. „Dummy“ riss mich wirklich vom Hocker, kurz darauf kam dann noch „Liebling“ hinzu, bei dem mich vor allem die optische Seite fasziniert.

Im Vergleich zu früher bin ich heute ein eher sporadischer Zeitschriftenleser. Außer „Dummy“ und „Liebling“, die beide extrem selten erscheinen, kaufe ich kein Magazin mehr regelmäßig, also blind jede Ausgabe. Wenn mich die Themenmischung anspricht, kaufe ich mir mal eine Film-, Musik- oder Comicfachzeitschrift, aber es gibt keine, auf die ich jeden Monat gespannt warten würde. Wahrscheinlich gehört es einfach zur Kindheit und Jugend, dass man da begeisterungsfähiger war, jede Woche oder jedes Monatsende zum Kiosk  gelaufen ist, um sich das neue „Yps“ oder die neue „Tempo“ zu holen und ja kein Heft verpassen wollte.

Die meisten Zeitschriften, die ich mal eine Zeit lang regelmäßig las, wurden früher oder später eingestellt. An anderen verlor ich altersbedingt das Interesse. In die „Micky Maus“ gucke ich gerne noch, wenn sie irgendwo ausliegt (Z.B. neulich beim Arzt, die Alternative waren allerdings auch lauter Frauenzeitschriften), von der „Yps“ habe ich aus Nostalgiegründen vor einigen Jahren zwei der vier Relaunch-Versuchshefte gekauft. Der alte Zauber stellt(e) sich natürlich nicht wieder ein. Wirklich nachtrauern tu ich vor allem der „Tempo“. Wenn sich hier der Jahreszeiten-Verlag noch mal erbarmen und Markus Peichl ein paar Hunderttausend Euro in die Hand drücken würde, wär das ein Jubeltag für mich. Ansonsten bleiben vor allem nostalgische Erinnerungen an gedruckte Blätter, die einem so viele schöne Stunden bereitet haben.

Videotipp: Dominik Graf spricht

Veröffentlicht: 22. Mai 2009 in Lesetipp
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Im zweiten Teil des Cargo-Videointerviews mit Dominik Graf spricht der Regisseur diesmal (einmal mehr) über seine Vorliebe für Genrefilme, darüber, warum er sich beim Drehen in Polizeibüros so wohlfühlt und über seine erste Arbeit mit einer DV-Kamera beim Kinofilm „Der Felsen“.

„Freitag“, wo sind deine Community-Artikel?

Veröffentlicht: 14. Mai 2009 in Online, Print
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Der „Freitag“ war zu seinem Relaunch ja mit dem Versprechen angetreten, Print und Online-Community eng verzahnen zu wollen. Die besten User-Beiträge aus den Community-Blogs sollten ihren Weg in die gedruckte Ausgabe finden. In den ersten Wochen klappte das auch noch ganz gut, obwohl ich es immer etwas merkwürdig fand, dass die User-Beiträge einspaltig am Seitenrand versteckt wurden statt als gleichberechtigte Artikel präsentiert zu werden. (Noch extremer war dies auf den Literaturseiten bei den Leserrezensionen, die oft nur eine halbe Spalte einnahmen, im Gegensatz zu ganz- oder halbseitigen Rezensionen der „professionellen“ Autoren.) In den letzten Wochen scheinen nun immer weniger Leserbeiträge in der Print-Ausgabe aufzutauchen. Diese Woche findet sich noch genau ein Community-Artikel abgedruckt. Liegt das daran, dass es nicht genügend gute Blogbeiträge gibt, dass die regulären freien Mitarbeiter des „Freitag“ beschäftigt werden müssen und deshalb kein Platz mehr bleibt oder hat die Redaktion den Glauben an ihr eigenes Konzept schon wieder aufgegeben?

Nachtrag: Heute findet sich erstmals ein ganzseitiger Artikel aus der Community in der Print-Ausgabe. Na bitte, geht doch!

Sieh an, die Webseite des Cargo-Magazins ist auch für den Publikumspreis beim Grimme Online Award nominiert, ebenso wie das hervorragende Internetradio ByteFM und der Online-Auftritt des „Freitag“. Was das allerdings soll, dass man bei der Abstimmung bei tvspielfilm.de zustimmen muss, mit Angeboten der Tomorrow Focus AG belästigt werden zu wollen, versteh ich beim besten Willen nicht. Stimme ich halt nicht ab.

Vor Kurzem hab ich noch darüber gemutmaßt, wie lange die „Galore“-Macher noch durchhalten, heute meldet die taz, dass Mitte Juni die letzte gedruckte Ausgabe erscheinen soll. Das ehemalige Interviewmagazin hat seit 2008 mehrmals das Konzept geändert, ging zunächst weg vom reinen Interview- zum Kultur- und Lifestylemagazin, verringerte dann seine Erscheinungsweise von monatlich auf zweimonatlich, um zuletzt damit zu werben, dass nun auch noch eine DVD beiläge, die inhaltlich überhaupt nichts mit dem Konzept des Heftes zu tun hatte. Das Segment Lifestyle scheint zzt. wirklich tot zu sein, die Liste der in letzter Zeit eingestellten Titel ist lang: Park Avenue, Vanity Fair, Max, Matador, Maxim, Blond, nun auch noch Galore. Was waren das in den 80ern und frühen 90ern für goldene Zeiten, als am Kiosk noch Zeitschriften wie Tempo, Wiener und Twen um die Gunst der Leser konkurrierten.

Das Gewerkschaftsmagazin „journalist“ bringt in der Mai-Ausgabe einen Artikel zum Thema Zeitschriftensterben und Zeitschriftenneugründungen gegen den Trend. Vorgestellt werden u.a. Nido (tatsächlich eine neue Lifestyle-Zeitschrift, wenn man so will!) und das Kinomagazin Cargo, das mir persönlich ziemlich gut gefallen hat. Die Printausgabe desselben sei purer Luxus, werden die Macher in dem Beitrag zitiert. Der Online-Auftritt soll hingegen mit 30.000 PIs pro Monat sehr gut angelaufen sein (über die Auflage der Zeitschrift wurde leider nichts gesagt). Für ein ziemlich intellektuelles Kinoportal, auf dem es um Minderheitenfilmemacher wie Claire Denis und Thomas Harlan geht, ist das tatsächlich beachtlich.

„Die Front verläuft nicht zwischen Profis und Amateuren oder Redakteuren und Freien oder Verlagen und Einzelkämpfern oder zwischen Print und Online. Sie verläuft zwischen gutem Journalismus und schlechtem Journalismus. Es ist wirklich so einfach.“

Stefan Niggemeier nimmt mehrere aktuelle Journalismusdebatten als Anlass für eine Generalabrechnung mit dem vermeintlichen Qualitätsjournalismus etablierter Medien.

(via)

Die SZ widmet heute ein ganzes Magazin nur der Frage „Wozu Zeitung?“. Eine Reihe teils illustrer Autoren widmet sich von A bis Z Themen wie Blogs, Google, Online-Journalismus und anderen Aspekten der Zukunft des Journalismus. Dabei kommen auch einige meiner Lieblingsautoren zu Wort: Maxim Biller darf mal wieder hemmungslos (über Meinungsmainstream und schweigende ethnische Minderheiten) schimpfen, Peter Glaser erklärt die Bedeutung von RSS-Feeds und Else Buschheuer sowie Peter Praschl schreiben über die Frage, inwieweit sich weiblicher und männlicher Journalismus unterscheiden. Außerdem bestellte die Redaktion bei einer indischen Agentur einen Text über Michelle Obamas Europa-Besuch. Eine sehr lesenswerte Ausgabe. (Alle Texte sind auch online zu finden.)

Dass einige den Medienwandel besser verstanden haben als andere, zeigen zwei Zitate aus dem Heft: John Yemma, Redaktionsleiter des „Christian Science Monitor“, der seit März nur noch sonntags mit einer gedruckten Ausgabe erscheint, findet:

Printjournalismus macht einfach keinen Sinn: Da werden Bäume gefällt, fässerweise Farbe durchs Land gefahren, Zeitungen gedruckt, die tags darauf im Altpapier landen.“

SZ-Autor Willi Winkler versteigt sich hingegen in ein völlig verbohrtes Abfeiern der gedruckten Zeitung und verteidigt dabei vor allem auch das Überformat der „Zeit“ mit abstrusen Argumenten:

„Selbst wenn die Größe manchen davon abhält, sie im öffentlichen Nahverkehr auszubreiten, welches Glücksgefühl kann allein dieses majestätische Format spenden!“

In den USA scheinen die meisten Journalisten in ihrer Wirklichkeitsanalyse doch schon weiter zu sein als viele ihrer deutschen Kollegen.