Archiv für April, 2009

Germany’s Next Top-Praktikant

Veröffentlicht: 27. April 2009 in TV
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Da bin ich gestern Abend doch bei der neuen VOX-Doku-Soap „Der Star-Praktikant“ hängengeblieben, obwohl ich sonst nie derartige non-fiktionale Sendungen gucke. Grund dafür war, dass die drei Kandidaten um ein Praktikum beim deutschen Rolling Stone kämpften, und der RS ist schließlich nicht nur für Nick Hornby auf der Liste der Traum-Arbeitgeber ganz oben.

Ich muss zugeben, unterhaltsam war’s. Die Ideologie, die hinter diesem Show-Konzept steckt, ist aber mehr als fragwürdig. Jetzt liefern sich junge, begabte Kandidaten vor der Kamera also nicht mehr nur Konkurrenzkämpfe um Plattenverträge und Modelkarrieren, sondern schon darum, ein unbezahltes Praktikum machen zu dürfen. Als wäre das schon ein Ziel an und für sich. Zwei der drei Kandidaten waren bereits über 25, eine hatte bereits ein BWL-Studium abgeschlossen. Früher verdiente man dann 4000 Euro im Monat in Festanstellung, heute bewirbt man sich für eine Castingshow, bei der man eine Praktikumsstelle gewinnen kann. Wir sind schon ziemlich weit unten angekommen in Deutschland.

Schön auch die „Challenges“, die sich der RS-Redakteur für die hoffnungsfrohen Jungjournalisten ausgedacht hatte. Recherchieren bestand hauptsächlich darin, in einem Musik-Souvenirshop wahllos Leute nach Musikern zu fragen oder auch zu googeln. (Wie googelt man eigentlich „ein Musiker, der viel Zeit im Bett verbrachte und Ärger mit der Green Card hatte“?) Gewonnen hat dann überraschenderweise die Kandidatin, die zwar am sympathischsten rüberkam, deren Rechercheideen sich aber weitgehend darauf beschränkten, ziellos durch den Central Park zu laufen, weil sie gehört hatte, da würden immer viele Bands spielen. (Außerdem googelte sie noch, ach ja, und recherchierte bei MySpace.)

Immer wieder sagten die Kandidaten, was für eine Ehre es doch wäre, an einer Redaktionssitzung des amerikanischen Rolling Stone teilzunehmen oder überhaupt eine Zeile für das Magazin zu Papier zu bringen. Wahrscheinlich hätten sie ähnliches auch gesagt, wenn eine der „Challenges“ darin bestanden hätte, den besten Kaffee zu kochen.  Was kommt wohl als nächstes? „Deutschland sucht den Super-Hartzler“? (Wer schafft es am besten, vom Hartz IV-Regelsatz ein hippes Leben zu führen?) „Germany’s Next Top-Penner“? (Welcher Sandler kann das beste aus seinem Typ machen?) Das nach unten offene soziale Netz eröffnet da noch viele quotenträchtige Show-Konzepte.

So kriegt ihr mich nie!

Veröffentlicht: 27. April 2009 in Print
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Letzte Woche flatterte mir ein Werbebrief der NRZ ins Haus, einer der drei Zeitungen, die (noch) einen Lokalteil für Düsseldorf haben. Er begann sinngemäß etwa so:

Für die meisten Menschen ist die Stadt, in der sie wohnen, nicht nur ein Wohnort, sondern ein Stück Heimat, in dem sie sich zuhause fühlen, ihre Nachbarn kennen, im Verein engagiert sind…“

Als ich das gelesen hatte, wollte ich den Verlegern am liebsten zurufen: „Das ist genau der Grund, warum ich euer Blatt nie abonnieren werde, genauso wenig wie irgendeine andere Regionalzeitung!“ Die Zielgruppe, die mit solchen Sätzen erreicht wird, sind mMn die über 50-Jährigen, die seit mindestens 20 Jahren in derselben Stadt wohnen, eine feste Arbeitsstelle haben, eine Familie, und die auch nicht vorhaben, nochmal irgendwo anders hin zu gehen.

Ich bin in den letzten 12 Jahren acht Mal umgezogen, habe in vier verschiedenen Städten (und, wenn ich mein Auslandssemester mitzähle, in zwei Ländern) gewohnt, habe nie in einem Stadtteil länger als zwei Jahre gewohnt, bin nun zufällig wieder in meiner Heimatstadt gelandet, würde aber genauso schnell wieder wegziehen, wenn ich in einer anderen Stadt z.B. einen Job finden würde. Ich sehe meinen Etagennachbarn einmal in drei Monaten im Flur, die anderen Leute im Haus kenne ich nicht mal vom Namen her. Ich war noch nie in einem Verein, hasse Brauchtumsrituale wie Karneval und Schützenfeste, bin letztes Jahr zum ersten Mal seit 13 Jahren an meiner alten Schule gewesen, und das auch nur, weil ich da zu einem beruflichen Termin musste. Meine Freunde und Bekannten sind über ganz Deutschland verstreut, die meisten, mit denen ich noch Kontakt habe, immerhin im Umkreis von 50 Kilometern. Hier in meiner Heimatstadt habe ich zu fast niemandem mehr Kontakt. Mich interessiert weder, was im örtlichen Sportverein noch was im Kindergarten an der Ecke los ist. Wieso um alles in der Welt sollte ich euer Lokalblättchen abonnieren, wenn ihr doch denkt, die jeweilige Heimatstadt müsste für eure Leser der Nabel der Welt sein und weiter als bis zum SPD- oder CDU-Ortsverein reiche sein Blick sowieso nicht? Mit dieser Haltung werdet ihr nie neue, junge Leser gewinnen, sondern mit den alten und älter werdenden dahin sterben. Zurecht, solange ihr das nicht versteht.

„Poschardt ist einerseits der personifizierte Größenwahn und andererseits auch wieder so banal, dass man eigentlich Mitleid mit ihm haben müsste. Ulf Poschardt ist die Paris Hilton des deutschen Journalismus, ein selbsternannter Leistungsträger einer selbsternannten Elite.“

Der Spiegelfechter nimmt einen WamS-Artikel von Ulf Poschardt zum SPD-Wahlprogramm auseinander. Bei dem Typen denke ich auch jedesmal, das war damals Tom Kummers größter Verdienst, dass Poschi wegen ihm seinen Job als Chefredakteur des SZ-Magazins verloren hat. Alleine deswegen müsste man Kummer eigentlich schon einen Orden verleihen.

(via)

Wie Neon mit Kind: der erste Nido-Titel

Wie "Neon" mit Kind: der erste "Nido"-Titel Foto: Gruner + Jahr

Seit gestern am Kiosk: das neueste Kind der „Stern“-Familie, das allerdings eher wie eine Weiterentwicklung des „Neon“-Konzepts wirkt (Diversifizierung nennt man das glaube ich in der BWLer-Sprache): „Nido„. Angesprochen werden sollen damit „moderne Eltern kleiner Kinder“, die auch nach der Geburt ihres Nachwuchses nicht zu langweiligen Erwachsenen mutiert sind, die sich nur noch übers Windelwechseln und die Verdauungsprobleme ihrer lieben Kleinen unterhalten wollen, oder wie das Editorial es ausdrückt, die auch weiterhin an „Mode, Popkultur und Gesellschaftspolitik, Karriere und geschmackvollem Wohnen“ interessiert sind. „Wir sind eine Familie, aber wir sind nicht gaga.“ Insbesondere der letzte Satz gefällt mir für eine Selbstdarstellung eines neuen Magazins im Grunde sehr gut.

Beim Durchblättern stellt man fest: „Nido“ holt die potentiellen Leser da ab, wo ihr letztes „Neon“-Heft (vermutlich vor der Entbindung) sie hat stehen lassen. Es gibt alles, was man von dem erfolgreichen Vorbild her auch schon kennt: aufwändige Fotoreportagen, einen Kulturteil, Reisetipps (die hier allerdings „Ein Wochenende ohne Kind“ heißen), ein wenig Nutzwert (Risikolebensversicherungen), Sex- und Beziehungsgeschwafel („Wie kann man trotz kleiner Kinder guten Sex haben“), Jobcoaching („Mama möchte wieder arbeiten gehen“) und sogar eine Modestrecke. Nur halt alles konsequent auf die Zielgruppe junge Familie zugeschnitten. Das Ganze sieht sehr gut gemacht aus, edles Layout, gute Fotos und selbst für mich als kinderlosen Single teilweise interessante Themen. (Also, nicht alle natürlich, aber eine Geschichte über Adoptionen in Afrika oder eine Weltreise mit kleinen Kindern würde ich auch lesen.) Manches wirkt allerdings leicht bemüht. Modestrecke mit Kindern? Braucht man das? Als stilbewusste(r) Familienvater/-mutter in Prenzlauer Berg vielleicht schon. Fehlt nur noch die Servicestrecke „Welche Bionade ist die beste?“. Aber es ist ja auch erst die erste Ausgabe.

Jetzt stellt sich nur noch die Frage, ob die Zielgruppe der großstädtischen hippen Eltern groß genug ist für so ein Großverlagsprojekt mit 200.000er Auflage. Könnte klappen, beim Spazierengehen sind mir heute einige junge Paare mit Kinderwagen über den Weg gelaufen, denen ich am liebsten ein Abo vorgeschlagen hätte, so idealtypisch schienen die vom Aussehen her zu passen.

Die zweite Frage ist: Was kommt als nächstes? Das Magazin für den junggebliebenen Senioren, dessen Kinder zwar schon lange aus dem Haus sind, der aber immer noch in House-Clubs geht und bei Ikea einkauft (und vermutlich immer noch am Prenzlberg wohnt)? Dann könnte einen die G+J-Familie durchs ganze Leben begleiten: In der verlängerten Adoleszenz, also etwa von 20 bis 35, liest man „Neon“, steigt mit dem ersten Kind auf „Nido“ um, um spätestens mit 55 auf das Seniorenblatt umzusatteln. Fehlt nur noch ein vierbuchstabiger Titel, der möglichst mit n anfängt. Untertitel: „Wir sind immer noch nicht erwachsen geworden“ oder „Wir werden nie mehr erwachsen“. Ein Kommentator schlägt bei der Blattkritik vor:  „Auch ich würde ein Magazinkonzept für die bisher unterrepräsentierte Zielgruppe ‚Eltern ohne Kinder‘ spannend finden.“ Mein Vorschlag: ein Magazin für Kinderhasser. Da wäre ich sofort als Leser mit dabei ;-).

Die taz ist jetzt wirklich grün

Veröffentlicht: 18. April 2009 in Print
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„Die taz? Führen wir nicht mehr, kauft doch eh keiner mehr“, erwiderte einmal ein unfreundlicher eigenwilliger Kioskbesitzer auf meine Nachfrage, „die wählt doch eh keiner mehr, die Partei!“ Häh, welche Partei, fragte ich mich, „Die Linke“, DKP, MLPD, wen meint der Typ bloß? Bis mir klar wurde, dass er von den Grünen sprach. Tatsächlich hatte ich die taz seit Jahren gar nicht mehr mit dieser Partei assoziiert. (Was ein Fehler war: Tatsächlich wählt die Mehrheit der Leser wohl immer noch grün, wie ich mal irgendwo gelesen habe.)

Seit heute ist die taz nun wirklich grün, zumindest in der jetzt durchweg farbigen Samstagsausgabe. Wie das werktags wird, weiß man noch nicht. Das neue Layout wirkt etwas altbacken, mich erinnert es teilweise arg an die alte FR. Mintgrün als Unterlegfarbe bei Rubrikentiteln und Vorspännen ist nun wirklich nicht mein Ding. Gut, bei der FR war’s früher noch schlimmer, da gab’s ein halbes Dutzend verschiedener Grüntöne bei Überschriften und Hintergründen. Aber das soll nun modern sein? Inhaltlich finde ich die taz von heute wesentlich uninteressanter als die letzte „alte“ Wochenendausgabe von letztem Samstag, das kann aber natürlich auch Zufall und der Themenlage geschuldet sein. Teurer ist die Samstags-taz jetzt auch. Mit 2 Euro 30 hat man sogar die SZ überholt. 2,30 für eine Tageszeitung? Ich weiß nicht, anscheinend gehören die taz-Leser echt mehrheitlich zu den Besserverdienenden.

Was ich bisher auch noch nicht wusste: Es gibt ein taz-Watchblog. Interessant.

„Es ist eine bittere Pille. Doch der einzige Weg, Umsonst-Angebote zu bekämpfen, ist eine Umsonst-Strategie“, erklärt Mark Mulligan von der britischen Marktforschungsgesellschaft Jupiter Research.

Während Plattenmultis wie die EMI ums Überleben kämpfen, konnte die britische Verwertungsgesellschaft (entsprechend der deutschen GEMA) ihre Lizenzeinnahmen 2008 um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern – und auch Bands wie die Nine Inch Nails verdienen nach wie vor prächtig an ihrer Musik. Nur die Konzerne wollen nach wie vor ausschließlich kleine silberne Scheiben zu überteuerten Preisen ans Volk bringen, das sich schon lange lieber die neueste Musik aus dem Netz auf ihren iPod saugt. Die Musik- (und sonstige Medien-) industrie zeigt immer mehr erschreckende Ähnlichkeit mit der Katholischen Kirche. Wenn uns die Gläubigen weglaufen, denken wir nicht darüber nach, ob mit unserer Haltung vielleicht was nicht stimmen könnte, sondern beschweren uns über die Menschen, die immer öfter vom allein seligmachenden Glauben abfallen…

Viel Wirbel um „Southland“

Veröffentlicht: 14. April 2009 in Print, TV
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Das Ende des unabhängigen Journalismus oder eine gelungene PR-Aktion? Die L.A. Times druckte zum Start der neuen Serie von „ER“-Producer John Wells, „Southland“, auf ihrer Titelseite eine Anzeige, die wie ein redaktioneller Artikel gestaltet war. Willi Winkler sieht darin in der SZ so etwas wie den Verkauf der journalistischen Seele an den Teufel. Völlig übertrieben, wenn ihr mich fragt. Über dem Text stand groß „Anzeige“ und das NBC-Logo. Wer das dann trotzdem für einen normalen Artikel gehalten hat, ist entweder blind oder extrem unaufmerksam.

1979 begründete eine WG ihre Abokündigung der taz mit dem schönen Satz: „Diese Regelmäßigkeit, mit der die taz täglich erscheint, strukturiert die Tage so künstlich, das mißfällt uns eben.“ Dieser Brief findet sich in einem Rowohlt-Taschenbuch von 1999, in dem einige der kontroversesten Leserbriefschlachten der ersten 20 Jahre taz-Geschichte versammelt sind: „Macker! Schlampe! Heuchlerbande!“ Um die großen Themen der 80er und 90er Jahre geht es da: Golfkrieg, RAF, Anti-AKW- und Frauenbewegung, südamerikanische Befreiungsbewegungen.

Einige Debatten werfen durchaus grundsätzliche und noch immer bedeutende Fragen auf: Darf Gewalt ein Mittel zum Widerstand sein oder ist  Pazifismus in jedem Fall vorzuziehen? Soll eine alternative Zeitung gesellschaftlichen Gegenbewegungen Platz zur Verfügung stellen, um subjektiv über ihre Themen zu berichten oder ist eine objektive Berichterstattung von Journalisten in jedem Fall angebrachter? Einige der Debatten und Argumente sind aber aus heutiger Sicht überhaupt nicht mehr nachvollziehbar und wirken oft unfreiwillig komisch.

So findet sich unter der schönen Überschrift „Revolutionäre Heimwerker“ eine Debatte um AKW-Gegner, die als Mittel des Widerstandes  Strommasten mit Metallsägen umsägten. Auf die Interview-Aussage eines Aktivisten: „Trotzdem muss man wegen des Kurzschlusses so abhauen, daß man immer nur kleine Schritte macht und dabei immer ein Bein auf dem Boden behält.“, antwortet eine „Berufsgenossenschaft der Heimwerker“ mit dem guten (und ernstgemeinten) Rat: „hüpfen; also immer nur einen Fuß auf dem Boden haben. Oder mit beiden Beinen gleichzeitig springen.“ Gerne stelle ich mir vor, wie die Aktivisten auf einem Bein hüpfend vor der Polizei flüchten.

Die skurrilsten Blüten treiben die Diskussionen allerdings, wenn es um Gender-Fragen geht. So stellte 1981 eine Frauengruppe einen Forderungskatalog auf, der u.a. ein „Ausgehverbot für Männer ab 20 Uhr“ enthielt (damit Frauen sich ohne Angst abends auf der Straße bewegen können). Antwort eines männlichen Lesers: „Ich verpflichte mich schon heute, um 19.40 Uhr nach Hause zu gehen. Dann habe ich noch viel Zeit für meinen Papagei, er fühlt sich sehr vernachlässigt, und dann kann ich mir auch gemütlich das deutsche Fernsehprogramm ansehen.“ Ein pornographischer Text eines Autoren mit dem Pseudonym „Gernot Gailer“ führt nicht nur zu „Schwanz ab“-Rufen von Leserinnen, sondern auch zu heute ziemlich absurd zu lesenden Selbstbezichtigungen männerbewegter Leser, die beklagen, „19 Jahre Chauvinismus“ hätten sie ja erst zu dem gemacht, was sie wären, nämlich bemitleidenswerte triebgesteuerte Wesen, die heimlich Pornos gucken, was sie immer gleich mit Frauenverachtung gleich setzen. Eine ferne Welt tut sich hier für die heutigen LeserInnen auf, die Welt der Frauen- und Männergruppen, in denen alles ausdiskutiert werden musste, auch die intimsten Gefühle, und wegdiskutiert, wenn diese nicht den gängigen Vorstellungen von einem „guten linken“ Leben entsprachen. Schön gestrig auch Formulierungen wie „Ich fühle mich durch den Artikel als Frauenkörperbesitzerin persönlich beleidigt.“ Fehlt nur noch die Anrede „Liebe FrauenkörperbesitzerInnen“. Dass man Sexualität eh nicht auf Hetero- oder Homosexualität beschränken sollte, mahnt eine „Würzburger Runterholgruppe (WüRG)“ an: „Wir meinen, daß gerade, … in Eurer (unserer?) Zeitung auch einmal über Probleme der Autosexualität diskutiert werden  muß!“

Manche Diskussionen wünscht man sich wirklich nicht zurück. Auffallend ist aber doch, wie brav die taz in den letzten Jahren geworden ist. Von 1980 bis 1991 lief eine Spendenaktion, mit der unter den Lesern Geld für Waffen für die Guerilla in El Salvador gesammelt wurde. So fragwürdig das war: Was ist von diesem linken Geist geblieben? Wenn ich die aktuelle Samstagsausgabe der taz durchblättere, stoße ich auf genau zwei Seiten, auf denen ich Themen und Positionen finde, die so nicht in der SZ oder der FR auftauchen: die Meinungsseiten. Alles Andere ist zwar gut gemacht, teilweise überdurchschnittlich gut geschrieben, aber inhaltlich und thematisch Mainstream. Das einzig Alternative an der taz scheint noch ihre Organisationsform zu sein (Genossenschaft statt Großverlag, Redaktionsstatut, Frauenquote, Einheitslohn etc.). Publizistisch scheint sie seit der Regierungsbeteiligung der Grünen weitgehend im bürgerlichen Lager angekommen zu sein (wenn ich jetzt mal, was ich tue, voraussetze, dass auch die Grünen längst zum Bürgertum gehören).

Eine alternative Themensetzung, revolutionäre Ideen oder das Aufzeigen von Alternativen zum real existierenden Kapitalismus finden sich heute eher selten. Erstaunt hat mich vor einiger Zeit, als ich las, die Leserschaft der taz wähle noch immer zum Großteil grün. So wie die Grünen im Establishment angekommen sind, so ist wohl auch die Mehrheit der taz-Leserschaft älter und etablierter geworden. Statt in der WG lebt man in der Kleinfamilie, Atomstrom findet man immer noch böse, aber im Kapitalismus hat man sich längst ganz komfortabel eingerichtet. Wer sich für wirklich links hält, liest wahrscheinlich heute eher die „Jungle World“, den „Freitag“ oder die „junge welt“, falls man zu den Dogmatikern gehört. Wie links ist die taz noch?

Marcel Reich-Ranicki

Veröffentlicht: 11. April 2009 in Print
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… dürfte der einzige freie Mitarbeiter der FAZ sein, der dort über ein eigenes Büro und eine Sekretärin verfügt. (Und diese merkwürdige Rahmenvereinbarung musste er bestimmt auch nicht unterschreiben.)

Der Fall des Autors Thomas Hürlimann, aus dessen FAZ-Artikel der „Perlentaucher“ zitierte, hat eine Diskussion über die Verträge ausgelöst, die die FAZ ihren freien Mitarbeitern aufnötigt. Die Zeitung hatte dem Web-Portal eine Rechnung über 590 Euro geschickt, weil sie ihr Copyright wegen des Zitats verletzt sah. Daraufhin meldete sich der Autor des Artikels, eben jener Hürlimann, zu Wort, und meinte, das Copyright für seinen Artikel läge ja wohl nach wie vor bei ihm, insofern könne der „Perlentaucher“ ruhig daraus zitieren. Dann fiel dem Autor aber wieder ein, dass er 2004 einen Rahmenvertrag mit der FAZ unterschrieben hatte, der sämtliche Rechte an den für sie geschriebenen Texten an den Zeitungsverlag abtritt.

Zufälligerweise dürfte das der gleiche Vertrag sein, den ich auch mal unterschrieben habe, bevor ich als studentischer Mitarbeiter bei der Internetredaktion jener Zeitung anfing. Wolfram Schütte nennt diesen einen Knebelvertrag – zu Recht. Räumt er doch dem Verlag das „ausschließliche zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkte“ Recht ein, die Artikel weiterzuverwenden, also etwa online zu veröffentlichen oder an Dritte weiter zu verkaufen. Mit anderen Worten heißt das, dass der Autor seinen eigenen Text nicht mal mehr an andere Zeitungen oder Online-Seiten weiter verkaufen kann, ohne den Verlag vorher um Erlaubnis zu fragen. Er hat nämlich schlicht und ergreifend alle Rechte an seinem eigenen geistigen Eigentum verloren. Die FAZ zeigt sich in dem Vertrag aber großzügig: „die dafür nötigen Nutzungsrechte werden wir Ihnen gerne einräumen, soweit dies die Verwertung der vorstehend eingeräumten exklusiven Nutzungsrechte nicht unbillig behindert“. Ob das der Fall ist oder nicht, entscheidet dann wohl der Verlag. Oder ein Gericht. Jedenfalls nicht der Autor, vermute ich mal sehr stark.

Ich hatte damals kein Problem, diesen Vertrag zu unterschreiben – obwohl mir diese unverhältnismäßige Rechteübertragung aufgefallen ist -, weil ich in dem Job sowieso keine eigenen Artikel schreiben sollte. Als Freier, der  Artikel zu überregionalen Themen schreibt, ist so ein Vertrag aber schlicht und ergreifend unzumutbar.

Der FAZ-Vertrag stellt sicher einen Extremfall dar, aber dass man als Freier dem Verlag das Recht zur Verbreitung seiner Artikel im Internet, in Datenbanken, Archiven etc. sowie zur Übertragung der Nutzungsrechte an Dritte automatisch erteilt, ohne im Einzelfall überhaupt noch gefragt zu werden und ohne einen zusätzlichen Cent dafür zu erhalten, ist eigentlich bei Zeitungen allgemeine Praxis. Wenn man dann seine eigenen AGB mitschickt, eben um ein solches Exklusivrecht auszuschließen, bekommt man von gut bezahlten fest angestellten Redakteuren mitgeteilt, das wäre doch eine Unverschämtheit, wenn man mit einer renommierten Zeitung wie ihrer ins Geschäft kommen möchte. Das ist halt die Klassengesellschaft im Journalismus. Wer eh schon keine Arbeitsrechte hat, braucht ja auch keine Urheberrechte mehr. Eine Wahl wird dem freien Mitarbeiter in der Regel gar nicht erst gegeben: Es stehen ja genügend andere Schlange, die sicher gerne bereit sind, zu deren Bedingungen für die angesehene Zeitung zu schreiben. Friss oder stirb.

Hier kann man nur Wolfram Schütte Recht geben: „Solange die Autoren sich nicht als Unternehmer in eigener Sache verstehen, also als Kapitalisten, und sich nicht weiterhin wie rekrutiertes Lumpenproletariat verhalten – solange ist nicht auszuschließen, dass die FAZ auch künftig ihre Leichte Kavallerie aus- & ins verhasste Perlentaucher-Reservat einrücken lässt.“