Archiv für September, 2009

Die SPD: ein hoffnungsloser Fall

Veröffentlicht: 28. September 2009 in Politik
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Na, so weit war das Wahlergebnis ja gar nicht von meinem gestern geposteten Wunschergebnis entfernt. Dass die SPD tatsächlich bei nur 23 Prozent landen würde, hätte ich allerdings nicht gedacht. Für den Fall eines solchen Debakels hatte ich fest damit gerechnet, dass die politischen Karrieren von Müntefering und Steinmeier beendet wären. Als sich letzterer dann vor jubelnde Parteianhänger stellte und sagte, er sei bereit, nun Oppositionsführer im Bundestag zu werden, dachte ich erst, ich höre nicht recht. Bei allen vergangenen Wahlen wäre ein Spitzenkandidat mit einem solchen Ergebnis, immerhin dem schlechtesten, das die SPD jemals erzielt hat, für sämtliche Führungspositionen untragbar gewesen. Der SPD scheint es noch wesentlich schlechter zu gehen, als man als Außenstehender bisher dachte, wenn sich so ein Mann dann noch am Wahlabend selbst für das nächste Spitzenamt nominiert. (Bytheway: Wird in der SPD eigentlich noch gewählt oder reicht es jetzt zu sagen, ich mache das, und dann wird auch gar nicht mehr diskutiert?)

Während Steinmeier sprach, sah ich mir die ganze Zeit den neben ihm stehenden Müntefering an, und dachte, zumindest der würde ja wohl gleich seinen Hut nehmen. Stattdessen sprach er irgendwas von den großartigen Werten der Sozialdemokratie, die er und die Seinen schon vor Jahren verraten haben, und das war’s. Später sagte er in einem Interview, er wolle nach wie vor im November wieder als Parteivorsitzender kandidieren. Dazu fällt mir eigentlich nichts mehr ein.

Der Realitätsverlust in der SPD, zumindest auf Führungsebene, scheint noch viel weiter fortgeschritten zu sein, als ich es bisher für möglich gehalten hätte. Es gibt dort keinerlei Selbstkritik, keinerlei Bewusstsein dafür, warum sich die Wähler von ihnen abgewendet haben, keinerlei Einsicht in eigene Fehler und auch keinerlei Gefühl für Anstand mehr. Nach der größten Wahlniederlage der jüngeren Geschichte will man einfach so weiter machen wie bisher. Man weigert sich nach wie vor, die Realität zur Kenntnis zu nehmen: Egon Bahr meint gar, es gäbe in Deutschland kein Fünfparteiensystem, da die Linke ja nicht regierungsfähig sei. Damit werden weiterhin deren Wähler und ihre Anliegen ignoriert bzw. deskreditiert, statt endlich mal schonungslos die Ursachen für das eigene Versagen zu analysieren.

Ich hoffe immer noch ein bisschen, dass sich die Parteilinken das nicht gefallen lassen werden. Wenn ich dann allerdings in den Medien höre, die einzige Alternative zu Münte als Parteichef sei Steinmeier, Wowereit sei nicht vermittelbar, und wahrscheinlich werde Steinmeier 2013 noch einmal als Kanzlerkandidat antreten, kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln. Wenn die SPD tatsächlich so weiter macht, programmatisch und personell, kann sie sich 2013 mit der FDP ein heißes Rennen darum liefern, wer zweitstärkste Partei wird.  Und Angela Merkel hat gute Chancen, eine ähnlich lange Regierungszeit wie ihr Ziehvater Helmut Kohl zu erreichen.

Die Definition von uncool: Die Grünen

Veröffentlicht: 27. September 2009 in Politik, TV
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Zunächst muss ich ProSieben mal ein Lob aussprechen, dass die ihr gesamtes Samstagabendprogramm frei schaufeln, um jungen Zuschauern das Wählen gehen näher zu bringen. Ich mag Stefan Raab mit seinen ganzen Selbstdarstellungs-Product Placement-Events sonst überhaupt nicht, aber dass er seine Popularität in der jungen Zielgruppe nutzt, um statt für Popbands mal für Parteien per Televoting abstimmen zu lassen: Respekt. Danach durfte Sido dann noch recht unbefangen mit Politikern und Jungwählern plaudern.

Bei der „TV Total Bundestagswahl“ gewann die CDU/CSU knapp vor der Linken. Letztere lag in vielen (auch westdeutschen) Bundesländern haushoch vorne und konnte ihre Stimmen gegenüber der Show in 2005 fast überall um rund 20 Prozentpunkte verbessern. Um ungefähr genauso viele Prozentpunkte sackte die SPD im Durchschnitt ab und landete diesmal nur noch auf dem vierten Platz der Gesamtwertung – hinter der FDP. Am erstaunlichsten aber: Die Grünen belegten überall den letzten Platz.

Hätte man vor zehn Jahren eine vergleichbare Abstimmung mit einem vergleichbar jungen Publikum gemacht, wären die Grünen vermutlich noch auf dem zweiten Platz gelandet. Es waren ja früher vor allem junge Erwachsene, Studenten etc., die zu den eifrigsten Wählern dieser Partei gehörten, während sie den Älteren immer etwas suspekt war. Davon ist nun wirklich nichts mehr übrig geblieben. Inzwischen sind selbst die ehemaligen Senioren- und Zahnärzte-Parteien Union und FDP wohl viel cooler geworden als die Öko-Spießer. Für soziale Gerechtigkeit und Friedenspolitik scheint inzwischen eher die Linke zu stehen, für Freiheitsrechte, auch im Internet, wahrscheinlich eher die FDP (und die Piraten), Ökologie ist (scheinbar) eh bei allen Parteien angekommen, und was Wirtschaft und Arbeitsplätze angeht, scheinen Jungwähler die „bürgerlichen“ Parteien inzwischen ähnlich zu bevorzugen wie die Gesamtwählerschaft. Den Grünen bleiben nur ein paar unentwegte Alt-68er und die Mittdreißiger-Bionade-Bohème vom Prenzlberg als Stammwähler übrig. Gibt es eigentlich schon eine Seniorenorganisation bei den Grünen? Die „Evergreens“ oder so was in der Art?

Und hier noch mein Wunschwahlergebnis von heute Abend, das wahrscheinlich leider nicht so eintreffen wird:

Union: 30 %

SPD: 23 %

Linke: 23 %

Grüne: 10 %

FDP: 8 %

Dann wäre wirklich die Frage interessant, ob die SPD das immer noch als klaren Auftrag für eine Fortsetzung der Großen Koalition werten würde oder ob sie Münte und Steinmeier endlich in die Wüste jagen und eine Koalition bilden würde, mit denen sie das verwirklichen könnte, wozu sie eigentlich mal gegründet wurde.

Warum die SPD das Internet nicht verstanden hat

Veröffentlicht: 25. September 2009 in Lesetipp, Online, Politik
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„Wenn Kajo Wasserhövel von Journalisten zum Thema Internet befragt wird, reagiert er mittlerweile ungehalten. Am wenigsten mag Kajo Fragen, die die Worte „Obama“ oder „USA“ enthalten, doch das sind die häufigsten. Er antwortet dann zum Beispiel, dass er selbst im September 2008 in Chicago stundenlang mit Obamas Leuten gesprochen habe, ohne dass ein einziges Mal das Wort „Internet“ gefallen sei. Stattdessen sei es „um Sachfragen“ gegangen.“

Ein anonymer Insider berichtet im „Freitag“ sehr ausführlich und sehr lesenswert über den Internet-Wahlkampf der SPD und darüber, warum dieser scheitern musste. Online gibt es den Artikel sogar mit externen Links im Text!

Ein interessanter Artikel über die Konferenz „all2gethernow“ in Berlin, die der geplatzten Popkomm (auch inhaltlich) etwas entgegensetzen sollte. Einige Parteivertreter scheinen da Gedanken zum Thema Urheberrecht und Erlösmodelle für die Musikindustrie vorgetragen zu haben, die auch zur Wahlentscheidung am kommenden Sonntag beitragen können:

„Demgegenüber wollte Malte Spitz aus dem Bundesvorstand der Grünen die in Frankreich bereits praktizierte „Three-Strikes-Regelung“ als Ideallösung verkaufen, die nach dem dritten Verstoß Internetsperren fürs Runterladen nach sich zieht. Da sich das Mediennutzungsverhalten aber stark verändert habe, plädiere er zusätzlich für die Einführung einer Kulturflatrate.“

Äh, widerspricht sich das nicht? Grundsätzlich für eine Kulturflatrate zu sein, gleichzeitig aber stärkere Strafen für illegales Downloaden zu fordern, ist in etwa so, als wäre jemand grundsätzlich dafür, Prostitution zu erlauben und gleichzeitig zu fordern, bis dahin müssten Freier aber drastischer bestraft werden. Dass ausgerechnet die Grünen inzwischen härtere Strafen für Delikte fordern, bei denen außer Konzernen niemand geschädigt wird, ist auch bezeichnend.

Und was ist mit den Piraten (ich mag inzwischen ja gar nicht mehr auf denen rumhacken, die haben’s ja im Moment in der Blogosphäre echt nicht einfach)?

„Ob die Piratenpartei Musik als Kulturgut wertschätzt, ob sie überhaupt einen Kulturbegriff hat, konnten ihre Vertreter nicht erklärlich machen. Einer der Ihren, der Filmrechteanwalt Patrick Jacobshagen, forderte etwa dazu auf, das Urheberrecht zeitlich stark zu begrenzen und das Zitatrecht auszuweiten. Wer also sein Kreuz für die Piraten macht, muss sich darüber im Klaren sein, dass dann in Zukunft zum Beispiel Songs von Die Ärzte unbehelligt auf Nazidemos gespielt werden dürfen.“

Dass BILD-Chefredakteur Kai Diekmann vor kurzem in die taz-Genossenschaft eingetreten ist, halte ich eher für eine clevere PR-Maßnahme in eigener Sache bzw. für die BILD. Dass er dann im roten Pulli mit verfremdetem Che Guevara-Motiv auf der Genossenschaftsversammlung auftauchte, ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass der Mann Humor hat, im Großen und Ganzen aber doch etwas peinlich.

Richtig schlimm für die taz wird es dann aber, wenn deren Geschäftsführung Diekmann zustimmt, mittelfristig müsse man für Zeitungsinhalte im Internet Gebühren verlangen. Leute, Leute, damit sind andere doch schon vor zehn Jahren gescheitert. So gut eure Artikel auch sein mögen, glaubt ihr ernsthaft, ausgerechnet taz-Leser – die nicht eh schon die Zeitung abonniert haben – werden in riesiger Zahl Online-Abos abschließen wollen? Mal ganz abgesehen davon, dass ihr euch mit einem solchen Schritt nicht gerade als Vorreiter für die digitale Zukunft präsentieren würdet. Und angeblich spielt die taz doch immer so gerne den Vorreiter bei gesellschaftlichen Entwicklungen.

Warum ist der „Presseclub“ so tendenziös?

Veröffentlicht: 20. September 2009 in Politik, TV
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Ist die überwiegende Mehrheit der politischen Journalisten in Deutschland konservativ oder sucht die ARD nur solche für die Teilnahme am „Presseclub“ aus? Eine Frage, die ich mir schon öfter gestellt habe. Bei der heutigen Sendung war es wieder mal besonders auffällig: Der Vertreter der Badischen Zeitung sagt, die Agenda 2010 habe doch so viele neue Arbeitsplätze gebracht. Keiner widerspricht. Ex-FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg malt das Schreckgespenst einer rot-rot-grünen Bundesregierung an die Wand: „Die Reichen würden auswandern, die Armen würden nicht reicher werden und die Mittelschicht würde durch höhere Abgaben belastet.“ Eine der beiden Journalistinnen, die auch noch teilnehmen dürfen, kichert zustimmend und sagt: „Ja, genau.“ Von Gegenstimmen keine Spur, niemand, der den neoliberal-konservativen Meinungsmainstream mal in Frage stellen würde. Sieht so ausgewogene öffentlich-rechtliche Meinungsbildung aus?

Man könnte z.B. mal fragen, was denn an Müller-Voggs Prognose so schlimm wäre, selbst wenn sich diese erfüllen würde. Im Moment sieht es nämlich so aus: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer und immer zahlreicher und die Mittelschicht schrumpft. Ist das wirklich so viel besser als die oben genannte Voraussage? Solange im „Presseclub“ aber hauptsächlich neoliberale Vorbeter wie Jörges und Reitz als Stammgäste sitzen (und ab und zu mal eine Bettina Gaus oder früher auch Bascha Mika von der taz als linke Alibi-Gäste), werden wir auf solche kritischen Gegenfragen wohl weiter vergeblich warten müssen.

Was war nicht schon alles im Vorfeld über Lars von Triers neuen Film „Antichrist“ zu lesen und zu hören? Dass es Kastrations- und andere detaillierte Gewaltszenen gebe, wusste man als deutscher Kinogänger schon seit der Cannes-Berichterstattung. Kurz vor dem Deutschlandstart druckten sowohl epd-Film als auch Cargo mehrseitige Analysen des Films ab (in Cargo übrigens von Elfriede Jelinek), die interessanterweise zu ziemlich gegensätzlichen Ergebnissen kommen. In epd-Film wird von Triers Film als frauenfeindlich und tief katholisch bezeichnet, Jelinek sieht das wohl ganz anders, wobei ihr Text auch nicht so richtig erhellend ist.

Die komplette Story war mir also (leider) schon mehr oder weniger bekannt, bevor ich den Film sah. Die Analysen helfen mir aber alle nicht so recht weiter. Von Trier entzieht sich einer eindeutigen Interpretation, und das ist vielleicht auch besser so. Es ist ein Zwei-Personen-Stück, dass er in einem deutschen Wald inszeniert hat: Nachdem ihr kleiner Sohn durch einen Fenstersturz ums Leben gekommen ist, während die Eltern Sex hatten, will der Ehemann, ein Therapeut, seine verzweifelte Frau dadurch therapieren, dass er sie mit ihrer größten Angst konfrontiert: Die hat sie vor der Natur. Also nimmt er sie mit in eine abgelegene Hütte im Wald, wo sie schon bald durchdreht und sich mit unglaublicher Gewalt gegen ihren Mann wendet.

Von Trier erspart seinen Zuschauern nichts: verzweifelten Sex, seltsame ungeschönte Masturbationsszenen, Gewalt-Pornografie in Reinform. Willem Dafoe, vor allem aber Charlotte Gainsbourg geben alles, was sie schauspielerisch zu bieten haben. Es ist erstaunlich, wie von Trier es immer wieder schafft, gerade weibliche Schauspieler bis an ihre Grenzen und noch darüber hinaus zu treiben; man denke nur an Björk in „Dancer in the Dark“. Darüber hinaus ist er einer der stilistisch interessantesten Regisseure der Gegenwart. In „Antichrist“ hat er sich von den selbst auferlegten Beschränkungen seiner letzten Filme gelöst, es gibt keinen Dogma-Stil und keine spärlichen Kulissen mehr. Stattdessen erschafft er mit Filtern und optischen Verfremdungseffekten eine geheimnisvolle, ebenso schöne wie bedrohliche Waldwunderwelt.

Aber was will er uns mit den ganzen inhaltlichen und visuellen Zumutungen sagen? Die rein psychologische Interpretation liegt nahe, zumal im Film selbst von Freud gesprochen wird und es auch Anspielungen auf die Ödipus-Sage gibt. Also Schuld durch Sexualität, die nur durch die Ermordung des Mannes und die Selbstkastration der Frau wieder getilgt werden kann.

Aber so einfach macht es uns von Trier  nicht: Sein ganzer Film ist ein Märchen, in dem unerklärliche Dinge passieren (nicht nur, was das Verhalten der Frau angeht), in dem Tiere sprechen und von den Toten auferstehen, in dem die ermordeten Frauen der Jahrhunderte einen Berg hinauf ziehen. Die Frau selbst identifiziert sich mit den Hexen, über die sie in eben jener Hütte ihre Dissertation schreiben wollte. Das legt wieder die Interpretation nah, dass von Trier ein Frauenfeind ist (was wahrscheinlich klingt, hat er doch vorher in mindestens drei Filmen eine Frau als Leidende gezeigt, nur dass die Frau diesmal halt nicht das Opfer ist, sondern die Furie) und die Aussage des Films: Die Frauen sind von Natur aus irrational, die Männer rational (Willem Dafoe verkörpert als Therapeut das wissenschaftliche, das rationale Prinzip). Und weil das Irrationale gefährlich ist, muss die Frau getötet werden, damit der Mann in Ruhe weiter leben kann.

So kann man den Film interpretieren – muss man aber nicht. Denn wer ist eigentlich der Antichrist des Titels, warum hat die Frau ihrem Sohn immer die Schuhe an die falschen Füße gezogen? Ist nicht vielleicht die Welt schon längst an den Antichrist gefallen und die Frau hat nur versucht, dem etwas entgegenzusetzen, die Welt quasi umzudrehen? Verkörpert nicht vielleicht vielmehr der Mann, der so gar nicht um seinen Sohn zu trauern scheint, das Böse? Ist sein scheinbar so rationales Verhalten angesichts des erlittenen Verlustes wirklich so rational?

Fragen über Fragen, die sich nur jeder selbst beantworten kann. Man kann das Ganze auch als provokanten Humbug abtun. Aber damit würde man von Trier wahrscheinlich weit unterschätzen.

„Man wird nie vermeiden können, dass Menschen, die viel Zeit, aber wenig Geld haben, sich Sachen umsonst besorgen. Aber Du wirst die Menschen, die wenig Zeit, aber Geld haben, als Kunden gewinnen, wenn Du Zuverlässigkeit und Service bieten kannst.“

Tim Renner, einer der wenigen Plattenlabel-Bosse, der den Wandel verstanden hat, sagt noch andere kluge Dinge im „Freitag“-Interview.

Und ein schönes Stück über den Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als Modell für ein besseres Leben in Deutschland von Mikael Krogerus (eh einer der besten Schreiber beim „Freitag“). (Ein Freund von mir hat sich in Friedrichshain vor knapp 15 Jahren mal in einem Studentenwohnheim die Krätze geholt, aber das ist eine andere Geschichte. Damals war das noch ein Stadtteil, in dem man nach Einbruch der Dunkelheit lieber nicht auf die Straße ging – so ändern sich die Zeiten.)

Des Piraten neue Kleider

Veröffentlicht: 15. September 2009 in Online, Politik
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Abgesehen davon, dass sich mMn außerhalb der Blogosphäre sowieso so gut wie niemand für die Piratenpartei interessiert, stelle ich mir schon die Frage, warum diese neue Partei für viele junge Menschen so eine neue politische Hoffnung ist. Im Wesentlichen ist das eine Ein-Themen-Partei: Es geht um das Internet – und um Bürgerrechte, die damit in Zusammenhang stehen. Zu Sozial-, Außen- oder Arbeitsmarktpolitik findet sich in ihrem Wahlprogramm nicht einmal ein Kapitel.

Nun sagen viele ihrer Anhänger, das wäre ja nicht so schlimm. Auch die Grünen hätten ja als Ein-Thema-Partei angefangen und sich dann weiter entwickelt. Was natürlich nicht stimmt: Entgegen ihres Namens sind die Grünen eben gerade nicht nur aus der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung hervorgegangen, sondern auch aus der Friedens-, Frauen- und ähnlichen Bewegungen. Auch WASG und heute die Linke hatten von Anfang an noch andere Themenschwerpunkte als nur die soziale Gerechtigkeit, z.B. den Pazifismus.

Erschreckend finde ich, dass die Piraten weder einen Mindestlohn fordern, noch den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, noch eine Position zum Atomausstieg hat. Und das soll eine linke Partei sein? Tut mir Leid, ernst nehmen kann ich eine Partei, die bei solch fundamental wichtigen Zukunftsfragen keine eindeutigen Ziele verfolgt, nicht.

Und wie ist es nun um die Kernthemen der Piraten bestellt? Mehr Datenschutz? Bin ich dafür. Keine staatliche Kontrolle der Internetnutzung, keine Internet-Zensur? D’accord. Aber was ist mit dem Urheber- und Patentrecht? Die Forderungen zum Patentrecht im Wahlprogramm könnte ich so alle unterschreiben. Sie gehen aber nicht besonders weit. Im Freitag stellte ein Experte neulich die Frage, warum es überhaupt ein Patentrecht gebe, da das Urheberrecht auch für Produkterfindungen völlig ausreiche.

Und wie will die Partei nun eigentlich das Urheberrecht reformieren? Das scheint sie irgendwie selbst noch nicht so genau zu wissen. Diesen Eindruck hatte ich zumindest, als ich den entsprechenden Abschnitt in ihrem Wahlprogramm durchlas. Da werden insgesamt viele richtige Feststellungen über die derzeitige und zukünftige Lage der Musik- und ähnlicher kreativer Industrien gemacht, aber wenig Antworten gegeben, wie das Urheberrecht denn nun den neuen technischen Möglichkeiten angepasst werden soll.

Begrenzung der Verwertungsrechte auf den Zeitraum bis zum Tod des Künstlers? Ok, sicher sinnvoller als die Regelung mit den 70 Jahren. Aber es ist doch etwas wohlfeil zu schreiben, wir fordern auf, neue Geschäftsmodelle zu suchen, die den Künstlern erlauben, mit ihren Werken Geld zu verdienen. Es wäre doch wohl Aufgabe der Partei, selbst einen gesetzlichen Rahmen vorzuschlagen, innerhalb dessen eben dies möglich ist. Was ist z.B. mit der Kulturflatrate? Dazu steht auf der Webseite der Piraten nur:

„Unter anderem wird die Idee der „Kulturflatrate“ diskutiert. Zusätzlich bieten Konzerte, Fanartikel, Spenden und staatliche Kunstförderung weitere Einnahmemöglichkeiten.“

Mit anderen Worten: Die Partei scheint sich selbst noch nicht einig zu sein, ob sie eine Kulturflatrate unterstützt oder nicht. In so einer essentiellen Frage hat die selbst ernannte Internet-Partei also keine Meinung. Ein Armutszeugnis. Und das nun beispielsweise alle Künstler, die bisher von Tantiemen ihrer Plattenverkäufe und Musikdownloads leb(t)en, in Zukunft ihren Lebensunterhalt von Spenden und staatlicher Förderung bestreiten sollen, ist ja wohl ein schlechter Witz. Richten wir dann eine zentrale staatliche Förderstelle ein, die wie einstmals die Plattenfirma Amiga in der DDR entscheidet, welche Band förderungswürdig ist und welche nicht? Außerdem scheint mir das Programm in diesem Abschnitt nicht ganz schlüssig zu sein: Einerseits soll jeder Künstler selbst entscheiden dürfen, unter welcher Lizenz er seine Werke veröffentlichen will, andererseits soll jeder Bürger das Recht zum freien Kopieren aller Werke haben (auch übers Internet?). Und wenn der Künstler nicht will, dass sein Werk kostenlos kopiert und weitergegeben wird?

Hinter dem ganzen hippen Auftreten scheint scheint mir bis jetzt noch nicht allzu viel Substanz zu stecken. Von einer ernstzunehmenden politischen Alternative ist diese Partei jedenfalls noch ziemlich weit entfernt.

Auf die BILD ist Verlass

Veröffentlicht: 15. September 2009 in Aus der Praxis, Online, Print
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Neulich habe ich für den epd einen Artikel geschrieben, der zwei meiner Lieblingsthemen kombinierte: Comics und Internet. Es ging also um Webcomics und u.a. stelle ich darin zwei deutschsprachige Zeichner vor, die ihre Comics im Internet veröffentlichen. Der Artikel erschien dann u.a. beim Hamburger Abendblatt Online und muss von irgendeinem Mitarbeiter der Saarbrücker Regionalausgabe der BILD gelesen worden sein. Da einer der interviewten Zeichner aus Saarbrücken kommt, nämlich Erik, der den sehr umfangreichen Webcomic „Deae ex machina“ publiziert, dachte sich der Mensch wohl, das wäre doch auch was für die BILD Saarbrücken. Also brachte diese am Wochenende einen Artikel über Erik und seinen Fantasy-Comic. Und was wählte BILD als Überschrift? „Vollbusige Heldinnen retten die Welt“! Ja, manche Klischees werden doch immer wieder bestätigt. Die Überschrift hätte ich beim epd natürlich nicht durch bekommen.