Archiv für die Kategorie ‘Comic’

Abb.: Panini

1927. Célestin ist ein hünenhafter, etwas unbeholfener junger Mann, der als Assistent in der Buchhalter-Kanzlei seines Vaters eher fehl am Platze wirkt. Da er ein leidenschaftlicher Filmliebhaber ist, bricht er eines Tages in die Großstadt Paris auf, um selbst Regisseur zu werden. Er kommt zuerst beim Betreiber eines kleinen Kinos unter und ergattert sogar einen Job als Gehilfe in einem Filmstudio. Als er zufällig die anmutige junge Frau trifft, die der Star heimlich gezeigter Erotikfilme ist, sieht er endlich die Chance gekommen, seinen Traum vom Filmemachen zu verwirklichen…

Laurent Galandon (Wer Wind sät bei Finix) erzählt eine charmante Geschichte über einen liebenswerten Außenseiter und seine nicht minder verschrobenen alten und neuen Bekannten. Gleichzeitig ist Die Traumfabrik eine Hommage an die Frühzeit des Mediums Film, als ein Kinobesuch noch etwas fast Magisches war und ganz neue Welten eröffnen konnte. Dass der Comic nicht in Hollywood, sondern in Frankreich spielt, ist dabei nur folgerichtig: Wäre doch das Kino ohne die Erfindung der Brüder Lumière gar nicht vorstellbar, wie der mit historischen Fotos illustrierte Anhang zeigt. Frédéric Blier überträgt die Geschichte in manchmal etwas ungenaue, aber lebendige Zeichnungen, die durch Sébastien Bouets Kolorierung eine angenehme Wärme ausstrahlen. Ein altmodischer Comic, der auch gut ins ZACK-Magazin passen würde.

 

Die Traumfabrik 1: Der Riese und die Nackttänzerin

von Frédéric Blier + Laurent Galandon

Übersetzung: Annabelle Steffes

HC • 56 Seiten • € 14,99 • Panini

Abb.: Carlsen Comics

Bei Frank Pé ist Spirou endgültig erwachsen geworden – ganz ohne Nazis und Kriege wie in den Beiträgen von Schwartz und Yann oder Bravo. Sondern auf natürlich wirkende Art, angesiedelt im Brüssel einer nahen Zukunft, in dem das Atomium endgültig verfallen ist. Äußerlich und charakterlich erinnert der Titelheld an einen etwas älter gewordenen Jonas Valentin (der ja auch schon von Album zu Album heranreifte). Nach einem Streit mit der neuen „Le Moustique“-Chefin nimmt sich Spirou eine Auszeit von seinem Reporterdasein und trifft den brillanten Tierdresseur Noë wieder, über den Franks geliebte exotische Tiere ins Spiel kommen. Noë, eine Randfigur aus Franquins letzter „Spirou“-Geschichte „Bravo Brothers“, arbeiten Frank und sein Szenarist Zidrou zu einem vollständigen ambivalenten Charakter aus. Dabei war seine Verbitterung über die Menschen und das Leben, die ihn dazu bringt, sich lieber mit Tieren zu umgeben, bereits in der ansonsten rein humoristischen Franquin-Kurzgeschichte angelegt. Neben weiteren alten Bekannten aus Franquins Kosmos treffen wir auch auf zwei neue wichtige Frauenfiguren, darunter eine zeichnerisch wie charakterlich herrlich gelungene rebellische Teenagerin. Was die grafische Seite angeht, ist Frank hier ohnehin auf der Höhe seines Zenits angekommen, verbindet scheinbar mühelos die Zeichenstile seiner beiden Hauptserien „Jonas Valentin“ und „Zoo“.

Das Autorenduo packt sehr viele verschiedene Themen in die Geschichte: Kunst und Kunstmarkt, Erwachsenwerden und Erziehung, die Möglichkeit einer Verständigung zwischen Tier und Mensch – und als humoristischen Handlungsstrang auch noch eine Pilzseuche. Am Ende verknüpfen sich (fast) alle diese Fäden zu einem gelungenen Ganzen. Dem großen Naturfreund und Humanisten Frank ist damit eine wunderbar warmherzige Ode an das Leben gelungen – und der beste „Spirou“ seit dem Abschied von Tome & Janry vor fast 20 Jahren.

„Spirou und Fantasio Spezial: Das Licht von Borneo“ ist bei Carlsen Comics erschienen. Ein ausführliches Porträt von Frank Pé und seinem Gesamtwerk, geschrieben von mir, erscheint Ende Juli in der Comiczeitschrift ZACK.

Eternauta

In diesem Jahr brachte der Berliner avant-Verlag den argentinischen Comicklassiker „Eternauta“ endlich in einer deutschen Ausgabe heraus. Das von 1957 bis 59 entstandene Werk hat in Argentinien bis heute eine große Bedeutung, vor allem, weil seinem Autor ein Schicksal widerfuhr, das wie eine Wiederholung dessen gelesen werden kann, das er selbst in seiner Geschichte schilderte: Héctor German Oesterheld schloss sich in den 1970er Jahren gemeinsam mit seinen vier Töchtern der Widerstandsbewegung gegen die Militärdiktatur an und ging in den Untergrund. Alle fünf fielen dem Terrorregime zum Opfer, Oesterhelds Leiche wurde bis heute nicht gefunden. Diese ebenso tragische wie wütend machende Familiengeschichte erzählt die Journalistin Anna Kemper in einem ausführlichen Zeit-Artikel, der in dem Buch abgedruckt ist.

Aus heutiger Sicht wirkt Oesterhelds Science-Fiction-Erzählung wie eine düstere Prophezeiung, wie eine vorweggenommene Parabel auf die reale Situation in seinem Heimatland 15 Jahre später. Das verleiht dem Werk eine zusätzliche Qualität. Aber auch ohne dieses Wissen wäre es schon bemerkenswert, was an der Dichte der Erzählung liegt wie auch am Talent des Zeichners Francisco Solano Lopez.

Die Geschichte beginnt in einer Nacht des Jahres 1959, als ein Comicautor in Buenos Aires (unschwer als Oesterheld selbst zu erkennen) einsam in seinem Zimmer vor sich hin arbeitet, als plötzlich wie aus dem Nichts ein geheimnisvoller Besucher erscheint: Der Fremde nennt sich selbst „El Eternauta“, der ewige Reisende oder durch die Ewigkeit Reisende. Er beginnt, ausführlich zu erzählen, was ihm passiert ist, seit in einer ebenso ruhigen Nacht in der gleichen Stadt seine Welt auf den Kopf gestellt wurde: Gemeinsam mit drei Freunden sitzt der Mann, mit bürgerlichem Namen Juan Salvo, in seinem Haus beim Kartenspiel, als sich draußen merkwürdige Dinge abspielen: zunächst Schreie und Unfallgeräusche, dann plötzlich ungewohnte Stille. Beim Blick aus dem Fenster müssen die Freunde feststellen, dass ein tödlicher Schnee fällt, der offenbar jeden, der damit in Berührung kommt, auf der Stelle umbringt. Mit viel Glück und Überlegung gelingt es den Männern sowie Salvos Ehefrau und kleiner Tochter zu überleben. Sie basteln sich aus Taucheranzügen Schutzanzüge, um draußen nach Nahrung, Wasser und Benzin suchen zu können. Doch Gefahren lauern nicht nur von anderen Überlebenden, die weniger mitfühlend sind als sie selbst.

„Eternauta“ beginnt also wie eine klassische postapokalyptische Geschichte à la „Walking Dead“ (nur um ein Vielfaches besser geschrieben), in der eine kleine Gruppe Überlebender versucht, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Mit der Zeit erkennen diese aber, dass das, was sie bis dahin für die Folge eines misslungenen Atomtests hielten, eine noch weitaus schlimmere Ursache hat: Die Erde ist einer außerirdischen Invasion zum Opfer gefallen, die den Planeten erobern und „säubern“ will. Nach knapp 100 Seiten stoßen Salvo und seine Freunde auf eine Militäreinheit, die den Angriff ebenfalls überstanden hat und den Widerstand gegen die Besatzer organisiert. Nun wechselt der Comic von einer Seite zur nächsten das Genre und wird über weite Strecken zu einer Kriegsgeschichte mit detaillierten Schilderungen von Militärtaktiken und -missionen. Wobei die Menschen immer wieder in schier aussichtslose Situationen geraten, die Helden aber doch immer in letzter Minute durch einen Trick oder einfach durch Glück überleben. Aber immer, wenn sie Hoffnung schöpfen, den Krieg doch noch gewinnen zu können, erweisen sich die Aliens als technisch noch überlegener als angenommen.

Hoch anzurechnen ist dem Autor dabei, dass er sich nicht nur herkömmlicher Versatzstücke aus ähnlichen Alieninvasionsgeschichten bedient, sondern etwa der Spezies, die den Angriff steuert, ein menschliches Gesicht verleiht. Auch diese stellen sich nämlich als Gefangene der eigentlichen Invasoren heraus, die andere Lebensformen von fremden Planeten versklaven, um wiederum andere Planeten zu erobern. Am Ende der Geschichte, nach gut 350 Seiten, gelingt es Salvo, mit einer Zeitmaschine der Aliens zu entkommen, verliert dabei aber seine Familie, die in eine andere Dimension geschleudert wird. Nach einer endlosen Suche durch Raum und Zeit (die aber nicht gezeigt wird), landet er schließlich im Zimmer des Comicautors. Als er erfährt, dass er im Buenos Aires des Jahres 1959 angekommen ist, gerät er in Euphorie: Das bedeutet, dass seine geliebte Frau und Tochter ja noch in der gleichen Stadt leben, die tödliche Invasion sich noch gar nicht ereignet hat! Die Geschichte endet mit einem Zirkelschluss: Der Comicautor weiß nicht, ob in vier Jahren all das Schreckliche, von dem ihm der Fremde berichtet hat, tatsächlich in seiner Heimatstadt und auf der ganzen Erde passieren wird.

Oesterheld hat diese ebenso epische wie bedrückende Geschichte wie einen Roman geschrieben: Der Comic ist durch die vielen Erzähltexte mit den Gedankengängen des Helden sehr textlastig geworden. Vieles davon ist redundant, weil es entweder nur das beschreibt, was in den Bildern sowieso zu sehen ist, oder zusammenfasst, was unmittelbar zuvor passiert ist (letzteres ist wohl der ursprünglichen Veröffentlichungsform in Fortsetzungen in einem Comicmagazin geschuldet). Das macht das Lesen einerseits anstrengend, andererseits erreichen die oft sehr poetischen Formulierungen eine literarische Qualität. Vor allem ist die Story aber unheimlich spannend und intensiv erzählt, zudem ist es eine der tragischsten Comicgeschichten, die ich gelesen habe. Lopez zeichnet extrem detaillierte Gesichter; mit seiner Stricheltechnik arbeitet er Hautpartien und Muskeln wie ein Bildhauer quasi „von innen“ heraus. Zusammen mit den Straßenzügen und städtischen Wegmarken von Buenos Aires schafft das eine authentische Atmosphäre, so dass man sich trotz der Fantastik der Geschichte wie in einem realistischen Bericht fühlt.

Neben der kompletten Urfassung des Comics (später versuchte sich Oesterheld noch an weiteren Versionen der gleichen Geschichte) enthält der deutsche Band eine kurze Einführung in das Gesamtwerk des Autors sowie eine Analyse der Erzählung vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse in Argentinien. Durch diese Bezüge wirkt der Comic heute wie eine weitsichtige Parabel auf die argentinische Gesellschaft während des Militärregimes. Aber auch darüber hinaus ist er ein wichtiges Werk des internationalen Comics, das sich kein Liebhaber des Mediums entgehen lassen sollte.

avant-Verlag 2016, 392 Seiten, Hardcover Querformat, 39,95 €