Archiv für Dezember, 2010

Jahresbestenlisten 2010

Veröffentlicht: 30. Dezember 2010 in Film, TV
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Es war ein äußerst schwaches Kinojahr. Vielleicht bin ich aber auch einfach alt geworden und hab alles schon mal so ähnlich gesehen, weswegen mich nichts mehr so richtig begeistern kann. Wie dem auch sei, meine Film-Top 5 fürs zuende gehende Jahr:

1. The Social Network – endlich mal wieder ein teurer Hollywoodfilm, der fast alles richtig gemacht hat: relevantes Thema, hervorragendes Drehbuch, gute Darsteller, technisch top

2. Mammut & The Road – Moodysson hat es eh drauf und im Gegensatz zu den meisten Kritikern fand ich dieses Globalisierungsdrama sehr bewegend. The Road war hingegen der deprimierendste Film des Jahres und einer der düstersten SF-Filme, die ich kenne, gleichzeitig eine berührende Reflexion darüber, was den Menschen ausmacht.

4. Enter the Void – Anstrengend, aber lohnend. Auf jeden Fall der ungewöhnlichste Film, den ich 2010 gesehen habe.

5. Kick-Ass – Überraschung des Jahres. Hatte nicht viel erwartet, wurde aber bestens unterhalten. Witzigster Film des Jahres.

Bester Regisseur: John Hillcoat (The Road) und irgendwie auch Gaspar Noé wegen seines Mutes und seiner Originalität (was die technische Seite angeht, nicht die erzählerische, denn die war ziemlich banal)

Bester Drehbuchautor: natürlich unangegriffen Aaron Sorkin, was aber nicht nur seinem The Social Network zu verdanken ist, sondern auch diversen The West Wing-Staffeln, die ich dieses Jahr geschaut habe, sowie „Eine Frage der Ehre“, den ich erstamlas gesehen habe

Bester Filmschauspieler: Viggo Mortensen für seine sehr physische Tour de Force in The Road

Beste Filmschauspielerin: Michelle Williams in Mammut

Beste aktuelle Serien: Big Love, Mad Men, Misfits

Beste Serienschauspielerin: Chloe Sevigny in Big Love

Bester Serienschauspieler: David Duchovny ist einfach klasse, wie er in Californication mit Erfolg gegen sein Softieimage aus Akte X anspielt

Ein weiterer Beitrag in meiner Reihe der Versuche, eine tolle TV-Serie vorzustellen, die die Seriennerds unter meinen Lesern nicht schon längst kennen. Ich kenne mich mit britischen Serien im Gegensatz zu amerikanischen nicht besonders gut aus, unter den aktuellen gehörte bisher auch keine zu meinen Favoriten. Bis ich „Misfits“ entdeckt habe, eine noch relativ neue von Channel 4 produzierte Serie, deren zweite Staffel gestern zuende ging (am Sonntag folgt noch ein Christmas Special, eine britische Besonderheit, die ich bisher nur von Doctor Who kannte).

Titelhelden sind fünf junge Straftäter, die wegen geringerer Delikte Sozilastunden ableisten müssen. Dabei geraten sie in ein ungewöhnliches Gewitter und werden gleichzeitig vom Blitz getroffen. Danach entdeckt einer nach dem anderen, dass sie über Superkräfte verfügen. Das macht ihr Leben nun nicht gerade einfacher, denn zum einen sind diese Kräfte oft eher hinderlich als hilfreich. So wird etwa jeder Mann, der die attraktive Alisha nur berührt, ab sofort zu einem willenlosen Sexmaniac, der sie gleich an Ort und Stelle vergewaltigen will. Zum anderen sind die Fünf nicht die einzigen Bürger, die von dem seltsamen Blitz getroffen wurden und so geraten sie ständig mit neuen schrägen Typen aneinander, die über die unterschiedlichsten Superkräfte verfügen. Und der ein oder andere setzt sie gerne ein, um Menschen zu killen.

Das klingt zunächst mal etwas trashig – und das ist es auch. Aber eben nicht nur. Im Gegensatz etwa zu „Heroes“ sind die Hauptfiguren hier trotz ihrer Kräfte eben keine Superhelden, sondern teilweise ziemlich asoziale jugendliche Delinquenten, die mit deftigen Sprüchen nur so um sich schleudern, die ständig Fehler machen und sich meist überhaupt nicht heldenhaft verhalten. So ist Nathan die meiste Zeit ein selbstverliebtes Arschloch, Simon ein creepy Außenseiter, Kelly eine aggressive junge Frau mit einem unfassbaren Slang usw. Das einzige, was sie gemeinsam haben, ist ihre neue Situation. Mehr gegen ihren Willen schweißt sie das natürlich zusammen, was aber nicht heißt, dass sie nun plötzlich die besten Freunde würden. Genauso langsam, wie die Figuren ihre gegenseitige Abneigung verlieren, schließt man sie auch als Zuschauer ins Herz. Denn zu Anfang wirken sie noch extrem unsympathisch. Erst mit der Zeit merkt man, dass jeder auch gute Seiten an sich hat.

„Misfits“ basiert locker auf der amerikanischen 80er-Jahre-Serie „Misfits of Science“, die bei uns als „Die Spezialisten unterwegs“ auf RTL bzw. damals noch RTL plus lief. Außer der Grundprämisse, dass eine Handvoll eher junger Außenseiter plötzlich Superkräfte hat, haben die beiden Serien aber im Grunde nichts gemeinsam. Außer vielleicht noch die trashigen Gegner. Da wird vor nichts zurück geschreckt, was die Klamottenkiste der Superschurken hergibt, von Gestaltwandlern bis zu lebenden Ego-Shootern und tötenden Milchverspritzern. Diese trashigen Episodenplots gehen aber einher mit tiefgründigeren episodenübergreifenden Story Arcs, die gerne mal Rätsel à la „Lost“ oder BSG aufwerfen. Da gibt es geheimnisvolle maskierte Beschützer, Zeitreisen etc. Neben viel Situationskomik und wirklich witzigen Sprüchen bleibt auch genügend Raum für stillere, bewegendere Momente.

Insgesamt ist das Ganze eine ziemlich gewagte Mischung aus SciFi-Action, Coming-of-Age-Drama und abgefahrener Comedy. Und erstaunlicherweise funktioniert diese Mischung sehr gut. Stilistisch ist die Serie alles andere als 08/15, es gibt immer wieder gelungene Regieeinfälle und optische und formale Spielereien. Hinzu kommt ein treffender Einsatz von Popsongs, ziemlich viel Sex und eine explizite Sprache, wie ich sie selbst in HBO- oder Showtime-Serien – mit Ausnahme vielleicht von „Californication“ noch nicht gehört habe. „Wank“ und „shag“ dürften wohl zu den meistbenutzten Wörtern gehören. Auch das sorgt für Realismus, denn abgesehen von der absurden Grundprämisse zeigt die Serie realistische Charaktere aus der Unterschicht statt comichafter Superhelden (die folgerichtig auch weiterhin Müll einsammeln müssen).

Anders als in „Heroes“, wo es immer gleich darum geht, die ganze Welt zu retten, entstehen die Plots in „Misfits“ meist aus den Charakteren und den Situationen heraus, in die diese geraten. So ist es ein schöner running gag, dass ihnen ständig Bewährungshelfer gefährlich werden. Auch die Superkräfte selbst sind an die Geschichten und Ängste der Charaktere angebunden: der schüchterne Simon, der für andere Menschen meist unsichtbar bleibt, kann sich plötzlich wirklich unsichtbar machen, Curtis, der wegen Drogenbesitzes seine Läuferkarriere beenden musste und sich wünscht, die Zeit zurück drehen zu können, kann plötzlich genau das etc.

Wer mal eine etwas andere Superheldenserie mit intelligenten Drehbüchern, toller Inszenierung und guten Darstellern sehen will, sollte sich „Misfits“ nicht entgehen lassen. Bis sich ARD oder ZDF mal trauen, eine solche Serie zu produzieren, werden wahrscheinlich noch ein paar Jahrzehnte ins Land gehen.

Lesetipp: Die Briten und ihre Qualitätsserien

Veröffentlicht: 16. Dezember 2010 in Lesetipp, TV
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Zufällig gefunden: eine hoch interessante vierteilige Artikelreihe von Serienjunkies.de-Redakteur Christian Junklewitz mit dem Titel „Wie die Briten zu ihren Qualitätsserien kamen“. Wer sich schon mal die Frage gestellt hat, warum es im UK eine viel größere Vielfalt anspruchsvollerer Serien gibt als bei uns, bekommt hier einige interessante Antworten geliefert. (Link geht auf den 4. Teil, da man die einzelnen Teile über die interne Suche nicht findet, die anderen 3 Teile sind unten verlinkt.)

Welche Psychopharmaka werden eigentlich so in deutschen Landtagen verteilt? Das fragt man sich ja schon, wenn man sich mal die absurde Diskussion um den neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (alleine für dieses Wortmonstrum müsste die Gesellschaft für Deutsche Sprache eigentlich den Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte fordern) ansieht. Da soll also jeder Betreiber einer Internetseite zukünftig prüfen, ab welchem Alter seine Inhalte freizugeben sind. Falls er zu dem Schluss kommt, dass das erst ab 16 oder 18 Jahren der Fall ist, muss er entweder Sendezeitbeschränkungen einführen. Dass es im Internet gar keine Sendezeiten gibt, hat den Politikern wohl niemand erzählt.

Oder er muss eine technische Kennzeichnung der Altersfreigabe einbauen. Wie das eigentlich gehen soll, erfahren wir dann vielleicht nach Inkrafttreten des JmStV, wenn die entsprechenden Programme dann auch mal programmiert sind. Außerdem läuft jeder Blogger ohne Alterskennzeichnung Gefahr, dass seine Webseite von Rechnern, die eine entsprechende Kindersicherung installiert haben, nicht mehr aufgerufen werden kann, z.B. von Rechnern, die in Schulen stehen.

Manche Blogger haben in den vergangenen Tagen schon panisch reagiert und ihre Blogs vom Netz genommen. Auch Heise berichtet eher so, als müsse nun jeder kleine Blogger seine Beiträge kennzeichnen oder liefe sonst Gefahr, sich Bußgelder oder Abmahnungen einzuhandeln. Gut, hier hätte vielleicht mal ein Blick auf die FAQ der Freiwilligen Selbstkontrolle geholfen. Da ist eigentlich für jeden Nichtjuristen verständlich, dass die Vorschriften nur einschlägig sind, wenn man entweder Inhalte auf seiner Seite hat, die erst ab 16 Jahren geeignet sind, oder Inhalte, die sich speziell an kleinere Kinder richten, mit solchen vermischt, die erst ab 12 Jahren geeignet sind. Eine ausführliche Beurteilung der neuen Vorschriften liefert Udo Vetter in seinem Lawblog, und der Mann ist immerhin Experte für Internetrecht. Demnach muss die überwiegende Mehrheit der Blogger gar nichts ändern, es sei denn, man hat sich auf erotische Kurzgeschichten oder explizite Gewaltdarstellungen spezialisiert.

Absurd ist dieser neue Staatsvertrag natürlich trotzdem. Zum einen schon deswegen, weil er bestenfalls völlig wirkungslos bleiben wird. Außer, wenn  Eltern jetzt massenhaft in ihren Kinderschutzprogrammen einstellen, dass Seiten ohne Alterskennzeichnung generell nicht aufgerufen werden dürfen. Dann dürften nämlich 90 Prozent des Internets für deren Kinder gesperrt sein, auch Spiegel Online und die Lokalzeitung, denn für die gilt die Alterskennzeichnung sowieso nicht.

Zum anderen ist das aber ein Gesetzeswerk, das nichts anderes tut als Panik unter privaten Bloggern zu verbreiten und eine überdimensionierte technische Infrastruktur für Internetsperren aufzubauen. Mir persönlich ist es eigentlich egal, falls meine Internetseiten ab Januar nicht mehr von Schulen aus aufgerufen werden können, da ich eh nicht davon ausgehe, dass das viele Schüler interessiert, was ich so schreibe. Trotzdem ist so eine merkwürdige technische Infrastruktur (Kennzeichnungssoftware plus Auslesesoftware) der erste Schritt in eine totale Überwachung aller deutschen Internetangebote und könnte den Grundstein legen für spätere Zensurmaßnahmen.

Wenn man dann liest, dass die Büttel von den Grünen sich nicht zu blöd sind, zusammen mit der SPD in NRW diesem unsinnigen Machwerk zuzustimmen, muss man doch irgendwie bedauern, dass die Piratenpartei nicht in den Landtagen sitzt. Die überwiegende Zahl der Politiker der etablierten Parteien scheint inzwischen so entfremdet von der sozialen Wirklichkeit zu sein, dass sie die Folgen ihres Handelns für den Normalbürger weder einschätzen können noch wollen.