Mit ‘Wochenzeitung’ getaggte Beiträge

ich glaube allerdings, dass es in unserer großen Gesellschaft immer Leute geben wird, die eine klare Ansage haben wollen. Nur, wo bekommt man die? Wo ist denn der relevante publizistische Bereich am linken Rand? Der ist komplett leer, da gibt es nichts mehr. Wir haben dort nur noch irrelevante Zeitungen wie das „Neue Deutschland“ oder die „Junge Welt“

Ein sehr interessantes Interview mit „Freitag“-Verleger Jakob Augstein.

„Question is: Do we need a DAILY newspaper?
It seems certain that we don’t need it, if it looks like the ones we have today.“

Thomas Knüwer will mit englischsprachigen Autoren ins Gespräch kommen, und schrieb deshalb einen englischen Text über seine Ansichten über die Zukunft der Zeitung. Zumindest, was die redaktionelle Seite angeht (das mit dem Anzeigengeschäft kann ich nicht beurteilen), hat er mit fast allem Recht. Auch ich finde, dass die Verleger genau den falschen Weg gehen, wenn sie die Texte immer kürzer, die Fotos immer größer und die Informationen immer oberflächlicher machen, wenn sie versuchen, dem Weltgeschehen von gestern und vorgestern hinterherzurennen, statt eigene Themen zu setzen und Hintergründe zu liefern, die man im Internet meistens eben nicht bekommt.

Wie man es richtig macht, zeigt seit Jahren „Die Zeit“, die auch Knüwer als Beispiel nennt. Auch die FAS ist ja ein wirtschaftlicher Erfolg. Ich denke, dass es diese (und ähnliche) Zeitungen sind, die die Zeitungskrise auch überleben werden. Andere Qualitätszeitungen wie SZ oder FAZ werden vermutlich irgendwann ihr Erscheinen auf ein oder zwei Mal in der Woche umstellen müssen. Die Masse der Regionalzeitungen wird in einigen Jahrzehnten hingegen nur noch als Marke im Internet existieren – wenn überhaupt. Spätestens wenn die Mehrzahl der heute 50-80-Jährigen weggestorben ist, wird es keine Zielgruppe für diese 08/15-Blättchen mehr geben. Wer heute als 20- oder 30-Jähriger keine Regionalzeitung liest, wird damit auch mit 40 oder 50 nicht anfangen. Und die Kiddies, die heute zur Schule gehen und mit StudiVZ und SpOn aufwachsen, schon gar nicht. Alles Andere ist sich selbst in die Tasche lügen von beratungsresistenten Verlegern.

Dass es trotzdem schade wäre, wenn es irgendwann gar keine oder nur noch ganz wenige Zeitungen gäbe, ist klar. Weil Print ein ganz anderes, auch optisches Erleben ermöglicht, als lange Artikel am Bildschirm zu lesen. Ob ich es allerdings vermissen würde, wenn es keine küchentischgroßen ausfaltbaren Altpapierstapel mehr zu lesen gäbe, wage ich zu bezweifeln. In ihrem jetzigen Format sind Zeitungen, insbesondere, wenn sie das Hamburger Format haben, wie „Zeit“, SZ und FAZ, ein Anachronismus, der eigentlich durch nichts zu rechtfertigen ist. Roger Köppel ist hier mit seiner „Weltwoche“ genau den richtigen Weg gegangen, indem er die traditionsreiche Schweizer Wochenzeitung auf das Magazinformat umgestellt hat. Auch die FR und ihr Tabloidformat könnte man als Vorbild nehmen, aber warum eigentlich immer noch auf Zeitungspapier und ungeheftet? Ich wage mal zu behaupten: Die Zukunft der Zeitung ist nicht nur inhaltlich das Magazin, sondern auch vom äußeren Erscheinungsbild her.

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„Lasst uns den Freitag in einen sicheren Hafen führen, den die Mehrheit akzeptieren kann und durch Kauf der Print-Ausgabe und Besuch auf freitag.de unterstützt. … Dabei sollten
persönliche Befindlichkeiten zurückstehen, das gemeinsame Ziel ist entscheidend.“

Chris unterwirft heute die aktuelle Printausgabe einer Blattkritik und ich möchte hier einmal ein erstes Zwischenfazit über den ge-relaunchten „Freitag“ und seinen neuen Internet-Auftritt ziehen. Bis vor kurzem dümpelte die Zeitung unterhalb meiner Aufmerksamkeitsschwelle vor sich hin: Ich wusste, dass es sie gibt, aber auch nicht mehr. Dann stieß ich durch einen Link auf ihre Internetseite, wo ich einige Artikel so interessant fand, dass ich zumindest alle paar Wochen mal dort vorbeischaute. Mehr aber auch nicht. Denn ähnlich wie früher die Seite der taz fanden sich dort zwar alle Texte der Printausgabe ungekürzt wieder, allerdings ohne jede Aufbereitung durch Fotos o.ä.

Vom neuen „Freitag“ habe ich bisher alle drei Ausgaben gelesen – und sie gefallen mir: Die Themenmischung spricht mich an, das Layout ist modern, ohne überfrachtet zu wirken, die Texte sind meist solide bis gut und manchmal sogar sehr gut geschrieben. Meistens nicht auf „Zeit“-Niveau, aber durchaus ansprechend. Besonders gefallen mir längere Texte zu eher abseitigen, nicht der Aktualität geschuldeten Themen, die auch öfter mal einen literarischen Anstrich haben. Vor allem die „Nahaufnahme“ auf Seite 3 ist hier hervorzuheben sowie die zweiseitige Leseprobe aus einem aktuellen Sachbuch.

(Wie bei allen Zeitungen) lese ich am liebsten und am meisten den Kulturteil sowie den hier Alltag genannten Teil mit Vermischtem und populären/popkulturellen Themen. Den Politikteil finde ich hingegen noch etwas farblos. Wenn man für sich in Anspruch nimmt, eine kritische linke Gegenstimme zur Mainstream-Öffentlichkeit zu sein, sollte man auch in Themenauswahl und Kommentierung offensiver links sein. Die großen Artikel zur Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen fanden sich zwar in der Online-, bis auf den sehr guten Kommentar auf der Titelseite aber nicht in der Printausgabe. Wo sind die großen Entwürfe, die radikalen Forderungen, die grundsätzlichen Essays zur brandaktuellen und überall diskutierten Frage, welche Chancen die Wirtschaftskrise bietet, um den Raubtierkapitalismus zu überwinden? Eine linke Wochenzeitung sollte hier doch Vorläufer sein und nicht Wiederkäuer. Vermissen tue ich auch noch aufwändig recherchierte Reportagen oder Features zu sozialen Themen, gesellschaftlichen Minderheiten oder einfach Themen, die in den Mainstreammedien vernachlässigt bis ignoriert werden (wie man sie regelmäßig im Dossier der „Zeit“ findet, das muss sich ja nicht gleich über 5 Seiten erstrecken). Wenn es diese im „Freitag“ gäbe, könnte er eine ernsthafte Konkurrenz zur alten Tante aus Hamburg werden. Bis jetzt ist er das sicher noch nicht.

Vorreiter will der neue „Freitag“ auch sein, wenn es um den Journalismus der Zukunft geht, die Verzahnung von Online und Print, die Durchlässigkeit zwischen Leser/Nutzer und Redakteur. Auch wenn an der technischen Umsetzung der neuen Community noch vieles ganz gewaltig hakt, wie es dort wie in der Blogossphäre seit Tagen eifrig kritisiert wird, sehe ich doch gute und richtige Ansätze. Die Webseite wirkt seit dem Neustart tatsächlich so lebendig, dass ich fast täglich dort vorbei schaue. Wobei die Diskussionen in den Nutzer-Blogs interessanter sind als der redaktionell aufbereitete Teil. Letzterer müsste vor allem übersichtlicher gestaltet werden, denn im Moment ist es sehr schwierig, zum Beispiel Artikel aus der Zeitung dort wieder zu finden. Begrüßenswert ist auf jeden Fall, dass die Online-Redaktion nicht nur Texte aus der Zeitung bebildert und ins CMS kopiert, sondern auch selbst Artikel und Kommentare schreiben darf sowie zusätzliche Artikel, etwa aus dem „Guardian“, übernimmt. Verzichten könnte ich auf Schnickschnack wie Bildergalerien, aber was die angeht, reagiere ich sowieso etwas hysterisch. Was unverzichtbar ist, sind RSS-Feeds sowie eine Neuordnung der Kommentare, denn  in der derzeitigen Reihenfolge ist es fast unmöglich, einer längeren Diskussion auch zu folgen. Außerdem sehen die Blogs doch sehr spartanisch aus. Hier wäre mehr ausnahmsweise einmal wirklich mehr: Mehr Möglichkeiten für die Blogger, ihre Blogs individuell zu gestalten. Was auch enorm benutzerunfreundlich und kommunikationstötend ist, ist, dass man sich erst registrieren muss, bevor man kommentieren darf. Ich konnte mich dazu bspw. bisher noch nicht motivieren.

Tja, und dann wäre da noch die Frage, wie die Verzahnung von Community und Zeitung denn in der Praxis umgesetzt werden soll. Die Ideen, die Verleger Jakob Augstein und seine Redaktion dazu im Vorfeld geäußert hatten, fand ich alle richtig. Aber an der Umsetzung scheint es mir noch zu hapern. Nach drei Wochen finde ich in der Zeitung immer noch nur einspaltige „Blogkommentare“. Alle längeren Artikel sind nach wie vor von Redakteuren oder freien Mitarbeitern geschrieben. Das ist doch etwas wenig. Und was ist mit der Ankündigung, Hinweise von Nutzern zu berücksichtigen, um verbesserte Fassungen der Zeitungsartikel online zu stellen? MWn macht das noch keine Zeitung / kein Online-Portal in Deutschland; hier könnte der „Freitag“ also wirklich zur Avantgarde werden.

Bisher gibt es eine sehr gute Zeitung namens „der Freitag“ und eine viel versprechende, wenn auch noch an technischen Unzulänglichkeiten kränkelnde Webseite freitag.de. Was noch folgen muss/sollte, ist eine echte Verzahnung dieser beiden Angebote, damit etwas wirklich Neues (zumindest für deutsche Verhältnisse) entstehen kann. Mein Zwischenfazit fällt alles in allem trotzdem positiv aus. Ich denke ernsthaft darüber nach, wenn mein kostenloses Probeabo nächste Woche abläuft, ein reguläres Abo abzuschließen. Das wäre dann die erste Zeitung, die ich seit mehr als zehn Jahren abonnieren würde. Das sollte als Vertrauensvorschuss reichen.

Wie links darf es sein?

Veröffentlicht: 17. Februar 2009 in Online, Print
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Sascha Lobo regte sich gestern so sehr über einen Kommentar auf freitag.de auf, dass er sein Profil dort wieder löschen wollte. Gleichzeitig nutzte er diesen Anlass, um mal grundsätzlich zu fragen, warum es seiner Meinung nach keine linksliberale Zeitung in Deutschland mehr gibt. Abgesehen davon, dass ich das nicht finde, ist der Artikel an sich sehr interessant.

Jo, is denn heut scho Freitag?

Veröffentlicht: 5. Februar 2009 in Online, Print
Schlagwörter:, , , ,
Auch die Anzeigenkampagne ist clever: Der Freitag wirbt für seinen Relaunch

Auch die Anzeigenkampagne ist clever: Der Freitag wirbt für seinen Relaunch

Heute ist er also da, der ge-relaunchte „Freitag“, der jetzt ein „Meinungsmedium“ sein will. Auch die komplett umgestaltete Homepage ist nun online, und nichts erinnert dort mehr an den zwar funktionalen, aber doch sehr spartanischen Online-Auftritt von vorgestern. Eine Community will man nun sein, möglichst viele sollen mitmachen und nicht nur Artikel kommentieren, sondern auch selbst auf der Plattform bloggen. Viele scheinen auf letztere Möglichkeit tatsächlich sehnsüchtig gewartet zu haben, denn die Blogs sprießen da hervor, wie sonst nur Pusteln nach einer Windpockeninfektion.

Ein Neublogger hat es geschafft, in zweieinhalb Stunden fünf Einträge zu schreiben, und zwar zwischen 5 Uhr und halb 8 heute morgen. Auch Chris von FIX!MBR ist wohl schon extra um 5 Uhr 30 aufgestanden, um sein neues Freitag-Blog zu eröffnen. Einen fast paradigmatischen Querschnitt verschiedener Bloggertypen bieten drei gerade, zum Zeitpunkt, wo ich diesen Eintrag schreibe,  aktuell oben stehende Einträge: einer wollte schon immer mal bloggen, hat aber nicht mehr mitzuteilen, als dass er seine Wäsche abnehmen muss, ein anderer startet bei freitag.de sein Zweitblog, und A-Blogger Sascha Lobo ist durch eine missverständliche Benutzerführung gar zum unfreiwilligen Bloginhaber geworden.

So, das  Ganze hört sich nun noch etwas kritisch an; ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass ich der Sache sehr aufgeschlossen und positiv gegenüber stehe. Was Verleger Augstein im Vorfeld so von sich gegeben hat, lässt erkennen, dass der Mann sein Geschäft versteht und (im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen) erkannt hat, dass auch eine Wochenzeitung sich ändern muss, um im Internetzeitalter bestehen zu können. Die politische Richtung, in die er die Zeitung führen will, gefällt mir ebenso.

Und die neue „Freitag“-Ausgabe, die erste übrigens, die ich jemals für Geld erstanden habe, gefällt mir insgesamt sehr gut: gefälliges Layout, interessante Themenmischung, einige gute frische Ideen. Die Glossen und Kolumnen sind überwiegend tatsächlich lustig oder bewegend, der Obama-Comic ist klasse, die Idee, in Zusammenarbeit mit dem Perlentaucher eine ganzseitige internationale Presseschau der letzten Woche zusammenzustellen, großartig. Minderheitenthemen wie Graphic Novels werden große Artikel gewidmet, und ein Essay zum Wesen der Musik, gerade im Zeitalter ihrer tonträgerlosen Verbreitung, trifft genau den Punkt. Leider konnte ich diesen nicht hier verlinken – ich habe ihn auf freitag.de schlicht nicht gefunden. Das ist mein erster großer Kritikpunkt: Bisher konnte man die komplette Zeitung auch online lesen, jetzt anscheinend nur noch ausgewählte Artikel. Ansonsten lautet mein erstes, vorsichtiges Urteil: Experiment gelungen.

Nachtrag: Der zweite Kritikpunkt, den ich gestern vergessen habe: freitag.de hat jetzt auch Bildergalerien. Argh! Hat’s das wirklich gebraucht? Aber ohne geht’s wohl nicht mehr, wenn man ein erfolgreiches Online-Portal machen will.