Wer kennt sie nicht (wollte schon immer mal so einen Artikel anfangen), die „Intro“, jene nerdige Gratis-Musikzeitschrift, für die jeder junge Journalist, der aus der Nähe von Köln kommt, schon mal geschrieben hat (außer mir), und die man gerne mitnimmt, wenn man seinen unabhängigen Plattenladen besucht hat (soweit man überhaupt noch einen solchen in der Nähe hat)? Der Musikgeschmack der „Intro“-Redaktion wird aber auch immer seltsamer. Im neuen Haft wird Tokio Hotel an mehreren Stellen abgefeiert und ihr neues Album „Humanoid“ hat es soger auf Platz 4 der Redaktionscharts geschafft (in denen sich sonst zu 90 Prozent Bands finden, von denen ich noch nie irgendwas gehört habe). Außerdem bejubelt ein Autor die Soundtracks von Horror-Regisseur Dario Argento und der Gruppe Goblin. Der Score zu George A. Romeros „Dawn of the Dead“ sei ein „Meilenstein in Sachen Blutgroove“. Zufällig habe ich den Film vor ein paar Tagen erstmals gesehen, und mein Gott, ging mir dieses elektronische Geplärre nach einer halben Stunde auf die Nüsse.
Über die „Intro“ kann man sich sowieso immer herrlich aufregen, vor allem über ihre Sprache, die meist irgendwo zwischen nerdigem Fangeschwafel und bramarbarsierendem Intellektuellen-Geschwurbel angesiedelt ist. Im aktuellen Heft taucht in jedem zweiten Text, den ich gelesen habe, die Formulierung „Sowieso Sowieso of Irgendwas-Fame“ auf, z.b. „Thommy Ohrner of Tim Thaler- und Manni der Libero-Fame“. Ich möchte mal wissen, wo die Autoren diese unsäglich peinliche Redewendung her haben. Ich kenne jedenfalls niemanden, der so redet, weder Amerikaner noch Deutsche.
Außerdem werden immer wieder gerne berühmte Soziologen zitiert. In der November-Ausgabe stolperte ich über Kracauer, Foucault, Bourdieu und Adorno (letzteren allerdings nur im Zusammenhang mit ersterem). Da möchte man der Redaktion doch zurufen: „Ja, ihr wart alle brave Soziologie-Studenten!“ In einem Artikel über die Geschichte des Gruseligen im Film Kracauer anzuführen, der immerhin das Buch „Von Caligari zu Hitler“ geschrieben hat, macht ja noch Sinn. Was Foucault in einem Text über „Die Goldenen Zitronen“ zu suchen hat, und ob man unbedingt Bourdieus Begriff des kulturellen Kapitals bemühen muss, wenn es um Einflüsse der Globalisierung auf die Popmusik geht, ist fraglich.
Leider bleiben die meisten Artikel trotz aller Theoretisierung seltsam oberflächlich. Am Ende ist man meist nicht viel schlauer als am Anfang. Dass die Autoren oft lieber sich selbst zuhören als ihren Interviewpartnern, konnte man wunderbar in der letzten Augabe sehen, wo die Fragen in einem Jochen Distelmeyer-Interview oft länger waren als die Antworten. Auf eine ellenlange umständlich formulierte Frage, antwortete der Ex-„Blumfeld“-Sänger schlicht mit „Ja.“, auf eine andere mit „Ist mir scheißegal, was die Hörer meiner Platte denken.“ Das fand ich schon wieder konsequent von ihm.
Da gefallen mir die Artikel im „Rolling Stone“ schon besser, obwohl der es auch irgendwie schafft, nach einer Ausgabe mit vielfältigen interessanten Themen eine auf den Markt zu werfen, in der mich wirklich kein einziges interessiert. Titelstar der aktuellen Nummer ist Robbie Williams, einfallsloser geht’s wohl nimmer. Dazu kommt ein Artikel über eine mir völlig unbekannte, dafür gut gebaute und leicht bekleidete US-Schauspielerin (?). Und als Gipfel der Belanglosigkeit noch ein Gespräch mit Heinz Rudolf Kunze und Gunther Gabriel, zwei der sich selbst am meisten überschätzenden Vertreter der populären Musik in Deutschland (Wobei, kann man das eigentlich noch populäre Musik nennen? Die Beiden verkaufen ja wohl schon seit Jahrzehnten nicht mehr wirklich viele Platten.). Ist der November musiktechnisch Saure Gurken-Zeit? Oder ist das schon der Einfluss der neuen Redaktionsleitung? Seltsame Dinge kommen noch auf uns zu.