Mit ‘Cargo’ getaggte Beiträge

Der Datenstrom als Fernsehersatz

Veröffentlicht: 5. Januar 2011 in Online, TV
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Das Filmmagazin CARGO stellt in seiner neuen Ausgabe (in einem lesenswerten Serien-Schwerpunkt) die interessante These auf, dass das wöchentlich zu festen Zeiten Angucken von Fernsehserien doch noch nicht so tot ist wie viele immer behaupten. Weil die Hardcorefans bestimmter US-Serien eben meist nicht darauf warten, dass die DVD-Box der neuesten Staffel rauskommt, sondern sich die Folgen schon kurz nach ihrer Erstausstrahlung im US-TV übers Netz runterladen. Und dabei dann halt wieder ein wochentäglicher Rhythmus entsteht, nur dass der sich eben nicht mehr an Ausstrahlungsterminen im deutschen Fernsehen orientiert, sondern an der Verfügbarkeit im Internet kurz nach den amerikanischen Sendeterminen. Das Ritual ändert also praktisch nur seine Form, bleibt aber prinzipiell erhalten. (Dazu gehört dann, dass die Fans in den einschlägigen Foren auch schon einen Tag nach US-Ausstrahlung der neuesten Folgen über die aktuellsten Entwicklungen zu diskutieren beginnen.)

Passend dazu hier die Top Ten der meist gedownloadeten Serien 2010.

Aaron Sorkin im O-Ton-Interview

Veröffentlicht: 17. Oktober 2010 in Film
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CARGO hat sich mit Drehbuchautor Sorkin über „The Social Network“ unterhalten, das Interview gibt es als Audio auf deren Seite. Toll z.B., dass er ein Drehbuch schreibt, das Zuckerberg knapp zwei Stunden lang als unsozialen Arsch darstellt und ihm dann wünscht, er möge nach Ansehen des Films über ihn gut schlafen.

Filmkritik als Systemkritik: "film"-Ausgabe April 1969

Filmkritik als Systemkritik: "film"-Ausgabe April 1969

Als ich vor ein paar Jahren auf dem Trödelmarkt einige Exemplare der 70er Jahre-Comicfachzeitschrift „Comixene“ erstand, wunderte ich mich schon einmal darüber, dass es damals ganz normal war, in einem Interview mit einem Disney-Zeichner zu fragen, ob er mit dieser Art Comics nicht den Kapitalismus verkläre oder zumindest verharmlose und dadurch eine falsche Ideologie unterstütze. Auf dem Düsseldorfer Bücherbummel bin ich vorgestern über die wohl annähernd vollständigen Jahrgänge 1968/69 der Zeitschrift „film“ gestolpert; gekauft habe ich aber nur zwei Hefte. Ich hatte vage im Kopf, dass Wim Wenders vor seiner Filmkarriere mal Kritiken für die Zeitschrift geschrieben hatte, was aber wohl nur in einem Fall stimmte, ansonsten schrieb er hauptsächlich für die „Filmkritik“ (die heute ja einen ähnlich legendären Ruf genießt wie die alte „Comixene“ in der Comicszene).

Trotzdem hochinteressant, wie Ende der 60er eine kritische Filmzeitschrift aussah: In fast jedem Artikel geht es um Kapitalismuskritik, um die Frage, wie sich das Medium Film von gesellschaftlichen Zwängen befreien , was es zum Kampf gegen die herrschende Ordnung beitragen könne etc. Beiträge über „normale“ Filme – aus Hollywood oder Unterhaltungsfilme aus Europa oder woher auch immer – gehen dabei fast unter zwischen seitenlangen Interviews mit Godard über die französischen Filmkooperativen, Artikeln über deutsche Filmemacher, die ihre eigenen Verleihinitiativen gründeten und einer Beleuchtung der amerikanischen Underground- und politische Filmemacherszene, die u.a. ihre eigenen „Newsreels“ herstellten und vertrieben, eine Art linker „Anti-Wochenschau“ über Studentenproteste, Unterdrückung ethnischer Minderheiten usw.

Neben der Themenmischung, die heute etwas anachronistisch wirkt, fällt vor allem das Vokabular der Autoren auf – da ist in jedem Artikel von „marxistisch-leninistisch“, Kulturindustrie und Verblendungszusammenhängen die Rede – und die Radikalität der Diskussion. Was heute nicht mehr möglich wäre, ohne dass der Staatsanwalt einschreiten und/oder der Autor seinen Job verlieren würde: Der damalige Leiter der WDR-Filmredaktion wirft einem ehemaligen Intendanten vor, eine faschistische Einstellung zu haben, schreibt, dass er auch gerne die Rundfunkanstalten zerschlagen würde – wenn dies denn notwendig wäre – und schildert Fälle aus seinem Berufsalltag, in denen ein bürokratischer Programmdirektor die Produktion progressiver Filme verhindert. Im gleichen Heft wirft ein anderer Autor der Zeitschrift selbst vor, den Klassenkampf zu behindern, indem neben kritischen Beiträgen irgendwelche Fotostrecken von Filmstars abgedruckt würden. Das sei falsche Liberalität, die echtem sozialistischem Bewusstsein entgegenstünde.

Zum Jahreswechsel 1969/70 wurde dem Verleger das Treiben auf den Seiten der von ihm finanzierten Zeitschrift wohl zu bunt, und er entließ den Chefredakteur Werner Kließ. Die Debatte darüber fand wiederum auf den Seiten der Zeitschrift selbst statt, wie in einem interessanten Blogbeitrag auf newfilmkritik.de nachzulesen ist.  „film“ wandelte sich demnach in der Folge in ein belangloses Film- und TV-Magazin und wurde kurz darauf eingestellt – interessanterweise bevor mit dem „Neuen Deutschen Film“ ein gesellschaftskritisches und ästhetisch weitgehend „anti-kommerzielles“ Kino aus Deutschland seinen weltweiten Siegeszug antrat. (Dass der so linke Chefredakteur später Redakteur beim ZDF wurde und dort für belanglose Krimiserien wie „Derrick“ und „Der Alte“ verantwortlich war, ist dann eine ganz andere Fußnote der deutschen Filmgeschichte, aber natürlich auch irgendwie bezeichnend für den „Marsch durch die Institutionen“.)

Klar wirkt vieles von dem, was man in den alten Heften so liest, für einen damals nicht einmal geborenen Leser heute unfreiwillig komisch und naiv. Trotzdem ist mir das insgesamt noch allemal lieber als die Belanglosigkeit, die heute im überwiegenden Teil der Kulturzeitschriften so herrscht. Da geht es ja etwa bei den Kinozeitschriften meistens nur noch um filmästhetische, -dramaturgische und -historische Aspekte, vielleicht noch um filmökonomische, aber fast gar nicht mehr um gesellschaftliche. Eine echte Bereicherung ist hier „Cargo“, wo zumindest versucht wird, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Rückwirkungen des Mediums nicht auszublenden. Bei Zeitschriften zu anderen Medien fällt mir gar kein entsprechendes Beispiel ein. Die wiederbelebte „Comixene“ ist völlig unpolitisch, im Musikbereich kenne ich da auch nichts Entsprechendes. Manchmal denke ich beim Lesen solch alter Zeitschriften nostalgisch, man müsste mal wieder Andreas C. Knigge eine Comiczeitschrift machen lassen oder Wim Wenders eine Kinozeitschrift. Wobei ich auch nicht weiß, wie viel von deren politischem Bewusstsein heute noch übrig ist.

Was die Autoren von „film“ grandios fanden: die Italo-Western von Sergio Corbucci, weil die angeblich die zynische Gewalttätigkeit des Kapitalismus‘ widerspiegelten. Was ich noch über die damalige Filmszene gelernt habe: der „Schwedenfilm“ erfreute sich großer Beliebtheit unter den Zuschauern, gemeint waren damit Soft-Erotikfilme aus Skandinavien. Und Bergman sei angeblich auch reaktionär gewesen, zumindest was seine Sexualmoral anginge. Aber das ist dann wieder eine ganz andere Geschichte.

Was mich an allen etablierten Filmzeitschriften in Deutschland stört, ist der Platz, den sie aktuellen Filmkritiken einräumen. Bei „epd Film“ gehen dafür gerne mal 23 von 68 Seiten drauf, also mehr als ein Drittel. Oft beginnt der Teil mit den Kritiken schon vor dem Heftfalz, also vor der Mitte des Heftes. Nach den Filmkritiken kommen dann nur noch DVDs, Bücher, TV-Tipps, also im Grunde auch Kritiken, so dass diese dann insgesamt rund die Hälfte des Heftes ausmachen. Ähnlich sieht es beim „Schnitt“ aus, der zwar insgesamt mehr Seiten hat, aber auch das Problem, nur alle drei Monate zu erscheinen, was dann auch zu noch mehr Filmkritiken führt, sowie beim „film-dienst“. Der erscheint zwar sogar alle 14 Tage, hat aber dafür den Anspruch, wirklich jeden Film zu besprechen, der in Deutschland (und der Schweiz) im Kino, auf DVD oder im Fernsehen rauskommt, was wiederum zu einem Wust von Kritiken führt.

Jetzt mal ehrlich: Wer soll eigentlich diese ganzen Kritiken lesen? Wer sich gezielt über einen bestimmten Film informieren will oder auch nur darüber, was denn aktuell so in den Kinos läuft, wird wahrscheinlich eher auf eine Internetseite gehen, z.B. auf filmstarts.de o.ä. Andere, die sich nicht so stark fürs Kino interessieren, sondern eher Gelegenheitsgänger sind, werden sich mit den wöchentlichen wenigen Kritiken in ihrer Tageszeitung oder in allgemeinen Zeitschriften zufrieden geben. Und wer wirklich so filmverrückt ist, dass er sich eine Fachzeitschrift kauft, möchte der dann unbedingt dort auch noch über (fast) jeden neuen Film eine Kritik finden? Ich glaube ehr nicht.

Das Problem ist doch, dass es unheimlich ermüdend ist, mehr als zwei, drei Kritiken hintereinander zu lesen. Und zu den meisten Filmen, die da vorgestellt werden, hat man entweder vorher schon irgendwo eine gelesen oder wird das spätestens in der Woche, in der der jeweilige Film dann wirklich in die Kinos kommt. Andere Filme, die in den Fachzeitschriften besprochen werden, sind so speziell, dass sie in 90 bis 99 Prozent aller deutschen Städte eh nie ihren Weg auf eine Kinoleinwand finden. Was nützt es mir dann, dazu Kritiken zu finden, die eh im Wust der ganzen anderen untergehen. Und der Platz, den diese Überfülle an aktuellen Besprechungen wegnimmt, fehlt dann für Berichte und ausführlich behandelte Themen.

Kauft sich irgendjemand eine Filmzeitschrift hauptsächlich, um Kritiken zu aktuellen Neustarts zu lesen? Oder will man darin nicht vielmehr etwas lesen, was man in der Tagespresse und im Internet halt nicht so häufig (oder gar nicht) findet? Nämlich Hintergrundberichte, Analysen, Porträts von Filmschaffenden, vielleicht auch ausführliche Interviews. Das ist es doch, was solche Zeitschriften für den Filmliebhaber wirklich interessant macht.

Dass es auch anders geht, beweist z.B. das Schweizer „Filmbulletin“, das in jedem Heft nur eine Handvoll Neustarts bespricht. Der überwiegende Teil der Zeitschrift ist den ausführlichen Themenstrecken gewidmet. In der noch relativ neuen „Cargo“ gibt es überhaupt keinen Teil mit aktuellen Kinokritiken. Ist ein neuer Film besonders interessant, wird er ausführlich besprochen, manchmal auch im Zusammenhang mit anderen neuen Filmen, wenn es sich thematisch anbietet. Sonst halt gar nicht. Das hat nicht nur den Vorteil, dass so im Heft Platz gewonnen wird für längere Texte zu anderen Themen. Es wird auch eine Auswahl getroffen: Der Leser weiß, dass es sich schon um einen besonders interessanten Film handeln muss (nach Meinung der Redaktion natürlich), wenn er überhaupt in diesen Zeitschriften vorgestellt wird. Da liest man dann die wenigen Kritiken auch gerne, statt sich durch den Wust der Neuvorstellungen in den anderen Filmzeitschriften zu kämpfen.

Gerade in Zeiten, in denen die nächste (kostenlose) aktuelle Kinokritik im Netz immer nur einen Klick entfernt ist, sollten sich die Filmzeitschriften auf ihre wahren Stärken besinnen und endlich Mut zur Vorauswahl fassen: nicht, indem sie nur ein oder zwei Sterne vergeben, sondern indem sie nur die wirklich interessanten Filme ausführlich besprechen (das kann natürlich auch mal ein ambitioniert oder grandios gescheiterter Film sein) und die ganzen mittelmäßigen und belanglosen einfach ignorieren.

Da es mein letzter epd-Artikel über die Entwicklung, die US-Fernsehserien in den vergangenen zehn Jahren genommen haben, bisher nicht ins Internet geschafft hat, stell ich ihn hier mal in der Ursprungsfassung ein. Aufgrund der vorgegebenen Länge musste ich leider etwas an der Oberfläche bleiben und mich hauptsächlich auf drei interessante Serien beschränken: „Carnivàle“, „The West Wing“ und „Mad Men“.

Wer sich ausführlicher über „Mad Men“ informieren will, dem sei das Dossier in der aktuellen „Cargo“-Ausgabe empfohlen. Die Analyse von Bert Rebhandl ist das Beste, was ich bisher über diese viel besprochene Serie gelesen habe, dazu kommt dann u.a. noch ein Artikel über den feministischen Sachbuchklassiker „The Feminine Mystique“ von 1963, der als eine Art Inspirationsquelle für die Serie gelten kann. Die Autorin Betty Friedan beschrieb darin das damals noch vorherrschende Rollenmodell für Frauen als Hausfrauen und Mütter als „Ursache für ein weit verbreitetes Gefühl von Leere und Haltlosigkeit, ja sogar für Depression und Suizid“ (Catherine Davies in „Cargo“).

Hier nun aber mein Artikel:

Mit Tony Soprano fing fast alles an. 1999 startete der US-Bezahlsender Home Box Office (HBO) die Fernsehserie „The Sopranos“ um den von James Gandolfini gespielten Boss eines Mafia-Clans in New Jersey, die gleich in mehrfacher Hinsicht neue Maßstäbe setzte. Als reiner Abosender fiel HBO nicht unter die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde FCC, weswegen drastische Sprache und Sexszenen kein Problem darstellten. Zum anderen brach das gemächliche Tempo der Folgen radikal mit bis dahin im Fernsehen üblichen Erzählweisen.

Mit Serien wie den „Sopranos“ haben US-Pay TV-Sender wie HBO oder Showtime das Erzählen im Fernsehen revolutioniert. Die Zeiten, in denen Serien aus abgeschlossenen Folgen bestanden und die Ereignisse der vorangegangenen schon eine Woche später keine Rolle für die Charaktere mehr spielten, sind weitgehend vorbei. Längst sind viele US-amerikanische Serien komplexer als jeder noch so anspruchsvolle Kinofilm. Statt über zwei Stunden erstrecken sich einzelne Handlungsstränge über eine oder mehrere Staffeln. So ergeben sich epische Geschichten, die fast schon an die großen Romane von Tolstoi oder Dostojewskij erinnern.

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Listen, die die Welt nicht braucht: Das Jahr 2009

Veröffentlicht: 19. Dezember 2009 in Film, Print, TV
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Am Jahresende bricht wieder in sämtlichen Medien der Listenwahn aus, und weil auch schon wieder ein Jahrzehnt zuende geht, kommt es dieses Jahr wieder besonders dicke. Da möchte ich natürlich nicht zurückstehen. Deshalb hier mein Rückblick auf einige kulturelle Highlights des ausklingenden Jahres.

Kinotechnisch war 2009 ein äußerst schwaches Jahr (oder es liegt einfach an meinem Alter, dass mich kaum ein neuer Film so richtig begeistern konnte). Meine Top 5 der besten Filme 2009:

1. Der Knochenmann – „Komm, süßer Tod“ war super, „Silentium“ so làlà, die dritte Wolf Haas-Verfilmung mit Josef Hader als Brenner genial: blutig, brutal, sarkastisch, aber auch voll skurrilen Humors und tiefer Menschenliebe (Man könnte sagen: Sie sind solche Arschlöcher, man muss sie einfach gernhaben.). Hader und Bierbichler liefern sich ein österreichisch-deutsches Duell der Spitzenschauspieler, das keinen eindeutigen Sieger hervorbringt.

2. The Boss of it all – ist eigentlich schon  mehrere Jahre alt, fand aber erst Anfang dieses Jahres seinen Weg in vereinzelte deutsche Programmkinos – warum, versteht kein Mensch. Lars von Triers erste richtige Komödie ist nämlich wahnsinnig lustig, dazu noch höchst gesellschaftskritisch und mit der ein oder anderen Metaebene gespickt. Schöne neue Arbeitswelt, in der sich alle lieb haben, aber letzlich doch der Chef am längeren Hebel sitzt.

3. Star Trek – Nichts interessierte mich weniger als Kirks alte Crew, dann kam J.J. Abrams und brachte das Kunststück fertig, einen modernen SF-Film mit mehr als 40 Jahre alten Figuren abzuliefern. Sie mögen anders aussehen, aber vom Charakter her sind sie noch ganz die Alten. Ein fast perfekter Unterhaltungsfilm.

4. Looking for Eric – Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mal eine Komödie so gut finden würde, in der es u.a. um einen Fußballer geht. Witzig, menschlich, anrührend, Mut machend: Ken Loachs Film ist das alles.

5. Antichrist – Was ich inhaltlich von diesem Film halten soll, weiß ich immer noch nicht. Aber er hat mich nachhaltig beeindruckt und so verstört, wie wohl kein anderer (neuer) Film in diesem Jahr. Filmisch brilliant, schauspielerisch eine tour de force, vor allem von Charlotte Gainsbourg. Bei Lars von Trier muss man den ganzen Weg mitgehen, aber es lohnt sich, dazu bereit zu sein.

Meine besten Serien, die ich 2009 gesehen habe:

1. Battlestar Galactica, Staffel 4 – ein alles in allem doch befriedigendes Ende für eine der intelligentesten und fesselsten SF-Serien ever

2. The West Wing – hätte nicht gedacht, dass ein Kammerspiel über US-Politik so unterhaltsam sein kann

3. Californication – böse und respektlos, aber saugut

4. Carnivàle – Mystery auf erschreckend hohem Niveau. Visuell ganz großes Kino.

5. Rome – Ganz große Tragik zum Serienende.

Positivste Überraschungen auf dem Print-Markt 2009:

– die neue Filmzeitschrift „Cargo“

– der Relaunch des „Freitag“, der mich dazu gebracht hat, zum ersten Mal seit 12 Jahren eine Zeitung zu abonnieren (und zum ersten Mal überhaupt eine Wochenzeitung)

Traurigste Entwicklung auf dem Print-Markt 2009:

– kein neuer „Liebling“ (mehr) erschienen

Nächstes Jahr soll die achtteilige Mini-Krimiserie in der ARD laufen. Dominik Graf ist eh der beste Genre-Regisseur in Deutschland, seine Fernsehfilme fast immer hervorragend oder zumindest gelungen. „Die Katze“ (mit Götz George und Gudrun Landgrebe) und „Die Sieger“ (mit Herbert Knaup und Hannes Jaenicke) sind eigentlich fast die einzigen überzeugenden deutschen Kino-Thriller („Kurz und schmerzlos“ von Fatih Akin könnte man hier vielleicht auch noch mitzählen), auch wenn Graf selbst die Endfassung der „Sieger“ für misslungen hält. Graf ist so ziemlich der einzige, der hierzulande eine spannende Thrillerhandlung mit sozialen und politischen Fragen verbinden und das ganze dann auch noch filmisch so umsetzen kann, dass es eben nicht wie ein 08/15-TV-Krimi aussieht.

In „Im Angesicht des Verbrechens“ soll es mal wieder um das große Ganze gehen: Bullen und Gangster und Menschen, die zwischen beiden Loyalitäten hin- und hergerissen sind, ethnische Milieuschilderung und Action, Freundschaft, Liebe und Verrat – eben alles, was auch schon Grafs oben erwähnte Polizei- und Gangsterfilme zu Klassikern gemacht hat. In der neuen Ausgabe von „Cargo“ – übrigens der gelungensten seit der Debütausgabe – gibt es neben einem Drehbericht von Graf selbst eine Doppelseite mit Fotos aus und zu „Im Angesicht des Verbrechens“. In den Hauptrollen sind wieder einige von Grafs regulars dabei: Max Riemelt – der in Grafs Filmografie Matthias Schweighöfer ersetzt zu haben scheint, ist diesem vom Typ her auch sehr ähnlich – und Misel Maticevic, der in den letzten Filmen Grafs fast immer dabei war. Eigentlich kann da nicht mehr viel schief gehen, es sei denn, die Insolvenz der Produktionsfirma hat noch Auswirkungen auf die Fertigstellung des Projekts.

Was war nicht schon alles im Vorfeld über Lars von Triers neuen Film „Antichrist“ zu lesen und zu hören? Dass es Kastrations- und andere detaillierte Gewaltszenen gebe, wusste man als deutscher Kinogänger schon seit der Cannes-Berichterstattung. Kurz vor dem Deutschlandstart druckten sowohl epd-Film als auch Cargo mehrseitige Analysen des Films ab (in Cargo übrigens von Elfriede Jelinek), die interessanterweise zu ziemlich gegensätzlichen Ergebnissen kommen. In epd-Film wird von Triers Film als frauenfeindlich und tief katholisch bezeichnet, Jelinek sieht das wohl ganz anders, wobei ihr Text auch nicht so richtig erhellend ist.

Die komplette Story war mir also (leider) schon mehr oder weniger bekannt, bevor ich den Film sah. Die Analysen helfen mir aber alle nicht so recht weiter. Von Trier entzieht sich einer eindeutigen Interpretation, und das ist vielleicht auch besser so. Es ist ein Zwei-Personen-Stück, dass er in einem deutschen Wald inszeniert hat: Nachdem ihr kleiner Sohn durch einen Fenstersturz ums Leben gekommen ist, während die Eltern Sex hatten, will der Ehemann, ein Therapeut, seine verzweifelte Frau dadurch therapieren, dass er sie mit ihrer größten Angst konfrontiert: Die hat sie vor der Natur. Also nimmt er sie mit in eine abgelegene Hütte im Wald, wo sie schon bald durchdreht und sich mit unglaublicher Gewalt gegen ihren Mann wendet.

Von Trier erspart seinen Zuschauern nichts: verzweifelten Sex, seltsame ungeschönte Masturbationsszenen, Gewalt-Pornografie in Reinform. Willem Dafoe, vor allem aber Charlotte Gainsbourg geben alles, was sie schauspielerisch zu bieten haben. Es ist erstaunlich, wie von Trier es immer wieder schafft, gerade weibliche Schauspieler bis an ihre Grenzen und noch darüber hinaus zu treiben; man denke nur an Björk in „Dancer in the Dark“. Darüber hinaus ist er einer der stilistisch interessantesten Regisseure der Gegenwart. In „Antichrist“ hat er sich von den selbst auferlegten Beschränkungen seiner letzten Filme gelöst, es gibt keinen Dogma-Stil und keine spärlichen Kulissen mehr. Stattdessen erschafft er mit Filtern und optischen Verfremdungseffekten eine geheimnisvolle, ebenso schöne wie bedrohliche Waldwunderwelt.

Aber was will er uns mit den ganzen inhaltlichen und visuellen Zumutungen sagen? Die rein psychologische Interpretation liegt nahe, zumal im Film selbst von Freud gesprochen wird und es auch Anspielungen auf die Ödipus-Sage gibt. Also Schuld durch Sexualität, die nur durch die Ermordung des Mannes und die Selbstkastration der Frau wieder getilgt werden kann.

Aber so einfach macht es uns von Trier  nicht: Sein ganzer Film ist ein Märchen, in dem unerklärliche Dinge passieren (nicht nur, was das Verhalten der Frau angeht), in dem Tiere sprechen und von den Toten auferstehen, in dem die ermordeten Frauen der Jahrhunderte einen Berg hinauf ziehen. Die Frau selbst identifiziert sich mit den Hexen, über die sie in eben jener Hütte ihre Dissertation schreiben wollte. Das legt wieder die Interpretation nah, dass von Trier ein Frauenfeind ist (was wahrscheinlich klingt, hat er doch vorher in mindestens drei Filmen eine Frau als Leidende gezeigt, nur dass die Frau diesmal halt nicht das Opfer ist, sondern die Furie) und die Aussage des Films: Die Frauen sind von Natur aus irrational, die Männer rational (Willem Dafoe verkörpert als Therapeut das wissenschaftliche, das rationale Prinzip). Und weil das Irrationale gefährlich ist, muss die Frau getötet werden, damit der Mann in Ruhe weiter leben kann.

So kann man den Film interpretieren – muss man aber nicht. Denn wer ist eigentlich der Antichrist des Titels, warum hat die Frau ihrem Sohn immer die Schuhe an die falschen Füße gezogen? Ist nicht vielleicht die Welt schon längst an den Antichrist gefallen und die Frau hat nur versucht, dem etwas entgegenzusetzen, die Welt quasi umzudrehen? Verkörpert nicht vielleicht vielmehr der Mann, der so gar nicht um seinen Sohn zu trauern scheint, das Böse? Ist sein scheinbar so rationales Verhalten angesichts des erlittenen Verlustes wirklich so rational?

Fragen über Fragen, die sich nur jeder selbst beantworten kann. Man kann das Ganze auch als provokanten Humbug abtun. Aber damit würde man von Trier wahrscheinlich weit unterschätzen.

Im aktuellen „journalist“ findet sich ein längerer Artikel über das TV-Magazin-Projekt „Programm„, über das ich schon einmal geschrieben hatte. Die Erfinder desselben zeigen sich darin sehr frustriert, weil sie unter all den Verlagen, die sie angesprochen haben, niemanden fanden, der ihre alternative Fernseh- und Kultur-Programmzeitschrift finanzieren wollte. Und ohne Geldgeber sei das angeblich nicht möglich. Irgendwie ist da immer die Rede von Investitionskosten im Millionenbereich.

Dass das für Projekte von Großverlagen wie Bauer, Burda und Springer so ist, ist klar. Ohne Marktforschung und Marketing-Großoffensive bringen die ja gar keine neue Zeitschrift auf den Markt. Aber bei einem Magazin, das sich von Anfang an nur an eine überschaubare Zielgruppe von vielleicht 40.000 Leuten richten soll, eher an weniger? Wie schaffen es denn vergleichbare Minderheitenmagazine wie DUMMY oder „Cargo“, ihre Hefte zu drucken und zu vertreiben? Hinter denen stecken ja auch keine finanzkräftigen Großverlage, sondern GbRs. Beide sehen nicht nur professionell, sondern sogar sehr stylish aus und scheren sich wenig bis gar nicht um Marktkonformismus. (Die Themen in „Cargo“, dessen zweite Ausgabe gerade erschienen ist, sind selbst mir als Cinephilem etwas zu elitär; der gemeine Kinogänger dürfte sich da eher gar nicht angesprochen fühlen.) DUMMY z.B. hat sich ja durchaus am Markt etabliert, ebenso wie „brand eins“, „11 Freunde“ etc. Alles Zeitschriften, die für ihr Marktsegment sehr ungewöhnlich sind, sich an eine eher kleine Zielgruppe von anspruchsvolleren Lesern wenden, auch eher im oberen Preissegment angesiedelt sind. Und die es ohne großen Werbeetat geschafft haben, eine treue Leserschaft aufzubauen. Warum soll das bei einer alternativen Programmzeitschrift für 2 Euro 50 nicht klappen? Weil es keine anspruchsvollen TV-Zuschauer gibt? Vielleicht sollten die „Programm“-Schöpfer einfach mehr Mut aufbringen.

Videotipp: Dominik Graf spricht

Veröffentlicht: 22. Mai 2009 in Lesetipp
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Im zweiten Teil des Cargo-Videointerviews mit Dominik Graf spricht der Regisseur diesmal (einmal mehr) über seine Vorliebe für Genrefilme, darüber, warum er sich beim Drehen in Polizeibüros so wohlfühlt und über seine erste Arbeit mit einer DV-Kamera beim Kinofilm „Der Felsen“.