In letzter Zeit denke ich öfter ernsthaft darüber nach, aus der Gewerkschaft wieder auszutreten. Habe ich mich neulich schon über die zahnlosen Vergütungsregeln für freie Journalisten aufgeregt, die verdi und DJV ausgehandelt haben, war der Auslöser gestern die aktuelle Ausgabe des verdi-Medienmagazins „M“. Unfassbar finde ich einen Artikel zum Leistungsschutzrecht, das die Verlage mit Hilfe ihrer Lobbyisten bei der Regierungskoalition durchsetzen wollen. Dem steht verdi nämlich zunächst mal wohlwollend gegenüber, vorausgesetzt, Urherber von Texten werden „angemessen“ an den Gebührenerlösen beteiligt, was immer das heißen mag.
Die Einwände der zahlreichen Kritiker werden in dem Artikel rüde abgebügelt, mit Worten wie „schwadronieren“, es gehe nicht darum, Informationen vergütungspflichtig zu machen, sondern nur den Zugriff auf Dateien (wo hier der Unterschied ist, soll mir der Verfasser bitte mal erläutern, enthalten doch die journalistischen Artikel im Netz nun mal Informationen), „die Schwarzmalerei von ‚Kollateralschäden‘ ist also … unbegründbar.“ Mal abgesehen davon, dass das sprachlich Quatsch ist, denn die Kritiker begründen ihre Bedenken ja, sie sind also nicht unbegründbar, sondern höchstens nach Ansicht des Verfassers schlecht begründet: Die befürchteten Folgen eines solchen Gesetzes liegen natürlich auf der Hand, ganz abgesehen davon, dass schon die Grundidee dahinter völlig widersinnig ist. Statt dass die Verlage Google & Co. etwas dafür bezahlen, weil diese Leser auf ihre Seiten locken, sollen Suchmaschinenbetreiber den Verlagen etwas dafür bezahlen. Analog würde das bedeuten, dass ich dem Bäcker an der Ecke was dafür zahlen müsste, wenn ich Bekannten empfehle, wie toll seine Brötchen schmecken.
Was für Mitglieder von dju/verdi wirklich wichtig zu wissen wäre, nämlich dass von der geplanten Zwangsabgabe für beruflich genutzte PCs natürlich auch freie Journalisten betroffen wären, erfährt man in dem Artikel dann gar nicht erst. Das kann man eigentlich schon nicht mehr anders nennen als gezielte Desinformation. Von einer Gewerkschaft erwarte ich, dass sie die Interessen ihrer Mitglieder vertritt, in diesem Fall der angestellten Redakteure und freien Journalisten, nicht irgendwelche obskuren Forderungen der Arbeitgeber, in diesem Fall der Verlage. Eine zusätzliche Gebühr, die alle freien Journalisten zahlen müssten, liegt wohl kaum in deren Interesse, und in welcher Höhe diese dann wiederum an den Gebührenerlösen beteiligt würden, falls überhaupt, steht ja in den Sternen. Darüber hinaus sollte sich eine Gewerkschaft für den Schutz der Grundrechte einsetzen, also hier für eine Stärkung der Informationsfreiheit, nicht dafür, dass Journalisten oder Blogger in ihren Texten nicht mehr auf andere Artikel verlinken dürfen oder dass jeder, der das Internet beruflich nutzt, dafür zusätzliche Gebühren bezahlen muss.
Für die Journalistengewerkschaften scheinen solche Forderungen der Verleger aber ganz normal zu sein. Ebenso wie sie es auch normal finden, dass demnächst Menschen, die gar keine Rundfunkgeräte haben, die (volle) Rundfunkgebühr zahlen müssen. Das erfahren wir in einem anderen Artikel ein paar Seiten vorher. Im begleitenden Interview mit ARD-Chef Boudgoust erfahren wir dann noch, dass „jeder Bürger … vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk profitiert“ – auch wenn er ihn gar nicht nutzt. Vergleichbar wäre das mit Ärzten, deren Studium ja auch von der Allgemeinheit mit Steuergeldern bezahlt werde. Eine wahrlich steile Analogie. Für die verdi-Redakteure aber kein Grund, im dazugehörigen Artikel mal kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass die Traditionsgewerkschaften den Bezug zur Medien(nutzungs)realität der Gegenwart weitgehend verloren haben. Hauptsache, die eigenen Pfründe sind gesichert.