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Schräg, schräger, Tom Waits

Veröffentlicht: 19. November 2009 in Musik, Theater
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Ich dachte schon, das Musical „The Black Rider“ von Tom Waits, William S. Burroughs und Robert Wilson, das ich letzte Woche im Düsseldorfer Schauspielhaus gesehen habe, sei schräg gewesen. Aber musikalisch war das ja fast noch Mainstream gegen das dazu gehörende Album, das Waits 1995 eingespielt hat. Das ist seinerzeit übrigens total an mir vorbei gegangen, obwohl es kurz nach meiner ersten Waits-CD „Bone Machine“ erschienen ist, die auch heute noch meine liebste von ihm ist.

Das „Black Rider“-Album erinnert teilweise schon sehr an dieses Vorgängeralbum, ist aber noch eine Spur abgefahrener. Etwa die Hälfte der Tracks sind entweder Instrumentalstücke oder Lieder, bei denen Waits‘ Stimme durch einen Vocoder gejagt oder anderen merkwürdigen Verfremdungseffekten unterzogen wurde. Dazu kommt eine sehr schräge Instrumentierung. Die Arrangements schwanken irgendwo zwischen Theater- und Experimentalmusik. Mit Pop hat das nichts mehr zu tun, mit Indie auch nur noch sehr wenig.

Interessanterweise gefielen mir auf dem Album ganz andere Stücke am besten als in der Theateraufführung. Das Titelstück, das auf der Bühne ein richtiger Ohrwurm war, der mir tagelang nicht aus dem Kopf ging, kommt bei Waits in einer viel langsameren, irgendwie merkwürdig zurückgenommenen Version. Die Balladen erreichen auch nicht die gleiche Intensivität wie im Stück. Dafür gefielen mir bei Waits „Flash Pan Hunter“ und „Lucky Day“ sehr gut. Von der Handlung hätte ich wohl nichts verstanden, wenn ich das Stück nicht gesehen hätte. Während andere Waits-Alben, die nach Theaterstücken entstanden sind, auch als Alben alleine gut funktionieren („Alice“, „Blood Money“), ist „The Black Rider“ tatsächlich sehr theatralisch und funktioniert wahrscheinlich nur schwer, ohne das Stück zu kennen. Abgefahrener geht jedenfalls kaum noch.

im dickicht der städte

Geld kann alles kaufen: Juliane Pempelfort u. Daniel Breitfelder als Ehepaar Garga Foto: Uwe Stratmann

Theatermacher wollen so gerne zeitgemäß sein, Stücke auf die Bühne bringen, die aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse und Probleme reflektieren, die einen Beitrag zu politischen Diskussionen der Gegenwart liefern. Was liegt da näher, als in den Zeiten der größten Weltwirtschaftskrise seit 70 Jahren auf ein Stück aus der Epoche eben dieser letzten vergangenen Krise zurück zu greifen. So kamen die Wuppertaler Bühnen auf Brecht, und weil die „Dreigroschenoper“ zwar schön, aber auch ein bisschen abgenudelt ist, gruben sie ein unbekannteres Frühwerk des späteren sozialistischen Dramatikers aus: „Im Dickicht der Städte“ aus dem Jahr 1927.

Im Chicago des frühen 20. Jahrhunderts liefern sich zwei Angehörige entgegengesetzter Gesellschaftschichten ein Duell um Geld und Macht: Der aus Malaysia stammende Holzhändler C. Shlink will dem aus einer Farmerfamilie kommenden Bibliothekar George Garga beweisen, dass man mit Geld alles kaufen kann. Der junge Mann, der eigentlich nur seine Freiheit will, lässt sich auf das Spiel ein. Zunächst überschreibt Shlink ihm seinen Holzhandel, später werden auch Gargas Angehörige in den Kampf einbezogen, bis schließlich dessen Frau und Schwester zu Prostituierten geworden, Familie und persönliche Beziehungen zerstört sind.

Ganz klar: Brecht schrieb hauptsächlich Thesentheater-Stücke. Die Welt ist bei ihm noch in Ordnung, das heißt, obwohl in den goldenen Zeiten des Kapitalismus für Angehörige der Unterschicht nichts in Ordnung war, war zumindest alles wohl geordnet: So ist der Kapitalist bei Brecht noch daran zu erkennen, dass er eine fette Zigarre im Mund hat. Wenn man als Regisseurin schon Thesentheater machen will, sollte man die Thesen aber zumindest deutlich herausarbeiten. In Claudia Bauers Inszenierung für das Barmer Opernhaus wird leider nie deutlich, wieso sich Garga eigentlich auf den zerstörerischen Wettbewerb einlässt, warum er nicht eingreift, als sein Leben aus den Fugen gerät, seine Liebsten auf den Strich geschickt werden. Stattdessen spielt Daniel Breitfelder den jungen Mann von Anfang an weit over the top: Keinen Satz spricht er in normalem Tonfall, jedes Wort muss er hinausschreien, jede Geste muss bei ihm im schlechten Sinne theatralisch sein.

Subtilität ersetzt Bauer durch schale Provokation: Nach zehn Minuten steht mit Breitfelder der erste Schauspieler nackt auf der Bühne, nach einer Stunde fragt sich der Zuschauer, ob wohl jemand von den DarstellerInnen sich im Laufe des Stücks nicht ausziehen wird. Inhaltlich motiviert ist das alles nicht, schockieren kann man damit auch seit mindestens 20 Jahren niemanden mehr. So sieht man zunehmend fassungslos dem wilden Treiben auf der Bühne zu.

im dickicht der städte

Subtil geht anders: Garga und Shlink (Sophie Basse, Mitte) liefern sich einen Kampf bis auf die nackte Haut Foto: Uwe Stratmann

Schauspielerisch kann am ehesten noch Sophie Basse überzeugen, die die Männerrolle des Shlink gibt. Auch sie kann aber nicht verhindern, dass es der Inszenierung an keiner Stelle gelingt, beim Zuschauer Mitgefühl, Sympathie oder wenigstens Verachtung für die Figuren zu erzeugen. Sie bleiben farblos, ihre Handlungen nicht nachvollziehbar. Einerseits hat die Regisseurin versäumt, einen deutlichen Bezug zur Gegenwart herzustellen, andererseits versucht sie, herkömmliche Inszenierungsmuster zu durchbrechen, indem etwa Dialoge gar nicht mehr gesprochen, sondern nur noch auf einem Bildschirm abgespult werden. So schwankt das ganze Stück zwischen einer Aussage, die in ihrer Banalität schon seit Jahrzehnten veraltet ist, und einer modernistischen Inszenierung, die einen verstehen lässt, warum der Begriff Regietheater für viele Zuschauer so negativ besetzt ist. „Sprache reicht zur Verständigung nicht aus“, sagt Garga einmal. Ein paar Nackte und wildes Herumspringen reichen allerdings auch nicht aus für einen zeitgemäßen Theaterabend.