Bill Henrickson ist ein Mann, den viele Männer auf den ersten Blick sicher beneiden würden: Er kann regelmäßig mit drei Frauen schlafen, die ihn alle lieben – und er muss es noch nicht einmal vor den jeweils anderen geheim halten. Denn Bill ist Anhänger einer Konfession des Mormonentums, die noch heute Polyganismus praktiziert. Auf den zweiten Blick löst sich der Neid jedoch schnell auf und man weiß als Zuschauer vielmehr nicht, ob man mit Bill Mitleid haben oder ihn verachten soll, weil er so ein selbstgerechter Typ mit steinzeitlichem Familienbild ist.
Die Nachteile, mit drei Frauen gleichzeitig zusammen zu leben, sind vielfältiger, als man zunächst denken würde: da sind die Eifersüchteleien zwischen den drei Frauen, der Zwang, immer alle zufrieden zu stellen, damit sich keine benachteiligt oder zurückgesetzt fühlt, und meistens kann der arme Bill dann doch nicht mit derjenigen Frau zusammen sein, nach der ihm gerade am meisten ist, denn das Eheleben ist streng reglementiert und durchgeplant und jede Nacht einer anderen Frau zugeteilt. Auch die Erfüllung all seiner ehelichen Pflichten ist ohne Viagra nur schwerlich zu schaffen. Hinzu kommt noch der Zwang, das ungewöhnliche Familienleben vor Nachbarn und Mitarbeitern geheim zu halten, denn Polygamie ist auch im Mormonenstaat Utah gesetzlich verboten.
HBO hat es mit „Big Love“ mal wieder getan: ein recht abseitiges Thema zu einer faszinierenden TV-Serie verarbeitet. Eine polygamistische Großfamilie in einem Vorort von Salt Lake City – das klingt zunächst nicht nach einem viel versprechenden Serienstoff. Tatsächlich bietet das Setting aber genügend Stoff für skurrile Situationen wie für dramatische Verwicklungen. Neben den diversen Schwierigkeiten, die sich durch das Zusammenleben Bills mit den drei Frauen und den sieben Kindern ergeben, befindet er sich auch noch in einer langjährigen Familienfehde mit einem seiner Schwiegerväter, dem Propheten der Gemeinde, der Bill bereits in seiner Jugend den Rücken zugekehrt hat. Dazu kommt noch Bills eigene Herkunftsfamilie, die neben seinen reichlich kauzigen Eltern u.a. auch noch aus den nicht minder skurrilen weiteren Ehefrauen seines halsstarrigen Vaters besteht.
Die Besetzung ist ein Volltreffer: Vor allem die Darstellerinnen von Bills (Bill Paxton) Ehefrauen sind allesamt klasse: Jeanne Tripplehorne als vernünftige Erstfrau Barb, Chloe Sevigny als etwas zwielichtige Zweitfrau Nicky und Ginnie Goodwin als jüngste und reichlich naive Drittfrau Margene. Sevigny ist eh eine meiner Lieblingsschauspielerinnen der jüngeren Generation und sie mal in einer Sereinhauptrolle zu sehen, ist insofern fast wie Weihnachten. Gerade wurde sie für ihre Darstellung mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Dazu konnte man für die Nebenrolle des bigotten Sektenführers Harry Dean Stanton gewinnen, der durch seine Rollen in diversen David Lynch-Filmen und in Wim Wenders‘ „Paris, Texas“ zu einer Kultfigur geworden ist. (Der Mann ist übrigens unglaubliche 83 Jahre alt, ich hätte ihn höchstens auf 70 geschätzt.)
Ansonsten zeichnet die Serie all das aus, was man von anderen HBO-Produktionen kennt: perfekte Ausstattung und Außenaufnahmen, langsame Erzählweise, zurückhaltender Humor und viel Skurrilität. Dazu einer der besten Vorspänne der letzten Jahre, der perfekt die Stimmung der Serie einfängt (mit „God Only Knows“ von den Beach Boys als Titellied). Gegenüber „Mad Men“, das zzt. überall in der deutschen Presse abgefeiert wird, ist „Big Love“ die wesentlich interessanter startende neuere Dramaserie aus den USA.