Archiv für Januar, 2010

Bill Henrickson ist ein Mann, den viele Männer auf den ersten Blick sicher beneiden würden: Er kann regelmäßig mit drei Frauen schlafen, die ihn alle lieben – und er muss es noch nicht einmal vor den jeweils anderen geheim halten. Denn Bill ist Anhänger einer Konfession des Mormonentums, die noch heute Polyganismus praktiziert. Auf den zweiten Blick löst sich der Neid jedoch schnell auf und man weiß als Zuschauer vielmehr nicht, ob man mit Bill Mitleid haben oder ihn verachten soll, weil er so ein selbstgerechter Typ mit steinzeitlichem Familienbild ist.

Die Nachteile, mit drei Frauen gleichzeitig zusammen zu leben, sind vielfältiger, als man zunächst denken würde: da sind die Eifersüchteleien zwischen den drei Frauen, der Zwang, immer alle zufrieden zu stellen, damit sich keine benachteiligt oder zurückgesetzt fühlt, und meistens kann der arme Bill dann doch nicht mit derjenigen Frau zusammen sein, nach der ihm gerade am meisten ist, denn das Eheleben ist streng reglementiert und durchgeplant und jede Nacht einer anderen Frau zugeteilt. Auch die Erfüllung all seiner ehelichen Pflichten ist ohne Viagra nur schwerlich zu schaffen. Hinzu kommt noch der Zwang, das ungewöhnliche Familienleben vor Nachbarn und Mitarbeitern geheim zu halten, denn Polygamie ist auch im Mormonenstaat Utah gesetzlich verboten.

HBO hat es mit „Big Love“ mal wieder getan: ein recht abseitiges Thema zu einer faszinierenden TV-Serie verarbeitet. Eine polygamistische Großfamilie in einem Vorort von Salt Lake City – das klingt zunächst nicht nach einem viel versprechenden Serienstoff. Tatsächlich bietet das Setting aber genügend Stoff für skurrile Situationen wie für dramatische Verwicklungen. Neben den diversen Schwierigkeiten, die sich durch das Zusammenleben Bills mit den drei Frauen und den sieben Kindern ergeben, befindet er sich auch noch in einer langjährigen Familienfehde mit einem seiner Schwiegerväter, dem Propheten der Gemeinde, der Bill bereits in seiner Jugend den Rücken zugekehrt hat. Dazu kommt noch Bills eigene Herkunftsfamilie, die neben seinen reichlich kauzigen Eltern u.a. auch noch aus den nicht minder skurrilen weiteren Ehefrauen seines halsstarrigen Vaters besteht.

Die Besetzung ist ein Volltreffer: Vor allem die Darstellerinnen von Bills (Bill Paxton) Ehefrauen sind allesamt klasse: Jeanne Tripplehorne als vernünftige Erstfrau Barb, Chloe Sevigny als etwas zwielichtige Zweitfrau Nicky und Ginnie Goodwin als jüngste und reichlich naive Drittfrau Margene. Sevigny ist eh eine meiner Lieblingsschauspielerinnen der jüngeren Generation und sie mal in einer Sereinhauptrolle zu sehen, ist insofern fast wie Weihnachten. Gerade wurde sie für ihre Darstellung mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Dazu konnte man für die Nebenrolle des bigotten Sektenführers Harry Dean Stanton gewinnen, der durch seine Rollen in diversen David Lynch-Filmen und in Wim Wenders‘ „Paris, Texas“ zu einer Kultfigur geworden ist. (Der Mann ist übrigens unglaubliche 83 Jahre alt, ich hätte ihn höchstens auf 70 geschätzt.)

Ansonsten zeichnet die Serie all das aus, was man von anderen HBO-Produktionen kennt: perfekte Ausstattung und Außenaufnahmen, langsame Erzählweise, zurückhaltender Humor und viel Skurrilität. Dazu einer der besten Vorspänne der letzten Jahre, der perfekt die Stimmung der Serie einfängt (mit „God Only Knows“ von den Beach Boys als Titellied). Gegenüber „Mad Men“, das zzt. überall in der deutschen Presse abgefeiert wird, ist „Big Love“ die wesentlich interessanter startende neuere Dramaserie aus den USA.

Heute Nacht im Radio: Mr. Alan Bangs

Veröffentlicht: 29. Januar 2010 in Radio
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Jeden 5. Freitag im Monat ist so ziemlich der merkwürdigste Senderhythmus, den ich jemals gesehen habe. Da ich es diesen Monat mal rechtzeitig gemerkt habe, hier also der Hinweis für alle Radionostalgiker: Alan Bangs moderiert heute Nacht ab 0 Uhr mal wieder die „Nachtsession“ auf Bayern2. Also, lasst eure Internet-Stream-Abspielvorrichtungen laufen oder programmiert eure Radiorekorder (Falls hier jemand aus Bayern mitliest, reicht es natürlich auch einfach, das Radio einzuschalten.).

3x Paul Verhoeven in 3 Wochen

Veröffentlicht: 24. Januar 2010 in Film
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Ein interessanter Regisseur, auch wenn ich die meisten seiner Filme dann doch irgendwie trashig finde, ist Paul Verhoeven. Nachdem ich gestern auch endlich mal „Hollow Man“ im Fernsehen gesehen habe, der allgemein immer als einer seiner schlechtesten Filme genannt wird, waren das für mich jetzt 3 seiner Filme in knapp 3 Wochen. Mein Urteil fällt höchst unterschiedlich aus:

„Black Book“ („Zwaartboek“): Ein fast perfekter Unterhaltungsfilm mit Anspruch, in dem Verhoeven Actionkino à la Hollywood mit europäischem Erzählkino verbindet. Man merkt, dass er einerseits durch die Arbeit in den USA sein Handwerk als Actionregisseur gelernt hat und dies hier einsetzt, um andererseits eine für ihn als Niederländer der Kriegsgeneration persönliche Geschichte zu erzählen. Für mich sein bester Film: spannend, bewegend, mit überwiegend vielschichtigen Charakteren und einer Story, die nicht schwarz-weiß zeichnet, sondern zeigt, dass die Welt auch in Kriegszeiten nicht so einfach in Gut und Böse zu unterteilen ist, wie manche gerne denken.  5 von 6 Sternen

„Der Soldat von Oranien“ („Soldaat van Oranje“ aka „Soldiers“ aka „Survival Run“): Hat mir nicht mehr ganz so gut gefallen wie beim ersten Ansehen, was aber auch daran liegen kann, dass mir diesmal die wirklich schlechte Synchronisation aufgefallen ist (Dummerweise gibt’s auf der erst kürzlich erschienenen DVD keine Originaltonspur, obwohl das sogar eine restaurierte und damit verlängerte Fassung gegenüber der ursprünglichen deutschen ist): Warum in einem niederländischen Film die Namen der Hauptfiguren englisch ausgesprochen werden, weiß wohl nur der Dialogbuchautor. Eine Figur heißt gar in der Synchro plötzlich John, obwohl er im Original Jan heißt. Da die ursprünglich geschnittenen Szenen auf Niederländisch mit deutschen Untertiteln eingefügt sind, fällt das als besonders dämlich auf. Außerdem nennt die niederländische Königin ihre Landsleute immer „Mister“. WTF? Ansonsten ein unterhaltsamer Actionfilm mit einigen Längen und doch recht eindimensionalen Charakteren, wenngleich von guten Schauspielern dargestellt (allen voran natürlich Rutger Hauer). Die Gräuel des Krieges bleiben im Gegensatz zu „Black Book“ doch eher im Hintergrund, obwohl es auch hier Verräter und Überläufer gibt. Und: einer der wenigen patriotischen Filme, die ich kenne, die nicht aus den USA kommen. 4 von 6 Sternen

„Hollow Man“: Verhoevens letzter Film, bevor er in die Niederlande zurückgekehrt ist. Fängt ganz interessant an, wird zunehmend unlogischer und endet in der letzten halben Stunde in einem Action- und Gewaltspektakel, nachdem vorher nicht viel passiert ist. Ein Film mit etwas merkwürdigem Pacing, der sich nicht recht entscheiden kann, ob er ein Wissenschaftsthriller, ein Grusel- oder ein Actionfilm sein will. Funktioniert aber als Popcorn-Unterhaltung ohne Anspruch dennoch ganz gut. Von irgendeiner persönlichen Handschrift des Regisseurs ist hier allerdings überhaupt nichts zu merken. 3,5 von 6 Sternen

Ein Lichtblick im deutschen TV: 3sat nimmt HBO-Serie ins Programm

Veröffentlicht: 18. Januar 2010 in TV
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Es gibt noch Hoffnung: Da hatte ich mich gerade vor ein paar Tagen hier noch aufgeregt, warum anspruchsvolle HBO-Serien eigentlich in Deutschland nicht von öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt werden, da lese ich heute, dass 3sat Mitte Februar „In Treatment“, eine Serie um einen von Gabriel Byrne gepielten Therapeuten, ins Programm nimmt. Zunächst sogar mit täglichen Doppelfolgen zur Primetime, nach zwei Wochen dann allerdings nur noch wöchentlich ab ca. 22 Uhr 30. Mit 3sat hatte ich nun wirklich am wenigsten gerechnet, weil die meines Wissens nach überhaupt noch nie US-Serien ausgestrahlt haben. Ein viel versprechendes Experiment.

Yesterday’s ads

Veröffentlicht: 17. Januar 2010 in Print
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Zwei Obskuritäten aus Zeitschriften der 70er/80er Jahre: 1980 war Heimkino noch ein richtig teueres Hobby. In der Prä-VHS-Ära waren Originalkinofilme auf Super 8 so unglaublich teuer, dass ich es teilweise echt nicht fassen kann. Im Nachlass meines Opas finden sich auch einige bekannte Kinofilme auf Super 8, die auch noch die Originalpreisschilder tragen: „Krieg der Sterne“, „Der weiße Hai“ u.a. Die kosteten so um die 100 DM. Dieser Anzeige aus dem Jahr 1980 nach waren manche Zeichentrick- und Realfilme aber noch wesentlich teurer: „Barbarella“ mit Jane Fonda 448,50 DM. Der teuerste Film im Angebot des Herrn (?) König war aber demnach „Zuckermann’s Farm – Die Abenteuer vom Schweinchen Wilbur“ (nie gehört; man beachte auch den schrägen Fall – gebt dem Genitiv keine Chance) für sagenhafte 495 DM. Dagegen sind DVDs heute billig wie geschnitten Brot.

Anzeige König Film

An folgende Anzeige konnte ich mich sogar noch aus meiner Kindheit erinnern: Sie war Ende der 70er wohl regelmäßig in Kinderzeitschriften abgedruckt. Wieder entdeckt habe ich sie in einem alten ZACK-Heft von 1977. Abgesehen davon, dass sich Kinder damals noch mit einem Schuh zufrieden gaben, dessen Absatz einen coolen Tigerkopf-Abdruck hinterließ, während es heute mindestens ein rotes Leuchten bei jedem Schritt sein muss, könnte man so eine Werbung heute auch aus Gründen der Political Correctness nicht mehr bringen: Die Geschlechterklischees sind doch bermerkenswert. Die Jungs wollten damals alle wild, schnell und ausdauernd sein, die Mädels gaben sich mit „happy und glücklich“ zufrieden und wollten deshalb auch keine wilden Tigerkopf-Schuhe, sondern lieber welche, an denen „wirklich immer ein Glückspony dran“ hing. Heute würden die Mädchen wahrscheinlich so lange quängeln, bis sie auch einen Tigerschuh bekämen.

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Maxim Biller: "Die Tochter"

„Als Motti Wind nach zehn langen, bedrückenden Jahren seine Tochter Nurit wiedersah, hatte sie fast gar nichts an.“

Maxim Biller gebührt für seinen Debütroman „Die Tochter“ von 2000 nicht nur die Anerkennung für den besten ersten Satz, den ich seit langem gelesen habe, sondern auch für den besten Romaneinstieg. Was für ein erstes Kapitel: Billers Protagonist erkennt in einer Darstellerin in dem Pornovideo, das er sich an einem Sonntagnachmittag zu Gemüte führt, so wie er sich seit längerem jeden Sonntag eines anguckt, seine Tochter wieder, die er vor zehn Jahren verloren hat. Statt den Blick abzuwenden oder den Fernseher auszuschalten, verliebt sich Motti aufs Neue in seine eigene Tochter, die inzwischen kein kleines Mädchen mehr ist, sondern eine Teenagerin, die für Geld Sex vor der Kamera hat.

Biller ist kein Autor, der Angst vor Tabubrüchen hat. Das Thema Inzest durchzieht die ganze tragische Liebes- und Lebensgeschichte, die er in seinem Roman, größtenteils in Rückblenden, erzählt. Während wir in der Rahmenhandlung den in München lebenden Israeli Motti auf seiner sonntäglichen Odysee durch die Stadt begleiten, auf dem Weg zur Mutter seiner Tochter, die er wegen des Pornos zur Rede stellen will, setzt sich die Vorgeschichte, die in jedem zweiten Kapitel erzählt wird, nur bruchstückhaft zusammen. Es ist die Geschichte eines jungen Juden, der nach einem traumatischen Erlebnis im Libanonkrieg Anfang der 80er Jahre nach Deutschland kommt, weil er sich im Flugzeug in eine deutsche Frau verliebt hat: Sofie.

Langsam, anfangs fast unmerklich, ändert sich die Stimmung des Romans, wird die Beziehung zwischen dem unsicheren Motti und der stillen Sofie von Problemen überschattet: Sofie scheint nicht in der Lage zu sein, der gemeinsamen Tochter Nurit Mutterliebe entgegen zu bringen, hinzu kommen Schwierigkeiten in diversen Jobs, die die Frau immer tiefer in die seelische Isolation und von Motti wegtreiben. Gleichzeitig sorgt sich Motti zunehmend um die meist apathisch wirkende Tochter, die in ihrer Entwicklung  zurückgeblieben zu sein scheint. Die Unfähigkeit aller Beteilligten, über ihre wahren Gefühle zu sprechen, führt unaufhörlich zur Katastrophe…

In seinem komplex strukturierten Familienromen geht es Biller ums Ganze: um unauslöschbare Schuld, die Unmöglichkeit von Kommunikation, den Gegensatz zwischen Israel und Deutschland, um eine unmögliche Liebe und die Möglichkeit eines negativen Gottesbeweises. Durch die nur schwer zu durchschauende Erzählstruktur und die manchmal quälend langen Schilderungen von Mottis wirrem Geisteszustand macht es Biller seinen Lesern nicht immer leicht. Andererseits entwickelt seine Erzählung immer wieder einen Sog, der einen so tief in die Handlung hineinzieht, dass man immer weiter lesen muss. Bis zum bitteren Ende, der mit einem Knalleffekt endet.

Leser, die schon Billers journalistische Arbeit mitverfolgt haben, werden sich über einige autobiographische Elemente gegen Ende des Romans freuen, wenn der Ich-Erzähler plötzlich anfängt, seine eigene Geschichte zu erzählen, die nur locker mit der Haupthandlung um Motti Wind verknüpft ist. Da taucht dann auch mal die Zeitschrift TEMPO auf, als deren Kolumnist Biller in den 80ern bekannt geworden ist, und ein New York-Korrespondent, der unschwer als Andrian Kreye (heute SZ-Feuilletonchef) zu erkennen ist. Wobei viele der Ansichten, die Motti über Deutschland und die Deutschen, über Gott und Religion vertritt, auch weitgehend deckungsgleich mit denen des Autors sein dürften. Wie schon in seinen legendären „100 Zeilen Hass“-Kolumnen teilt Biller auch hier wieder gerne aus, womit er einige Leser vor den Kopf stoßen dürfte. Andererseits beweist er mit diesem Roman, dass er auch ganz anders kann, indem er eine teils sehr einfühlsame Liebesgeschichte erzählt, die im Irrsinn endet, ohne dass er jemals die Sympathie für seine geschlagene Hauptfigur verliert.

Maxim Biller: „Die Tochter“ Roman. dtv 2001. 432 Seiten, 11 Euro.

Lesetipp: Die glücklichste Generation

Veröffentlicht: 15. Januar 2010 in Lesetipp, Print
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„Als meine Generation nach Lehrstellen suchte, mussten wir nicht hundert Bewerbungen schreiben, sondern wir waren die Umworbenen. Wir schrieben die Absagen an die Unternehmen. Als ich meine Lehrzeit beendet hatte, wurde Willy Brandt Kanzler. Er wollte, dass auch wir Arbeiter- und Bauernkinder studieren und sozial aufsteigen können, und tatsächlich stiegen wir auf.

Heute hocken viele dieser Aufsteiger auf ihren unkündbaren Planstellen, von denen herab sie meinen Kindern verkünden, dass die Zeiten unbefristeter Arbeitsverhältnisse vorbei sind. Sie sollen dankbar und froh sein, wenn sie irgendwo ein unbezahltes Praktikum machen dürfen.“

Christian Nürnberger wird bald 60 und hat für das SZ-Magazin einen furiosen Essay darüber geschrieben, dass seine Generation die glücklichste aller Zeiten gewesen ist: nie Krieg, nie Armut, immer nur Aufstieg. Und über seine Wut darüber, dass sich viele seiner Altersgenossen mental längst in die Toskana verabschiedet haben, während sich die Chancen für nachwachsende Generationen zunehmend verschlechtern.

US-Serien im deutschen TV: Es ist ein Jammer

Veröffentlicht: 14. Januar 2010 in Print, TV
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Auf dem Titel der neuen „TV Movie“ wird ein Artikel über die bevorstehenden Serienstarts im deutschen Fernsehen angekündigt. Das machte mich natürlich neugierig und ich blätterte den Artikel im Supermarkt auf. Was da als neue Top-Serien gehandelt wird, war aber sehr ernüchternd: ein neuer NCIS-Ableger, eine australische Krimiserie um irgendein Ermittlerteam à la „CSI“, belanglose Mysteryserien usw. Am interessantesten klang von der Grundidee her noch „Flash Forward“, allerdings auch wieder nicht so interessant, dass ich mir das nun angucken wollen würde. Nicht besser wurde es bei den bereits in Deutschland etablierten Serien, die demnächst mit einer neuen Staffel starten: Groß gefeaturet wurde „Lost“. Eine Serie, die mich nie interessiert hat, was sich auch nicht geändert hat, nachdem ich neulich im Internet „Lost Staffel 1-5 in 8 Minuten 15 Sekunden“ angeschaut habe. Von den anderen angekündigten Serien war „Grey’s Anatomy“ noch die interessanteste. Im Vorspann des Artikels stand dann noch so was wie „US-Serien sind im deutschen TV erfolgreich wie noch nie.“ Das Problem ist: Die wirklich guten US-Serien finden im deutschen TV so gut wie gar nicht mehr statt.

Was in Deutschland erfolgreich ist, sind Dutzende von Krimiserien, die alle nach dem ewig gleichen Muster ablaufen: alleine ein halbes Dutzend „CSI“-Ableger, „NCIS“, was auch schon der Ableger von irgendwas ist und nun also noch einen eigenen Ableger bekommt, dann so ein paar Serien um „freche Frauen“ wie „Sex and the City“ und „Desperate Housewives“, wobei man über das dort transportierte Frauenbild auch die ein oder andere Doktorarbeit schreiben könnte, eine Handvoll SF/Fantasy/Mysteryserien („Lost“, „Heroes“, diverse „Stargate“-Ableger, wobei schon die erste Serie auf mich wie ein B-Movie wirkte), und dann noch Serien mit skurrilen Hauptfiguren wie „House“ und „Monk“. Und das war’s dann, wenn man mal von diesen komischen unlustigen Sitcoms absieht, mit denen Pro 7 und Kabel 1 fast ihr gesamtes Tagesprogramm füllen.

Anspruchsvollere Produktionen mit ausufernden Story-Arcs, vielschichtigeren Charakteren, originelleren Grundideen oder schwärzerem Humor kommen entweder gar nicht mehr ins deutsche Free-TV oder werden nach ein, zwei Staffeln wieder abgesetzt wie etwa „Weeds“. Während in den USA alleine bei HBO jedes Jahr ein, zwei neue tolle Serien starten, wartet man hierzulande vergeblich darauf, irgendeine davon mal im Fernsehen sehen zu können. Oder man muss Sky abonnieren, da gibt es tatsächlich einen Sender, der viele dieser komplex erzählten Serien ausstrahlt: Auf FOX laufen fast jeden Tag drei bis vier tolle Serien von HBO, SyFy oder AMC oder anspruchsvolle Network-Produktionen.

Ich erwarte ja gar nicht, dass RTL II oder Pro 7 „The West Wing“ oder „The Wire“ einkaufen. Das ginge wohl total an deren Zielgruppe vorbei. Aber selbst mittelmäßig interessante Serien wie „Southland“ oder „True Blood“ finden ja dort nicht mehr statt. (Hallo, letzteres ist eine Vampirserie! Da wird doch im Zuge der „Twilight“-Hysterie zzt. alles eingekauft, wo Blutsauger und verliebte Teenagermädchen vorkommen – nur die einzige halbwegs anspruchsvolle Serie aus dem Genre natürlich wieder nicht.) Stattdessen kauft Pro 7 lieber eine wahnsinnig originelle und höchst realistische Krankenhausserie wie das gestern gestartete „Hawthorne“, wo die Oberschwester auf allen Stationen gleichzeitig arbeitet und zwischen den Verwaltungsratssitzungen schnell noch ein paar Zugänge legt und Patienten das Leben rettet. Außerdem scheint es in der ganzen Klinik nur ein Dutzend KrankenpflegerInnen zu geben. Aber Hauptsache, die sehen halbwegs fesch aus.

Was ich auch überhaupt nicht verstehe, ist, warum nicht ARD und ZDF bei den anspruchsvolleren Serien zugreifen. TWW, „The Wire“ oder „In Treatment“ würden doch perfekt ins Profil von arte oder auch ZDF Neo passen. Oder sind die nun auf dem Markt wesentlich teurer als diese BBC- und kanadischen Serien, die da sonst so laufen?

P.S.: Ich möchte bitte keine Kommentare über deutsche Synchronisationen lesen. Ich weiß, die sind eh alle scheiße, und ihr sprecht alle perfektes Englisch, weil ihr alle ein Jahr in den Staaten verbracht habt.

„KDD“ ab nächste Woche wieder bei arte

Veröffentlicht: 10. Januar 2010 in TV
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Weihnachten stand noch in der taz, das ZDF hätte den Drehstopp über seine Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“ verhängt. Nun startet nächste Woche doch die dritte Staffel – allerdings erstmals nicht als Erstausstrahlung im ZDF selbst, sondern gleich bei arte: dienstags um 22.15 Uhr.

War das in der taz jetzt eine Falschinformation? Oder meinten die die vierte Staffel? Wobei es ja etwas ungewöhnlich wäre, die vierte Staffel schon zu drehen bevor die dritte ausgestrahlt wurde. Außerdem glaube ich, irgendwo mal gehört zu haben, dass die dritte eh die letzte sein sollte. Mysteriös, das Ganze. Jetzt freue ich mich erst mal auf die neue Staffel und hoffe, dass das hohe Niveau gehalten wird.

Jörg Fausers letztes Werk: „Die Tournee“

Veröffentlicht: 8. Januar 2010 in Bücher, Journalismus
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„Wo bleibt die Göttliche?“ Das Warten auf den Star – ob in den MGM-Studios von Hollywood oder im Kurtheater zu Bad Wörishofen, ob auf Greta Garbo oder Doris Kunstmann – ist schon immer nur etwas für Regisseure mit guten Nerven und bühnenfähigem Galgenhumor gewesen.

Solche Sätze müssen einem auch erst einmal einfallen, als Einstieg für eine Reportage über eine Theatertournee durch deutsche Kurorte. Jörg Fauser begann so 1986 seine Reportage „Die Wunde der Komödianten“ für die Zeitschrift „Transatlantik“. Der Artikel war eigentlich ein Nebenprodukt einer Recherche Fausers für einen neuen Roman: „Die Tournee“. Von diesem konnte der Autor dann leider nur noch die ersten 180 Seiten fertig stellen, bevor er 1987 tödlich verunglückte. Im Rahmen der Taschenbuch-Werkausgabe Fausers im Diogenes-Verlag ist vor kurzem nun auch dieses Romanfragment erschienen (und vorher schon als Hardcover in der Gesamtausgabe im Alexander-Verlag).

Der Roman selbst ist etwas durchwachsen. Fauser führt im ersten Teil viele Figuren an unterschiedlichen Schauplätzen ein, die dann wohl in den späteren Teilen zusammen finden sollten: eine mittelalte Schauspielerin in der beruflichen Krise, die keine gescheiten Rollen mehr bekommt und deshalb das Angebot annimmt, auf Theatertournee zu gehen, ein Berliner SPD-Mitglied und ehemaliger Agent im Ruhestand, dessen Lebenswandel zu einem Herzinfarkt führt, ein undurchsichtiger asiatischer Gangster, ein von seiner Frau verlassener Münchener Galerist mit einschlägiger Vergangenheit als Junkie in Istanbul, der sich noch einmal an einem Drogendeal versucht, eine aufstrebende Jungjournalistin, die für ein Lifestyle-Magazin schreibt (es ist 1987, die große Zeit der „Zeitgeist“-Magazine!). Einerseits schreibt Fauser wieder über Szenen, die er selbst gut kennt (Journalismus, Junkies, Säufer und Kneipen), andererseits wird’s immer dann richtig klischeehaft und schlecht, wenn es um Drogengeschäfte, BKA-Spitzel und internationale Verbrecher geht. Gerade, als es anfängt, interessant zu werden (und man erahnen kann, wie die einzelnen Erzählfäden zusammen geführt werden sollen), bricht der Roman ab.

Fast interessanter als der eigentliche Romantext sind die ergänzenden Materialien, die sich in dieser liebevoll aufgemachten Ausgabe finden: Diverse Exposés und Auszüge aus Fausers Notizbüchern geben Aufschluss über seinen Arbeitsprozess, jedem Kapitel ist jeweils die erste Seite aus seinem Original-Typoskript als Faksimile vorangestellt und im Anhang findet sich dann neben zwei informativen Nachwörtern auch noch die oben erwähnte Reportage. Die ist besser geschrieben als der eigentliche Roman, was meinen Eindruck bestätigt, dass Fausers kurze Texte oft besser waren als seine Romane.

Am besten war er eh immer dann, wenn er aus seiner eigenen Erfahrung heraus geschrieben hat, über Dinge, die er selbst erlebt oder zumindest beobachtet hatte, wie bei „Rohstoff“ oder vielen seiner Kurzgeschichten. Das entsprach auch ganz seinem Anspruch an Literatur: über das schreiben, was man selbst kennt. Weswegen er dann eben erst einmal bei einer Theatertournee mitreiste, bevor er einen Roman mit diesem Thema begann. Immer wieder interessant sind dann die Bezüge zwischen Fausers journalistischen oder autobiografischen Texten und seinen fiktionalen. So finden sich auch hier wieder einige Figuren und Motive aus der Reportage fast eins zu eins in der Schilderung der Theatertruppe im Roman wieder.

Jörg Fauser: „Die Tournee“ Roman aus dem Nachlaß. Diogenes Taschenbuch. 272 Seiten, 8 Euro 90.