In den vergangenen Jahren war ich vier Mal traurig, als eine Radiosendung eingestellt wurde. Interessanterweise waren drei davon beim hr. Dieser Sender scheint echt ein Talent dafür zu haben, die wenigen hörenswerten Sendungen, die sich auf seinen Wellen finden, abzusetzen, weil sie ihm anscheinend zu unkonventionell sind. Im Sommer 2007 schickte die Jugendwelle YouFM den Kultmoderator Jürgen Kuttner offiziell in eine einjährige Pause, aus der er, wie schon damals anzunehmen war, nie zurück kam. Kuttner, der vor allem in Berlin und Brandenburg durch seine Hörertalkshows bekannt wurde, hatte bei YouFM jahrelang eine ähnlich angelegte, sehr skurrile Call In-Sendung „moderiert“. Sein Umgang mit schräger Musik und teils fast schon dadaistischen Hörergesprächen machten die Sendung desöfteren zu einer Art experimenteller Klangkunst. Für die Jugendwelle einer ARD-Anstalt wahrscheinlich zu schräg.
Ende vergangenen Jahres schickte der hr seinen letzten ernst zu nehmenden Moderator einer Popsendung in die Verbannung. Kurz vor ihrem 25. Geburtstag wurde Klaus Walters hr3-Show „Der Ball ist rund“ abgesetzt, das einzige, was man sich auf der seichten Dudelwelle überhaupt anhören konnte. Begründung: Walters anspruchsvoller Musikmix störe die Durchhörbarkeit des Programms. Auch massiver Protest und eine Petition treuer Hörer nutzten nichts.
Ende des Jahres will sich nun der hr auch noch von Holger Klein trennen, der seit ungefähr zwei Jahren drei Mal in der Woche die spätabendliche Hörertalkshow „Nightline“ moderiert. Angeblich sei kein Geld mehr da. Das lässt befürchten, dass nicht nur Klein in die Wüste geschickt werden, sondern die ganze Sendung abgesetzt werden soll. Statt anregender und teilweise anspruchsvoller Diskussion wird es dann vermutlich auch nach 23 Uhr bei YouFM aktuelles Hitgedudel geben.
Ich hatte mich schon länger gewundert, dass ein derartig kritischer und gegen den Meinungs-Mainstream argumentierender Moderator beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein so breites Forum bekommt. Klein ist einer der wenigen Radiomoderatoren, die sich eine eigene Meinung nicht nur erlauben, sondern auch den Mut haben, diese in aller Deutlichkeit auf dem Sender auszusprechen. Ob Bildungssystem, Hartz IV oder übertriebene Sicherheitspolitik – Kleins Meinung liegt bei so ziemlich allen aktuellen politischen Themen diametral konträr zur vorherrschenden Mehrheitsmeinung. Er scheut sich auch nicht, vom Untergang der Demokratie zu reden, wenn Schäuble & Co. mal wieder absurde Überwachungsgesetze entwerfen. Bei Hartz IV stellte er mal die Frage, ob die Regierung nicht mitbekomme, welche Folgen ihre unsoziale Politik für viele Menschen eigentlich hätte oder ob sie diese beabsichtige – und welche Möglichkeit eigentlich schlimmer sei. Und das alles bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, der indirekt unter der Kontrolle von Roland Koch und seiner CDU steht! Und bei einer Jugendwelle, die hauptsächlich von Leuten unter 20 gehört werden dürfte. Jetzt scheint es mit der Meinungsfreiheit bei YouFM wohl Ende des Jahres vorbei zu sein.
Klein ist übrigens kein Moderator, der es seinen Hörern leicht macht. Ich muss gestehen, dass ich anfangs seinen Moderationsstil überhaupt nicht mochte. Er ist sehr persönlich und vertritt seine Meinungen sehr konsequent. Am Anfang wirkte das sehr arrogant auf mich. Mit der Zeit lernte ich seine Art aber immer mehr zu schätzen, als ich verstanden hatte, wie er denn so tickt. Inzwischen ist das allabendliche „Nightline“-Hören für mich zu einer Art Zubettgeh-Ritual geworden. Vor dem Schlafen noch ein, zwei Stunden meist intelligente Gespräche hören, bevor (oder wobei) ich dann einschlafe. Bald werde ich mir wohl ein neues Ritual suchen müssen. Und der hr einen neuen Hörer.
Die „Nightline“ mit Holger Klein gibt’s noch bis Jahresende dienstags bis donnerstags von 23 bis 1 Uhr bei YouFM.