Kunst oder Leben? Juliette Binoches erste Hauptrolle in „Rendez-vous“ (1985)

Veröffentlicht: 29. Mai 2014 in Film
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Blutjung und schön: Wilson und Binoche; Foto: MK2 Éditions

Blutjung und schön: Wilson und Binoche; Foto: MK2 Éditions

Ein weitgehend vergessener Film von André Téchiné, der im Grunde nur deswegen bemerkenswert ist, weil Juliette Binoche hier ihre erste Hauptrolle gespielt hat – dadurch wurden einige der größten europäischen Regisseure wie Louis Malle auf sie aufmerksam und mit Philip Kaufman auch ein amerikanischer. Der Rest ist Geschichte. Wenn man diesen Film heute zum ersten Mal sieht, lässt sich leicht erkennen, welches enorme Potential als Schauspielerin und Leinwandstar die erst 20-Jährige damals schon hatte. Obwohl formal erst an zweiter Stelle der Besetzungsliste geführt, ist doch von Anfang an klar, wem dieser Film gehört, wer ihn ganz und gar dominiert.

Die Binoche ist hier Nina, ein junges Mädchen aus der Provinz, dass sich zu Hause in den nächsten Zug nach Paris gesetzt hat, „am Tag, als ich endlich 18 wurde“, wie sie einmal erzählt. Sie träumt von einer Karriere als Schauspielerin, hat es bislang aber nur zu einer Ein-Szenen-Rolle als naives Zimmermädchen in einer Boulevardkomödie gebracht. Da schminkt sie sich nun also Abend für Abend in ihrer Garderobe des kleinen Theaters für den kurzen Auftritt, in dem sie den Hauptdarstellern einen Tee/Kakao oder doch eher einen Kaffee servieren darf. In Ihrer Freizeit kostet sie die neu gewonnene (vermeintliche) Freiheit aus, geht mal mit diesem, mal mit jenem jungen Mann ins Bett oder macht die Nacht einfach auf den Straßen durch, weil sie sowieso nicht schlafen kann. Auf der Suche nach einem kleinen Appartment für sich selbst lernt sie den Makler Paulot kennen, der sich sofort in sie verliebt. Sie schenkt ihm eine Freikarte für ihr Stück, er ist hin und weg. Nach der Vorstellung platzt er in ihre Garderobe, aber da knabbert gerade ihr Freund an ihrem Dekolleté. Trotzdem lädt sie den Verehrer in die gemeinsame Wohnung zum Essen ein, wo er Zeuge eines großen Streits und der anschließenden Trennung des Paares wird. Da Nina nun nicht weiß, wo sie hin soll, bietet Paulot ihr an, in seiner WG zu übernachten, aber mit seinen Hintergedanken kommt er nicht weiter, denn sie möchte endlich einmal alleine schlafen. Vollends kompliziert wird das Beziehungsgeflecht, als Paulots egozentrischer Mitbewohner Quentin (Lambert Wilson) dazukommt. Von dem Zyniker geht eine merkwürdige Faszination aus, der sich Nina nicht lange entziehen kann.

Die eher sprunghaft inszenierte und nie so recht emotional nachvollziehbare Dreiecks- (oder Vierecks-) Geschichte ist nicht das eigentlich Interessante an Téchinés Film, vieles daran wirkt zu aufgesetzt (Ko-Drehbuchautor war übrigens Olivier Assayas). Faszinierend ist vielmehr das Spiel der Darsteller, neben Binoches vor allem dem Wilsons, den man aus seiner späteren Karriere eher aus bedachteren Rollen kennt. Hier ist er ganz der junge Romeo, mit dem sein Quentin vor Jahren seinen Durchbruch auf der Bühne hatte und den er jetzt wieder in einer bizarren Travestie in einer Art Sexfassung des Shakespeare-Stücks spielt. Für ihn sind Kunst und Liebe untrennbar miteinander verbunden, für beide brennt er, aber jeweils nur so lange, bis von der Lunte nichts mehr übrig ist – und das geht schnell. Relativ bald ist Quentin tot, aber Wilson taucht immer wieder im Film auf: als Vision Ninas, die nun eine Chance bekommen hat, die für sie alles bedeutet. In einer „Romeo und Julia“-Neuinszenierung des renommierten Regisseurs Scrutzler (was für ein Name!), gespielt von Altmeister Jean-Louis Trintignant, bekommt sie die weibliche Hauptrolle. Das könnte ihr großer Durchbruch sein, aber auch ihre größte Niederlage. Und deshalb sieht sie immer wieder ihren toten Liebhaber, der sie höhnisch auslacht und ihr die Fähigkeit abstreitet, große Gefühle auf der Bühne zu verkörpern, da sie selbst keine kenne.

Das ist das zweite, was den Film aus dem Mittelmaß französischer Dramen heraushebt: die Wechselwirkung von Kunst und Leben. Beides ist hier immer kompromisslos, gelebt wie gespielt wird hier entweder bis zum Anschlag oder gar nicht mehr. Letztlich stellt sich aber auch die Frage, was nun eigentlich was bedingt. „Die Liebe gibt es nicht in deinem Theater, sondern nur im Leben“, sagt Paulot einmal zu Nina. Bei Téchiné ist im Grunde aber auch das Leben theatralisch, lässt sich nicht zwischen Kunst und Realität unterscheiden.

Die junge Binoche hat sich – wie ihre Nina – in diese Rolle gestürzt, als wäre es um ihr Leben gegangen. Uneitel, rückhaltlos, hemmungslos – auch was die Nackt- und Sexzenen angeht, die dem Film in den USA eine Freigabe ab 18 Jahren eingebracht haben (übrigens, es tut so gut, eine 20-jährige Kinoschaupielerin mit Achselhaaren zu sehen). Sie ist hier ganz anders als die schüchterne Teresa in „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, wenn auch vielleicht genauso unsicher, nicht die geheimnisvolle Ferne wie in Leos Carax‘ „Mauvais Sang“, den sie nur ein Jahr später drehte, nicht die selbstsichere Verführerin aus „Verhängnis“, sondern irgendwas dazwischen. Eine Frau, die sich nimmt, was sie kriegen kann, die mit den Männern spielt und doch fast daran kaputt geht und die ihre Chance zur (Selbst-)Befreiung  doch erst dann sieht, als ihre leidenschaftliche Liebe tot ist. Ein wahrhaft starker erster Auftritt.

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