Archiv für Februar, 2009

Tipp: Dominik Graf im Videointerview

Veröffentlicht: 27. Februar 2009 in Lesetipp, Online, TV
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Lese- und vor allem Anschautipp: Dominik Graf, einer der besten und wahrscheinlich der unterschätzteste deutsche Regisseur der Gegenwart, erläutert im Videointerview mit „Cargo“ seine Liebe zum Genrekino und erzählt von der desaströsen Arbeit am Trio-Film „Drei gegen Drei“ von 1985.

Kleinteiliges Cover, aber das Ganze im Blick: die erste Ausgabe von Cargo

Kleinteiliges Cover, aber das Ganze im Blick: die erste Ausgabe von "Cargo"

Vor ein paar Tagen wurde bei Bayern2 noch beklagt, es gebe in Deutschland keine Filmzeitschrift, die dem Anspruch der französischen „Cahiers du cinéma“ entsprechen würde. Als Annäherung daran wurde zumindest „Schnitt“ bezeichnet. Das leidet mMn daran, dass es oft zu (pseudo-)wissenschaftlich geschrieben ist und dass die Schwerpunktthemen meistens einfach zu abseitig sind. Meine Lieblingsfilmzeitschrift ist ja „epd Film“. Die schafft mMn den Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung, zwischen Autoren- und Blockbusterkino, zwischen lesbaren Texten und filmwissenschaftlicher Theoretisierung am besten. In der Schweiz gibt es noch das sehr schöne „filmbulletin“. Daran gefällt mir vor allem, dass hier auf Aktualität weitgehend verzichtet wird. Stattdessen schreiben die Autoren einfach über das, was sie interessiert, unabhängig davon, ob es gerade einen neuen Film des behandelten Regisseurs, Schauspielers etc. gibt. Da widmet man sich dann halt mal auf 15 Seiten Ingmar Bergman, und zwar ein Jahr, bevor dieser gestorben ist. Leider bekommt man dieses Heft in Deutschland so gut wie nirgendwo.

Durch einen taz-Artikel bin ich gestern auf eine neue deutsche Filmzeitschrift gestoßen: „Cargo – Film/Medien/Kultur“ ist ein ambitioniertes Magazin, ohne großen Verlag im Hintergrund, das das Medium Film vor allem als Kulturgut sieht. Ungewöhnlich ist schon der Titel, der aber gleich auf der Titelseite erklärt wird: „Film ist in der Gegenwart zu einem Frachtgut geworden, das an unterschiedlichen Orten versandt und gelöscht wird…“ Äh, ja… Im Editorial wird der eigene Anspruch dann etwas verständlicher formuliert:

„Wir interessieren uns für Theorie und Attraktion, Personen und globale Zusammenhänge. Immer noch ist Film ein Schlüssel zu unserem Leben in Gesellschaft … (und in der Geschichte), ein allgegenwärtiges Medium, das in Bildern, Tönen, Schnitten, Gesichtern, Körpern denkt, das uns unterhält und erregt, immer wieder große Erlebnisse verschafft und uns mit der Welt verbindet.“

In „Cargo“ geht es fast ausschließlich um Autorenfilme. Popcornfreunde werden hier nicht bedient. Dafür haben die Macher Gespür für Themen, die noch nicht durch ein Dutzend anderer Medien gegeistert sind: Eine große Reportage begleitet Dominik Graf bei den Dreharbeiten für seine erste TV-Serie, ein Dossier beschäftigt sich auf acht Seiten mit der gerade zu Ende gegangenen US-Serie „The Wire“. Das sind auch die Höhepunkte des Heftes. Während die Reportage sehr gut geschrieben ist, neigt Daniel Eschkötter in seiner „The Wire“-Analyse leider zu einer geschwurbelten Sprache, die das Verständnis nicht gerade erleichtert. Aber spätestens mit den weiteren Artikeln des Dossiers, die den Blick nicht nur auf neue Werke der Serienmacher lenken, sondern auch auf einen Soziologen, der Feldforschung in amerikanischen Ghettos betreibt, um Bücher über die Untergrund-Ökonomie des Drogenhandels und die soziale Realität in US-Armenvierteln zu beschreiben, geht der Ansatz der Redaktion voll auf: Film nicht als isoliertes Medium zu betrachten, sondern als Ergebnis gesellschaftlicher Vorgänge.

Der Redaktion ist es gelungen, einige bekannte Namen für ihre Zeitschrift zu gewinnen: Popkultur-Papst Diedrich Diederichsen schreibt empathisch über den neuen französischen Film „35 Rum“, FAZ-Filmkritiker Michael Althen eine nette Geschichte über Mickey Rourke. Texte wie die DVD-Kritik zu Werner Herzogs Antarktis-Doku erinnern mich in ihrem Schreibstil stark an ganz alte Vorbilder: an Wim Wenders etwa, der solche Filmkritiken für die legendäre „Filmkritik“ geschrieben hat, bevor er selbst ein berühmter Regisseur wurde. Das ist nicht das schlechteste Vorbild.

Weniger interessieren mich die Artikel über Videokunst und Filmtheorie. Aber es finden sich auch so genügend interessante Texte, über DVDs, Filmbücher – und Kolumnen zu Medien wie Comics und Fernsehen. Vor allem ist „Cargo“ nicht 08/15. Das fängt mit dem Layout an, dass zwischen Bleiwüste und originellen Einfällen schwankt.  Und endet mit einer ungewöhnlichen Rubrik wie dem „Starsystem“, das die Verflechtungen zwischen Produzenten, Schauspielern und Politikern aufzeigt.

Insgesamt ist „Cargo“ mir etwas zu theorielastig; einige Texte sind einfach zu verschwurbelt geschrieben und ohne Fremdwörterlexikom kaum zu verstehen. Aber das Magazin macht Lust auf Kino. Nach dem Lesen der Artikel möchte man am liebsten sofort den neuen Film von Claire Denis sehen – oder sich die kompletten fünf Stafeln von „The Wire“ runterladen. Das ist auf jeden Fall schon mal einer der Hauptzwecke, den eine Filmzeitschrift erfüllen sollte. Den großen Rahmen aufzuzeigen, den gesellschaftlichen Kontext, Film als Mittel sozialer Auseinandersetzungen zu erklären, ist ein anderer wichtiger Zweck, den in Deutschland sicher immer noch zu wenige Zeitschriften erfüllen. Diese Nische versucht „Cargo“ zu füllen. Die Frage ist, ob genügend Leute bereit sind, dafür alle drei Monate den doch recht happigen Preis von 8 Euro 90 zu bezahlen. Und ob sie das Heft überhaupt finden. Außer am Hbf habe ich es in Düsseldorf in keiner großen Buchhandlung kaufen können, und da lag es auch versteckt in der obersten Reihe hinter anderen Kinozeitschriften.

Endlich ein Film über den typischen FAZ-Leser

Veröffentlicht: 24. Februar 2009 in Allgemeines, Print
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„Am besten gelingt das Hans Steinbichler mit seiner Groteske »Fraktur« über einen von Josef Bierbichler verkörperten Geschäftsmann, der mit dem neuen Layout seiner Leib-und-Magen-Zeitung F.A.Z. nicht fertig wird und zu extremen Methoden greift. »Wer die Fraktur nicht lesen kann, der kann das deutsche Wesen an sich nicht lesen«, weiß der Macher. Dass diese famos gespielte und inszenierte Satire ein quicklebendiges Milieu aufs Korn nimmt, macht ein Blick in die Leserbriefseiten der »Zeitung für Deutschland« klar.“

Gero Drake über eine Episode aus dem Ende März startenden Episodenfilm „Deutschland 09“.

Der Titel klingt wie ein Thesenpapier oder wie ein Nouvelle Vague-Film der 60er Jahre („Liebe mit zwanzig“ heißt bspw. der Episodenfilm von 1962, zu dem Francois Truffaut die Antoine Doinel-Geschichte „Antoine et Colette“ beigetragen hat): „Liebe heute“, Untertitel „Short stories“. Keine Kurzgeschichten sind es also, die Maxim Biller hier schreiben wollte, sondern Erzählungen ganz im Geiste Hemingways und anderer amerikanischer Schriftsteller.

Und es ist ihm gelungen; der deutsche Autor und Kolumnist erwesit sich mit diesen 27 Miniaturen auf knapp 200 Seiten als Meister der Gattung: Bewundernswert, wie er auf sechs, sieben Seiten eine ganze Welt entwirft, glaubwürdige Charaktere und ein teilweise kompliziertes Beziehungsgeflecht. Aus manchen dieser Storys hätte man einen ganzen Roman machen können – und weniger begabte Schriftsteller hätten dessen Länge auch gebraucht, um aus den Stoffen etwas halbwegs Interessantes zu machen. Biller schafft es hingegen auch auf den wenigen ihm zur Verfügung stehenden Seiten, die Leser in seinen Bann zu ziehen.

Ob junge Juden in Prag oder Tel Aviv, einsame Großstädter in Berlin oder Hamburg, Singles, Paare oder zwei Menschen, die einander immer wieder suchen und verlieren: In den Geschichten steht immer das Thema Liebe im Hintergrund. Langweilig wird es jedoch nie, da Biller es versteht, sein Sujet meisterhaft zu variieren. Dabei streift er natürlich auch andere existenzielle Themen, vom Altern bis zur Depression, von der großen Politik bis zum Künstlerdasein (oft sind seine Helden Schriftsteller, Künstler oder Freiberufler, die in hippen Berliner Szenecafés rumsitzen oder zwischen Israel und Deutschland hin und her jetten), vom Krieg bis zum Mord und Selbstmord. Obwohl immer intime Gefühle im Mittelpunkt stehen, wird Biller nie peinlich oder ordinär; er macht sich auch nie über seine Figuren lustig, sondern nimmt sie in all ihrem Leid wie in ihrer Lächerlichkeit ernst.

Ob er in „Die richtigen Tage“ den Versuch eines Mannes, seine Freundin, die sich gerade von ihm getrennt hat, noch einmal ins Bett zu bekommen, um sie mit einem Kind an sich zu binden, mit dem Schicksal einer im Krieg von einem Jugendfreund gefangen gehaltenen Bosnierin verknüpft oder in „Das Recht der jungen Männer“ die Geschichte eines aus Liebe zum Totschläger gewordenen Schriftstellers mit derjenigen einiger alter Juden verbindet, die sich an ihren Peinigern gerächt haben: Biller verknüpt hier wie da das Private mit dem Weltgeschehen, die oft lächerliche Suche nach dem kleinen Glück mit der ganzen Tragik des Lebens. So auch in „Die Selbstmörder“, wo eine Frau in Tel Aviv sich nicht zwischen zwei Männern entscheiden kann, bis vor ihrem Hotelfenster ein Selbstmordanschlag alles verändert.

In „Ziggy Stardust“ und „Sieben Versuche zu lieben“ variiert er das Thema einer Jugendliebe, die lange unerfüllt bleibt, nach Jahrzehnten doch noch zu einer Beziehung wird, um ebenso plötzlich wieder zu enden. Nostalgie und Melancholie sind aber auch in den meisten anderen Geschichten die tonangebenden Stimmungen. Bisher kannte ich von Maxim Biller nur seine Reportagen und Kolumnen („100 Zeilen Hass“) aus TEMPO sowie seine „Moralischen Geschichten“ aus der FAS. Während er in den Medien weitläufig als Querulant, Provokateur und Zyniker gilt, erweist er sich in dieser Sammlung von Kurzgeschichten als großer Menschenfreund und begnadeter Erzähler. Bessere Literatur von einem zeitgenössischen deutschsprachigen Autor wird man momentan für knapp neun Euro nirgends finden.

Maxim Biller: „Liebe heute“ Short stories. 197 Seiten, 8,95 €, Fischer Taschenbuch

Kürze bringt poetische Würze

Veröffentlicht: 23. Februar 2009 in Bücher, Online
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Portal in die Twitter-Welt: Die Homepage des Kurznachrichten-Dienstes

Portal in die Twitter-Welt: Die Homepage des Kurznachrichten-Dienstes

Können 140 Zeichen lange Texte Literatur sein? Immer mehr Nutzer des Kurznachrichten-Dienstes Twitter glauben das: Sie veranstalten Lesungen und unterziehen Meldungen einer Literaturkritik. Vor kurzem startete sogar der erste deutschsprachige Twitter-Fortsetzungsroman. „Twitteratur“ – eine neue Kunstform. (mehr …)

Ergebnisse sonntäglicher Lektüre im Café:

1. WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach scheint jetzt endgültig am Rad zu drehen. Nachdem diese Woche bekannt gegeben wurde, dass seine Zeitungsgruppe 300 Leute entlässt (die Unternehmensberatung hatte nur 275 empfohlen), findet er noch genug Zeit, einen 2 1/2-seitigen Artikel für „Cicero“ zu schreiben, indem er den Niedergang des Tageszeitungsjournalismus beklagt. Sein Fazit:

„Seitdem immer mehr Menschen einen immer größeren Anteil der Welt nur noch über die Medien erfahren, entscheiden diese über die gefühlte Bedeutsamkeit eines Themas. Das ist eine tägliche Herausforderung und eine tägliche Verantwortung. Da provozierte einer: „Du hast dir nichts vorzuwerfen. Deine Zeitung ist immer noch gut. Nur deine Leser wurden schlechter.“ Treue Gefolgschaft ist aus der Mode. Es gibt immer mehr „Laufkunden“. Viele leben auf Probe, flüchtig, bis zum Widerruf.“

Genau, wenn weniger Leute eine Zeitung kaufen/abonnieren, ist nicht die Qualität der Zeitung daran schuld, sondern der Leser, der zu blöd ist zu erkennen, was für ein Wahnsinnsqualitätsprodukt doch diese wunderbare Zeitung ist! Und ich habe immer gedacht, in einer Marktwirtschaft wäre es das gute Recht des Kunden, zu einem anderen Produkt zu wechseln, wenn ihm das alte nicht mehr gefällt. Mit der Logik Hombachs darf ich auch nicht meine Zahnpastamarke wechseln, sondern muss der alten auf ewig die Treue halten, auch wenn sie inzwischen nach Rhizinusöl schmeckt statt nach Pfefferminz.

Außerdem beklagt Hombach, dass immer mehr Redakteure dazu neigen, auf die Wünsche von Werbekunden einzugehen. Anscheinend hat der Mann keinen blassen Schimmer, was in seinem eigenen Verlag vor sich geht, in dem ganze Beilagen in externe Redaktionsbüros ausgegliedert werden, die dann Werbekunden-freundliche Artikel schreiben. Die ganze WAZ-Gruppe kann ich inzwischen nicht mehr ernst nehmen.

2) Niklas Maas trauert in der FAS (leider nicht online) der vertanen Chance nach,  in Deutschland eine  Zeitschrift zu machen, die der amerikanischen „Vanity Fair“ entspricht: anspruchsvolle Reportagen und bunter Lifestyle in einem Heft. Die deutsche VF sei dies am wenigsten gewesen, was aber nicht an unserem Land, sondern an der Konzeptlosigkeit und personellen Unterbesetzung der Redaktion gelegen hätte. Wir träumen also alle weiter und fragen uns bis dahin, warum Maas es denn nicht selbst versucht, wo doch seine Argumentation zu 95 Prozent richtig ist (wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem ich keine Zeitschrift aufmache: no money). (Die 5 Prozent, wo er falsch liegt, sind übrigens die Behauptung, Heike Makatsch hätte das Zeug zum Star. Tut mir leid, aber wer den Trailer zu „Hilde“ sieht, bekommt nicht diesen Eindruck, sondern den, dass Makatsch nicht schauspielern kann und die Zeit der deutschen Weltstars seit mindestens 60 Jahren vorbei ist.)

Das Monster in Hollywoods Mitte

Veröffentlicht: 22. Februar 2009 in Lesetipp
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„Das Traurige bei Mickey Rourke ist: Es ist nicht so ein Comeback. Es ist keine Phönix-aus-der-Asche-Geschichte, in der der Held neu erstarkt, mit ein paar Kratzern zwar, aber mit dem Strahlen der Erkenntnis wieder auftaucht. Rourke steht nicht für Katharsis, für Aufbruch oder für das Obama-Amerika, er kann auch gar nicht geläutert werden – denn Rourke ist nicht mehr derselbe. Er steht für unwiederbringlich verlorene Vergangenheit. Für Leid. Und Pathos. Wen soll er im Übrigen künftig spielen? Gerissene Anwälte? Geniale Wissenschaftler? Weltraumhelden? Soll er sich durch sämtliche Talkshows charmieren? Das geht nicht. Rourke ist kaputt.“

An Mickey Rourke scheint diese Woche, in der er heißer Kandidat bei der Oscar-Verleihung ist und sein Film „The Wrestler“ in den deutschen Kinos anläuft, keine Zeitung oder Zeitschrift vorbei zu kommen. Beim Blick ins Zeitschriftenregal haben gefühlte 50 Prozent der Titel ein Porträt über oder ein Interview mit Rourke im Heft. Was man aus so einem Leben und so einem Treffen journalistisch machen kann, zeigt Rebecca Casati in einem bewegenden Porträt in der Wochenendbeilage der SZ.

Wunschzeitung frisch auf den Tisch

Veröffentlicht: 21. Februar 2009 in Journalismus, Print, Radio
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Wovon nicht nur ich träume, ist in der Schweiz zzt. schon Wirklichkeit – allerdings nur für 100 Testkunden: eine personalisierte Tageszeitung frisch in den heimischen Briefschlitz zu bekommen. WDR5 berichtete gerade über das Projekt der Schweizer Post. Die Leser können sich im Internet aus 20 verschiedenen nationalen und internationalen Zeitungen ihre Wunschzeitung täglich neu zusammenstellen, die dann individuell für sie gedruckt wird. Hätte ich auch gerne, dann würde ich sogar eine Tageszeitung abonnieren: die SZtazFAZ, wenn möglich noch mit einer Prise ZEIT dazu. Als Kultursüchtiger würde ich mir die Feuilletons all dieser Titel wünschen, dazu die Seite Drei und die Wochenendbeilage aus der Süddeutschen, die Schwerpunktseiten aus der taz und das taz.mag und vielleicht noch den ein oder anderen Reportage- oder Featuretext aus der ZEIT. Ach, wär das schön…

Promis ohne Glamour

Veröffentlicht: 21. Februar 2009 in Print
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„Wer sind die „Movers and Shakers“, die Ulf Poschardt, Vanity-Fair-Chef im ersten Jahr, erreichen wollte, wer bildet die „revolutionäre Elite“? Und was hat das mit Til Schweiger zu tun, der mit einer Ziege im Arm vom ersten Cover grinste?“

Die taz hat gleich zwei lesenswerte Artikel zum Ende der „Vanity Fair“.

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„Lasst uns den Freitag in einen sicheren Hafen führen, den die Mehrheit akzeptieren kann und durch Kauf der Print-Ausgabe und Besuch auf freitag.de unterstützt. … Dabei sollten
persönliche Befindlichkeiten zurückstehen, das gemeinsame Ziel ist entscheidend.“

Chris unterwirft heute die aktuelle Printausgabe einer Blattkritik und ich möchte hier einmal ein erstes Zwischenfazit über den ge-relaunchten „Freitag“ und seinen neuen Internet-Auftritt ziehen. Bis vor kurzem dümpelte die Zeitung unterhalb meiner Aufmerksamkeitsschwelle vor sich hin: Ich wusste, dass es sie gibt, aber auch nicht mehr. Dann stieß ich durch einen Link auf ihre Internetseite, wo ich einige Artikel so interessant fand, dass ich zumindest alle paar Wochen mal dort vorbeischaute. Mehr aber auch nicht. Denn ähnlich wie früher die Seite der taz fanden sich dort zwar alle Texte der Printausgabe ungekürzt wieder, allerdings ohne jede Aufbereitung durch Fotos o.ä.

Vom neuen „Freitag“ habe ich bisher alle drei Ausgaben gelesen – und sie gefallen mir: Die Themenmischung spricht mich an, das Layout ist modern, ohne überfrachtet zu wirken, die Texte sind meist solide bis gut und manchmal sogar sehr gut geschrieben. Meistens nicht auf „Zeit“-Niveau, aber durchaus ansprechend. Besonders gefallen mir längere Texte zu eher abseitigen, nicht der Aktualität geschuldeten Themen, die auch öfter mal einen literarischen Anstrich haben. Vor allem die „Nahaufnahme“ auf Seite 3 ist hier hervorzuheben sowie die zweiseitige Leseprobe aus einem aktuellen Sachbuch.

(Wie bei allen Zeitungen) lese ich am liebsten und am meisten den Kulturteil sowie den hier Alltag genannten Teil mit Vermischtem und populären/popkulturellen Themen. Den Politikteil finde ich hingegen noch etwas farblos. Wenn man für sich in Anspruch nimmt, eine kritische linke Gegenstimme zur Mainstream-Öffentlichkeit zu sein, sollte man auch in Themenauswahl und Kommentierung offensiver links sein. Die großen Artikel zur Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen fanden sich zwar in der Online-, bis auf den sehr guten Kommentar auf der Titelseite aber nicht in der Printausgabe. Wo sind die großen Entwürfe, die radikalen Forderungen, die grundsätzlichen Essays zur brandaktuellen und überall diskutierten Frage, welche Chancen die Wirtschaftskrise bietet, um den Raubtierkapitalismus zu überwinden? Eine linke Wochenzeitung sollte hier doch Vorläufer sein und nicht Wiederkäuer. Vermissen tue ich auch noch aufwändig recherchierte Reportagen oder Features zu sozialen Themen, gesellschaftlichen Minderheiten oder einfach Themen, die in den Mainstreammedien vernachlässigt bis ignoriert werden (wie man sie regelmäßig im Dossier der „Zeit“ findet, das muss sich ja nicht gleich über 5 Seiten erstrecken). Wenn es diese im „Freitag“ gäbe, könnte er eine ernsthafte Konkurrenz zur alten Tante aus Hamburg werden. Bis jetzt ist er das sicher noch nicht.

Vorreiter will der neue „Freitag“ auch sein, wenn es um den Journalismus der Zukunft geht, die Verzahnung von Online und Print, die Durchlässigkeit zwischen Leser/Nutzer und Redakteur. Auch wenn an der technischen Umsetzung der neuen Community noch vieles ganz gewaltig hakt, wie es dort wie in der Blogossphäre seit Tagen eifrig kritisiert wird, sehe ich doch gute und richtige Ansätze. Die Webseite wirkt seit dem Neustart tatsächlich so lebendig, dass ich fast täglich dort vorbei schaue. Wobei die Diskussionen in den Nutzer-Blogs interessanter sind als der redaktionell aufbereitete Teil. Letzterer müsste vor allem übersichtlicher gestaltet werden, denn im Moment ist es sehr schwierig, zum Beispiel Artikel aus der Zeitung dort wieder zu finden. Begrüßenswert ist auf jeden Fall, dass die Online-Redaktion nicht nur Texte aus der Zeitung bebildert und ins CMS kopiert, sondern auch selbst Artikel und Kommentare schreiben darf sowie zusätzliche Artikel, etwa aus dem „Guardian“, übernimmt. Verzichten könnte ich auf Schnickschnack wie Bildergalerien, aber was die angeht, reagiere ich sowieso etwas hysterisch. Was unverzichtbar ist, sind RSS-Feeds sowie eine Neuordnung der Kommentare, denn  in der derzeitigen Reihenfolge ist es fast unmöglich, einer längeren Diskussion auch zu folgen. Außerdem sehen die Blogs doch sehr spartanisch aus. Hier wäre mehr ausnahmsweise einmal wirklich mehr: Mehr Möglichkeiten für die Blogger, ihre Blogs individuell zu gestalten. Was auch enorm benutzerunfreundlich und kommunikationstötend ist, ist, dass man sich erst registrieren muss, bevor man kommentieren darf. Ich konnte mich dazu bspw. bisher noch nicht motivieren.

Tja, und dann wäre da noch die Frage, wie die Verzahnung von Community und Zeitung denn in der Praxis umgesetzt werden soll. Die Ideen, die Verleger Jakob Augstein und seine Redaktion dazu im Vorfeld geäußert hatten, fand ich alle richtig. Aber an der Umsetzung scheint es mir noch zu hapern. Nach drei Wochen finde ich in der Zeitung immer noch nur einspaltige „Blogkommentare“. Alle längeren Artikel sind nach wie vor von Redakteuren oder freien Mitarbeitern geschrieben. Das ist doch etwas wenig. Und was ist mit der Ankündigung, Hinweise von Nutzern zu berücksichtigen, um verbesserte Fassungen der Zeitungsartikel online zu stellen? MWn macht das noch keine Zeitung / kein Online-Portal in Deutschland; hier könnte der „Freitag“ also wirklich zur Avantgarde werden.

Bisher gibt es eine sehr gute Zeitung namens „der Freitag“ und eine viel versprechende, wenn auch noch an technischen Unzulänglichkeiten kränkelnde Webseite freitag.de. Was noch folgen muss/sollte, ist eine echte Verzahnung dieser beiden Angebote, damit etwas wirklich Neues (zumindest für deutsche Verhältnisse) entstehen kann. Mein Zwischenfazit fällt alles in allem trotzdem positiv aus. Ich denke ernsthaft darüber nach, wenn mein kostenloses Probeabo nächste Woche abläuft, ein reguläres Abo abzuschließen. Das wäre dann die erste Zeitung, die ich seit mehr als zehn Jahren abonnieren würde. Das sollte als Vertrauensvorschuss reichen.